Unterwegs auf der Via ferrata degli Alleghesi

Dolomiten-Tipp: Die Civetta-Überschreitung

Bergsteiger und Profi-Fotograf Bernd Ritschel war auf dem klassischen Anstieg unterwegs.

Dolomiten-Tipp: Die Civetta-Überschreitung
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Dolomiten-Tipp: Die Civetta-Überschreitung

Düstere Wolkenbänke steigen in immer kürzeren Abständen aus dem Val di Pecol auf und hüllen uns beängstigend ein. Wir spüren die Feuchtigkeit und leider auch die Spannung in der Luft.

Als ich Christian auf den letzten Metern fotografiere, sehe ich die Angst in seinen Augen. Ein Gewitter am Klettersteig, zudem an einem ausgesetzten Grat, ist so ziemlich das Letzte, was wir uns wünschen. Unsere Gedanken kreisen um eine einzige, wesentliche Entscheidung: zügiger Abstieg oder Sprint zum Gipfel?

Als ich wenige Meter höher den Grat erreiche und auf der anderen Seite bis hinunter zum Alleghesee schauen kann, ist die Entscheidung bereits gefallen, Richtung Gipfel...

Bei Sternenhimmel waren wir spätabends voller Vorfreude in die Schlafsäcke gekrochen, hatten uns zu dritt auf und unter der Liegefläche verteilt. In der Nacht weckte uns ein altbekanntes Geräusch: Dicke Regentropfen prasselten auf das Dach unseres Busses, Blitze zuckten am bleischwarzen Nachthimmel und tiefer Donner hallte von den steilen Wänden zurück.

Roland schnarchte und Christian fluchte. Ich dämmerte wieder weg und träumte in wachen Momenten vom Ausschlafen. Doch um drei Uhr riss uns der melodisch schwingende Klingelton „Marimba“ aus dem unruhigen Schlaf einer kurzen Nacht.

Zwischen tiefhängenden Wolken entdecken wir zwei Sterne. Mein grenzenloser (manchmal auch hoffnungsloser) Optimismus überzeugt auch diesmal die Freunde. Ein Schluck Wasser, eine Banane und los geht's. Im Licht der Stirnlampen steigen wir durch lichten Wald, queren wir Schuttkare und Felskessel.

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Immer wieder müssen wir die Karte aus der Tasche ziehen, um den kürzesten bzw. richtigen der vielen Wege auf der Ostseite der Civetta zu finden. Erst am Einstieg zum Alleghesi-Klettersteig beginnt über dem Monte Pelmo die Dämmerung. Sie verwandelt den Himmel in ein Meer voller Farben von zartem Rosa bis hin zu leuchtendem Orange.

Endlich haben sich die Wolken gelichtet. Die Luft ist zwar immer noch sehr feucht, aber die kommenden Stunden hoffen wir auf gutes Wetter. Die Prognosen waren eigentlich ganz ordentlich: Sonne am Vormittag und die unangenehmen Gewitter „erst“ am Nachmittag und Abend.

Die Civetta-Überschreitung: rund 1.600 Höhenmeter, Abstieg exklusive

Ganz bewusst sind wir deshalb sehr früh gestartet. Die Überschreitung der Civetta ist lang: Vom Parkplatz an der Gravaalm bis zum Gipfel sind es gut 1600 Höhenmeter, dazu der lange und alpine Abstieg über die unangenehmen, geröllbedeckten Platten des Normalweges. Wir wären nicht die Ersten, die an der Civetta in ein Gewitter geraten...

Gemütlich sitzen wir am Einstieg, ein kurzer Schuttkegel führt hinauf zu den ersten Seilen. Der gegenüberliegende Monte Pelmo gleicht einem gigantischen Fels in der Brandung, einem Bollwerk, umschmeichelt von zarten Wolken. Letzte Nebelfetzen steigen an seinen Wänden und Graten langsam auf.

Durchaus zuversichtlich holen wir nicht nur eine kleine Brotzeit, sondern auch Helm und Gurt aus dem Rucksack. Als wir an den ersten steilen Passagen ankommen, geht im Osten die Sonne auf. Die Route führt wunderschön über den massigen Felspfeiler in die Höhe.

Dolomitenfels, ausgesetzte Bänder und kurze Schluchten sorgen für Abwechslung

Wir steigen über plattigen graugelben Dolomitenfels, queren ausgesetzte Bänder, folgen aber auch kurzen Schluchten, die uns oben wieder in die Sonne führen. Kurze Steilaufschwünge sorgen für Abwechslung. Wir geraten ins Schwärmen.

Dieser Klettersteig ist nicht nur landschaftlich, sondern auch bezüglich der Linienführung außergewöhnlich abwechslungsreich. Unten am Einstieg entdecken wir als kleine bunte Punkte die nächsten Aspiranten für diesen Klettersteig.

Sind sie vielleicht schon zu spät dran? Erst weit oben setze ich kurz den Rucksack ab, um einen Schluck zu trinken. Beim Blick zurück werden Roland und Christian, die gerade einmal zwanzig Meter hinter mir sind, vom Nebel regelrecht verschluckt.

Wo kommen diese Wolken so schnell her? In den nächsten zehn Minuten verschwinden die Wände und Grate in einem brodelnden Wolkenmeer. Nur gelegentlich blinzelt die Sonne noch durch, wir entscheiden uns für den Weiterweg.

Wettlauf mit dem Gewitter

Die letztem 400 Höhenmeter werden zum Wettlauf mit dem Gewitter. Wir reden kaum mehr, gelegentlich treffen sich noch unsere Blicke. Ist es nur der Schweiß der Anstrengung oder auch jener der Angst, der uns zusehends unter dem Helm hervor und in die Augen rinnt?

Ein paar Gedenktafeln unter einer gelben Wand erinnern uns makaber an vergangene Unglücke. Endlich wird der Grat flacher und breiter, der bislang gute Fels aber gleichzeitig auch deutlich brüchiger. Wir ahnen den nahen Gipfel. Immer wieder kommt für Sekunden die Sonne durch. Dann sind wir oben.

Eigentlich wollten wir nach dem obligatorischen Handschlag sofort absteigen, aber für kurze Momente vertreibt der stärker werdende Wind die Wolken und gibt den Blick frei auf die mächtigen Wolkenfahnen an den Kämmen der Moizza. Bitte, eine kurze Brotzeit wird schon gehen.

Je länger wir sitzen, desto öfter reißen die Wolken jetzt auf. Hat uns hier und heute irgendwer zum Narren halten wollen? Vor nicht allzu langer Zeit waren wir am Gipfelgrat der Jungfrau in ein schweres Gewitter geraten.

<p>Doch noch geschafft! Oben am Gipfel.</p>

Doch noch geschafft! Oben am Gipfel.

© Bernd Ritschel

Verbrennungen an den Händen und ein „schwarzes Loch“ in der Wade waren bei mir die Folgen. Wurde aus dieser Erfahrung heraus und aus unserem gesunden Respekt jetzt überzogene Panik?

Die wesentliche Entscheidung des heutigen Tages haben wir auf 2810 Metern Höhe getroffen. Aber diese Entscheidung war durchaus eine das Risiko abwägende Gratwanderung. Im Nachhinein war sie richtig, wir benötigten für diese letzten 400 Höhenmeter gerade einmal 25 Minuten, der Abstieg hätte länger gedauert, aber wer weiß das schon vorher.

Das angekündigte Gewitter hat uns gar nicht mehr erreicht. Der Abstieg durch das brodelnde Wolkenmeer ließ unsere Stimmung rasch wieder steigen. Die von losem Schutt bedeckten Platten waren genauso unangenehm wie erwartet und die 1600 Höhenmeter im Abstieg waren für die Knie genauso unangenehm wie befürchtet.

Zurück am Auto, schien endgültig die Sonne. Wir trockneten die von der feuchten Nacht noch nassen Schlafsäcke und schlenderten barfuß hinüber zur kleinen Alm, um unsere Bestellung abzugeben. Hunger, Durst, Erleichterung.

Informationen zur Tour

Top-Tour auf einen der schönsten Dolomitengipfel! Die Via ferrata ist nur mäßig schwierig; Alle leichten Kletterstellen sind mittlerweile gesichert. Insgesamt aber eine ausgeprägt alpine Unternehmung.

Mit einer Übernachtung auf der Torrani-Hütte besonders stimmungsvoll - Sonnenuntergang am Gipfel inklusive. Beliebt ist die Runde mit Ausgangspunkt Malga della Grava (1627 m): Aufstieg über die Via ferrata degli Alleghesi, Abstieg über die Via ferrata Tissi ins Van delle Sasse.

Toureninfo Monte Civetta,Via Ferrata degli Alleghesi

  • Gesamtzeit: 10 Std.

  • Höhenmeter: 1595 Hm

  • Schwierigkeit: schwer

  • Anreise: Anfahrt über die Brennerautobahn bis Ora, aus dem Zoldano über die Passo-Duran-Straße.

  • Ausgangspunkt: Abzweigung des Almsträßchens hinter Chiesa. Kleiner Parkplatz oberhalb der Almhütte.

  • Info: Consorzio Turistico Val Zoldana, Tel. +39 0437 788907, www.val-zoldana.com

  • Hütte / Einkehr: Rifugio Torrani, 2984 m, Anfang Juli bis Mitte September, Tel. +39 0437 789150

  • Führer: Eugen E. Hüsler: Top- Klettersteige Dolomiten, Bruckmann Verlag, 2008.

  • Karte: Tabacco 1: 25 000, Blatt 025, Dolomiti di Zoldo, Cadorine e Agordino.

  • Zustiege: Ab Malga della Grava (1627 m): Von der Alm führt ein Sandsträßchen über ein paar Schleifen in die Forcella della Grava (1784 m) und weiter zur Materialseilbahn (1808 m) der Torrani-Hütte. Hier gabelt sich der Weg; man folgt rechts der Markierung 557, zunächst zum Col Grand (1927 m), wo der Zustieg von Pecol mündet. Der Weiterweg führt mit freier Sicht auf den Pelmo und die Ampezzaner Dolomiten ins Hochkar Busa del Zuiton. Rechts der Felszacken des Schinal de Bech (2420 m), halblinks setzt der Ostgrat der Punta Civetta an. Über Schrofen (Drahtseil) hinauf zum Einstieg der „Alleghesi“ (ca. 2390 m).

    Ab Pian del Crep di Pecol: Von der Bergstation der Gondelbahn führt ein Kammweg mit leichtem Auf und Ab an dem bewaldeten Rücken entlang zur Forcella della Grava, wo man auf den Anstieg von der Malga della Grava stößt. Weiter wie oben beschrieben.

  • Route: Der Klettersteig beginnt steil, nahezu senkrecht. Eisenstifte und eine Leiter entschärfen die Einstiegswand; dann leiten Drahtseile in einen ersten, steilen und langen, gesicherten Kamin. In der Folge wechseln Steilpassagen mit kurzen Querungen ab, die zum Verschnaufen einladen, aber auch Gelegenheit bieten, die packenden Aus- und Tiefblicke zu genießen.

    Ein enger Kamin wird an soliden Eisenbügeln durchstiegen; dann legt sich der Pfeiler allmählich zurück. Die Route quert links in eine Geröllmulde, aus der man zum Grat aufsteigt. An einer Scharte (ca. 2880 m) unter der Punta Tissi öffnet sich ein faszinierender Tiefblick, hinab auf Alleghe und seinen See.

    Der Weiterweg führt gesichert zunächst durch die gestuften westseitigen Felsen, tangiert die Punta Tissi (2992 m) und läuft dann am Grat direkt auf das kleine Gipfelkreuz der Civetta (3220 m) zu.

  • Abstieg: Über die ostseitige Geröllflanke zunächst hinab zum Rifugio Torrani (2984 m). Gehspuren, Farbkleckse und Steinmännchen weisen den Weg durch den Hang. Zuletzt hangelt man sich an Drahtseilen hinab zur Hüttenterrasse. Ein Schild weist hier links hinunter ins Hochkar unter dem Pian di Tenda. Über eine schier endlose Abfolge von Felsstufen, zwischen denen bis in den Hochsommer Schneeflecken liegen, führt die Route, ordentlich markiert und teilweise gesichert, hinab durch das steinerne Labyrinth.

    Ein steiler, mit einem Drahtseil gesicherter Kamin erweist sich als etwas knifflig. Am Ausgang des Kars leiten Markierungen nach rechts auf ein abschüssiges Band („Passo Grünwald“). Plattige Felsen und eine steile Rinne verlangen weiterhin konzentriertes Gehen; dann entlässt einen der große Berg auf einen mächtigen Geröllhang.

    Man rutscht (steigt?) weiter ab, bis der Untergrund stabiler und die Andeutung eines Wegs sichtbar wird. Oberhalb der Forcella della Grava (1784 m) taucht man in den Wald ein; an der Scharte entweder geradeaus zur Liftstation oder rechts hinunter zur Malga della Grava. Alternativ bietet sich auch ein Abstieg vom Col Grand durchs Valle Civetta nach Pecol (1382 m) an; Zeitmehraufwand: gut 30 Minuten.

  • Hinweis: Mit ausreichender Kondition und Übung im Abklettern kann man den Abstieg über die Via Ferrata Tissi in Erwägung ziehen. Der frühers kühne und schwierige Klettersteig wurde in den letzten Jahren saniert und etwas entschärft. Steinschlaggefährdete Bereich werden jetzt umgangen, die Anforderung an die Schwierigkeit ist jedoch geblieben. Der Abstieg über diesen als sehr schwierig (KS5 / D) eingstuften Klettersteig dauert zwar etwas länger, bietet dafür einen spektakulären Abstieg in sehr anspruchsvollem Gelände. Sehr steil und über lange Strecken ausgesetzt gelangt man in eine Art Kessel, von dem man auf einem leichteren Weg absteigt und schließlich wieder auf den Normalweg trifft.

Text von Bernd Ritschel

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