Zweiter Teil

Kammerlander, Kaltenbrunner und Steck im Interview

Kammerlander, Kaltenbrunner und Steck im Interview

ALPIN: Du hast alle 14 Achttausender bestiegen. Jetzt musst du etwas neues, wohl noch schwierigeres bringen, damit du im Gespräch bleibst und die Sponsoren zufrieden sind.

Kaltenbrunner: Nein, da denke ich überhaupt nicht daran. Auch wenn du mir das wieder nicht glauben magst. Ich bin nie auf einen Sponsor zugegangen, ich habe nie von mir aus die Medien kontaktiert. Es ist blöd, wenn ich das jetzt sage, aber möglicherweise habe ich da einen Vorteil und auch etwas Glück gehabt, weil ich eine Frau bin.

Kammerlander: Das war nicht Glück, du warst einfach viel besser als alle anderen.

ALPIN: Du hast auch ein Projekt gehabt, das einfach zu kommunizieren war.

Kaltenbrunner: Das war nie so geplant. Erst ab etwa 2006 kam die Idee, dass ich gerne auf allen 14 stehen würde. Mir war aber klar, dass ich nie Flaschensauerstoff benutzen würde. Wenn ich am Everest Sauerstoff gebraucht hätte, wäre ich halt nicht auf allen Achttausendern gestanden.

ALPIN: Ist diese Versuchung nicht sehr groß, ab und zu darauf zu schielen, was medienwirksam ist.

Steck: Ich denke, da fragt ihr die falschen Personen. Die Gerlinde kann machen was sie will. Sie hat alle 14 Achttausender, das ist fast nicht mehr zu toppen. Sie kann von dem leben und entspannt schauen, was es noch gibt. Ein junger muss sich sicher mehr behaupten.

Kaltenbrunner: Man kann es eh nur machen, wenn es von innen kommt. Wenn mir jemand sagt, mach dieses oder jenes, dann funktioniert es nicht. Wenn das Gefühl und die Anziehung für etwas Neues da ist, dann starte ich.

Manchmal biwakiert er doch: Ueli Steck in der Eiger-Nordwand.
Manchmal biwakiert er doch: Ueli Steck in der Eiger-Nordwand.

ALPIN: Ueli, wie ist das bei dir mit den Speed-Geschichten? Die musst du irgendwann ja auch übertreffen.

Steck: Nicht unbedingt. Ich bin ja nicht der erste, der auf die Uhr geschaut hat. Selbst Messner hat das getan. Bei mir ist es übrigens noch interessant, wie ich bekannt geworden bin. Das war die Geschichte Excalibur. Das war für mich eine schöne Geschichte. Aber nicht das absolute Highlight, das ich je geklettert war. (Im Juli 2004 hat Ueli Steck den 230 Meter hohen Kletterklassiker "Excalibur", VII/6b, in den Wendenstöcken free solo, das heisst allein und seilfrei, begangen. Red.)

Kammerlander: Von der Opitk und der Wildheit aber schon sehr schön.

Steck: Dann kamen die Geschichten mit den Rekorden am Eiger. Ich habe die Eigernordwand in10 Stunden bewältigt. Andere waren doppelt so schnellt. Ich dachte, das sollte auch für mich möglich sein und ich habe den ersten Rekord geklettert, dann einen zweiten.

Kammerlander: Der Ueli hat natürlich diese Kunst und die Fitness und den Schädel, um so etwas überhaupt zu realisieren. Auch die Geschichte an der Jorasses finde ich so brutal (Am Sonntag, 28. Dezember 2008 klettert Ueli Steck die Nordwand des Grandes Jorasses über die Colton-McIntyre Route auf den höchsten Gipfel, die Pointe Walker (4208m), in 2 Stunden und 21 Minuten. Die Grandes Jorasses ist ein mehrgipfliger Berg im Mont-Blanc-Massiv in den Alpen, an der Grenze zwischen Frankreich und Italien. Red) Du hast die Route gar nicht gekannt, andere biwakieren dort und du rast da hoch...

Steck: ... Das ist ja das verrückte. Über die Jorasses redet niemand, obwohl es wahrscheinlich die wildeste Tour ist, die ich bisher gemacht habe. Ich werde auf den Eiger reduziert.

Kammerlander: Weil es halt der Eiger ist, so etwas wie der Everest im Himalaya.

Steck: Es ist aber kein Problem für mich, auch dass der Rekord unterdessen unterboten ist. Obwohl man die beiden Rekorde gar nicht vergleichen kann. Ich habe die Tour frei geklettert, der Dani (Daniel Albrecht, 20. April 2011) hat Fixseile gebraucht und die schwierigsten Passagen gar nicht geklettert. Darüber redet niemand. Das muss man auch nicht viel dazu sagen. Jeder sollte zwischen den Zeilen lesen können, dass etwas nicht stimmt.

Kammerlander: Wenn dir etwas wirklich auf den Wecker geht, dann musst du schon etwas sagen. Im Sportklettern gibt es ja ein ungeschriebenes Gesetz. Die Route des Erstbegehers soll bestehen bleiben. Diese Ethik geht langsam verloren. Die Routen werden häufig neu gebohrt. Der Charakter wird dadurch völlig zerstört.

Steck: Im Yosemite in der Route Freerider haben sie an der Schlüsselstelle einen neuen Haken gebohrt. Ich dachte, ich bekomme eine Krise.

Kammerlander: Echt? Das ist eigentlich dort nicht üblich.

Klicken Sie sich durch die Slideshow Gerlinde Kaltenbrunners 8000er-Expeditionen von 2006 bis 2011

ALPIN: Wie könnt ihr euch gegen diesen Zerfall der Ethik wehren?

Kammerlander: Es gibt die Hardcorekletterszene und die normalen Kletterer. Eigentlich gäbe es für alle genug zum klettern. Leider gibt es immer mehr schwarze Schafe, die präparieren die Routen optimal für den Seilverlauf und nehmen keine Rücksicht darauf, wie die Route einmal war. Das finde ich respektlos und armselig. Ich hasse es aber, wenn alles gleichgemacht und eine Route so präpariert wird, dass sie auch von mittelmässigen Alpinisten bewältigt werden kann. Aber es gibt auch noch einen harten Kern, der sich nicht alles gefallen lässt.

Kaltenbrunner: Beim Höhenbergsteigen geht es mit den Fixseilen in eine ähnliche Richtung. Beim Gelben Band am Everest sollen neuerdings auch Bohrhaken sein. Ich habe das noch nicht selber gesehen aber davon gehört.

Steck: Das ist schwachsinnig.

ALPIN: Die Touren und Routen werden immer häufiger künstlich abgesichert und für normale Alpinisten möglich. Wird auch mehr gelogen.

Steck: Am Shishapangma hat einer mal grossartig erzählt, wie er mit den Skis vom Gipfel herunter gefahren ist. Ich habe mir gedacht, wow, das hat noch nie jemand gemacht, das müsste doch eine grosse Story sein. Ich habe nachgefragt und festgestellt, dass er gar nicht oben war sondern nur auf dem Zentralgipfel.

Kammerlander:" Stangl war eine Enttäuschung"

ALPIN: Gelogen statt bloss leicht geschummelt. Ist das ein neues Phänomen?

Kammerlander: Nicht sagen, wie man zu einem Ergebnis kommt ist eine neue Tendenz im Sportklettern. Ob du etwas alleine kletterst oder ein Team dabei hast, ist schon ein sehr grosser Unterschied.

Kaltenbrunner: Aussenstehende, die nicht genau Bescheid wissen, sehen dann nur das Ergebnis.

Kammerlander: Es gibt solche, die erzählen jahrelang, dass sie die schwierigsten Touren wiederholt haben und dann kommt man drauf, dass sie diese Touren gar nicht geklettert haben können.

Kaltenbrunner: Wie kommst du denen auf die Schliche?

Kammerlander: Es gibt Touren, da hast du normalerweise einen sehr guten Sicherungspartner. Wenn der Sicherungspartner dann aber immer einer von der Strasse ist, den niemand kennt, dann wird es irgendwann komisch.

Kaltenbrunner: Wenn einer für sich meint auf dem Gipfel zu sein, obwohl er gar nicht da war, ist es mir egal. Wenn jemand damit aber an die Öffentlichkeit geht, ist es schon nicht ok.

Kammerlander: Lügen ist grundsätzlich nicht ok. Für mich war Stangl schon eine Enttäuschung. Ich habe mir gedacht, da gibt es jetzt einen Wahnsinnigen, der ist einfach viel besser als alle anderen.

Kaltenbrunner: Ich werde oft darauf angesprochen, warum ich so lange brauche und der Stangl ist so schnell. Aber wir treten die Spur und bringen Fixseile an. Er profitiert von dieser Vorarbeit der anderen.

Steck: Ich glaube, er hat früher gute Sachen gemacht. Jetzt hat es am K2 einmal nicht funktioniert. Dass er da gelogen hat, finde ich auch nicht gut. Dass man aber durch den Sponsor gewaltig unter Druck kommt, das kann ich mir schon vorstellen.

Kaltenbrunner: Sorry, ganz ehrlich, ich kann mir das nicht vorstellen.

Steck: Wenn du schaust, von welcher Firma er gesponsert ist und welche Marketingstrategie sie verfolgen, kann ich es mir vorstellen.

ALPIN: Der Druck kommt vom Sponsor?

Steck: Er selber macht sich den Druck. Du hast diese Marketingleute, die eine schöne Expedition wollen, mit Kamerateam und allem. Er ist der Star und versucht ans Limit zu gehen. Da kann der Druck schon gross werden.

V.l.n.r. Walter Aeschimann, Ueli Steck, Gerlinde Kaltenbrunner, Beat Kammerlander und Robert Bösch.
V.l.n.r. Walter Aeschimann, Ueli Steck, Gerlinde Kaltenbrunner, Beat Kammerlander und Robert Bösch.

ALPIN: Ihr legt sehr viel Wert auf Ehrlichkeit. Anderseits gibt es auch Tabuthemen im Elitebergsteigen ...

Kammerlander: ... Doping beispielsweise?

Steck: Bei mir kann man das Thema schon anschneiden. Nach meinem Rekord am Eiger habe einige in die Welt gesetzt, ich sei gedopt. Ich habe bei Swiss Olympic die Kampagne Cool and clean unterschrieben. Für mich ist klar, dass ich kein Doping nehme. Ich bin froh, dass ich auf den Everest steigen kann ohne ein Aspirin zu schlucken.

Kaltenbrunner: Wenn du manchmal siehst, wie viele Pillen gewisse Alpinisten im Basislager auf ihrem Teller haben und sagen, das seien nur Vitamine... Das kann man sich schon fragen, was alles geschluckt wird.

Steck: Es ist auch offensichtlich, dass sich viele Cortisonpräparate spritzen.

Kaltenbrunner: Ob es hilft, weiss ich nicht. Aber ich finde es saugefährlich. Gerade in der Höhe musst du deinen Körper sehr genau spüren. Die kleinste Veränderung kann ein Warnsignal sein. Wenn du etwas schluckst dann verschleiert das die Warnsignale. Das ist häufig auch ein Grund, warum manche nicht mehr zurückkommen.

Steck: Wenn du Dexamethason schluckst, kannst du schon etwas weiter gehen. Aber irgendwann macht das Herz einfach nicht mehr mit.

ALPIN: Wie ist das im Klettersport?

Kammerlander: Wenn Doping in allen Sportarten etwas nützt, warum sollen es im Klettersport manche nicht auch versuchen. Beim Klettern ist es aber so, dass der limitierende Faktor wohl die Kraft in den Fingern ist. Die kannst du mit keiner Dopingsubstanz kompensieren. Klettern ist auch eine künstlerische Form des Bewegens. Du musst sehr kreativ sein, gleichzeitig braucht es aber unglaubliche Konzentration. Klettern ist derart komplex, dass Doping wohl seine Wirkung nicht voll entfalten kann.

Kaltenbrunner: Im Höhenbergsteigen kann ich mir auch nicht vorstellen, dass jene, die dauerhaft bei den weltbesten dabei sind, irgendetwas schlucken.

Steck: Im Ausdauerbereich holst du beim Doping schon viel heraus, beim Klettern ist der Effekt wohl minimal.

Starkes Trio: Kaltenbrunner, Steck, Kammerlander.
Starkes Trio: Kaltenbrunner, Steck, Kammerlander.

ALPIN: Ist es heutzutage nötig, als Alpinist permanent online zu sein?

Kaltenbrunner: Auf den genauen Wetterbericht via moderne Kommunikationstechnik möchte ich nicht mehr verzichten. Aber wenn ich ehrlich bin, dann würde ich wohl ohne Sponsoren nicht täglich online rapportieren. Sich dem jetzt noch zu entziehen, ist wahrscheinlich schwierig.

Kammerlander: Seid ihr von den Sponsoren schon einmal aufgefordert worden, Facebook zu betreiben?

Kaltenbrunner: Aufgefordert nicht direkt ...

Kammerlander: ... nahe gelegt ...

Steck: Genau. Ich mag das nicht machen. Aber die Frage ist schon, ob man sich dem noch entziehen kann. Wenn ich jeden abend von den Expeditionen etwas schreiben müsste, bekäme ich die Krise. Einmal in der Woche, das geht gerade noch.

Kammerlander: Von der Expedition einen Seelenstrip abzuziehen, da hätte ich auch überhaupt keinen Bock.

Kaltenbrunner: Ich bin von den Sponsoren mal aufgefordert worden, täglich etwas auf twitter zu schreiben. Da muss man halt selber sagen, ob man das mag oder nicht. Das war für mich zuviel.

Steck: Ein guter Sponsor akzeptiert die Einstellung.

ALPIN: Die Zukunft des Alpinismus ist online. Wohin geht die Tendenz im realen Spitzenalpinismus?

Kammerlander: Es gibt viele Junge, die sind zu schwach, um sich als Spitzenkletterer zu messen und suchen sich dann ein Projekt, das eigentlich wertlos ist und bauschen es völlig auf. Das ist die eine Tendenz. Dann gibt es zum Glück auch solche, die total motiviert sind und mit Leidenschaft klettern. Einfach endlos im Dreck sitzen und Klettern, das bringt's.

Kaltenbrunner: Beim Höhenbergsteigen ist die Frage schon, wo das hinführt. Man sagt zwar alle Grate und Pfeiler seien schon begangen, aber ich glaube, es gibt noch genug zu tun.

Steck: Im Alpinstil ist im Himalaya etwas wirklich schwieriges, wirklich technisches noch nie realisiert worden. Was der Steve House an der Rupalwand gemacht hat, das ist zwar eine Supergeschichte, aber wirklich technisch war das nicht. Mit der Dry-Tooling-Technik beispielsweise gibt es im Himalaya noch viele Möglichkeiten, technisch schwere Sachen wirklich schnell zu klettern. (In den letzten Jahren hat sich als Spezialdisziplin des Eiskletterns das Dry-Tooling entwickelt. Dabei wird mit speziellen Eisgeräten und Steigeisen eine Felswand beklettert. Das Dry-Tooling entstand, da viele Eiskletterer auf der Suche nach schwierigen Eiszapfen im Zustieg zu diesen Eiszapfen schwierige Stellen im Fels überwinden mussten.)

Kaltenbrunner: Das ist sicher eine grosse Herausforderung. Die technische Schwierigkeit in den ganz grossen Höhen. Das umzusetzen, das klingt wirklich spannend.

Steck: Im Jahr 2007 hat eine Russische Seilschaft am K2 die Westwand durchstiegen ...

Kaltenbrunner: ... Die waren monatelang dort und haben sich am Schluss durchgenagelt.

Steck: Ich bin sicher, das kannst du irgendwann frei klettern.

Klicken Sie sich durch die Slideshow des Gipfelberichtes der Nuptse-Expedition 2012 von Gerlinde Kaltenbrunner.

Mehr zur Nuptse-Ostgrat Expedition 2012 von Gerlinde Kaltenbrunner finden Sie hier:

Alle Meldungen zu erfolgreichen K2-Expedition 2011 von Gerlinde finden Sie hier:

Weitere Meldungen zu Ueli Steck auf alpin.de: