Eine Überschreitung der Extraklasse

Hochtour auf Täschhorn und Dom in den Walliser Alpen

Zwischen Mattertal und Saastal ragen Täschhorn und Dom in den Himmel. Der eine steil und felsig, der andere massiv und vergletschert. Dieses ungleiche Paar zu überschreiten ist elegant und aussichtsreich – und ganz einfach eine klassische Route.

Hochtour auf Täschhorn und Dom in den Walliser Alpen
© picture alliance / Zoonar | Georg

Tag 1: Vom Biwak aufs Täschhorn

Unsere Steigeisen kratzen über den Fels. Als wir um fünf Uhr morgens von der kleinen Mischabeljoch- Biwakschachtel in Richtung Täschhorn aufbrechen, hat sich der Sturm gelegt. Es ist sternenklar. In der Ferne leuchtet Mailand.

Das Gelände um den ersten Turm in der Ostflanke des Täschhorns stellt sich als unangenehm brüchig heraus. Wir überholen eine Seilschaft. Ab und zu löst unser Seil Geröllsplitter auf dem losen Untergrund. Martin ist flott unterwegs. Mir wird leicht flau. Das muss die Höhe sein, dabei zeigt der Höhenmesser erst 4085 Meter. Mit meinem rechten Steigeisen komme ich auf einer Gneis-Platte ins Rutschen. Helle Funken, vermischt mit meinen Flüchen, sprühen in die dunkle Nacht.

Eine anschauliche wie detaillierte Beschreibung der Tour auf den Dom über den Festigrat findet ihr in Videoform beim YouTube-Kanal AlpineFex.

Nach einer Stunde machen wir eine kurze Pause. Ich ziehe die Steigeisen aus. Ohne Stacheln kraxelt es sich fast so leichtfüßig wie mit Kletterpatschen. Der Magen rebelliert nicht mehr, das flaue Gefühl ist wie weggeblasen. Es beginnt zu dämmern. Ohne Stirnlampe erklimmen wir Meter für Meter. Fast zum Greifen nah grüßt roséfarben das Matterhorn herüber.

Grate sind wie der Kamm eines riesigen Drachens: gezackt und unendlich lang. Grate machen mürbe. Man ist ewig unterwegs und denkt oft, jetzt ist es nicht mehr weit. Wenn man den einen Turm dann überwunden hat, tun sich weitere auf. Grate sind spannend, sie sorgen immer wieder für Überraschungen. Grate flößen Respekt ein, aber sie reizen auch ungemein.

Über den Mischabelgrat zum Gipfelkreuz des Täschhorns

Der Täschhorn-Dom-Drache muss das Greisenalter längst erreicht haben, so marode wie er ist, überlege ich, während ich über die losen Gneisblöcke des Mischabelgrates balanciere. Vor dem Firnaufschwung des Mischabelgrates auf etwa 4200 Metern legen wir die Steigeisen wieder an. Bald queren wir auf der linken Gratseite eine 45 bis 50 Grad steile Firnflanke. Der Schnee ist angenehm verfestigt. Es folgt wieder leichtes Felsgelände, teilweise sehr sandig und brüchig.

Der letzte Felsaufschwung ist erstaunlich fest und schneller überwunden als erwartet. Ich kann kaum glauben, dass wir schon oben sind, aber das Gipfelkreuz lässt keinen Zweifel zu. Gut drei Stunden haben wir gebraucht. Im Führer stand etwas von vier. Meine Sorge um den Wettlauf mit der Zeit lässt etwas nach.

Wir befinden uns auf 4490 Meter Höhe - und genießen entspannt die Aussicht auf den mächtigen Monte Rosa und auf den zierlichen Spitz des Matterhorns schräg gegenüber. Alphubel und Mischabeljoch liegen unter uns - die gestrige Anstiegsroute zum Mischabeljoch-Biwak zeigt sich in der Größe einer Modelleisenbahn.

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Rückblick: Ein Jahr zuvor

In zwei Tagen sollte unsere Tour gut machbar sein, da die Wetterverhältnisse recht instabil waren. So hatten wir uns am Telefon eine Woche zuvor geeinigt. Der Entschluss zur Täschhorn-Dom-Überschreitung war spontan gekommen. Beide hatten wir diesen Sommer noch nichts "Größeres" unternommen. Martin war mit Gästen im Kaisergebirge unterwegs gewesen und ich war im Tessin gewandert. Für unsere gemeinsame Seilschaft sollte es die erste Tour sein.

Ein Jahr zuvor hatten wir uns auf der Domhütte kennen gelernt. Beim nächtlichen Aufstieg zum Festijoch, als wir am folgenden Tag jeweils als Seilerste nebeneinander über den Festigletscher stapften, festigten wir unsere Bekanntschaft. Damals hatten wir beschlossen, nach dem Gipfel die 3100 Höhenmeter nach Randa auf einmal abzusteigen, als eine weitere Nacht in der Domhütte zu verbringen.

<p>In trauter Zweisamkeit: Dom (4545 m) und Täschhorn (4491 m).</p>

In trauter Zweisamkeit: Dom (4545 m) und Täschhorn (4491 m).

© picture alliance / Prisma | Frischknecht Patrick

Dass wir gut ein Jahr später die gleiche Entscheidung fällen würden, ahnten wir damals noch nicht, obwohl das Wort Täschhorn-Dom-Überschreitung auf dem langen Abstieg nach Randa spaßeshalber fiel.

Der Sturm vereitelte den Plan

Vom 3545 Meter hoch gelegenen Mittel Allalin waren wir Richtung Feejoch aufgebrochen. An der Bergstation der höchstgelegenen Untergrund-Bahn der Welt herrschte reger Betrieb. Ursprünglich hatten wir auf die Längflue emporschweben und von dort auf den Alphubel aufsteigen wollen. Aber der Sturm hatte unseren Plan vereitelt - die Bahn war außer Betrieb.

So mussten wir umdisponieren und entschieden uns fürs Mittel Allalin. Von dort waren wir, umringt von anderen Seilschaften, gemütlich auf das 3826 Meter hohe Feejoch zwischen Allalinhorn und Feechopf gestapft. Hier wurde es einsamer. Der felsige Feechopf war rasch überwunden und nach einem kurzen Abstieg ins Alphubeljoch waren wir zum 4206 Meter hohen Alphubel aufgestiegen. Bei der Überschreitung des breiten Schneeriesen und dem anschließenden Abstieg ins Mischabeljoch (3874 m) hatte der Sturm uns manchmal beinahe umgeweht und der aufgewirbelte Geröllstaub brannte im Gesicht wie tausend Nadeln.

Bei der guten Wetterprognose für das Wochenende war uns klar gewesen, dass wir im Mischabeljoch-Biwak nicht die einzigen sein würden. Als wir die Schachtel gegen 16 Uhr erreichten, waren acht Leute anwesend, zwei weitere Seilschaften sollten am Abend folgen.

<p>Bergsteiger auf dem Feejoch mit dem Matterhorn "in der Hand".</p>

Bergsteiger auf dem Feejoch mit dem Matterhorn "in der Hand".

© picture alliance / imageBROKER | Markus Obländer

Mischabeljoch: Eine ungemütliche Nacht im Biwak

Die Hälfte der Anwesenden ruhte im Lager. Nach einem Schluck Tee legten auch wir uns aufs Ohr. Trotz Mütze, Handschuhen, langem Unterhemd, Fleece-Jacke und Pulli fror ich erbärmlich. Zähneklappernd lag ich auf meinem Lager an der eiskalten Außenwand direkt unter dem Lüftungsschlitz. Sturmböen umfegten die Metallschachtel und brachten sie zum Singen, Heulen und Pfeifen.

Zwischendurch drangen die unter Bergsteigern auf Hütten typischen Gesprächsfetzen an mein Ohr: Diskussionen über den Gebrauch des Seils auf Graten und in Flanken und über die Vorteile von Lederbergschuhen gegenüber Schalenstiefeln. Bewunderung für die Leistungen berühmter Bergsteiger und natürlich die immer wieder gleichen Geschichten, was für schwierige Touren man schon in seinem Bergsteigerleben gemeistert hat.

Kennt ihr euch im Wallis aus? Hier findet ihr alles Wissenswerte zur Region mit den meisten 4000ern der Alpen:

Am nächsten Tag sollte sich wieder bewahrheiten, dass die Erzählungen derer, die ihren Mund am weitesten aufmachten, umgekehrt proportional zu ihrem wirklichen Können standen. Nach 21 Uhr waren dann die Gespräche verstummt, Ruhe legte sich über die Biwakschachtel. Nur der Sturm tobte noch. Doch der Himmel war klar, die Nacht gerade am Hereinbrechen. Im Tal leuchteten die Lichter von Saas-Fee und über dem ersten Gendarm vom Täschhorn stand das Sternenbild des Großen Bären. Leider war es zu kalt und die Schlafzeit zu kostbar, um dieses friedvolle Bild länger zu genießen.

Zurück im Lager wurden die ersten Schnarcher hörbar. Beim zweiten Gang nach draußen war es 0.15 Uhr. Der Sturm tobte nach wie vor, der Große Bär war weiter gewandert. Im Lager mummelte ich mich in die staubigen Decken, es wurde immer kühler. Plötzlich zupfte es an meinen Füßen. Ich musste ein bisschen geschlafen haben: Es war 4.00 Uhr morgens, Zeit zum Aufstehen.

Tag 2: Auf den Gipfel des Dom

"So junge Dame, jetzt bin ich mal gespannt, was du hier machst", begrüßt mich Martin, als ich im Abstieg vom Täschhorn zu seinem Stand klettere und mir die zwei Meter Fels, die uns noch trennen, genauer ansehe. Wenn man mit beiden Händen den abschüssigen kleinen Griff in der Mitte hält, dann weit mit dem rechten Bein ausspreizt und anschließend mit der rechten Hand die Schuppe fasst, müsste es gehen. Einige Sekunden später stehe ich bei ihm am Stand. "Endlich mal ein bisschen klettern", feixe ich. Martin lacht.

<p>Auf dem Grat fest im Blick: Das Matterhorn.</p>

Auf dem Grat fest im Blick: Das Matterhorn.

© IMAGO / Eibner

Kurz vor dem Täschhorn-Gipfel hatte ich noch gemeint "ein bisschen mehr Klettern wäre fein". "Das kommt schon noch", hatte Martin entgegnet und Recht behalten. Der Abstieg ins Domjoch bietet Klettervergnügen der zweifachen Art. Direkt am Grat balanciert man über seitlich geneigte, oft schnee- und eisbedeckte Platten abwärts. Dort, wo man in die Südostflanke ausweicht, gibt es zwei Kletterstellen, bei denen man mal genauer hinschauen muss. Ich bin in meinem Element. Nach zwei Monaten Wandern und Mountainbiken fühle ich mich wie ein Wüstenreisender in einer kleinen Oase. Nur das Sichern kostet Zeit, und wir sind froh, als wir das Domjoch erreichen.

"Die Ostflanke des Dom ist ein einziger Schutthaufen"

Vom Joch aus sieht der erste Felsaufschwung des Dom furchteinflößend aus. Mehrere versetzt stehende, brüchig morsche Gendarmen blicken grimmig auf uns herab. Bis zu einem großen Turm kraxeln wir noch auf dem Grat. Anschließend weichen wir auf die rechte Seite aus. Wir schleichen über ein Meer aus Staub, Mini-Gneisplatten und metallisch schillernden Gesteinsbrocken.

Die Ostflanke des Dom ist ein einziger Schutthaufen und es grenzt an ein Wunder, dass dieser Berg überhaupt noch steht, schießt es mir durch den Kopf, während ich mich bemühe, so wenig wie möglich ins Rutschen zu kommen. Bald können wir wieder auf dem Grat klettern, wo uns festerer Fels begrüßt. Teils am laufenden Seil, teils über Standplätze gesichert kraxeln wir zum Gipfel, der mal wieder schneller auftaucht als erwartet.

Dom: Abstieg über den Normalweg

Das Gipfelkreuz steht einsam, die Aussicht ist berauschend. Wir befinden uns auf dem höchsten, vollständig in der Schweiz liegenden Gipfel! Doch diesmal bleibt nicht lange Zeit zum Sinnieren. Es ist mittlerweile 15 Uhr. Der Wind hat wieder aufgefrischt. Wir machen uns sofort an den vom vergangenen Jahr wohlbekannten Abstieg über den Normalweg. Nach dem langen felsigen Grat sind Firn und Seracs eine willkommene Abwechslung. So arbeiten wir uns den langen, aber spektakulären Weg über Hohbärg- und Festigletscher hinab. Die Gletscherszenerie begleitet uns fast bis zur Domhütte auf knapp 3000 Meter Höhe.

Eine kurzes Gespräch und unser Entschluss ist gefasst: Wir lassen die Domhütte abermals links liegen und steigen direkt nach Randa ab. Nochmal 1500 Höhenmeter runter! Im Tal angekommen, geht nicht mehr viel - wir sind "urlaubsreif". Müde strecken wir die Glieder ins Bett unserer Herberge. Nach so einer Tour ist nichts gelöst - aber auch nichts ist mehr von Bedeutung.

<p>Vorbei an der Domhütte geht's hinab ins Tal.</p>

Vorbei an der Domhütte geht's hinab ins Tal.

© Zermatt Tourismus, Passion Fotografie

Am nächsten Morgen sind die Berge in dichte Wolken gehüllt. Wir haben tatsächlich ein Schönwetterfenster erwischt und durften den Gipfeln aufs Haupt steigen. Wie ein Traum hängen die Bilder noch in unseren Köpfen. Der Große Bär und die Lichter von Saas-Fee … Zufrieden machen wir uns auf die Heimfahrt.

Alle Infos zur Überschreitung von Täschhorn (4491 m) und Dom (4545 m)

Abwechslungsreiche und lange Tour in drei Abschnitten: anfangs meist über Gletscher bis zum Mischabeljoch. Dann exponierte Gratkletterei im II. bis II. Schwierigkeitsgrad zum Gipfel des Dom.

  • Schwierigkeit: Hochtour, schwer

  • Höhenmeter: 1770 m

  • Gesamtzeit: 20 Std.

  • Anreise: Mit dem Auto oder der Bahn über Bern bzw. Zürich ins Rhonetal bis Visp. Von dort mit Auto oder öffentlichem Bus ins Saastal bis Saas-Fee. Zurück von Randa oder vom Nachbarort Herbriggen im Mattertal.

  • Zustieg: Zum Mischabeljoch-Biwak, 3847 m, gelangt man entweder von der Bergstation Längflue über den Alphubel (4 Std.) oder von der Station Mittel Allalin über Feechopf und Alphubel (5 Std.). Der Direktanstieg von der Längflue ist wegen Steinschlag und Eisschlag nicht zu empfehlen.

  • Route: Vom Mischabeljoch folgt man den Wegspuren in die brüchige Ostflanke des Täschhorns und umgeht die ersten Felstürme. Anschließend steigt man zum Grat auf und folgt diesem (im Firn nach links ausweichend) bis zum Gipfelaufschwung. Von dort ostseitig (Stellen III) zum Gipfel des Täschhorns (4 1/2 Std.). Dem Nordnordostgrat folgend abwärts ins Domjoch (4281 m) und weiter über den Südgrat des Dom (II, Stellen III+) bis zum Gipfel (5 Std.). Abstieg: Der meist guten Trittspur Richtung Norden folgend über den Gletscher bergab. Unterhalb des Lenzjochs, auf etwa 4000 m, steuert man in einem weiten Linksbogen abwärts und quert unterhalb der Seracs zum Festijoch-Felsriegel. Über den Festigletscher weiter bis zur Domhütte (3 1/2 Std.) und auf einfachem Weg hinab nach Randa (2 Std.).

  • Hütten: Mischabeljoch-Biwak, 3847 m, SAC Genf, 24 Plätze, das Biwak bitte nur am Vorabend der Täschhorn-Besteigung nutzen; Domhütte, 2940 m, SAC UTO, 72 Plätz, domhuette.c, Anmeldung erforderlich! ALPIN-Tipp: Wer nicht in einem Stück bis Randa absteigen möchte, kann statt in der Domhütte auch in der Europahütte, 2220 m, übernachten.

  • Info/Bergführer: Saas-Fee Tourismus, saas-fee.ch; Randa Tourismus, randa.ch

  • Karte: Landeskarte der Schweiz, Blatt 1328, Randa, 1:25000

  • Literatur: Hermann Biner: Hochtouren im Wallis – vom Trient zum Nufenenpass, SAC Verlag, 2002

Text von Mirijam Hempel

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