"Wie man einen Berg besteigt, ist jeder und jedem selbst überlassen."

Interview mit Speed Climber Karl Egloff

Karl Egloff hält die Speed-Rekorde an Aconcagua (6.961 m), Elbrus (5.642 m), Kilimandscharo (5.895 m) und seit dem 8. Mai 2022 am Makalu (8.485 m). Eine bergsportliche Spitzenleistung, die umso mehr erstaunt, da der Gipfel Egloffs erster 8000er war. Im ALPIN-Interview spricht er über den Rekord, seine Philosophie beim Höhenbergsteigen und die Konkurrenz mit Kilian Jornet.

Karl Egloff am Gipfel des Makalu, 8.485 m.
© Karl Egloff

Egloff ist ein ecuadorianisch-schweizerischer Extrembergsteiger und ehemaliger Profi-Mountainbiker. Geboren in Quito wurde ihm das Bergsteigen in die Wiege gelegt: Sein Vater war Schweizer Bergführer. Bereits mit 15 Jahren arbeitete Egloff selbst als Bergführer.

Über die Szene hinaus bekannt wurde Egloff, als er innerhalb kürzester Zeit zwei Geschwindigkeitsrekorde des Spaniers Kilian Jornet knackte. 2014 bezwang er den Kilimandscharo in 6 Stunden und 42 Minuten, 32 Minuten schneller als Jornet. Ein halbes Jahr später bestieg er den Aconcagua in 11 Stunden und 52 Minuten – eine ganze Stunde schneller als der Spanier.

ALPIN: Karl, herzlichen Glückwunsch! Wie geht es dir nach dem Rekord am Makalu?

Ich bin sehr glücklich, dass alles gut gegangen ist. Schön ist, dass ich noch alle Finger habe (lacht), dass mein Seilpartner Nicolas und ich tolles Wetter hatten und guten Spirit. Am Berg ist das alles nicht selbstverständlich, an einem 8000er sowieso nicht. Während der Expedition habe ich durch die Anstrengung ca. zwei bis drei Kilo Beinmuskulatur verloren, die baue ich derzeit wieder auf.

Für mich war der Makalu eine der lehrreichsten Erfahrungen, die ich je hatte. Ich bin zwar Bergführer, nichtsdestotrotz war meine maximale Höhe der Aconcagua (6.961 m). Ich stand bereits über 13 Mal auf seinem Gipfel, aber nie höher. Darum war es für mich spannend zu erleben, wie sich mein Körper auf über 8000 m anfühlen wird.

ALPIN: Was ging dir am Gipfel durch den Kopf?

Mein Expeditionspartner Nico und ich standen um 14:33 Uhr Ortszeit auf dem Gipfel des Makalu, spät für den Himalaya. Die letzten 200 Hm waren sehr anstrengend. Viel anstrengender als erwartet. Oben zeigte sich deshalb umso mehr meine "Latino-Seite", ich war ziemlich emotional (lacht). Es hat mehrere Tage gedauert, bis ich realisiert hatte, dass es geklappt hat.

Video vom Gipfel des Makalu auf Karls Instagram-Account:

Natürlich dachte ich auch an meine Familie, ich habe zwei kleine Kinder. Allein, dass ich den Rekord versuchen konnte, ist deshalb nicht selbstverständlich. Ich habe das Glück, dass meine Frau Bergsteigerin ist und mich unterstützt.

ALPIN: Warum hast du dich für den Makalu entschieden? Wie hast du dich auf den Rekordversuch vorbereitet?

Nico und ich haben den Makalu gewählt, weil wir den Großteil des Projekts selbst finanzieren mussten – und 8000er-Expeditionen sind teuer. Unser Motto war deshalb "hinfliegen und mal schauen, wie es uns geht und was möglich ist". 

In der Planung kam meine Schweizer Seite zum Vorschein. Wenn ich einen Rekord machen will, bin ich akribisch und setze nichts aufs Spiel. Deshalb haben wir uns für die Normalroute über das French Couloir entschieden. Erstens, weil keiner von uns Himalaya-Erfahrung hatte, zweitens wollten wir einer bereits begangenen Route folgen.

Den Körper ohne eigene Vorerfahrung zu trainieren, ist extrem schwierig. Darum war die Vorbereitung auf den Makalu anders als für meine anderen Rekordversuche. Ich habe mich fast nur auf das hypoxische Training konzentriert. Denn ich wusste nicht, was mich körperlich auf 8000 m erwartet.

ALPIN: Wieso hast du dich gegen eine Solobegehung entschieden?

Ich bewege mich sehr schnell. Dennoch besteht immer ein Risiko, z. B. in der Todeszone einzuschlafen oder zu stürzen. Aus diesem Grund habe ich meinen guten Freund und Mentor Nicolas ins Boot geholt, der ebenfalls Speed Climber ist.

Mit Seilpartner Nicolas Miranda knackte Karl den Rekord: 17 Stunden und 18 Minuten vom Basecamp zum Gipfel und zurück:

Den Rekord zu zweit anzugehen, war im Nachhinein die bestmögliche Entscheidung. Denn im Abstieg ging es mir wirklich schlecht, ich hatte extreme Magenschmerzen und musste oft erbrechen.

ALPIN: Für dich war es der erste 8000er. Wie waren die Verhältnisse im Auf- und Abstieg? Gab es Schwierigkeiten?

Im Basislager auf 6000 Metern merkten wir schon nach wenigen Tagen, wie extrem langsam sich der Körper nach dem Training regeneriert. Ein Grund für den schnellen Push war also, weil wir immer schwächer wurden.

Beim ersten Versuch kamen wir ohne Fixseile, also weglos, bis auf etwa 8000 Meter, standen aber bis zu den Knien im Schnee – zu riskant und kräftezehrend. In dieser Höhe spürten wir auch die Todeszone. Meine Bewegungen waren extrem langsam, der Körper wollte nicht mehr mitmachen.

<p>Erschöpfung nach dem Gipfelrekord: Karls Körper ist am Limit.</p>

Erschöpfung nach dem Gipfelrekord: Karls Körper ist am Limit.

© Nicolas Miranda

Als der perfekte Tag kam, beschlossen wir, aufzusteigen – obwohl wir uns beide noch angeschlagen fühlten. Ein Problem war, dass die vorgespurte Route wegen starkem Wind komplett verschwunden war. Wir mussten also selbst stapfen, was uns viel Energie abverlangte. Da zweifelte ich zum ersten Mal, ob es wirklich Sinn macht, weiterzugehen.

Bis auf etwa 8000 Meter bewegten wir uns im kompletten Whiteout. Da wir aber wussten, dass unser Team mit den Sherpas morgens zum Gipfel aufgebrochen war, gingen wir weiter. Und plötzlich – bumm – öffnete sich die Nebelwand: kein Wind, bestes Wetter und wir standen allein am Gipfel. Ich konnte es gar nicht glauben. Ohne Handschuhe, ohne Sonnenbrille, vielleicht -5 Grad am fünfthöchsten Berg der Welt. Sonnenschein.

Wir stiegen so schnell wie möglich aus der Todeszone ab, aber mein Körper war am Limit. Deshalb brauchten wir ca. sieben, statt der geplanten drei Stunden.

ALPIN: Habt ihr die Fixseile verwendet?

Ja, keinen Sauerstoff, aber mit Fixseilen. Das transparent zu sagen, ist mir wichtig, wie es auch zuletzt David (Göttler, Anm. d. Red.) auf Social Media getan hat. Es gibt heutzutage so viele Arten des Bergsteigens, das ist krass. Ich habe gesehen, wie der Heli im Basecamp landet und drei Tage später stehen die Leute schon am Gipfel. Gepumpt mit Sauerstoff. Und dann sind sie wieder unten. Ich hatte das Gefühl: Okay, ich bin mit meiner Methode entweder alt oder altmodisch.

<p>Endlich freie Sicht: die letzten Meter zum Gipfel.</p>

Endlich freie Sicht: die letzten Meter zum Gipfel.

Wir leben in einer Zeit der Adaption. Es gibt für jede:n etwas. Auch ich als Bergführer bin froh, dass es Kommerz-Bergsteigen gibt. Nur so habe ich auch einen Job und die Möglichkeit, mich zu finanzieren. Darum kann ich gar nicht direkt kritisieren. Klar, Abfall am Berg und Ethik sind Themen, die man diskutieren kann. Aber, wie man einen Berg besteigt, ist jeder und jedem selbst überlassen.

ALPIN: Bist du zufrieden mit eurer Zeit (17 Stunden und 18 Minuten)?

Meine 25 Jahre Erfahrung als Bergführer in den Anden haben mir mit Sicherheit geholfen. Trotzdem muss ich ehrlich sagen, dass ich eine schnellere Zeit schaffen wollte. Ich hatte keine Vorstellung, wie mein Körper durch die Höhe leiden würde. Das war eine Lernerfahrung.

Aber ich denke, dass wir es eigentlich ziemlich gut gemacht haben für das erste Mal auf einem 8000er. (lacht) Wir sind wirklich die ersten, die ohne Zwischencamps direkt vom Basislager (5700 m) zum Gipfel und zurück sind. Und das ist, was am Schluss zählt.

Alles über die 14 Achttausender lest ihr in unserer Fotogalerie Die 14 Achttausender der Erde:

ALPIN: Gibt es deiner Meinung nach Gemeinsamkeiten zwischen Höhenbergsteigen und Speed Climbing?

Höhenbergsteigen ist auf jeden Fall eine andere Disziplin. Dennoch ist beiden Arten des Bergsteigens gemeinsam, dass es nicht nur darum geht, den Gipfel zu erreichen, sondern um Schnelligkeit und Fitness. Du willst tatsächlich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, so wenig Zeit wie möglich am Berg verbringen.

ALPIN: Du hältst die Geschwindigkeitsrekorde an vier der Seven Summits aller Kontinente. Wie groß war die Herausforderung am Makalu im Vergleich zu deinen Rekorden an Aconagua, Denali, Elbrus und Kilimandscharo? 

Das ist eine super Frage. Schwierig zu vergleichen. (kurze Pause) Für meinen Lebenslauf als Sportler war diese Erfahrung am Makalu sehr wichtig. Viele haben mich bisher außerhalb der Anden nicht ernstgenommen. Das ändert sich jetzt vielleicht.

Es ist komisch, weil die Geschichte normalerweise andersherum läuft: Meistens sind es Läufer:innen, die irgendwann die Berge für sich entdecken. Und bei mir war es das Gegenteil: Ich bin ein Bergführer, der zum Trailrunning kam. (lacht)

Bei Bergen über 6000 Metern geht nicht mehr nur um das Athletische, sondern viel um Akklimatisierung. Und darum habe ich das Gefühl, dass die Vorbereitung auf den Makalu eine andere war, als die für meine bisherigen Rekorde. 

ALPIN: Was sind deine nächsten Ziele?

Die Seven Summits abschließen. Das faszinierende an den Seven Summits ist, dass jeder Berg anders ist. Drei Gipfel fehlen mir noch: der Mount Vinson (4.897m, Alaska), Carstensz-Pyramid (auch: Puncak Jaya, Ozeanien, 4.884 m) und der Everest. Den Mount Everest plane ich für 2023.

ALPIN: Noch eine letzte Frage: Wie viele wütende Anrufe hast du von Kilian Jornet bekommen, nachdem du seinen Aconcagua-Rekord geknackt hast?

Das ist lustig. Als ich seine Zeit getoppt hatte, wusste ich nicht, dass es das erste Mal war, dass einer von Kilians Rekorden gebrochen wurde. Die meisten denken, wir sind Rivalen. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. In unserer Diszipin sind wir Gentlemen. Wir sind eine kleine Gruppe, die einen so gefährlichen Sport betreibt.

Nach dem Aconcagua-Rekord kontaktierte ich Kilian und wir trafen uns in Chamonix. Wir trainierten zusammen und bestiegen sogar den Montblanc. Von der Kirche in Chamonix bis zum Gipfel brauchten wir vier Stunden, das war eine super Erfahrung!

ALPIN: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für deine kommenden Projekte – wir sind gespannt!

Kennt ihr alle der Seven Summits? In unserer Bildergalerie Die Seven Summits: Die Riesen der Kontinente findet ihr alles Wissenswerte:

Text von Lubika Brechtel

3 Kommentare

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Pintér L. auf Facebook

Danke Lubika. Ich stimme zu, dass die beide Leistungen nicht gerade vergleichbar sind, und auch, dass beide krass sind und höchsten Respekt verdienen. Ich bin aber der Meinung, dass der Wort "Rekord" heisst, dass man schneller ist als alle zuvor. Der Wort "Rekord" bedeutet schon selbst ein Vergleich. Und wenn man über einen Rekord/Bestzeit berichtet, dann muss der frühere/andere erwähnt werden. In der Himalayan Database ist Batards Besteigung detailliert aufgezeichnet. Klar dass er von der gleichen Höhe zum Gipfel schneller war. Klar ist auch, dass er nicht auf ein "FKT" ging, also ihm war BC-Gipfel-BC Gesamtzeit nicht wichtig. Die Situation erinnert mich an Kilian Jornets Versuch am Everest. Er startete vom Rongbuk und legte eine schnelle Zeit bis zum Gipfel hin, war aber nicht schneller zwischen ABC und Gipfel als Hans Kammerlander in 1996. Im Endeffekt, über den Rekord von Egloff/Miranda zu schreiben, ohne Batard zu erwähnen lässt eine grosse Lücke in dem Story. Egloff scheint nicht immer die beste Recherche zu machen. Zum Beispiel, bei dem Rekordversuch am Aconcagua Südwand hat er von Thomas Bubendorfers Besteigung nicht mal gehört. Jedoch habe ich den grössten Respekt vor Ihm, er ist ein Ausnahmeathlet. Es ist erfrischend von ihm zu lesen, im Gegenteil von allen Rekordjäger/Innen die mit Sherpa Guides und Oxygen die Berühmtheit nachlaufen... Also danke für das Interview!

Antwort aus der ALPIN-Redaktion

Ich hatte während des Interviews schon mit Karl darüber gesprochen und habe danach selbst noch nachrecherchiert. Die beiden Vorhaben scheinen bedingt miteinander vergleichbar. Zum einen lag das Basislager 1988 noch deutlich tiefer als heute (Gletscherrückgang). Ich konnte auch nichts dazu finden, dass Batard so plante wie Egloff und Miranda, d. h. "Basislager - Gipfel - Basislager an einem Tag". Darauf beziehen sich auch die 17 Stunden und 18 Minuten. Batard übernachtete nach dem Gipfel wohl auch in einem der Camps, was den zeitlichen Vergleich nochmal schwieriger macht. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass beide Unternehmungen alpinistische Spitzenleistungen sind, die großen Respekt verdienen. Für eine genauere Analyse müsste man in die Details einsteigen, was ich lieber den richtigen Expert:innen überlasse. Auf jeden Fall vielen Dank für deinen Kommentar und den Artikel! Liebe Grüße, Lubika von ALPIN

Pintér L. auf Facebook

Egloff hat den Speed-Rekord am Makalu nicht gebrochen. Er und MIranda behalten die Bestzeit für die Normalroute, aber Marc Batard war schneller in 1988, und das auf den schwierigeren Westpfeiler Route:
https://explorersweb.com/the-west-pillar-of-makalu-and.../
Eine gute Beispiel, dass Rekorde kommuniziert von den Bergsteiger selbst immer zweimal kontrolliert werden müssen.