Gipfelerfolg am Cerro Torre

Raphaela Haug und Laura Tiefenthaler: Eine starke Seilschaft

Dem Duo Raphaela Haug und Laura Tiefenthaler ist schon einiges gelungen, zuletzt in Patagonien – dank guter Verhältnisse und ausgeklügelter Abspültaktik.

Sonnenaufgang am Fitz Roy
© Raphaela Haug

Grenzerfahrungen in Patagonien: die Besteigung des Cerro Torre

Es hat mehr Schnee und Eis, als erwartet. Keine Seilschaft war in dieser Saison schon so weit oben, alle kehrten um oder brachen gar nicht erst auf, hierher an den Cerro Torre, diese mythische Nadel aus Eis, Schnee und gelegentlich auch Fels, an der Grenze zwischen der argentinischen Pampa und dem Inlandeis. Die Nacht war klar und kalt. Kälter, als angesagt, kälter, als es der Schlafsackhersteller in seiner Gebrauchsanweisung empfiehlt, und kälter, als Laura und Raphaela es gerne gehabt hätten. 

So kalt, dass auf der Schneeoberfläche eine dicke Schicht Anraum gewachsen war. Das perfekte Kugellager für Lawinen. Ein bescheidener Untergrund für Steigeisen und Eisschrauben. „Wir konnten das alles eigentlich gut absichern, aber wenn es einen Moment von Muffe gab – dann den“, erinnert sich Alpinistin Raphaela Haug.

<p>Aussicht auf den Torre Egger vom Cerro Torre aus.</p>

Aussicht auf den Torre Egger vom Cerro Torre aus.

© Raphaela Haug

Es ist gut ausgegangen, offensichtlich, die Hindelangerin und ihre Seilpartnerin Laura Tiefenthaler aus Innsbruck haben Anfang 2020 zusammen den Gipfel des Cerro Torre bestiegen. Und noch vier andere Paradetouren gemeistert. Jetzt sitzen sie, es sind ja schließlich Corona-Zeiten, hinter ihren Laptops, jede in ihrer Wohnung. Dennoch kommen sie beim Betrachten der Bilder ihrer Patagonien-Touren gemeinsam ins Schwärmen: "Krass, oder?" – "Boah, war des schön!" – "Hammer, des Bild, oder?"

<p>Eisiger Biwakplatz am Elmo mit tollem Fernblick auf das patagonische Inlandeis.</p>

Eisiger Biwakplatz am Elmo mit tollem Fernblick auf das patagonische Inlandeis.

© Raphaela Haug

Vom Schulterproblem zur Patagonien-Expedition: Eine Saison voller Bergabenteuer

Die karibikblaue Lagune am Fitz Roy, beim Zustieg noch tief von Schnee umrahmt, beim Abstieg eine willkommene Badegumpe. Der Quergang auf den Gipfelgrat, viel vereister als sonst um die Zeit. Der weite Blick vom Biwak am Cerro Torre, auf einem Eispilz eingerichtet. Das argentinische Inlandeis darunter ausgebreitet wie ein Meer: Caspar David Friedrich hätte seine wahre Freude gehabt an diesen Bildern. Und Raphaela sagt: "Ich kann es eigentlich immer noch nicht glauben, was für eine coole Saison und wie viel Massel wir da hatten, wie gut alles gelaufen ist. Das wird mir jetzt erst klar, wenn ich mir die Bilder anschaue!"

<p>Schon am ersten Tag ihrer Reise hatten Laura und Raphaela den Cerro Torre im Fokus.</p>

Schon am ersten Tag ihrer Reise hatten Laura und Raphaela den Cerro Torre im Fokus.

© Raphaela Haug

Mit einem Impingement-Syndrom an der Schulter, quasi der Berufskrankheit ambitionierter Kletterer:innen, ging es los: Raphaela und Laura waren beide im Damen-Expeditionskader des Deutschen Alpenvereins. Unter der Leitung von Dörte Pietron stand der Lehrgang Felsklettern in den Dolomiten an, aber Raphaela zwickte es in der Schulter. Pietron schickte die beiden zusammen auf eine verhältnismäßig leichte, aber lange Tour: die Drei-Zinnen-Überschreitung.

<p>Fabian Buhl klettert durch einen natürlichen Eistunnel am Cerro Torre.</p>

Fabian Buhl klettert durch einen natürlichen Eistunnel am Cerro Torre.

© Fabian Buhl

"Es hat supergut gepasst zwischen uns beiden und war auch extrem gut für mein Selbstvertrauen", sagt Raphaela. So war die Seilschaft Haug-Tiefenthaler geboren. Danach ging es nach Chamonix, Eislehrgang. Wieder als Seilschaft. Dies-mal der Walker-Pfeiler. Und schließlich schlugen sie Ende Januar in El Chaltén auf. Weil Dörte Pietron die erste Frau und die erste Deutsche war, die am Cerro Torre die Westwand bezwungen hat – und ein paar andere Touren auch. 

Weil der ernstzunehmende Alpinist und die ernstzunehmende Alpinistin irgendwann mal in Patagonien gewesen sein müssen. Und weil Lauras Medizinstudium und Raphaelas BWL-Vorlesungen auch mal fünf Wochen ohne sie auskommen konnten. Darum statteten sie dem vielleicht größten Abenteuerspielpatz, den es für Bergsteiger gibt, einen Besuch ab. Morgens Tour, abends Party, morgens Tour. Oder eben drei, vier, fünf Tage Tour – und dann wieder Party. Häufig aber auch tage- oder wochenlang keine Tour, sondern nur Party – weil schlechtes Wetter.

Frauenpower in Patagonien: Gipfel, Ideen und die Herausforderungen als Seilschaft

"Ich kannte natürlich die tollen Gipfelfotos, aber auch die Erzählungen vom Wetter", sagt Raphaela. Große Erwartungen zu haben, widerspreche ihrem Naturell. Schließlich ist sie ja eine bodenständige Allgäuerin, "daher bin ich ohne allzu konkrete Erwartungen nach Patagonien gefahren". Viel Schnee, viel Eis, die Verhältnisse waren schwierig. Aber dann stand ein stabiles, siebentägiges Wetterfenster an, "a mega Fändschdrrr", wie Raphaela sagt: "Und dann simma halt nauf auf ’n Torre …"

<p>Ansprechende und anspruchsvolle Kletterei auf dem Weg zum Gipfel.</p>

Ansprechende und anspruchsvolle Kletterei auf dem Weg zum Gipfel.

© Raphaela Haug

Poincenot. Cerro Torre. Fitz Roy. Es sind schon ziemliche Trophäen, mit denen Laura und Raphaela da im Gepäck heimgekehrt sind aus Patagonien. "Und trotzdem kommst du dort unten noch mal auf ziemlich viele Ideen für weitere Projekte", sagt Laura. "Ich wüsste schon, auf was ich beim nächsten Mal Bock hätte …" Raphaela meint auch: "Ideen hätten wir genug für einen nächsten Anlauf." Aber detaillierter will auch sie nicht werden: "Schaun mer mal, wie es sich so entwickelt", lächelt sie vielsagend. 

Laura findet die Passung mit Raphaela ziemlich optimal: Einer könne immer noch Gas geben, wenn der andere platt ist. Das Niveau beim Klettern passe, "die Raphaela ist halt eher die Stapfmaschine, wenn es um Kondition geht – ich steige dafür manchmal eher vor." Kann dann eben auch mal sein, dass es links oder rechts eigentlich viel leichter zu klettern wäre – aber Laura mit ihrem "megastarken Kopf " (so Raphaela) nimmt einfach die anspruchsvollere Direttissima. Die bessere Morgenlaune habe, zumindest nach dem ersten Kaffee, da sind sich beide einig, Laura. Raphaela kocht dafür mehr. "Weil ich dann nicht abspülen muss, und das macht der Laura gar nix aus …"

<p>Ein starkes Team:&nbsp;Raphaela Haug und Laura Tiefenthaler</p>

Ein starkes Team: Raphaela Haug und Laura Tiefenthaler

© Raphaela Haug

Laura und Raphaela waren beide Teil eines rein weiblichen Expeditionskaders, sie sind als Frauen-Seilschaft unterwegs – und finden das Thema Frau am Berg doch etwas hakelig, sagt Laura: "Es passt einfach saugut mit der Raphaela, ich muss nicht drauf bestehen, dass wir eine weibliche Seilschaft sind. Aber ganz ehrlich: Wären wir als zwei Typen in Patagonien unterwegs gewesen und hätten diese Touren miteinander gemacht, würde sich die Bergsport-Community kaum dafür interessieren." Raphaela ergänzt: "Wenn zwei Mädels zusammen am Berg unterwegs sind, ist es immer noch etwas Besonderes – egal, ob in den Alpen oder in Patagonien.

<p>Biwakplatz Elmo am Cerro Torre.</p>

Biwakplatz Elmo am Cerro Torre.

© Raphaela Haug

Und wenn eine Frau mit einem Typen auf Tour ist, gehen alle immer davon aus, dass er alles vorsteigt und die beiden halt einen netten Tag miteinander haben. Das nervt", findet sie. Es wäre mal an der Zeit, mit diesen Klischees aufzuräumen. Als sie Fabian Buhl mehr oder weniger zufällig in Patagonien getroffen haben, war der mit drei anderen Männern unterwegs, "und natürlich haben wir dann zwei Dreier-Seilschaften gemacht, alles andere wäre ja Blödsinn gewesen", sagt Raphaela.

Weitere starke Frauen, die den Alpinismus geprägt haben, findet ihr hier:

Fitz Roy-Gipfelglück und Cerro Torre-Herausforderungen

Das Highlight ihres Patagonien-Abenteuers? Der Fitz Roy, da sind sich die beiden einig – wiedermal. "Natürlich sind diese Formationen am Torre unglaublich. Aber der Fitz hat unglaublich viel Spaß gemacht, das war eine richtig flowigeSache – für mich war es die intensivste Tour." Raphaela stimmt ein: "Der Moment am Gipfel, im Sonnenuntergang – das war einfach meeeeegaschön!"

<p>Nicht nur die Berge sind besonders und ursprünglich in Patagonien.</p>

Nicht nur die Berge sind besonders und ursprünglich in Patagonien.

© Raphaela Haug

Und die Tiefpunkte? "Man lernt ja irgendwie aus allem", sagt Raphaela zunächst, ganz staatsmännisch. "Aber bei den ersten Touren haben wir den Einstieg vercheckt, lange hin und her überlegt, was uns letztlich dann die Touren vermasselt hat – so hätte es nicht weitergehen dürfen." Laura schüttelt sich gleich vor Kälte, wenn sie an das letzte Biwak am Cerro Torre zurückdenkt: "Das war so arschkalt, dann noch der unerwartete Schneefall – das hätte es nicht gebraucht." 

Und jetzt, nach den Patagonien-Erfolgen? Sind beide erst einmal sauber ausgebremst durch die Ausgangssperren der Corona-Krise. Sitzen in ihren Wohnungen, in Innsbruck die eine, in Hindelang die andere. Laura findet sich mit der Situation ab, ihrem Medizinstudium tut das nicht ganz so schlecht, sie kommt jetzt viel zum Lernen. Außerdem versuche sie, am Hangboard fit zu werden für die neue Klettersaison – "das war auch echt nötig nach der ganzen Stapferei!" 

<p>Nasse Schuhe? Nein danke: Flussquerung lieber gleich barfuß!</p>

Nasse Schuhe? Nein danke: Flussquerung lieber gleich barfuß!

© Laura Tiefenthaler

Raphaela musste den Lockdown erstmal verkraften: "Anfangs fand ich’s ganz schön bitter, seit Jahren warte ich auf so gute Verhältnisse am Eiger, und jetzt muss ich daheim hocken – da kam schon mal kurz Frust auf", klagt die 25-Jährige. Bis ihr die Idee kam, das ganze als Basecamp für die nächste große Expedition zu betrachten. Mit gutem Essen, warmer Dusche. "Und das Beste", sagt sie mit einem Lächeln: "das Abspülen erledigt immer die Spülmaschine!"

Mehr Bilder dieses starken Expeditions-Duos findet ihr hier: 

Text von Christian Thiele

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