Gletscherschwund auf Höchststand

Gletscherbericht 2021/2022: Rekordschmelze

Der jährliche Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins informiert umfassend über die Entwicklung der heimischen Gletscher. Und die sieht alles andere als optimistisch aus: Noch nie in der bis 1891 zurückreichenden Geschichte des Gletschermessdienstes gab es einen größeren Gletscherschwund. Der ÖAV mahnt dringend weitere Schutzmaßnahmen an.

Gletscherschwund auf Höchststand: Gletschermesser bei der Arbeit.
© Alexander Doric

Das Gletscherhaushaltsjahr 2021/22 verlief laut Pressekonferenz des ÖAV "außerordentlich gletscherungünstig". Alle 89 beobachteten Gletscher zogen sich zurück und verloren auch – überwiegend beträchtlich – an Fläche und Volumen. Der mittlere Rückzugsbetrag war 2,6-Mal größer als der Wert des Vorjahres und auch um 3,5 m größer als der bisherige Maximalwert (-25,2 m) aus dem Messjahr 2016/17.

Gletscherbericht: Vergleich zwischen 2020/21 und 2021/22

Im Durchschnitt schrumpften die österreichischen Gletscher um 28,7 Meter. Dieser Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (11 Meter!) zeigt, dass es bereits fünf nach 12 ist. Denn der Gletscherrückgang setzt sich in zunehmender Geschwindigkeit fort. Die größte Längenänderung stellten die ehrenamtlichen Alpenvereins-Gletschermesser wie in den Vorjahren in der Venedigergruppe fest. Das Schlatenkees (Tirol) zog sich um 89,5 Meter (Vorjahr: 54,5 Meter) Länge zurück.

Die Pasterze (Kärnten) verlor allein im Bereich der Gletscherzunge ein Volumen von 14,7 Mio. m³ Eis. Das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von 245 m. "Dieses Ergebnis erklärt sich aus der Kombination unterdurchschnittlicher Schneemengen im Winter und einer erneut langen und sehr warmen Schmelzperiode, die schon an der Monatswende Mai/Juni einsetzte und bis in den September hinein andauerte", analysieren Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer, die Leiter des Alpenvereins-Gletschermessdienstes.

Ursachen für die Rekordschmelze 2022

Bereits in der zweiten Julihälfte 2022 waren die meisten Gletscher überwiegend eisfrei. Zum Zeitpunkt der maximalen Ausaperung im September stellten die Experten an allen Gletschern nur mehr schmale Streifen von Firn oder Schnee fest. Somit waren alle Eisflächen schutzlos der Sonne ausgeliefert. Mit verantwortlich für diesen alarmierenden Negativrekord war der Mitte März "eingewehte" Saharastaub.

Dieser lagerte sich in die Schneedecke ein und verdunkelte sie, was das weitere Schmelzen stark beschleunigte. Die Forscher sprechen von einem der "ungünstigsten Jahre in der Geschichte der Gletscherforschung." Als treibende Kraft identifizieren sie den menschengemachten Klimawandel und treffen düstere Prognosen: Langfristig werden die österreichischen Alpen laut ÖAV-Prognose so "gut wie eisfrei" werden. "Optimistisch“ betrachtet wird dieser Zustand erst 2075 erreicht, wahrscheinlich jedoch deutlich früher.

<p>Gletschermesser bei der Arbeit.</p>

Gletschermesser bei der Arbeit.

© Alexander Doric

ÖAV gegen den Ausbau von Gletscherskigebieten

Der Alpenverein drängt massiv auf ausnahmslosen Gletscherschutz und den Schutz der umliegenden hochalpinen Regionen. Zuletzt sprach sich der ÖAV in einer Pressekonferenz (23.03.2023) erneut vehement gegen den weiteren Ausbau von Gletscherskigebieten, wie etwa im Ötztal/Pitztal geplant, aus. Konkret fordert der Verband mit Unterstützung der Naturfreunde, dem WWF und dem DAV die Tiroler Landesregierung zur Absage auf. Stattdessen solle das Ruhegebiet Ötztaler Alpen ausgweitet werden.

"Die touristische Neuerschließung von Gletscherflächen ist aus Sicht des Alpenvereins in einer Zeit, in der die Klimakrise den Gletschern ohnehin enorm zusetzt, einfach nicht mehr vertretbar", so die Pressemitteilung im Wortlaut.

Gletschermessungen unter erschwerten Bedingungen

Auch die Messarbeiten selbst werden immer schwieriger: Durch den Rückzug der Gletscher sei inzwischen der Zugang eingeschränkt bis unmöglich. Denn die Geländebedingungen würden schwieriger. Meist bliebe nach dem Abschmelzen sehr steiles, lockeres Schuttmaterial zurück. Höheres Terrain sei häufig gar nicht mehr zugänglich, so der ÖAV. Messungen müssten deshalb auf Fotovergleiche beschränkt oder auch ganz aufgegeben werden. Zuletzt war dies 2022 am Bieltalferner in der Silvrettagruppe der Fall.

<p>Die Gletscher-Zustiege werden immer mühsamer.</p>

Die Gletscher-Zustiege werden immer mühsamer.

© Andreas Kellerer-Pirklbauer

Über den ehrenamtlichen Gletschermessdienst

Der Gletschermessdienst des Österreichischen Alpenvereins beobachtet seit 132 Jahren die Gletscher und registriert akribisch deren Längenänderungen. An einigen Gletschern werden zusätzlich Messungen der Fließgeschwindigkeiten und der Oberflächenhöhenveränderung durchgeführt. Die ehrenamtlichen Gebietsverantwortlichen nahmen österreichweit 89 Gletscher in zwölf Gebirgsgruppen – vom Dachstein bis hin zur Silvretta – unter die Lupe.

Die Gletscherberichte und die Fotodokumentationen aus den Alpenvereins-Archiven vermitteln ein einzigartiges Bild von der Entwicklung der Gletscher in den Ostalpen und sind wissenschaftlich von internationaler Relevanz. Diese klimarelevanten Daten werden in internationale Datenbanken wie beispielsweise dem World Glacier Monitoring Service (WGMS) eingespeist.

Gletscherschmelze: Informationen & Grafiken zum Nachlesen

Alle Ergebnisse und Detailanalysen zur aktuellen Analyse der heimischen Gletscher findet ihr unter alpenverein.at/bergauf. Die gesammelten Gletscherberichte der vergangenen Jahre und weiterführende Informationen zum Gletschermessdienst gibt es unter alpenverein.at/gletscher.

Mit diesen neun Tipps könnt ihr umweltfreundlich auf Skitour gehen:

0 Kommentare

Kommentar schreiben