Interview: Was macht eigentlich ... ?

Billi Bierling: "Wandern war für mich lange ein Graus"

Wer sich mit dem Höhenbergsteigen befasst oder sich gar selbst schon an den Höchsten der Erde versucht, wird (zumindest im nepalesischen Himalaja) nicht um den Namen Billi Bierling herumkommen. In der Szene und darüber hinaus ist sie bekannt "wie ein bunter Hund". ALPIN-Volontärin Lubika Brechtel traf die Chronistin, Journalistin und erfolgreiche Höhenbergsteigerin in ihrem Heimatort Garmisch. Eines zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch: Das Leben von Billi Bierling war und ist sicher einiges, aber niemals langweilig!

Billi Bierling beim Aufstieg zur Zugspitze.
© Nomi Baumgartl

Billi Bierling über Spitznamen, Heimatgefühle & Familie

Wer bist du und für wen: Barbara, Bärbel oder Billi?

Billi! Auf alle Fälle Billi. Bei meiner Familie Bärbel. Und Barbara – mein Geburtsname – ist mir ganz fremd. Inzwischen steht auch in meinem Pass "Künstlername: Billi Bierling".

Der Spitzname kommt von Bierli, wie mich früher meine Freundinnen nannten. Dann hat sich wohl mal eine versprochen und so nennt man mich seit meinem Teenageralter Billi.

Wenn du dich entscheiden musst: altbewährt oder neue Wege?

Interessante Frage. Ich bin schon sehr offen für Neues, sonst hätte ich sicher nicht so viel Unterschiedliches gemacht. Außerdem bin ich wahnsinnig neugierig und sage nur ganz selten "Nein" zu neuen Vorschlägen. Es gibt allerdings auch ein "Aber" – und da komme ich gleich auf Miss Hawley, meine ebenso bekannte wie gefürchtete Vorgängerin bei der Himalayan Database.

<p>Billi nimmt ihr Routinen überall hin mit, auch wenn es hoch hinaus geht.</p>

Billi nimmt ihr Routinen überall hin mit, auch wenn es hoch hinaus geht.

© Archiv Billi Bierling

Seit ihren Anfängen im Jahr 1963, verwendete Miss Hawley ein bestimmtes System: Sie traf die Bergsteigerinnen und Bergsteiger vor und nach ihrer Expedition, fragte nach den Lagern und vieles mehr. Heutzutage ist das wegen des Massenansturms nicht mehr möglich, aber davon wegzukommen, fällt mir richtig schwer. Also ich bin schon auch ein Gewohnheitstier.

Wo fühlst du dich mehr daheim: in Garmisch oder in Kathmandu?

Garmisch ist meine Heimat. Und Kathmandu ist meine Wahlheimat. Wenn ich dort ankomme, freue ich mich, in dem Chaos zu sein und auf meine WG. Aber hier sind natürlich meine Wurzeln und meine Familie. Ich habe selbst keine Kinder, aber meine Mutter, meine Tante und meine Schwester leben in Garmisch. Ich würde sagen, ich habe das Beste aus zwei Welten, diese Wurzeln hier in Garmisch, die während der Corona Zeit ganz wichtig waren. Und ich habe mein buntes Leben in Kathmandu.

Was ist Heimat für dich?

Wenn ich hier in Garmisch ankomme, fühle ich mich gleich daheim. Aber wenn ich in Kathmandu bin, fühle ich mich auch daheim. Ich bin mal hier, mal da, mal dort, aber meine Routine nehme ich überall hin mit. Das Laufen ist mir ganz wichtig als Ausgleich. Immer, wenn ich an einem neuen Ort komme, schaue ich als erstes nach möglichen Laufstrecken.

<p>Ihre Familie ist Billi Bierling sehr wichtig, weshalb sie die meiste Zeit des Jahres mittlerweile in Garmisch verbringt.</p>

Ihre Familie ist Billi Bierling sehr wichtig, weshalb sie die meiste Zeit des Jahres mittlerweile in Garmisch verbringt.

© Archiv Billi Bierling

Hast du jemals bereut, dass du keine eigene Familie gegründet hast?

Nein. Ich war zehn Jahre mit einem britischen Bergsteiger zusammen. Mike ist mittlerweile verheiratet und hat drei Kinder. Wenn ich jemanden geheiratet hätte und Kinder mit ihm hätte haben wollen, dann wäre er es gewesen. Aber: Ich wollte das nie. Er schon. Und das war so im tiefen Sinne auch der Grund, warum wir uns getrennt haben.

Ich glaube, ich binde mich ungern. Dann fühle ich mich so "angehängt". Ich bin richtig gern Single und komme gar nicht dazu, etwas zu vermissen. Aber ich habe natürlich auch Glück. Egal wo, ich bin selten allein, habe immer Menschen um mich. Vielleicht liegt es auch daran.

Billi Bierling: Höhenbergsteigerin, Chronistin, Übersetzerin, Journalistin

Du arbeitest für die Himalayan Database, für die Humantiäre Hilfe der Schweiz, als Journalistin und bist als Übersetzerin tätig. Wie bekommst du das alles unter einen Hut? Und, wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag bei dir aus?

Ich bin ein digital arbeitender Mensch, was mir das Wechseln zwischen den Tätigkeiten überhaupt möglich macht. Meistens beginnt mein Tag um 6 Uhr mit Zitronen- und Selleriesaft. Das soll gesund sein! Da ist mein Computer schon an und ich checke die Medien. Später gehe ich zum Laufen und ja, dann geht mir die Arbeit nicht aus. Meistens sitze ich bis abends vor dem Laptop. Ein Arbeitstag in Kathmandu sieht sehr ähnlich aus. Da wird es nur mit dem Selleriesaft schwierig. (lacht)

Im Jahr bin ich etwa fünf Monate in Nepal. Mal länger, mal kürzer. Den Sommer verbringe ich meistens hier in Garmisch. Momentan bin ich fast nur in Deutschland. Vor Corona war ich seit 2011 jeden Winter in der Schweiz, in der Zentrale der Humanitären Hilfe der Schweiz. Mittlerweile mache ich viel im Homeoffice und bin froh, dass ich nicht mehr ständig unterwegs bin. Dadurch habe ich mehr Zeit mit meiner Familie, das genieße ich sehr.

<p>Für die Humanitäre Hilfe der Schweiz reist Billi in Krisengebiete rund um die Welt. Hier ist sie in Pakistan.</p>

Für die Humanitäre Hilfe der Schweiz reist Billi in Krisengebiete rund um die Welt. Hier ist sie in Pakistan.

© Archiv Billi Bierling

Bei dem vielen Reisen: Sind Emissionen für dich ein Thema?

Ja, absolut. Ich versuche, weniger zu fliegen. Aber wenn man so ein Leben führt wie ich, ist ein vollständiger Verzicht schwierig. Früher bin ich noch viel mehr geflogen, z. B. als ich in London gelebt habe. In Deutschland fahre ich heute fast nur noch mit dem Zug. Und ich versuche es bei anderen Dingen, zum Beispiel ernähre mich vegan. Aber, es gibt immer Dinge, die man nicht richtig macht.

Billi Bierling stand auf sechs von 14 Achttausendern. Alles über die 14 höchsten Berge der Erde erfahrt ihr in dieser Fotogalerie:

Höhenbergsteigen und Trailrunning: Was verbindet die Disziplinen?

Deine beiden Disziplinen am Berg sind Höhenbergsteigen und Trailrunning. Was verbindest du mit welcher Sportart? Was haben sie in deinen Augen gemeinsam?

Ich bin ein Mensch, der draußen sein will. Schon als Kind hat mein Vater das angeregt. Wir mussten immer raus, egal bei welchem Wetter. Und das habe ich mitgenommen. Denn Trailrunning und Höhenbergsteigen spielt sich beides draußen ab. Für mich sind es die Schönheit der Natur, in der ich mich sehr gerne bewege, das Draußen-Sein, aber auch die körperliche Herausforderung.

Ich wusste lange nicht, wann man so erschöpft sein kann, wie nach einem Achttausender. Diese Erschöpfung habe ich erst beim Trailrunning wiederentdeckt, beim Zugspitzultratrail in Garmisch. Und trotzdem war es nochmal eine andere Art von Erschöpfung. Unglaublich, welche Kräfte der Körper entwickeln kann.

<p>Pure Erschöpfung nach dem Zugspitz Ultratrail, den Billi in 23,5 Stunden bewältigte. Den UTMB habe sie allerdings nicht vor.</p>

Pure Erschöpfung nach dem Zugspitz Ultratrail, den Billi in 23,5 Stunden bewältigte. Den UTMB habe sie allerdings nicht vor.

© Archiv Billi Bierling

Du warst bekennend nicht-bergaffin. Wie kam es, dass du 1998 nach Nepal geflogen bist und dein Herz an die Berge dort verloren hast?

Ich ging damals mit meinem Partner Mike nach Nepal. Mein Tagebuch aus der Zeit wechselt zwischen heiß und kalt: Mal fand ich das Trekking toll und dann wieder gar nicht. Aber so weit von allem weg zu sein, hat mich fasziniert. Kein Handy, keine Straße, einfach weg. Fünf Unterhosen und drei T-Shirts einpacken und aus der Tasche leben, das hatte was.

Dann haben mich natürlich auch die Menschen fasziniert, die unbekannte Kultur. Interessanterweise habe ich nie gedacht, dass mir drei Monate trekken zu viel ist – obwohl ich ja wandern nicht mochte. Ich hatte und habe da wohl so ein Urvertrauen.

Billi Bierling und die Achttausender

Lass uns zu deinen Erlebnissen an den Achttausendern kommen. Du hast erst relativ spät mit 42 mit dem Höhenbergsteigen begonnen. Welche alpinistische Erfahrung hast du mitgebracht?

Vor dem Höhenbergsteigen bin ich hauptsächlich gewandert, obwohl das für mich lange ein Graus war. Als Kind war der Kofel in Oberammergau der einzige Berg, der mir Spaß gemacht hat. Weil man da so gut kraxeln konnte. In den 90er-Jahren fing ich in England das Klettern an. Und ab da war ich viel unterwegs, rund um die Welt. Vom den Dolomiten bis zum Mera Peak. Ich hatte also schon einige 6000er gemacht und dadurch Expeditionserfahrung.

<p>Billi mit ihrem Vater am schon damals gut besuchten Gipfel des Kofel.</p>

Billi mit ihrem Vater am schon damals gut besuchten Gipfel des Kofel.

© Archiv Billi Bierling

Verrätst du uns deine skurrilsten Erlebnisse in Basecamps?

Da gibt es einiges. Zum Beispiel 2009 am Everest. Damals war Russell der einzige Anbieter, der einen White Port hatte. Und darin gab es Partys. Das war schon skurril: Im Basecamp Party machen und tanzen. Man muss sich das so vorstellen: Du tanzt so 30 Sekunden und dann bist du erstmal total außer Atem wegen der Höhe. (lacht)

Eine andere lustige Geschichte: Ich habe eine laute, tragende Stimme. (Anm. d. Red. Das können wir aus dem Gespräch bestätigen.) Ich mag sie nicht, aber ich habe sie. Im Abstieg vom Lhotse musste ich die letzten zwei Stunden durch den Eisbruch ins Basecamp. Ein Anbieter hatte sein Lager gleich neben dem Eisfall. Als ich endlich heraus war, kam Dawa Steven auf mich zu und sagte: "Ich höre deine Stimme schon bestimmt seit anderthalb Stunden. Wo warst du denn?" Da ich viele Leute im Vorbeigehen gegrüßt habe, hatte er mich schon aus dieser Distanz gehört.

Billi Bierling ist die dritte Deutsche, die den Gipfel des Mount Everest über die Südroute der Erstbesteiger erreichte und auch den Abstieg überlebte. Impressionen von Billi Bierlings Everest-Besteigung könnt ihr hier genießen:

Welcher von den sechs Achttausendern, die du bestiegen hast, war für dich die größte Herausforderung? Wirst du noch einen siebten in Angriff nehmen?

(Überlegt) Am anstrengendsten fand ich den Dhaulagiri I. Dort bin ich auch nicht auf den Gipfel gekommen. Lhotse, Makalu und Everest hätte ich nie ohne Flaschensauerstoff geschafft. Es gibt noch einen, der mich interessiert. Das ist der Gasherbrum II, aber da muss ich mal schauen. Die Hälfte der 14 voll machen würde ich schon gerne. Aber ob ich den siebten noch mache, sei dahingestellt. Wenn es sich ergibt …

<p>Billi auf dem Weg ins Dhaulagiri-Basecamp 2022. Ihre Expedition war das einzige Team, das zum Basecamp und zurück getrekkt ist. </p>

Billi auf dem Weg ins Dhaulagiri-Basecamp 2022. Ihre Expedition war das einzige Team, das zum Basecamp und zurück getrekkt ist.

© Christoph Miesch

Am Dhaulagiri kam ich bis ins Lager drei. Dort war ich körperlich allerdings schon so erschöpft wie sonst nach dem Gipfel. Deshalb habe ich keinen Gipfelversuch unternommen, aber das war ok. Umkehren ist für mich kein Versagen. Ich freue mich, wenn ich auf den Gipfel komme. Und wenn es nicht klappt, freue ich mich, dass ich gesund wieder unten bin. Ich halte es wie Karl Valentin: Ich freu mich, wenn es regnet. Weil, wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.

Billi Bierling abseits der Berge

Hast du auch Hobbys, die gar nichts mit Bergen zu tun haben?

Gute Frage. Alle meine Leidenschaften spielen sich draußen ab. Wenn ich nicht mehr laufen, mich nicht mehr bewegen kann, dann wird es dünn. Ich denke mir oft, dass ich mir noch etwas Anderes suchen sollte. Was mir momentan wirklich abgeht, ist das Lesen. Aber bevor ich mich nach der Arbeit nochmal eine Stunde hinsetze und lese, gehe ich doch lieber laufen. (lacht)

Wo siehst du dich im Alter?

Hier in Garmisch wahrscheinlich. Wenn ich nicht mehr nach Nepal gehen kann, wird es mir das Herz brechen. Aber wenn ich jetzt vor die Wahl gestellt würde, würde ich natürlich sagen Garmisch. Aber solange ich es noch kann und darf, lebe ich in diesen beiden Welten.

Billi Bierling, Miss Hawley und die Himalayan Database

Kommen wir zu deiner langjährigen Mentorin Miss Elizabeth Hawley. Seit Anfang der 1960er-Jahre gründete und leitete sie die Himalayan Database, eine Expeditionschronik für die Besteigungen der nepalesischen Achttausender. Wie war eure Beziehung zueinander? Hat sie sich über die Jahre verändert?

Die ersten Jahre waren schwierig für mich, was aber nicht Miss Hawleys Fehler war. Es war meiner. Sie war, wie sie war, ist aufgebraust und hat geschimpft, und ich bin ein Mensch, der sehr viel persönlich nimmt. Das war schon eine harte Schule und ich habe oft eine auf den Deckel gekriegt.

Durch meine Jobs bei der UNO und der Humanitären Hilfe der Schweiz habe ich mehr Selbstbewusstsein entwickelt, und so habe ich ihr auch mal widersprochen. Aber ich habe mich lange von ihr dominieren lassen. Vor ihrem Tod fand ich ein Ereignis sehr berührend: Meine Freundin Suzy fragte sie "Darling, who is your best friend?" und Miss Hawley antwortete: "I guess, Billi." Es ist ein Privileg, dass ich sie so gut kennenlernen durfte.

Die letzten zwei Jahre ihres Lebens waren sehr wichtig für mich. In der Zeit habe ich sie besucht, ohne zu befürchten, wieder etwas falsch gemacht oder vergessen zu haben. Das war total entspannt. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal so empfinde und ich bin ihr dankbar für viele Dinge, die ich gelernt habe. Vor allem: Den Mund aufzumachen, wenn ich etwas will.

<p>Billi durchlief bei Miss Hawley eine harte Schule, die sie aber nicht missen möchte.</p>

Billi durchlief bei Miss Hawley eine harte Schule, die sie aber nicht missen möchte.

© Archiv Billi Bierling

Ich will anderen alles recht machen und stelle mich dabei oft selbst hintenan. Was ja auch nicht schlecht ist. Aber Miss Hawley hat mich gelehrt, dass man auch mal für sich einstehen muss. Da war sie rigoros. Was ich auch von ihr gelernt habe: In Würde zu altern und Dinge abzugeben, wenn die Zeit da ist. 

Sie hatte auch keine Leidenschaft für die Database. “Get on with it! How can you possibly be passionate about a database,” sagte sie, als ich sie fragte, ob es ihr nicht schwer fiele, ihre Arbeit aufzugeben. Das hat mich echt umgehauen. Ganz so weit bin ich mit 55 noch nicht, aber ich fand interessant, wie leicht sie sich von allem lösen konnte.

Wann war dir klar, dass du Miss Hawley als Vorsitzende der Database nachfolgen wirst?

Ein paar Jahre vorher war mir bewusst, dass ich übernehmen werde. Obwohl es lange nicht danach ausgesehen hat. Als dann aber 2016 der Tag kam, war es mir klar. 2004 war ich zur ihr gekommen, weil ich nach Nepal wollte und mir gedacht hatte "Irgendwas muss ich ja machen". Über die Jahre bin ich immer mehr in die Rolle gerutscht. Und plötzlich findest du dich wieder als eine Autorität für etwas. Und trotzdem geht mir Miss Hawley manchmal wahnsinnig ab.

Du bist seit Miss Hawley Rückzug aus der Öffentlichkeit 2016 offiziell die Vorsitzende der Database. Was leistet ihr aktuell? Könnt ihr die vielen Expeditionen noch erfassen?

Die Himalayan Database ist wohl die beste Referenz für den Himalaja in Nepal. Das Erfassen wird natürlich schwieriger, weil es so viele Expeditionen gibt. Wir bekommen viele der Zahlen mittlerweile vom Ministerium für Tourismus in Nepal, bei dem alle Expeditionsleiter ein Briefing und ein Debriefing machen. Das heißt, wir sprechen nicht mehr mit allen persönlich, aber wir versuchen unser Bestes. Zum Beispiel führen wir noch Interviews, wenn Bergsteiger etwas Besonderes planen, wie unbestiegene Gipfel oder neue Routen.

Billi über die True-Summit-Debatte & ihren persönlichen Bezug zu den 8000ern

Wie bewertest du die True-Summit-Debatte? Wie steht die Database dazu?

Das vorab: Ich schätze Eberhard [Jurgalski] sehr, allerdings ist er sehr akribisch und ich nicht. Meine Rolle bei der Database ist mehr die einer Netzwerkerin. Was man in meinen Augen als Statistiker oft vergisst, ist eine gewisse Menschenkenntnis. Eberhard hat bestimmt Recht, daran zweifle ich gar nicht. Ich finde aber, dass man das Bergsteigen nicht bewerten kann wie einen 100 Meterlauf – gerade bei den Bergen, die in Frage gestellt werden: Annapurna I, Dhaulagiri I und Manaslu.

Natürlich ist der Gipfel der höchste Punkt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber ich denke persönlich, dass es eine Toleranzgrenze geben sollte. Heute sind die Parameter ganz andere, die technischen Möglichkeiten, das Equipment. Und auch die Wissenschaft hat sich mit der Technik weiterentwickelt. Unterm Strich wird Reinhold Messner für mich immer der erste sein, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. Und Gerlinde Kaltenbrunner immer die erste Frau, die alle 14 8000er ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat.

Alles über Reinhold Messners Achttausender-Besteigungen könnt ihr hier nachlesen:

Das kann jeder anders sehen, aber für mich ist es so. Und wir werden auch in der Datenbank nichts anderes vermerken. Wir besprechen solche Dinge im Team. Ich bin nicht diejenige, die alleine Entscheidungen trifft. Aber wir werden diese Leistungen sicherlich nicht aberkennen.

Haben in deinen Augen alle, die einen Achttausender by fair means besteigen wollen, etwas gemeinsam?

David [Göttler] oder Gerlinde [Kaltenbrunner] gehören natürlich zu einer ganz anderen Gruppe als Adriana Brownlee oder Kristin Harila, die ich sehr schätze. Das kann man in meinen Augen nicht vergleichen. Die Beschäftigung mit dem Berg ist eine andere, das Sich-Zeit-Nehmen, die Arbeit mit dem Berg. Ich finde aber, man darf keine Herangehensweise verurteilen, weil es zwei total unterschiedliche Sportarten sind.

Viele verlassen sich auf die Sherpas und ihre Bergführer, das tue ich ja auch. Und ich genieße das Trekking ins Basislager. (Anm. d. Red. Anspielung darauf, dass Harila von Basecamp zu Basecamp geflogen wird). Wie gesagt, es ist schwer, die neue schnelle Besteigungsart mit der traditionellen Bergsteigerei zu vergleichen. Das eine ist "mit dem Berg zu sein"; und das andere ist so schnell wie möglich raufzukommen.

<p>Billi ist nach Alix von Melle die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin. Hier seht ihr sie am Makalu.</p>

Billi ist nach Alix von Melle die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin. Hier seht ihr sie am Makalu.

© Billi Bierling

Da kannst du dich nicht mehr intensiv beschäftigen. Es ist ein Wettrennen. Da geht es um Zeit. Es gibt Menschen wie David [Göttler], die die Berge noch so besteigen wie vor zehn Jahren. Aber auch bei den Profis hat sich einiges verändert.

Was sind die Achttausender für dich persönlich? Trophäe, Ziel oder etwas ganz anderes?

Die Achttausender sind keine Trophäe für mich. Natürlich habe ich Freude, wenn ich oben war. Das ist für mich eine persönliche Leistung. Und klar ist eine Expedition etwas Besonderes: Du hast dein Basislager, dein Zelt. Dort ist dein Zuhause für die nächsten 4 Wochen. Und dann hast du den Berg vor dir. Der Gipfel ist das Sahnehäubchen, aber kein Muss.

Ich habe Ausdauer, ich bin zäh, aber ich brauche eine gute Führung in den Bergen. Und dazu stehe ich. Heute denken die Teilnehmer einer Expedition oft, sie kaufen den Gipfel. Die Wahrscheinlichkeit, gesund hoch- und wieder runterzukommen ist natürlich gestiegen. Aber zwischen dir und dem Gipfel liegt noch wahnsinnig viel, und das darf man nicht vergessen.

Alles Wissenswerte über die 14 Achttausender der Erde könnt ihr in dieser Bildergalerie nachlesen:

Eine Frage zu deiner Arbeit für die Humanitäre Hilfe der Schweiz. Du warst in Kiew, auf Lesbos und in vielen Krisen- und Kriegsgebieten. Was erlebst dort?

Ich sehe viel Leid. In Pakistan nach den Überschwemmungen im Jahr 2010 und in Moria auf Lesbos nach dem Feuer. Die Menschen hatten vorher schon nichts und dann ist alles verbrannt. Das Erdbeben in Nepal. Der Ukraine-Krieg. Es ist nicht immer einfach, so viel Leid, die Schicksale und die fehlenden Zukunftsperspektiven zu sehen. Jedoch gibt es auch sehr viel Hoffnung.

Und das ist das Schöne an meinem Beruf. Für die Humanitäre Hilfe der Schweiz spreche ich mit Menschen und erfahre, sie haben noch Träume. Natürlich bewegt mich das. Es bewegt mich sehr, aber es zieht mich nicht runter. Denn dann hätte ich den falschen Beruf gewählt. Ich kann und muss mich abgrenzen. Wie könnte ich den Menschen dort helfen, wenn ich selbst Trübsal blase?

<p>Diesen zwei Schwestern begegnete Billi auf Lesbobs. Heute leben die beiden in Deutschland.</p>

Diesen zwei Schwestern begegnete Billi auf Lesbobs. Heute leben die beiden in Deutschland.

© Archiv Billi Bierling

Letzte Frage: In deinem Buch "Ich hab ein Rad in Kathmandu" schreibst du, dass du es nie zum Klettern ins Oberreintal geschafft hast. Warst du mittlerweile mal dort?

Nein. (lacht) Ich habe inzwischen nicht mehr das Vertrauen, obwohl ich das Klettern liebe. Aber ich gehe zu selten.

Text von Lubika Brechtel

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