Grundsatzdiskussion und Pauschalurteile nach tödlichem Bergunfall

Kein Mitleid am Traunstein? Shitstorm nach Rettungseinsatz

Zwei Bergsteiger galten nach einer Tour am winterlichen Traunstein als vermisst und konnten schließlich nur tot geborgen werden. Während der Suchaktion wurde ein Bergretter verletzt. Es folgte vieles: ein Shitstorm, Pauschalurteile und eine Grundsatzdiskussion über "leichtsinnige" Bergsteiger und ihr Recht auf Hilfe.

Der Traunstein
© IMAGO / Wirestock

Kein Mitleid am Traunstein: Die Hintergründe

Ursprung der Debatte ist der Bergunfall zweier Alpinisten bei einer Winterbegehung des Traunstein im Salzkammergut. Die beiden Bergsteiger stiegen über die Nordwand auf, wo sie in eine Lawine gerieten und mitgerissen wurden. Als die Männer am Abend noch nicht zu ihren Familien zurückgekehrt und auch telefonisch nicht erreichbar waren, alarmierten diese schließlich die Rettung.

Während der folgenden Suchaktion geriet einer der Bergretter in der angespannten Lawinenlage selbst unter ein Schneebrett und erlitt Verletzungen. Die beiden Vermissten konnten am Folgetag nur noch tot aus den Schneemassen geborgen werden.

Zwei tote Alpinisten am Traunstein: Shitstorm und erregte Diskussion

Als der Vorfall in den Medien gemeldet und über Social Media verbreitet wurde, folgte zunächst ein Shitstorm gegen die Verstorbenen und deren vermeintliche Fahrlässigkeit. Die Kommentare reichten von "Kein Mitleid", über "selbst Schuld" bis zu dem Wunsch, dass solche "Adrenalinjunkies" doch am Berg "verrotten" und ihnen Hilfe verweigert werden solle. Auch von einer "hoffentlich saftigen Rechnung" war häufig die Rede.

An eine sachliche faktenbasierte Debatte ist bei Bergunfällen nicht zu denken. Zu erhitzt die Gemüter, zu laut und gnadenlos die Verurteilenden. Als der Vorfall am Traunstein immer größere Wellen schlug, positionierten sich auch einige Medienvertreter zum Geschehenen. In Meinungskolumnen wurde teils erschreckend vorurteilsgeladen, harsch und undifferenziert gegen verunglückte Bergsteiger gewettert.

"Eiskletterer, Extrembergsteiger, Basejumper und derlei tolle Hechte – die solche Touren meist nur unternehmen, um Videos für YouTube & Co. zu produzieren und Ansehen zu generieren – verdienen kein Mitleid", schreibt etwa ein Autor des "Linza! Stadtmagazin".

Die Kommentare und Beiträge haben eines gemeinsam: Sie zeichnen ein stereotypes Bild des Bergsteigers und eins der Retter. Bergretter werden zu sich alstruistisch aufopfernden Übermenschen stilisiert, die zum Opfer des ahn- und planunglosen "Insta-Mountainlover" mit Vollkaskomentalität werden. Dass beide Klischees nur einen Bruchteil der Realität abbilden, wird dabei völlig ausgeblendet.

Stereotype über Bergsport treffen auf Social Media aufeinander

Sprach nicht erst Michael Larcher im neuen Lawinenupdate davon, dass Lawinenunfälle häufig die Erfahrenen treffen und nicht die oft "übervorsichtigen" Anfänger? Belegten die Unfallstatistiken vom DAV und dem Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit nicht erneut, dass nur wenige Prozent aller Einsätze nicht wegen eines medizinischen Notfalls erfolgen? Dies alles zeigt auf, dass scheuklappenartiges "schwarz-weiß"-Denken im Bergsport fehl am Platz ist.

Das sehen auch einige Medien so. Von einem "Fass ohne Boden" schreibt etwa das Portal nachrichten.at zu den Reaktionen auf Bergunfälle in den sozialen Medien. "Die Selbstverständlichkeit und die Rohheit, mit der über Menschen in der vermeintlich gesetzlosen digitalen Welt gerichtet wird, hat Ausmaße angenommen, die nicht mehr zu akzeptieren sind." Für Empathie ist im digitalen Raum wohl keine Zeit, Urteile sind schnell bei der Hand.

Pauschalurteile helfen niemandem

Gerade für Hinterbliebene ist jedoch eine solche Welle aus Hass gegen die geliebten Familienmitglieder ein weiterer Schlag, der zum ohnehin schon schwerwiegenden Verlust hinzukommt. Vielleicht betonen auch deshalb Bergwacht und Bergrettung in den letzten Monaten verstärkt, dass für sie der Einsatzgrund keine Rolle spielt. Sie seien "Retter und keine Richter". 

Auch von "Harakiri-Aktionen" der Bergrettung kann keine Rede sein. Wird ein Einsatz fur die Ehrenamtlichen selbst zu gefährlich, kommt es zum Abbruch. Nur wenn die Sicherheit der Retter gewährleistet werden kann, findet ein Einsatz statt. "Dass man einen Unfall einhundertprozentig ausschließen kann, das gibt es aber nicht", bringt es Wolfgang Socher, Einsatzleiter der Gmundner Bergrettung, gegenüber nachrichten.at auf den Punkt.

Falsche Entscheidungen, Pech und ja, auch unzureichende Tourenplanung sind Gründe für das Wählen des Notrufs. Man darf und sollte diese kritisch hinterfragen, denn aus Fehlern kann immer gelernt werden. Dennoch sind Pauschalurteile und Hasswellen gegen Verunglückte oder Verstorbene der falsche Weg. Stattdessen? Einordnen, Aufklären und Sensibilisieren, denn verunglückte Bergsportler sind weder per se "Idioten" noch "selbsternannte Supermänner" (oder -frauen), noch sind Bergretter pauschal "altruistische Helden", die ihr eigenes Leben riskieren.

Text von Lubika Brechtel

25 Kommentare

Kommentar schreiben
Th

Der Beitrag hier trifft voll zu

Uwe

Leider ist es gängige Praxis geworden, dass sich selbsternannte Pseudo-Richter völlig unsachliche, respektlose und menschenunwürdige Urteile bilden und damit nicht genug: sie meinen es auch noch der Öffentlichkeit preisgeben zu müssen.

Dabei sind diese Spinner weit ab jeglicher Realität und haben weder Menschen- noch Sachkenntnis. Nicht wenige Menschen, die in den Bergen unterwegs sind bereiten sich ordentlich vor, machen vorab eine Risiko-
und Gefahrenanalyse, blicken ins Wetter. Es sind passionierte Bergsteiger und Tourengeher und psychisch und physisch weit ab von dem Mob, die gedankenlos in die Berge gehen. Pauschalierte Urteile nutzen keinem!


Jeder setzt sich täglich Gefahren und Risiken aus, die oft lebensbedrohlich sind.

Mal versagt die Technik, mal überschätzt man sein eigenes Vermögen. Oft aber ist man schlicht am falschen Platz zur falschen Zeit weil die Unachtsamkeit Dritter oder aber die Unbillen der Natur uns das Leben oder die Gesundheit nimmt.

Meine Herz ist schwer und meine Gedanken sind bei den Verunfallten und Hinterbliebenen. Jeden kann es treffen, unabhängig von der Schuld eines jeden Einzelnen!

Danny Suhr

Sehr guter, differenzierter Beitrag. Vielen Dank dafür!

Nicole auf Facebook

Mein Beileid den Familien und Gute Besserung dem Bergretter.
Uns es muß jeder für sich entscheiden was er in seiner Freizeit macht. Im Sommer kann genau so viel passieren, manchmal sogar ohne ein Risiko einzugehen . Wenn man Auto fährt kann man auch tödlich verunglücken weil ein anderer nicht aufpasst. Niemand hat es verdient verurteilt zu werden für das was er macht, die meisten Menschen sind sowas von herzlos und egoistisch geworden. Ein Phänomen was seit Corona noch schlimmer geworden ist.

Nikki auf Facebook

Ich finde eure Beiträge konstruktiv und erfrischend und wieder einmal greift ihr da ein Thema auf, das wirklich mehr als heftig ist. Ich denke dabei NICHT an die Bergsteiger, die verunglückt sind, sondern an den argen Shitstorm. Leben ist das höchste Gut, das wir alle besitzen, ohne Leben wäre jeder einzelne tot. Es gäbe nichts Schönes auf der Erde. Die Erde wäre nur eine Feuerkugel oder eine Wüste und sonst gar nichts. Man wünscht niemandem den Tod und man schreibt nicht, dass man kein Mitleid dafür hat, dass Leute, vielleicht aus eigenem Leichtsinn heraus, gestorben sind. DAS ist dermaßen ungeheuerlich und widerlich, dass mir die richtigen angemessenen Worte dafür fehlen. Der erste Bericht über den Vorfall, VOR den Shitstorms, war nüchtern. Da wurde berichtet, dass 2 Männer, sehr gut vorbereitet, eine Winterbergtour geplant hatten. Waren sie die Einzigen? Nein, überall rennen die Leute auf die Berge, zu Fuß, mit Schneeschuhen oder mit Tourenski. Sport ist ein ungebrochener Hype und leider passiert auch was. Selbst auf präparierten Pisten verunglücken Personen. Ich bin dafür, dass mehr Bewusstsein für die Gefahren geschaffen wird, dass Exempel statuiert wird und Bergungskosten (bei Lebenden) von den Geretteten getragen werden soll und die verschiedenen Vereine und die Länder Broschüren verteilen und bei der Werbung Warneinblendungen schalten, damit Menschen die Berge nicht mehr für eine coole Outdoor Fitness Anlage halten. Aber das kann man professionell und auf der Sachebene vermitteln. Es ist kein Grund Leuten den Tod zu wünschen, Verunglückte, die mit dem Tod bezahlt haben, durch den Dreck zu ziehen.

Sabi auf Instagram

Toller Artikel! Danke! Es ist wirklich erschreckend, wie sehr pauschal geurteilt und damit oft verletzt wird. Ich arbeite als Sozialarbeiterin mit psychisch Kranken und kenne solche Pauschalisierungen in diesem Kontext. "Der gehört weggesperrt" etc... Super, dass ihr dieses Thema hier nochmal so aufgegriffen habt. Auch ich bin gerne in den Bergen unterwegs - die Bergrettung habe ich noch nie gebraucht. Und dennoch ist es wie ihr schreibt: es spielen verschiedene Dinge rein und Unfälle sind ja nicht geplanter Teil einer Tour. Ach ja, da kann man lange drüber reden und hoffentlich reflektiert der ein oder andere seine Kommentare. Ganz liebe Grüße aus Süddeutschland

Anonymus

Leider kenne ich einen der beiden Verunglückten sehr gut. Schrecklich, dass es dazu gekommen ist. Ich kann aber zu Recht behaupten, dass mein Freund das Bergsteigen/Eisklettern etc. mit größter Leidenschaft verfolgt hat und nicht einmal etwas von seinen riskanten Touren auf Social Media gepostet hat. Das war alles aus Liebe zum Sport und zu den Bergen. Er war erfahren und gut vorbereitet, reines Unglück war in dieser Situation der Grund für die Tragödie.
Schlimm mal wieder zu sehen, wie Menschen, die keine Ahnung von irgendetwas haben bzw. die Umstände nicht kennen, hirnlose Kommentare im Interent posten. Willkommen in den 2020er Jahren und dem heutigen Internet.

Stefan

Was erwartet man denn wenn Berichte über Unfälle im Netz der Allgemeinheit präsentiert werden und es dazu noch eine Kommentarfunktion gibt? Die Betroffenen werden die Kommentare nicht lesen. Die trauern und haben viele andere Sorgen. Alle Leser waren wohl nicht dabei und können nicht objektiv urteilen. Mir erschließt sich der Sinn dieser Berichte nicht. Artikel zur Risikovermeidung und Aufklärung wären sicherlich sinnvoller als Berichte über den nächsten bedauerlichen Absturz oder Lawinentoten.

Mike Cux

Eure Umfrage ist leider genau sterotypisch.

Es kommt darauf an, ob jemand den Rettungseinsatz bezahlen sollte oder nicht.
Grundsätzlich ist er ja zu bezahlen, nur wird dies oft dann einer Versicherung in Rechnung gestellt.

Wenn aber jemand drei Tage hintereinander vom Jubiläumsgrat die Bergrettung alarmiert (kein Scherz), dann sollte er nicht nur zahlen, sondern auch zum Psychologen.

Gaby auf Facebook

diese Kommentare sind trotzdem gerade für die Betroffenen/Hinterbliebenen nicht so einfach auszublenden und auch sehr verletzend…. Der Verlust des geliebten Menschen ist wirklich schwer genug. Da würde man sich einfach wünschen, dass einem unqualifizierte Kommentare erspart bleiben - zumal ja immer über Menschen geurteilt wird, die man nicht kennt und auch vorurteilsbehaftet… Traurige Welt!

Seite 1 / 3 Next