War Maestri drüben oder oben?

Erstbesteigung des Cerro Torre weiter diskutiert

War er auf dem Gipfel oder hat er gelogen? Es wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben, ob Cesare Maestri vor 56 Jahren den Cerro Torre bestiegen hat. Nun gibt es neue Beweise - aber wofür?

Im Morgenlicht: der Cerro Torre.
© picture alliance / blickwinkel

Maestri und der aus Lienz stammende Toni Egger waren im Januar 1959 sechs Tage unterwegs, um als erste den Cerro Torre zu besteigen. Eine Eislawine begrub Egger am Fuße des Berges. Maestri selbst war "mehr tot als lebendig" und verwirrt, als er von seinem Kameraden Cesarino Fava am Gletscher gefunden wurde.

Maestri hat stets darauf beharrt, dass er mit Egger den Gipfel erreicht habe, dieser beim Abstieg ums Leben gekommen sei und dass mit Egger auch die Kamera mit dem Fotobeweis verschwunden sei. Eines seiner Bücher zeigt aber - so die Bildunterschrift - Toni Egger am Fuße des Cerro Torre. Nun ist es Rolando Garibotti, dem "Hausmeister" des Cerro-Torre-Gebiets, gelungen, diese Stelle zu lokalisieren, obwohl auf dem Foto nur ein Kletterer vor Felsen zu sehen ist.

Von geplanter Route abgewichen?

Die Sensation: Das Bild zeigt den Übergang zur Westseite des Massivs nahe dem Col Standhardt - und Maestri hatte nie davon berichtet, so weit von seiner geplanten Route abgewichen zu sein. Die ist auch nur bis zum "Dreieckigen Schneefeld" dokumentiert, wo sich ein Depot mit Seilen, Haken und Karabinern fand.

Weiter oben gibt es keine Spuren von Maestris Besteigung - abgesehen von der "Kompressorroute" an der linken Kante, die Maestri elf Jahre später in den als "unmöglich" geltenden Berg bohrte, mit Hilfe eines Kompressors, der noch heute kurz unter dem Gipfel hängt.

Hunderte Fotos gesichtet

<p>Die Ostseite des Cerro Torre</p>

Die Ostseite des Cerro Torre

© Garibotti

Rolando Garibotti sichtete mit Ermanno Salvaterra, Kelly Cordes und Dörte Pietron Hunderte Fotos und kletterte dann zur vermuteten Stelle am Perfil de Indio. Das ist ein kleiner Turm, der wie ein Indio-Kopf im Profil aussieht. Garibotti vermutet, dass beide angesichts der unvermutet großen Schwierigkeiten zur Westseite wechselten, wo ein Jahr zuvor Walter Bonatti und Carlo Mauri recht weit gekommen waren.

Markus Pucher, wohl einer der besten deutschsprachigen Kenner des Cerro-Torre- Massivs, der vor Kurzem bei Sturm allein oben war, meint: "Mit viel Glück hätten Masestri und Egger es schaffen können, auch wenn alles darauf hindeutet, dass sie nicht den Gipfel erreichten. Denn die Nordwand sieht von unten aus wie 70 Grad, ist aber 85 bis 90 Grad steil. Das legt nahe, dass sie einen leichteren Weg von Westen suchten."

Walter Laserer, erfahrener Profi-Bergführer und erster Österreicher auf den Seven Summits, weist in seinem Blog darauf hin,dass Egger zwei Jahre zuvor die Erstbesteigung des Jirishanka (6094 m) in Peru gelungen war, der in Struktur und Schwierigkeit der Westseite des Cerro Torre ähnelt. Daher könnte Egger darauf gedrängt haben, auf diese Seite des Cerro zu wechseln. Beim Rückweg von dort sei er in eine Gletscherspalte gestürzt - über der Stelle, wo sterbliche Überreste von ihm erstmals 1974 gefunden worden waren.

"Ich kann es nicht mehr hören."

Garibotti appelliert nun an Maestri,endlich auszupacken, schon damit Eggers greise Schwester Stefanie erfahre, wie ihr Bruder ums Leben kam. Die italienische Gazzetta dello Sport konfrontierte Maestri mit Garibottis Erkenntnissen. Der wollte zunächst nichts davon wissen - "Es reicht! Ich kann es nicht mehr hören." -, um dann darzulegen, dass die Beschriftung des Fotoswohl falsch sei.

<p>Cesare Maestri (85): "Es reicht! Ich kann es nicht mehr hören."</p>

Cesare Maestri (85): "Es reicht! Ich kann es nicht mehr hören."

© Gazzetta dello Sport, 6. Februar 2015

Denn es sei ein Jahr vorher (also 1958) auf der Trentiner Erkundungsexpedition mit Bruno Detassis entstanden,als Maestri mit Luciano Eccher (nicht Toni Egger) zu einem Pass gegangen sei, um das Inlandeis im Westen des Massivs zu sehen. Maestri: "Das war noch nicht mal ein richtiger Anstieg, wir waren nicht länger als zehn Stunden unterwegs. Vom Pass sind wir nur ein paar Dutzend Meter abgestiegen und dann gleich zurückgegangen."

Garibotti glaubt ihm nicht, habe doch Detassis jede Aktivität genau protokolliert (und nach genauem Augenschein den Cerro Torre für unbesteigbar erklärt). Die Tour zum Col Standhardt sei auch kein Spaziergang: 1000 Höhenmeter durch schwieriges Gletschergelände, ein 60 Grad steiles Couloir und Klettern im fünften Grad - das müsse doch im Expeditionbericht stehen.

<p>Rolando Garibotti: "Maestris Antwort war vorhersehbar, um nicht zu sagen: traurig."</p>

Rolando Garibotti: "Maestris Antwort war vorhersehbar, um nicht zu sagen: traurig."

© www.pataclimb.com/knowledge/puzzle

Indizien beweisen gar nichts!

Reinhold Messner, von der Gazzetta um einen Kommentar gebeten, sieht das ganz anders: "Geschichte schreibt man nicht durch Schlussfolgerungen." Das heißt dann im Klartext: Indizien beweisen gar nichts!

Eine einfache, sachliche Erklärung äußert Laserer: Er vermutet einen "Verstoß" Maestris gegen eine geheime Vereinbarung mit Sponsoren in Italien oder Argentinien, die ihn zum Schweigen zwingt. Diese Vereinbarung könnte vorgesehen haben, dass Maestris Expedition den Cerro Torre nur von Osten versuchen dürfe, während Bonatti die Westseite vorbehalten blieb oder hätte bleiben sollen. Der Cerro Torre bleibt der Berge der Geheimnisse …

Über die Entdeckung Garibottis haben wir bereits hier berichtet.

Text von Matthias Stiel und Bene Benedikt

3 Kommentare

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gugujg

das ist richtig

h.baer@bauöstatik.ch

Sehr gut dieser Kommentar!

Huber Thomas senior

Es ist doch allgemein bekannt, dass Maestri und Egger damals den Gipfel nicht erreicht haben. Es ist OK wenn Garibotti durch gründliche Recherche dem Rätsel der Erstbesteigung auf den den Grund geht. Aber wäre es nicht besser, den alten Mann Maestri, der in seiner Zeit zu den unumstrittenen Alpinisten zählte an seinem Lebensabend in Ruhe zu lassen und die Geschichte nicht wieder durch unnötige Polemik neu aufzuheizen. Der am meisten darunter leidet ist wer? Doch nur Maestri.
Genauso leidet sicherlich Steck bis an sein Lebensende, ob seiner angeblichen Tour an der Anapurna. Nur das ist eine ganz andere Geschichte.