Klassiker in der Ortlergruppe

Auf die Königsspitze: Skihochtour im Banne ihrer Majestät

Die Königspitze gilt als einer der schönsten Berge der Ostalpen. Eine Majestät mit guter Figur – und dunkler Geschichte. Unsere Autorin erzählt von einer Beziehung, die vor 20 Jahren begann.

Auf die Königsspitze: Ski-Hochtour im Banne ihrer Majestät
© summit post

Skihochtour auf die Königsspitze: Ein Erlebnisbericht

Der Soldat steht am Gipfelgrat, kerzengerade wie sein Gewehr, das er seitlich neben sich positioniert hat. Viel Schnee, viel Horizont und darin die gefrorene Gestalt dieses jungen Mannes mit altem Gesicht. Er schaut direkt in die Kamera und in seinen Augen spiegelt sich das ganze Leid seines Lebens wider: die schreckliche Kälte, der beißende Hunger und die untrügliche Angst vor dem, was wohl noch kommen mag.

Dieser anklagende Blick des unbekannten Wachsoldaten auf der Königspitze hat sich mir tief ins Gedächtnis gebohrt. Damals war ich ungefähr so alt wie der Soldat und hatte die Fotografie auf einer Ausstellung über den Gebirgskrieg am Ortler gesehen – als wohlbehütete Gymnasiastin auf einem Schulausflug in Meran. Geschichtsunterricht mit Folgen.

20 Jahre später stehe ich dort, wo in etwa der Soldat gestanden hat: am Gipfelgrat der Königspitze auf 3850 Metern, ein paar Schritte vom Gipfel entfernt. Doch nicht das in der Sonne funkelnde Kreuz oder der gewaltige Ortler im Norden oder der zahme Cevedale im Süden ziehen meine Blicke auf sich, sondern die verfallene Holzbaracke, die wie ein Mahnmal auf der Nordseite des Grates aus dem Schnee ragt.

<p>Traum von einem Berg: Die Königspitze.</p>

Traum von einem Berg: Die Königspitze.

© Kenyai/flickr.com/commons.wikimedia.org

Die Königspitze: Bewegte Geschichte

Drumherum bizarr drapiert Stacheldrahtverhau bis vor meine Steigeisen. Wie die Wolkenfetzen vom Gletscher hochziehen, taucht das Gesicht des Soldaten vor mir auf. Übrigens ein Italiener, denn die Königspitze war von den Tifosi besetzt, der benachbarte Ortler von den Tirolern – die höchstgelegene Kriegsfront, die es bis dato gegeben hat.

Nicht einmal hundert Jahre liegen zwischen ihm und mir, und doch ist sein Schicksal unvorstellbar weit entfernt. Damals wütete in Europa der Erste Weltkrieg, heute lebe ich ganz selbstverständlich in einem vereinten Europa. Damals war die Ausrüstung gelinde gesagt katastrophal, heute stehe ich ganz selbstverständlich mit Daunenjacke, Leichtsteigeisen, Eisgerät und Gurt am Gipfel und gehe fröhlich meiner Freizeitbeschäftigung nach.

<p>Die Hintergrathütte mit Königspitze im Hintergrund.</p>

Die Hintergrathütte mit Königspitze im Hintergrund.

© IMAGO / Westend61

Beim Abstieg und einem letzten Blick auf den Soldatenunterstand kommt mir ein Satz von Richard Goedeke ins Gedächtnis: "Wenn wir die Geschichte der Routen denn kennen, erschließen sich unterwegs zusätzliche Dimensionen des Erlebens."

Das stimmt. Die Königspitze hat eine sehr bewegte Geschichte und nicht zuletzt hat diese Geschichte mich bewogen, diesen wundervollen Gipfel zu besteigen. Dabei noch das Glück zu haben, dass bei besten Bedingungen keine andere Seilschaft an diesem Tag an der Königspitze unterwegs ist, lässt mich fast demütig werden. Einziger klitzekleiner Wermutstropfen: Für die Abfahrt über die Flanke liegt etwas zu wenig Schnee. Wohl eher ein Luxusproblem …

Über den Normalweg auf die Königspitze

Der Normalweg über die Südseite ist ja nun nicht gerade ein Geheimtipp, aber hier bewahrheitet sich einfach der Spruch "zur richtigen Zeit am richtigen Ort". Und das ist in Sachen Königspitze immer früher im Jahr, wie auch der Hüttenwirt der Pizzinihütte, Claudio Compagnoni, bestätigt: "Früher ist die Königspitze meist erst April und Mai bestiegen worden, heute hat man im März häufig die besten Bedingungen."

<p>Ausgangspunkt der Tour: Das Rifugio Pizzini.</p>

Ausgangspunkt der Tour: Das Rifugio Pizzini.

© Svícková/commons.wikimedia.org

Der Klimawandel lässt grüßen. Früher war die Nordwand der Königspitze vollständig vereist, das brüchige Kalkgestein darunter war vom Eis bedeckt. Auch an den Graten, wo heute auf langen Passagen in losem Schutt geklettert werden muss, fanden die Erstbegeher schönste Firnschneiden vor.

Dazu plagen hausgemachte "Probleme" das berühmteste Dreigestirn der Ostalpen Ortler - Zebru - Königspitze: Die nördlich gelegenen Zentralalpen schirmen die Ortlergruppe von den aus Nordwesten heranströmenden Wetterfronten ab. Dies führt dazu, dass in der Region allgemein recht wenig Niederschlag fällt.

Früh im Jahr ist deshalb die 400 Meter hohe und teilweise 45 Grad steile Flanke schneebedeckt, weder Blankeis noch Steinschlag muss man fürchten. Deshalb sperrt Compagnoni seine Türen je nach Wetter, Lust und Schneemenge bereits Anfang März auf.

Wer sich auch in Bayern austoben will, findet hier sieben Skitourentipps:

Internationales Publikum am Gran Zebrù

Der Skilehrer aus Bormio führt die Hütte in der dritten Generation und ist sozusagen unter der Königspitze aufgewachsen. Wie auch sein Bruder Luigi, der mit dem Vater, einem Bergführer, bereits im zarten Alter von vier Jahren auf dem Gipfel der Königspitze gestanden hat. Claudio zeigt zum Beweis mit dem Finger auf ein gerahmtes Foto, das neben dem Tresen hängt.

Und tatsächlich, da steht lachend ein Dreikäsehoch am Gipfelkreuz der Königspitze. Ich bin beeindruckt. Genauso wie die übrigen Gäste auf der Hütte. Eine bunt gemischte Truppe aus aller Herren Länder: drei wilde Tschechen, die an der Südwand die Route "Ghost Zebru" (V A1, 95 Grad) auf ihrem Wunschzettel stehen haben, ein Südtiroler Bergführer mit seinem Wiener Gast, die mit Ski auf den Cevedale aufsteigen wollen, ein Allgäuer Bursche, der allein unterwegs ist und sich morgen mal die "Königspitze aluaga" will, und wir zwei, mein Mann Gordon und ich.

<p>Blick auf den Gipfel der Königspitze im Sommer.</p>

Blick auf den Gipfel der Königspitze im Sommer.

© IMAGO / Ulrich Wagner

Für all das "Beeindrucktsein" schenkt Wirt Claudio seiner kleinen Bergsteigerschar einen aus: "Jetzt kriagt’s an Braulio, das ist der beste Kräuterlikör der Welt und der wird hier bei uns in Bormio hergestellt." Wir stoßen an und in diesem Moment denke ich an den Soldaten, "meinen" Soldaten ohne Namen.

Ich muss lächeln und schätze mich unendlich glücklich, dass drei Tschechen, ein Italiener, ein Österreicher und drei Deutsche gemeinsam und friedlich an einem Tisch sitzen und sich alles Gute zuprosten - wie eine große europäische Familie. Was für ein Geschenk!

Alle Infos zur Skihochtour auf die Königspitze (3851 m)

Anspruchsvolle Mixed-Tour, je nach Bedingungen und fahrerischem Können ist die Skiabfahrt über die 45-Grad-Flanke möglich.

  • Schwierigkeit: Skihochtour, schwer

  • Höhenmeter: 1150 Hm

  • Gesamtzeit: 6 Std.

  • Beste Zeit: Februar bis Mai.

  • Ausgangspunkt: Pizzinihütte, 2706 m.

  • Route: Von der Pizzinihütte in nordöstlicher Richtung zum Gran- Zebru-Gletscher. Links vorbei an auffälliger Felsinsel (3045 m) zur Steilrinne links vom Königsjoch und mit Ski (je nach Verhältnissen) bis knapp unterhalb des Jochs, Skidepot. Weiter mit Steigeisen auf die untere Schulter (3460 m) und von dort links die 40 Grad steile Flanke geradeaus nach oben zur sogenannten Oberen Schulter, dann im Rechtsbogen steil zum scharfen Ostsüdostgrat des Berges (Firngrat, auf Wechten achten!) und über ihn steil (45 Grad) zum großen Gipfelkreuz auf 3851 m.

  • Tipp: Wer einen Tag mehr Zeit zur Verfügung hat, sollte unbedingt zur Akklimatisation den Cevedale (3769 m) anvisieren. Er ist von der Pizzinihütte gut erreichbar und man hat vom Gipfel eine beeindruckende Aussicht auf die Flanke der Königspitze und die dortigen Verhältnisse.

<p>Übersichtskarte der Skihochtour auf die Königspitze.</p>

Übersichtskarte der Skihochtour auf die Königspitze.

© ALPIN

Infos zu Hütten, Bergführer und Ausrüstung

Eine Schönheit, die ihren Preis hat: Die Besteigung der Königspitze über den Normalweg geht weit über eine normale Skitour hinaus. Alpine Erfahrung wie auch der sichere Umgang mit Steigeisen und Pickel sind Grundvoraussetzung.

  • Anreise: Über Fernpass und Landeck ins Engadin bis nach Zernez. Weiter über Livigno und Bormio nach Santa Caterina im Valfurva und auf schmaler Bergstraße zur Fornihütte (2180 m), Parkplatz.

  • Info: Consorzio Tourisport, santacaterina.it

  • Hütte: Rifugio L. E. Pizzini- Frattola, 2706 m, CAI Mailand, geöffnet März bis Mai und Juni bis September; rifugiopizzini.it

  • Bergführer: Alpinschule Ortler; alpinschule-ortler.com

  • Literatur: Wolfgang Pusch: Ortler. Bergverlag Rother, 2004, leider nur antiquarisch erhältlich.

  • Karte: Tabacco, 1: 25 000, Blatt 8, Ortles - Cevedale

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