Der umstrittene Achttausender-Chronist im Interview

Eberhard Jurgalski: "Für mich zählen die Fakten"

Kaum einer kennt die Achttausender und ihre Besteigungsgeschichte so gut wie Chronist Eberhard Jurgalski. Als Guinness erklärte, künftig nur noch Berg-Rekorde anerkennen zu wollen, bei denen der Gipfel erreicht wurde, brach ein Shitstorm über Eberhard Jurgalski herein. Wer ist dieser Mann und was treibt ihn an?

Eberhard Jurgalski: "Für mich zählen die Fakten"
© picture alliance / Philipp von Ditfurth

Deutschlands umstrittener Chronist im Interview

Autorin Stephanie Geiger hat oft mit Eberhard Jurgalski über dessen Arbeit und die Ergebnisse gesprochen. Sie fand, die Zeit sei reif für ein klärendes Interview über ihn und seine Motivation.

Ein Gespräch mit Eberhard Jurgalski

Herr Jurgalski, wie geht es Ihnen?

Die letzten Wochen waren schwierig. Ich musste mit massiven ­Beleidigungen von Legenden umgehen, aber Kritiker zu beleidigen ist bei diesen Leuten ja ­jahrzehntelange Tradition. Das prallt mittlerweile an mir ab. Von manchen Messner-Fans habe ich Briefe mit übelsten Beschimpfungen bekommen. Andere haben mir Mut zugesprochen. Es war alles dabei.

© Jeannette Petri/laif

Nicht zum ersten Mal zogen Sie in Zweifel, was Bergsteiger behauptet haben.

Nein, da gab es immer wieder welche. Vor zwei Jahren war zum Beispiel Grace Tseng aus Taiwan am Kangchendzönga hundert Meter vom Gipfel entfernt. Sie hat das aufgrund unserer Intervention korrigiert, indem sie noch einmal rauf ist. Das war kein Problem.

Alle Facts und Figures zu den 14 Atchttausendern der Erde findet ihr hier: 

Widerlegt: Hans Kammerlanders Mount-Logan-Besteigung

Bei Hans Kammerlander war das vor zehn Jahren anders. Da gab es Zweifel an seiner Mount-Logan-Besteigung. Kanada ist doch gar nicht Ihr Arbeitsgebiet. Statistiken führen Sie für Himalaja und Karakorum.

Topografische Kenntnisse habe ich auch durch viele Bergtabellen außerhalb Hochasiens und deswegen wurde ich gefragt. Kammerlander hätte gerne ein Guinness-Zertifikat für seine Seven-­Second-Summits (die zweithöchsten Berge der Kontinente; Anm. d. Red.) gehabt.

Guinness lässt solche Rekord-Anfragen immer von Leuten prüfen, die sich mit der Materie richtig gut auskennen. Ein Journalist und später auch Guinness sind auf mich zugekommen und haben mich gefragt, ob Kammerlander am Mount Logan auf dem Gipfel war

<p>Passion und Perfektion. Jurgalski veröffentlicht seine Daten auf seiner Website 8000ers.com</p>

Passion und Perfektion. Jurgalski veröffentlicht seine Daten auf seiner Website 8000ers.com

Tatsächlich war er 2,3 Kilometer davon entfernt. Und im Anschluss an diese Sache hat Guinness mich gefragt, ob ich bei Berg- und Besteigungsfragen die Fakten verifizieren kann, also für alle möglichen Serien oder geografische Fragen, sowie anfangs zusätzlich Nord- und Südpolexpeditionen.

Die Bergsteigergeschichte lehrt: der Gipfel ist der Gipfel

"Ist doch egal, ob der jetzt ganz oben war." Das hat man zuletzt immer wieder gehört. Warum ist es Ihnen nicht egal?

Ich habe sehr viel gelesen, was seit dem 18. Jahrhundert über Berge geschrieben wurde. Berichte über Erstbesteigungen in den Alpen und auch die Expeditionsberichte über Bergfahrten in Himalaja und Karakorum. 

Und aus diesen Berichten geht hervor, dass für diese Leute immer nur der Gipfel der Gipfel war. Alle wollten immer auf den höchsten Punkt rauf. Der höchste Punkt ist nicht mein persönliches Ding. Das war immer die Ethik der Bergsteiger. Und für ein Rekord-Zertifikat sollte das dann schon stimmen.

Einfacher wäre es aber, wenn Sie da etwas ­flexibler wären.

Warum flexibel? Der Gipfel ist der ­Gipfel. Das sah auch die Himalaja-­Chronistin ­Elizabeth Hawley so. Zweimal hat sie bei Bergsteigern den Gipfelerfolg am Mount Everest nicht anerkannt, weil sie dreißig Meter vom Gipfel entfernt waren. Einer war schneeblind und kehrte um. Ein anderer half einem Bergsteiger vom Berg. Da war Miss Hawley strikt.

Umschreibung der Besteigungs-Geschichte am Manaslu

Wie kamen Sie eigentlich darauf, dass zwischen der Erstbesteigung 1956 und 2021 mehr als zweitausend Bergsteiger nicht auf dem tatsächlich höchsten Punkt des 8163 Meter hohen Manaslu waren?

Oder anders gesagt: Nur etwa achtzig waren in dieser Zeit tatsächlich auf dem Gipfel. Mir war aufgefallen, dass das Gipfelfoto der japanischen Erstbesteiger anders aussah als die Gipfelfotos von ganz vielen anderen. Da stimmte was nicht. Ich habe also mit Leuten geredet, die da oben waren. Mir wurde gesagt, der Unterschied habe mit der Schneelage zu tun. Aber ich wollte das nicht glauben. 

<p>"Problemfall" Manaslu: Auf dem Drohnenbild ­erkennt man unschwer den eigentlichen Gipfel.</p>

"Problemfall" Manaslu: Auf dem Drohnenbild ­erkennt man unschwer den eigentlichen Gipfel.

© Jackson Groves

Die anschließenden Recherchen haben meine Vermutung für den Manaslu bestätigt: Bei den Topographie-Dossiers habe ich mit Chronisten auf der ganzen Welt zusammengearbeitet. Und auf den Drohnenaufnahmen von Jackson ­Groves kann das jeder sehen. Für die Expe­ditionsanbieter war das ein Glücksfall. Jetzt wollen ganz viele, die schon einmal am Manaslu waren, natürlich auf den wirklichen Gipfel.

Eigentlich müsste Ihnen die Bergsteiger-­Welt danken. Im Gegensatz zu Ihnen galt Elizabeth Hawley immer als letzte Instanz.

Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Mann bin; umgedrehter Sexismus. Ich weiß es nicht. Alles das, was bei Miss Hawley kein Problem war, etwa dass sie keine Bergsteigerin war, macht man mir zum Vorwurf.

<p>Jurgalski erklärt, warum die meisten Besteiger am Manaslu nicht am höchsten Punkt waren. </p>

Jurgalski erklärt, warum die meisten Besteiger am Manaslu nicht am höchsten Punkt waren.

© Jeannette Petri / laif

Und was erwidern Sie dann?

Heinz Prüller, der Formel-1-Kommentator ist auch nie ein Formel-1-Auto ­gefahren. Ich finde sogar, dass ich dadurch, dass ich kein Bergsteiger bin, einfach nur den Menschen und den Berg sehe. Für mich zählen die Fakten.

Und Emotionen?

Ok, ich gebe zu, dass mir die Tränen kamen, als ich festgestellt habe, dass Erhard Loretan aus der Schweiz bei seiner Besteigung der 14. Achttausender am Dhaulagiri I 140 Meter vom Gipfel entfernt umgedreht ist. Das hat mich richtiggehend geschockt. Er hatte genug Pech in seinem Leben. Und dann kam auch noch die Sache am Dhaulagiri I auf.

© Jeannette Petri / laif

Der geborene Chronist

Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, diese Tabellen zu erstellen?

Schon als Kind habe ich Tabellen gemacht: Die hellsten Sterne, die ­größten Autos und vieles andere. Und weil ich mich für das Bergsteigen interessiert habe, habe ich alles gelesen, was es dazu gab. Dann habe ich damit begonnen, Tabellen von Bergen zu erstellen. 

Zum Beispiel von den Alpen, vom Südschwarzwald und von Neuguinea. Mir ging es da um eine Systematik zur Erhebungsgleichwertigkeit und um die Prominenz und Dominanz von Bergen und Gipfeln. Mir angesichts dessen vorzuhalten, ich würde Berge verwechseln, ist ein Witz.

<p>Messner reagierte auf die Guinness-­Veröffentlichung unter anderem mit der Bemerkung, Jurgalski habe keine Ahnung. </p>

Messner reagierte auf die Guinness-­Veröffentlichung unter anderem mit der Bemerkung, Jurgalski habe keine Ahnung.

© Daniel Hug

Es war also zunächst ein rein geogra­fisches Interesse.

Richtig. Und dann wollte ich natürlich wissen, wer auf diesen Bergen schon den Gipfel erreicht hat. Es ist meine Hauptarbeit, von Bergen in den Anden und Hochasien die Koordinaten und Erstbesteigungsdaten zu erfassen. In meinem über 12.100 Eintragungen umfassenden Almanach sind fast 1000 Erstbesteigungsdaten enthalten.

Wie kommen Sie an Ihre Informationen?

Es gibt viele Quellen: Expeditions­berichte, Bergsteiger und Expeditionsleiter privat oder auf Facebook. Weil ich Lücken im Karakorum hatte, habe ich vor dreiundzwanzig Jahren mal die Leute vom Japanese Alpine Club angeschrieben, die meine Arbeit bewundert und unterstützt haben. Schwierig ist es bei den Nepali. Da heißt es dann zum Beispiel, Pasang Dawa sei oben gewesen.

Pasang Dawa, so heißen vermutlich zehn Prozent der Nepali.

Das nicht gerade. Aber es gibt da ­tatsächlich mehrere. Genauso auch Mingma Dorje. Um sicher zu gehen, welcher Pasang Dawa und welcher Mingma Dorje es nun war, habe ich einen Freund in Kathmandu, der mich unterstützt.

Rekordzertifikat als Arbeitsnachweis

Warum ist das so wichtig?

Auch wenn bei uns viele meinen, Guinness solle sich nicht um das Bergsteigen kümmern, für die Leute in Nepal ist es wichtig, dass sie für Erfolge am Berg eine Urkunde bekommen. Wir können uns das nicht vorstellen, und Bergsteiger in Europa oder den USA brauchen das vielleicht auch nicht, aber in Nepal leben sie von diesen Rekordzertifikaten, da ist das eine Art Arbeitsnachweis. 

Ich bekomme mittlerweile auch viele Anfragen, ob aus diesem oder jenem Land schon mal ein Bergsteiger auf dem richtigen Gipfel war. Und ganz ehrlich: ­Über Jahre hatte Reinhold Messner nichts dagegen, von Guinness auf meine Expertise hin als Erster in vielen Kategorien im Rekordbuch zu erscheinen.

Die Messner-Dabatte: Ein Übersetzungsfehler?

Und was ist jetzt Sache? Haben Sie ­Messner seinen Rekord zurückgegeben?

Ich habe ihm weder einen Rekord weggenommen noch einen zurückgegeben. In der Guinness-Pressemitteilung von Mitte September kommt er gar nicht vor. Leider gab es einen Übersetzungsfehler und die erklärenden Details wurden überlesen und an den Haaren herbeigezogene Schlussfolgerungen machten die Runde. 

Knackpunkt ist die Legacy-­Tabelle. Sie ist eine goldene Brücke für die Helden von damals inklusive Messner, aber sicher nicht wegen ihm alleine. In ihr ist das gesamte bergsteigerische Vermächtnis der zu Ende gegangenen Ära versammelt.

Seit Messners Zeiten hat sich an den Achttausendern viel verändert.

Die Ära des traditionellen Bergsteigens ist vorbei. Heute gibt es im Extrem­fall ein "Achttausender-Hopping" mit Flaschen­sauerstoff, Fixseilen und Helikopter-Flügen. Messner brauchte 16 Jahre, 2023 wurden die 14 Achttausender bereits in knapp drei Monaten bestiegen. Da braucht es einen "clean cut". 

Was frühere Bergsteigergenerationen geleistet haben, ist mit dem, was heute dort passiert, nicht zu vergleichen. Deshalb war es mir so wichtig, die Leistung früherer Generationen eben in der Legacy-Tabelle festzuhalten und dabei auch die neuesten Forschungsergebnisse zu den Gipfeln nicht zu berücksichtigen. Das war schon 2022 in der damals "Historic Recognition Table" genannten Tabelle so kommuniziert, nur in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden.

Wie finanzieren Sie die Arbeit eigentlich?

Reich werde ich damit bestimmt nicht – im Gegensatz zu den Expeditionsanbietern, die jetzt noch einmal verdienen, weil so viele am Manaslu ihren Gipfel­erfolg korrigieren wollen. Es gibt zwar seit vielen Jahren einen Donation-­Button auf meiner Website, aber die Spenden kann ich tatsächlich an zwei Händen abzählen. Heruntergeladen haben die Tabellen jedoch Hunderttausende.

© Clara Tuma/The New York Times/Reduxlaif

Es ist also eine Passion, von der ganz viele profitieren.

Natürlich ist es auch eine Ehre für mich, die Arbeit früherer Chronisten wie Marcel Kurz, Günther Oskar Dyhrenfurth, Anders Bolinder, Xavier Eguskitza und Josef Nyka fortführen zu dürfen.

Haben Sie auch noch andere Interessen?

Klar, wenngleich ich wegen der Berge kaum Zeit dafür habe. Ich mache auch noch Tabellen über das Skispringen. Ein Buch mit einem Co-Autor ist in Arbeit. Wir brauchen nur noch einen Verlag. Und richtig viel Power für meine Arbeit an den Tabellen gibt mir die Rock-Musik.

Wie fit bist du in puncto Erstbesteigungen? Teste hier dein Wissen in unserem Erstbesteiger-Quiz:

Text von Stephanie Geiger

4 Kommentare

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rosaregen

vielen Dank, Herr Jurgalski, für Ihre Arbeit und dass Sie versuchen, diese ehrlich zu machen

Pinter auf Facebook

Jurgalski sagt nicht wie und wo es langgehen soll. Er analysiert einfach Fakten, basiert auf ein Wissen, das nicht viele Leute beherrschen, und es gibt noch niemamdem, der sagen konnte er kein Recht hat. Spiegelbild der Gesellschaft zeigt nur dass man keine Interresse in der Wahrheit und Ehrligkeit hat, und lasst die Helden nicht berühren. "Draussen" zu sein ist in Wissenschaften keine legitime Erwartung.

Bandika auf Facebook

Eberhard Jurgalski macht eine ausgezeichnete Arbeit. Ich wünsche ihm alles gute und vielen Dank für seine Arbeit.

Jens auf Facebook

Jede Zeile, die über diesen Mann geschrieben wird, ist eine Zeile zu viel. Jemand, der noch nie im Himalaya war kann nicht als Experte bezeichnet werden. Seine Mutmaßungen über die Geschehnisse im Gipfelbereich der Annapurna vor 38 Jahren sind einfach wirr, genauso sein zurückrudern nach dem "Gipfelsturm" der etablierten Bergsteiger, die dort wirklich schon waren. Immerhin hat er es doch für ein paar Wochen (und wie man sieht sogar Monate) in die Schlagzeile geschafft, was für ihn sicherlich etwas Licht in den öden Schreibtischalltag bringt.