Ich habe kaum geschlafen, die ungewohnte Höhe, Vorfreude und wirre Träume hielten mich in einem unruhigen Dämmerzustand. Es klopft an die dünne Holztür meines einfachen Zimmers in unserer Lodge in Pangboche. Ein Blick auf die Uhr: 3.982 Meter, 03:30, 10. Mai. Geht es wirklich schon los?
Ich stehe auf, taumele, mein Kreislauf sackt ab, ringe um Luft, die dünn ist hier oben. Mühsam schlüpfe ich in meine Klamotten und erst zum weiten Mal während dieser Trekking-Tour ziehe ich auch meine schweren Bergstiefel an. Heute wird's ernst. Heute ist Gipfeltag. Ein Blick aus dem Fenster: Wolkenfrei, die Sterne funkeln am Firmament. Wohlige Schauer der Vorfreude. 5.300 Meter hoch ist der Vorgipfel des Taboche. Und den holen wir uns heute. Dem Himmel näher war ich seit zwei Jahren nicht.
Mit Stirnlampe tappen wir los. Bereits nach wenigen Metern wird das Terrain steil und gleichzeitig tauchen im fahlen Morgenlicht die umliegenden Berggipfel auf: die 6.000er Thamserku und Kantega in unserem Rücken sind mit ihrem schneebedeckten Haupt eine Augenweide, doch weit übertroffen werden sie von der einzigartigen Schönheit des Berges, der für mich der schönste ist, den ich je habe schauen dürfen: die Ama Dablam (Sanskrit: "Mutter und ihre Halskette"). Die 6856 Meter hohe völlig freistehende Pyramide ist der Archetyp eines Berges mit spektakulär steilen Wänden, messerscharfen Graten und eisig-glänzenden Hängegletschern, die das heller werdende Sonnelicht reflektieren.
Bald steigen wir in gleißendem Sonnenschein, die Angelegenheit wird schweißtreibend. Die 5.000 Meter Grenze passieren wir um 09:56 Uhr. Schon davor sind wir nicht eben schnell aufgestiegen, die Höhe macht jedem mehr oder weniger zu Schaffen. Spätestens jetzt wird der Aufstieg zur Qual. Schritt links, atmen, Schritts rechts, atmen. Druckgefühl im Kopf. Weiter, immer weiter. Die letzten zweihundert Höhenmeter werden auch technisch ein wenig anspruchsvoller. Wir verlassen den steil ansteigenden Pfad über einen Grashügel und kraxeln über Felsen und Steine.
Gegen 11:00 Uhr, nach sechseinhalb Stunden Aufstieg über 1.400 Höhenmetern, sind wir endlich am Gipfel. Gebetsfahnen wehen im Wind und der Rundumblick lässt mich erschaudern vor Glück.
360 Grad göttlicher Schönheit: Funkelnde, majestätische Eisriesen darunter auch das Lhotse-Massiv und der Sagamartha, besser bekannt als Mount Everest.
Alle Anstrengung, alle Entbehrungen der vergangenen Tage, sind vergessen. Das ist einer der Momente, für die wir diese Reise unternommen haben. Einer der Momente, für die wir in die Berge gehen.
Einer der Momente unseres Lebens, die wir nie vergessen werden.
Text und Bilder: Holger Rupprecht Video: Katja Findeis
Alle Artikel des Onlinetagebuchs "Auf den Spuren von Sir Edmund Hillary":
4. Artikel: Peter Hillary: "Wir sind hier noch nicht fertig"3. Artikel: Satellitenschüssel auf dem Rücken 2. Artikel: Zähneziehen für zwei Euro fünfzig1. Artikel: Auftakt in Kathmandu
Seit 1990 unterstützt Hauser aktiv die Sir Edmund Hillary Stiftung Deutschland durch großzügige Spenden für Infrastruktur-Projekte in Nepal. www.sir-edmund-hillary-stiftung-deutschland-ev.de
Der Nepalhilfe Beilngries kann auf 15 Jahre soziales Engagement im Königreich Nepal zurückblicken. Sie unterstützt Projekte, die Hilfe zur Selbsthilfe geben sollen: www.nepalhilfe.org