Auf den Spuren Hannibals

500 Kilometer zu Fuß über die Alpen

ALPIN-Leser Marco Schnell aus Maienfeld in der Schweiz hatte eine Vision: von der Haustüre aus zu Fuß über die Alpen ans Meer zu laufen! Expedition mare nannte er das, setzte sich selbst einen Rucksack und seinem Hund ein paar Satteltaschen auf den Rücken, sorgte noch für eine nette weibliche Begleitung und machte sich auf den Weg. Lesen Sie hier über seinen 500 Kilometer langen Trip über die Alpen an die ligurische Küste. Tutto a piedi.

500 Kilometer zu Fuß über die Alpen

Man schrieb das Jahr 218 v. Chr. als Hannibal mit seinen Kriegselefanten die Alpen überquerte und bis zum Mittelmeer vordrang. Es war allerdings nicht der karthagische Feldherr, der uns auf die Idee brachte, einmal von der Haustüre aus ans Mittelmeer zu laufen, sondern der Jakobsweg.

Zur Fotogalerie des 500 Kilometer langen Trips über die Alpen an die ligurische Küste. Dieser nimmt von der Ostschweiz aus aber nicht Wochen, sondern Monate in Anspruch und ist infolge seiner medialen Präsenz inzwischen schon fast etwas abgedroschen und überlaufen. So kreierten wir uns unseren eigenen "Jakobsweg" vom Heidiland ans Mittelmeer.

Kein Elefant, sondern ein Hund

Der kürzeste Weg von der Region Bodensee/Rheintal an die ligurische Küste führt über die Alpenpässe Splügen oder San Bernardino. Auf der Alpensüdseite münden diese beiden Routen an den Comersee, beziehungsweise an den Lago Maggiore. Und dort wird es für Fußgänger auf den engen, stark befahrenen Uferstraßen ziemlich ungemütlich. Zudem wird weiter südlich die Agglomeration Milano tangiert, was aus verkehrstechnischer Sicht ebenfalls nachteilig ist. Da wir auf unsere "Expedition" zwar keine Elefanten, aber einen Hund mitnehmen, kommt für uns eigentlich nur ein Drei-Pässe-Umweg nach Westen in Frage.

Blick in die Rheinschlucht. Bitte Klicken Sie auf das Bild für eine Großansicht! Foto: Marco Schnell
Blick in die Rheinschlucht. Bitte Klicken Sie auf das Bild für eine Großansicht! Foto: Marco Schnell

Hinauf auf die Alpen

Nach wochenlanger Vorbereitung und Material-Optimierung geht's am 27. Juni endlich los: Von unserem Wohnort Maienfeld aus folgen wir zuerst dem rechten Rheinufer entlang bis nach Chur, der Bündner Metropole und der ältesten Stadt der Schweiz. Die nächsten zwei Tage verbringen wir dann im Bündner Oberland. Auf dem bekannten Wanderweg "Senda Sursilvana" gelangen wir oberhalb der Rheinschlucht nach Flims/Laax und weiter nach Disentis. Dort steht die Erklimmung des Lukmanier-Passes auf dem Programm. Auch dieser Streckenabschnitt kann weitgehend auf Nebenstraßen und Fußwegen begangen werden. Den Hund und uns freut's!

Das Restaurant Ospizio bietet eine letzte Gelegenheit, sich für die nächste Etappe zu stärken. Danach verlassen wir die "Zivilisation", überqueren hinter dem Lukmanier-Stausee den Passo Uomo und gelangen über eine wunderschöne Hochebene - vorbei an Schneefeldern und dutzenden von Murmeltieren - zur Capanna Cadagno. Die stattliche Alpenvereinhütte liegt auf knapp 2000 Meter. Elena und Sara Mottoni verwöhnen die Gäste hier mit Tessiner Küche und mit hausgemachten Dessertspezialitäten.

Hinunter nach Airolo

Am nächsten Tag führt unsere Route zuerst entlang des Ritomsees, bevor der steile Abstieg nach Airolo folgt. Die Bergkulisse ist zwar gewaltig, aber als Wohnort ist der Tessiner Knotenpunkt alles andere als attraktiv: Hier stauen sich jedes Wochenende kilometerlange Blechlawinen vor dem Gotthard-Südportal, hier rattern und quietschen im Minutentakt Personen- und Güterzüge durch das enge Tal und hier landen und starten täglich dutzende von Flugzeugen und Helikoptern auf dem nahe gelegenen Militärflugplatz. Wir sind froh, Airolo bald in Richtung Bedrettotal verlassen zu können.

Zur Fotogalerie des 500 Kilometer langen Trips über die Alpen an die ligurische Küste. Dort säumen schmucke Bergdörfer wie Bedretto und Ronco die Nufenenpassstraße, bevor in Al Aqua der Fußweg hinauf zum Passo San Giacomo abzweigt. Auf der 2300 Meter hoch gelegenen Passhöhe überqueren wir die grüne Grenze nach Italien. Ein verfallenes Zollhaus erinnert an den kühnen Wunsch der Italiener und Schweizer, den Passo San Giacomo zu einer wichtigen Nord-Südverbindung auszubauen. Während die Italiener die Passstraße nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Ospizio erstellten und sogar sieben Sitze in den Fels meißelten, auf denen bei der Eröffnung die sieben Schweizer Bundesräte hätten Platz nehmen sollen, wurde der helvetische Streckenabschnitt nie realisiert. So ist der Passo San Giacomo bis heute nur einseitig erschlossen und das Zollhaus bröckelt seit Jahrzehnten ungenutzt vor sich hin.