Ein Negativrekord jagt den nächsten

ÖAV-Gletscherbericht 2022/23: Erneute Rekordschmelze

Der jährliche Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins zeigt Erschreckendes: 92 von 93 Gletschern in Österreich zogen sich zurück. Die Pasterze schrumpfte gar um 203,5 Meter. Ein Negativrekord jagt den nächsten, berichten die ehrenamtlichen Forscher. Sie sprechen von einem "Gletschersterben".

ÖAV-Gletscherbericht: Erneute Rekordschmelze
© ÖAV Gletschermessdienst

ÖAV-Gletscherbericht: Erneute Rekordschmelze

Für den aktuellen Gletscherbericht untersuchten Ehrenamtliche 93 Gletscher in Österreich. Dabei zogen sich 92 zurück, einige von ihnen deutlich. Im Durchschnitt schrumpften die Ferner um 23,9 m. Den höchsten Längenschwund attestieren die Daten Österreichs größtem Gletscher, der Pasterze zu Füßen des Großglockners. Ganze 203,5 m zog sich die Gletscherzunge zurück. Auf dem traurigen zweiten Platz liegt der Rettenbachferner mit 127 m Rückzug. 

Insgesamt verlor die Pasterze 14,03 Millionen m³ Eis, das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von 241 m. "Generell verlief das Gletscherhaushaltsjahr 2022/23 in Österreich außerordentlich gletscherungünstig", sagte Gerhard Lieb, der gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer den Alpenverein-Gletschermessdienst leitet. Einzig das Bärenkopfees in der Glocknergruppe blieb heuer stabil.

<p>Lage der gemessenen Gletscher.</p>

Lage der gemessenen Gletscher.

© ÖAV

Drei Rekordwerte bei der Gletscherschmelze in den letzten Jahren

Der mittlere Rückzugsbetrag der 79 sowohl 2022 als auch 2023 vermessenen Gletscher betrug –23,9 m. An 14 weiteren Gletschern wurden Fotovergleiche durchgeführt oder Mehrjahreswerte ermittelt. 2022/23 ist der dritthöchste Wert hinter den Negativrekordjahren 2021/22 mit –28,7 m und 2016/17 mit –25,2 m. Alle Tiefstwerte wurden innerhalb der letzten sieben Jahre erreicht.

Im aktuellen Berichtsjahr waren die fünf Gletscher mit den höchsten Rückzugsbeträgen die Pasterze (Kärnten, Glocknergruppe) mit 203,5 Meter, der Rettenbachferner (Tirol, Ötztaler Alpen) mit 127,0 m, der Sexergertenferner (Tirol, Ötztaler Alpen) mit 93,7 m, das Schlatenkees (Osttirol, Venedigergruppe) mit 92,8 m und der Fernauferner (Tirol, Stubaier Alpen) mit 68,0 m. "Die österreichischen Gletscher existieren nur mehr aufgrund der in der Vergangenheit angesammelten Eisreserven", sagten Lieb und Kellerer-Pirklbauer.

Sie benennen den aktuellen Bericht als deutliches "Warnsignal" an die Klimapolitik und appellieren an die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen und einem naturverträglichen Bergsport. Zudem befürworten sie weiterhin einen ausnahmslosen Gletscherschutz. "Erschließungen von bisher unberührten Gletscherflächen sind Raubbauten an der Natur", betont auch Nicole Slupetzky, Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins.

Damit nehmen die Forscher vor allem Bezug auf die Ausbaupläne des Skigebiets "Pitztaler Gletscher", wo drei bisher skitechnisch unerschlossene Gletscher verbaut werden könnten. Bei den Erweiterungsplänen des Skigebiets "Kaunertaler Gletscher" würde mit dem Gepatschferner sogar eine der größten noch verbliebenen Gletscherflächen der Ostalpen erschlossen. Erst im März hat die Tiroler Landesregierung festgestellt, dass für diese Pläne eine Umweltverträglichkeitsprüfung verpflichtend ist.

Über den Gletschermessdienst des ÖAV

Der Gletschermessdienst des Österreichischen Alpenvereins beobachtet bereits seit 133 Jahren die Gletscher in Österreich und registriert akribisch deren Längenänderungen. An einigen Fernern werden zusätzlich Messungen der Fließgeschwindigkeiten und der Oberflächenhöhenveränderung durchgeführt, die ebenfalls massive Abnahme der Höhe des Eises und der Bewegungsgeschwindigkeiten zeigt.

<p>Gletschermessdienst bei der Arbeit.</p>

Gletschermessdienst bei der Arbeit.

© ÖAV Gletschermessdienst

Die Gletscherberichte und die Fotodokumentationen aus den Alpenvereins-Archiven vermitteln ein einzigartiges Bild von der Entwicklung der Gletscher in den Ostalpen und sind wissenschaflich von nationaler und internationaler Relevanz. Den beiden Leitern des Alpenverein-Gletschermessdienstes, Mag. Dr. Gerhard Karl Lieb und Mag. Dr. Andreas Kellerer-Pirklbauer, wurden für den Gletscherbericht 2022/23 von 24 Gebietsverantwortlichen ("Gletschermessern") 19 Berichte aus 17 Teilgebieten in 12 Gebirgsgruppen vorgelegt. Die Messkampagnen fanden zwischen 14.8. und 12.10.2023 statt.

Weitere Informationen, Statistiken und Bilder findet ihr unter alpenverein.at.

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