Vier Tage Genusswandern in der Schweiz

Der Prättigauer Höhenweg: Unterwegs auf alten Schmugglerpfaden

Auf alten Senner-, Schmuggler- und Viehpfaden geht es entschleunigend und unaufgeregt über mehrere Tage durch das Prättigau. Auf Luxus wird ebenso verzichtet wie auf digitale Kommunikation.

Aufstieg bei traumhafter Lichtstimmung zum Jägglisch Horn (2290 m) mit Blick auf das Rätschenhorn (2703 m).
© Jana Erb

Tourismus im Wandel: Zwischen Selbstinszenierung und ökologischer Verantwortung

Der Tourismusgedanke der heutigen Zeit steht vielerorts in einem starken Gegensatz zum Prinzip der körperlichen Erholung und geistigen Zerstreuung. Wo früher der Kontrast zur häufig kräftezehrenden Arbeitswelt gesucht wurde, steht heute die Darstellung von vermeintlichen Erlebnissen im Vordergrund.

Dieses moderne Reisen wird als neuer Lebensstil verklärt, als Selbstzweck zur Abgrenzung von all den anderen, die dem schnöden und eintönigen Alltag nicht oder nur bedingt entfliehen können. Es mag sie geben, die digitalen Nomaden, die mit nichts als einem Smartphone und Tagesrucksack scheinbar mühelos die Welt bereisen und nichts als Fußspuren im makellosen Sand Ozeaniens hinterlassen. 

Diese Influencer lassen ihre Follower an ihren Abenteuern teilhaben, welche erst durch deren Likes und Klicks ermöglicht werden. Denn dies ist die Währung der digitalen Welt, in der sich alles um Aufmerksamkeit und Reichweite dreht. Befeuert durch diese Spirale, wird bei vielen ein übergroßes Verlangen generiert, gleichzuziehen und das eigene Leben entsprechend zu präsentieren oder zumindest zu beweisen, dass man auch an dem Ort gewesen ist, der von Influencern gepusht wird.

<p>Aufstieg zum Salarueljoch.</p>

Aufstieg zum Salarueljoch.

© Jana Erb

Die Alpen sind ein sensibles Ökosystem, das rasch an seine Belastungsgrenzen gerät, wenn die Besucherströme nicht entsprechend geleitet werden. So steht neben dem Werben um Touristen, schnell auch die Frage nach Lenkung der Menschenmassen im Raum. Die Schweiz blickt auf eine lange Tradition des Alpintourismus zurück und versucht, den Bedürfnissen der Besucher sowie der einheimischen Bevölkerung gerecht zu werden. Dabei muss sicher zwischen den Hochburgen des Skizirkus und den weniger für den Massenandrang erschlossenen Regionen unterschieden werden.

Im Einklang mit den Bergen: Das Prättigau und die Seele der Älpler

In direkter Nachbarschaft zum bekannten Skiort Davos, liegt das Tal der Landquart, das Prättigau. Dieses Gebiet war lange Zeit stark bäuerlich geprägt und erhält sich auch heute mit Stolz und Traditionsbewusstsein einige ursprüngliche Lebensformen. Die Prättigauer Alpwirtschaft ist eines dieser herausragenden Beispiele für den Erhalt eines Wirtschaftszweigs, der sich mit schweizerischer Genügsamkeit an den Abläufen der Natur orientiert. So wird das Vieh jährlich in die Hochlagen geführt, um den Sommer auf den Alpwiesen zu verbringen. Um die Konkurrenz um die besten Weidegründe zu entschärfen, sind die Almbauern den Weg der genossenschaftlichen Zusammenschlüsse gegangen, bei dem das gesamte Dorf die Nutzung der Alp aushandelt.

<p>Auf einsamen Pfaden. Man trifft hier eher selten auf Menschen.</p>

Auf einsamen Pfaden. Man trifft hier eher selten auf Menschen.

© Jana Erb

Einen Einblick in das Wesen der Seele der Älpler bekommt man, wenn man den Verbindungswegen der einzelnen Regionen folgt. Diese Pfade dienten in der Vergangenheit primär der schnellen Fortbewegung für Mensch und Tier, sowohl für Handel und Viehtrieb, als auch für Schmuggel und Wilderei. Entsprechend folgen sie den einzelnen Almen und ziehen ihre Schleifen mehr um die Gipfel herum, als darüber hinweg. Der Bergwanderer nennt sie heutzutage gern Höhenwege. Da der Prättigauer Höhenweg nicht immer ganz genau definiert ist, weicht die hier vorgestellte Route manchmal von etablierten Wegweisern ab, um dem geneigten Besucher zusätzliche Möglichkeiten zu eröffnen.

Um diese sensible Bergwelt zu schonen, ist eine Wegführung ausgearbeitet worden, die darauf beruht, die touristische Infrastruktur nur moderat zu nutzen. So erwartet den Bergwanderer nur eine minimale Anzahl an Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten. Jeder sollte sich darauf gefasst machen, dass man als Tourist zwar gern gesehen ist, jedoch nur einer von vielen berechtigten Nutzern dieses Weges und seiner Umgebung ist. Entsprechend ermöglicht es aber auch den intensiven Kontakt mit der realen Alpwirtschaft und einen Einblick in die Anstrengungen und Entbehrungen, die dieses Leben fordert.

<p>Am Ende des Regenbogens wartet das Glück: die Carschinahütte.</p>

Am Ende des Regenbogens wartet das Glück: die Carschinahütte.

© Jana Erb

Graubünden wird oft als Heidiland verklärt, in dem der wortkarge Großvater, bärtig und knorrig, mit liebevoller Strenge über die Alp wacht. Bei allem Verständnis für die Sehnsucht der Menschen nach einer heilen Welt, es ist das romantisierte Bild der Städter, welches diese berühmte Geschichte prägt. Wie sähe die Erzählung wohl aus der Sicht des Älplers aus?

Wolfsrückkehr und Herdenschutz in den Schweizer Alpen: Begegnungen auf dem Höhenweg

Am ersten Tag schweben wir mit der Madrisabahn von Klosters auf die Saaser Alp, um unsere Kondition für die weiteren Tage zu schonen. Etwas schwerer als gewöhnlich sind unsere Rucksäcke, da es keine Einkehrmöglichkeit bei dieser Etappe gibt. Vorbei an dem gewohnten Braunvieh führt unser Weg entlang grüner Grate. Die umliegenden Gipfel, das Calanda-Massiv, Madrisahorn und Rätschenfluh, ziehen uns in ihren Bann. Rast machen wir dann auf dem Jägglisch Horn, das direkt am Weg liegt. Für den Weg ins Tal nach St. Antönien nutzen wir Trottinettes, geländetaugliche Tretroller, die an vielen Punkten im Prättigau für eine geringe Gebühr genutzt werden können, um über Fahrwege schwungvoll ins Tal zu kommen.

Bei einer exzellenten Bewirtung im Hotel Madrisajoch, erfahren wir einiges über die aktuellen Themen, die auf der Alp unter den Nägeln brennen. Die Rückkehr des Wolfs ist auch in der Schweiz ein Thema, das für kontroverse Diskusssionen sorgt. Ob, wie und mit welchen Mitteln sich der Erhalt der Alpwirtschaft mit der Anwesenheit eines großen Beutegreifers vereinbaren lässt, darum kreisen für den Rest des Abends die Gespräche.

<p>Wo die Welt noch in Ordung ist - grüne Grate so weit das Auge reicht.</p>

Wo die Welt noch in Ordung ist - grüne Grate so weit das Auge reicht.

© Jana Erb

Gut beraten ist, wer Badesachen mit in die Berge nimmt. Gerade im Hochsommer, wenn man zur Mittagszeit am Partnunsee ankommt und nicht nur die Füße ins Wasser halten will. Nach beherztem Sprung vom Steg fühlt sich jede Zelle frisch und der nächste fordernde Anstieg zur Carschinahütte kann kommen. Die exponierte Lage der Schutzhütte am Grat ermöglicht besonders stimmungsvolle Bilder.

Für den Weiterweg zur Schesaplanahütte bekommen wir Verpflegungspakete, denn wieder gibt es keine Möglichkeit zur Einkehr. Auf dem ersten Wegstück Richtung Steinernes Tor sehen wir eine Kette schwarzer und weißer Punkte, die sich den Hang entlang schlängelt. Begleitet von Pfiffen des Schäfers und dem Bellen seines Hütehunds werden Hunderte Schafe von einer Alp zur nächsten getrieben. Wir werden aufgeklärt, dass die Rinder die tiefer gelegenen Weiden beanspruchen und deshalb Schafe und Ziegen auf die höher gelegenen Gebiete ausweichen müssen. Die Grenzen sind historisch gewachsen und ihr Verlauf für den Laien nicht immer ganz klar. Doch die Hirten und Sennen wissen ganz genau, bis wohin ihr Vieh gehen darf. Zäune, Mauern und kleine Markierungen gibt es hin und wieder, doch der Großteil des Geländes liegt offen vor uns.

Der Schäfer und sein Hund sind nicht allein. Mehrere Herdenschutzhunde liegen oberhalb der Schaf- und Ziegenherden im Gras und beobachten aufmerksam die Umgebung. Wie viele dieser furchtlosen Wächter würde es wohl benötigen, um eine Schafherde vor einem Rudel Wölfe zu schützen? Über den an einem der Vorabende diskutierten Vorschlag, zweieinhalb Meter hohe Elektrozäune einzusetzen, um die Wölfe abzuwehren, wird angesichts der Weite des Geländes gemeinschaftlich gelacht. Wie töricht von uns zu glauben, man müsste ja „nur“ allabendlich die Schafe einzäunen und das Problem sei gelöst.

<p>Auf geht’s zum nostalgischen Berghaus Sulzfluh mit Kerzenlicht, Möbeln von anno dazumal, Waschschüsseln und knarrenden Dielen.</p>

Auf geht’s zum nostalgischen Berghaus Sulzfluh mit Kerzenlicht, Möbeln von anno dazumal, Waschschüsseln und knarrenden Dielen.

© Jana Erb

Die Schutzhunde sind leicht von den Hütehunden zu unterscheiden. Groß und kräftig sind sie, und ihre wachsamen Augen beobachten jeden unserer Schritte. Sie sehen durchaus freundlich aus und das ist auch der Grund, weshalb es leider immer wieder zu Zusammenstößen mit Wanderern kommt. Diese Arbeitshunde haben – wie der Name schon sagt – eine Aufgabe, die sie gewissenhaft und bedingungslos erfüllen. Am besten ist, man lässt sie einfach ihre Arbeit tun und verzichtet auf Streicheleinheiten.

Prättigauer Höhenweg: Abenteuer zwischen Berggipfeln und digitaler Bedeutungslosigkeit

Die letzte Nacht verbringen wir auf der Schesaplanahütte, die sogar eine Dusche bereithält und uns erfrischt in die Betten sinken lässt. Schon bald nach dem frühmorgendlichen Aufbruch können wir Alpensteinböcke im Fels stehen sehen. Gerne hätten wir diese anmutigen Kletterer länger beobachtet, doch der Abstieg drängt und es wartet die längste Etappe des Prättigauer Höhenwegs.

Quälend lange wandern wir nun schon bergab. Wohl dem, der sich darauf versteht, seine Wanderstöcke Knie-schonend einzusetzen. Erst kurz vor der Bergstation der Älplibahn geht es wieder bergauf. Die letzten Meter wollen wir mit der Postkutschen-gelben Kabinenbahn ins Tal schweben. Fast hätte es die Bahn nicht mehr gegeben, wäre nicht von engagierten Eidgenossen ein Verein gegründet worden, der Betrieb und Unterhalt übernommen und durch viele Stunden ehrenamtlichen Schaffens den Fortbestand gesichert hat.

<p>Rosen, Königskerzen, Kapuzinerkresse, Montbretien: der perfekte Bauerngarten.</p>

Rosen, Königskerzen, Kapuzinerkresse, Montbretien: der perfekte Bauerngarten.

© Jana Erb

Während wir ins Tal hinunterschweben, lassen wir das Erlebte Revue passieren. Viele der gewonnenen Eindrücke lassen sich weder in einem Tweet noch in einem Instagram-Post darstellen. Wie ein natürlicher Filter wirkt die Anstrengung, die geleistet werden muss, um in den Genuss der "wahren" Alp zu kommen.

Besonders fragwürdig erscheint hier der Instagram-Trend, besonders interessante und beliebte Motive anderer Nutzer selbst zu wiederholen. Dabei wird der Algorithmus der Software genutzt, um die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen, denn wenn ein Bild mit einem bestimmten Motiv häufig angesehen wird, so finden es eventuell auch andere Menschen gut. Denkt zumindest die Software. So finden sich die Trollzunge in Norwegen, die Rue Crémieux in Paris oder der oberbayerische Eibsee gefangen in der Schleife der Nachahmer, deren Intention nicht das eigene Erleben ist, sondern die Erhöhung der eigenen Reichweite in der Welt der digitalen Bedeutungslosigkeit.

<p>Der Partnunsee mit Blick auf Wiss Platte und Schijenflue lockt mit einer Badepause.</p>

Der Partnunsee mit Blick auf Wiss Platte und Schijenflue lockt mit einer Badepause.

© Jana Erb

Der Duden beschreibt Erleben als "von etwas betroffen und beeindruckt werden; erfahren müssen oder können; mitmachen, durchmachen". All dies ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Sinneseindrücken oder Erfahrungen, deren Basis immer die Bereitschaft ist, sich etwas Neuem zu stellen. Dies bedeutet nicht, dass man niemals in den Fußstapfen anderer Reisender wandeln darf. Es zeigt vielmehr, dass die innere Bereitschaft des Menschen der Gradmesser ist, ob ein Erleben oder nur ein Nachleben stattfindet.

Bei einem Höhenweg kehrt man in der Regel nicht zum Ausgangspunkt zurück. Man verlässt den einen Ort und kommt an einem anderen Ort als anderer Mensch an. Reicher an Erfahrungen und Eindrücken. Wie viele vor uns, zogen wir durch eine Landschaft, die sich abhebt von der Welt zu Hause und die ihre Bewohner auf eine einzigartige Weise prägt. Man sagt, man kann den Älpler von der Alp holen, doch man bekommt die Alp niemals aus dem Älpler heraus.

Schweizerische Sommerfrische: Tour und Infos Prättigauer Höhenweg

Malerische Genusswanderung über grüne Almen und schroffe Grate. Beste Brotzeit am Partnunsee mit den Füßen im kühlen Nass. Wem die ersten Etappen zu leicht waren, der kommt auf den Etappen 3 und 4 auf seine konditionellen Kosten: Lange Wege und viele Höhenmeter sind der Preis für das Erlebnis in atemberaubender Kulisse.

Prättigauer Höhenweg

  • mehrtägige Wanderung, mittel bis schwer

  • 4 Tage 3650 Hm Aufstieg 3000 Hm Abstieg

  • BESTE ZEIT Juni bis September

  • AUSGANGSPUNKT Klosters Dorf, 1120 m

  • ENDPUNKT Malans, 567 m

  • ETAPPEN
    Etappe 1
    : Klosters Dorf – St. Antönien 8 Std. 1190 Hm 920 Hm Hier GPS-Track downloaden
    Etappe 2: St. Antönien – Carschinahütte 5 Std. 850 Hm 70 Hm Hier GPS-Track downloaden
    Etappe 3: Carschinahütte – Schesaplanahütte 7 Std. 600 Hm 910 Hm Hier GPS-Track downloaden
    Etappe 4: Schesaplanahütte – Malans 9 ½ Std. 1010 Hm 1100 Hm Hier GPS-Track downloaden

Text von Constantin Veitl

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