Rekordversuch der Norwegerin: Eure Meinung!

Eher Flop als Top: Eure Meinung zu Kristin Harila!

Oscar-verdächtig oder komplett fragwürdig? Die Leistungen von Kristin Harila werden in der Szene kontrovers diskutiert. ALPIN hat bei Höhenbergsteigern und Kennerinnen der Szene wie Ralf Dujmovits, Lukas Furtenbach, Tamara Lunger, Billi Bierling und Stefan Nestler nachgefragt und Statements zu Harilas Besteigungen eingeholt. Auch unsere Leser haben wir nach ihrer Meinung gefragt und sie haben zahlreich geantwortet!

Kristin Harila: Das sagt die Szene zu ihrem Rekordversuch
© Kristin Harila

Kristin Harila und die 8000er: Das denken unsere Leser

Wir haben Größen aus der Berg- und Kletterszene zu ihrer Meinung befragt (siehe weiter unten), aber auch euch: 577 Teilnehmer haben bisher (Stand 24.07.2023) an unserer Umfrage teilgenommen. Dafür ein großes Dankeschön!

410 Stimmen (71%) lehnen diese Art von Rekordversuch ab, 115 Leser (20%) respektieren die Leistungen von Kristin Harila, 52 Stimmen (9%) finden das Thema uninteressant. Wir haben einige der vielfältigen Kommentare hier zusammengefasst. Alle weiteren findet ihr unten in den Beitragskommentaren!

Unter den Kommentaren gehen die Stimmen ebenso auseinander. Während Leser Martin von "Achttausender-Prostitution" spricht, versteht ein anderer Kommentator "das Theater und die Kritik überhaupt nicht! Harila ist total transparent und sympathisch bescheiden. Nims wurde nicht ansatzweise so hart kritisiert, im Gegenteil."

Gerade die Herangehensweise mit Flaschensauerstoff anstatt die Berge wie angekündigt ohne Hilfsmittel zu besteigen sorgt für Kritik: Ein Leser fordert "Richtlinien für sauberes Expeditionsbergsteigen. Vor allem ohne diesem Sauerstoff-Wahn."

Auch der logistische Aufwand und der Anflug in die Basecamps per Helikopter wird von vielen Lesern negativ gesehen: "In der heutigen Zeit, in der sich vieles um Nachhaltigkeit und die Klimakrise dreht ist dieser Begehungsstil sehr in Frage zu stellen." Unser Leser Markus formuliert seine Kritik folgendermaßen: "Wir reden immer davon möglichst wenig Fusabdruck in den Bergen hinterlassen zu wollen und die Natur zu schätzen mit solchen Versuchen wird das genaue Gegenteil passieren. Die Leute wollen immer mehr auf Kosten der Natur. Das fängt im kleinen an wenn immer mehr eBikes in unseren heimischen Bergen unterwegs sind und endet mit reichen und Sponsoren die Respektlos durch Geld mit solchen Versuchen Sinnlos Ressourcen verschwenden um selbst medial gut dazustehen."

<p>Kristin Harila in Kathmandu im Mai 2023</p>

Kristin Harila in Kathmandu im Mai 2023

© picture alliance

Ein großer Kritikpunkt ist auch die alpinistische Leistung: "Es ist zwar eine riesige persönliche Energieleistung - alpinistisch steckt da aber keinerlei Weiterentwicklung drin. Keine neuen Routen, keine wirklich neuen Milestones..... Nachfolger bewegen sich dann auf bereits getretenen Pfaden: der alpinistische Mehrwert ist aber kaum sichtbar."

Harila möchte mit ihrem Rekord auch die Leistung von Frauen in den Vordergrund rücken, das wird jedoch nicht von allen weiblichen Lesern positiv bewertet: "Auch, dass sie dies machen möchte um Frauen zu stärken und um ihnen eine Plattform zu geben, halte ich für eine Ausrede und ist für mich als Frau keine Begründung. Ich kann mich mit so einer Frau nicht identifizieren. Da sehe ich z.B. Gerlinde Kaltenbrunner eher als starke Frau, von der ich etwas erfahren und lernen möchte." Leserin Tina empfindet dies jedoch ganz anders: "Es ist ganz klar eine neue Form des Bergsteiges aber die Leistung ist körperlich wie mental herausragend, go girl!"

Inwiefern Leistungen wie die von Kristin Harila überhaupt mit bisherigen Rekordversuchen vergleichbar ist, ist ebenfalls ein zentrales Thema in den Kommentaren unserer Leser: "Wie bei einer Bigwall-Speed-Begehung, gelten hier andere Regeln. Es ist wie im Artikel gesagt, eine neue Disziplin. Es macht für mich keinen Unterschied ob hunderte Leute auf den Everest rennen, bzw sich hoch helfen lassen, oder eine Person das 14mal macht. Die Aktion ist für mich schon, sportlich gesehen, herausragend und eine super Leistung. Ethisch natürlich komplett verwerflich. Aber das sind für mich 90% aller 8000er Besteigung."

Ein weitere Kritikpunkt war auch der Spendenaufruf der letzten Woche. Unser Leser Ronald: "Ich denke,dass Spenden an z.B. Ärzte ohne Grenzen oder Brot für die Welt wesentlich sinnvoller sind, als für eine rekordsüchtige, narzisstische Alpinistin." Auch unsere Leserin Monika sieht das Projekt kritisch: "In Zeiten wo auf der Welt immer mehr Menschen hungern, ist so ein Projekt vollkommen überflüssig. Es dient nur dem eigenen Ego. Auf die Idee, diesen Rekordversuch mit einem Spendenaufruf für ein soziales Projekt zu verbinden ist die Dame nicht gekommen. Egoismus pur."

Alle weiteren Kommentare findet ihr unten in den Beitragskommentaren!

<p>Kristin Harila in Kathmandu im Mai 2023</p>

Kristin Harila in Kathmandu im Mai 2023

© picture alliance

Kristin Harila: Worin ist die Kritik begründet?

Die Norwegerin Kristin Harila sorgt derzeit für jede Menge Gesprächsstoff in der Szene. Harila möchte alle 14 Achttausender in möglichst kurzer Zeit besteigen und hat für die 14 Gipfel gerade mal 92 Tage gebraucht. Dass das nur mit einem großen Team und aller erdenklichen Unterstützung erfolgen kann, klingt vor dem Hintergrund dieser Geschwindigkeit selbstverständlich.

Ein großes (Sherpa)-Team hilft Harila bei ihren 8.000er Besteigungen: Camp-Aufstellen, Spurarbeit, Routenfindung ... Harilas verwendet Flaschensauerstoff und nutzt Helikopter, um in die jeweiligen Basislager zu fliegen. Alles schon mal da gewesen, aber in dieser Intensität wohl bis dato nur bei Nirmal Purja, der 2019 alle 8.000er (Kritiker sprechen nur von 12 erreichten Hauptgipfeln) innerhalb von 189 Tagen bestieg. Sollte es bei Harilas Vorhaben in diesem Jahr stimmen, dass Teams auch in Hochlager geflogen werden, um eine Spur von dortbergab zu legen und somit Harila den schnellen Aufstieg zu ermöglichen, wäre eine neue Dimension der Unterstützung am Berg erreicht. In der Szene ist die Meinung über Harila und ihr Tun am Berg gespalten. Es übwerwiegt die Kritik, aber es gibt durchaus auch Fürsprecher. Einen Vergleich mit anderen Frauen, die bisher alle Achttausender bestiegen haben, vor allem mit Gerlinde Kaltenbrunner, der dies ohne Flaschensauerstoff gelang, hält man jedoch unisono für nicht angebracht.

Dass Harila das drauf hat, was sie ankündigt, hat sie letztes Jahr gezeigt, als sie in kurzer Zeit 12 der 14 Achttausender bestiegen hat und nur mangels fehlender Genehmigungen für die zwei chinesischen Gipfel ihre Sammlung nicht komplettieren konnte. 

Als Nirmal (Nims) Purja 2019 den "neuen" 8000er-Rekord aufstellte (alle 8000er in sechs Monaten und sechs Tagen), war klar, dass bald jemand kommt, der diesen Rekord knacken will. Und dass sich bei vielen Berg-Rekorden die Protagonisten perfekte Rahmenbedingungen organisieren, ist auch in den Alpen usus. Da werden Spuren gelegt und Sicherungen angebracht, damit der "Athlet" dann schnell und medienwirksam durch die Bergwelt sprintet. Kommuniziert wird das meist nicht.

Was Harila tut, ist eine komplett neue Form des Bergsteigens. Es ist kein Erkunden, kein Entdecken. Aber es ist ganz sicher eine enorme sportliche und mentale Leistung. Bei Nims hat sich erstaunlicherweise kaum jemand über den Stil aufgeregt (trotz Heli und Sauerstoff). Sogar Reinhold Messner hat lobende Worte für ihn gefunden. Daher erstaunt machen die Heftigkeit der Kritik, die von einigen Seiten geäußert wird.

ALPIN hat mit Größen aus der Szene gesprochen. Ihre Statements haben wir hier exklusiv und ungekürzt für euch zusammengetragen:

Billi Bierling: Ich verstehe die Kritik an Harila nicht

"Kristin Harila hat in den letzten Wochen erreicht, was ich eigentlich für unmöglich gehalten hatte. Seit ihrer Shishapangma-Besteigung am 26. April 2023 erreichte sie tatsächlich jeden Gipfel, den sie sich vorgenommen hatte. Selbst am Kangchenjunga, an dem sich dieses Jahr fast alle Bergsteiger:innen verstiegen, fanden ihre Sherpas und sie nach mehreren Versuchen den richtigen Weg und erreichten den Gipfel. 

Zwischen ihren Besteigungen kam sie immer wieder nach Kathmandu zurück. Sie war offensichtlich sehr müde und musste teilweise im Krankenhaus wegen Dehydrierung oder Magenverstimmung behandelt werden. Ihre körperliche Leistung ist unglaublich, und mir ist es ein Rätsel, wie sie das physisch und psychisch wegsteckt. 

<p>Billi Bierling, Vorsitzende der Himalayan Database und selbst Achttausender-Frau.</p>

Billi Bierling, Vorsitzende der Himalayan Database und selbst Achttausender-Frau.

© picture alliance / Angelika Warmuth

Die Art wie Kristin und ihre Sherpas die hohen Berge besteigen, hat nichts mehr mit Alpinismus beziehungsweise der Ethik im klassisch-alpinistischen Stil zu tun - aber es passt in unsere Zeit. In einer Zeit, in der die Menschen zu den Basislagern fliegen und sich danach aus höheren Lagern abholen lassen, um sich dann trotzdem als große Besteigen:innen feiern zu lassen. Bergsteiger:inn, die nicht viel über die Geschichte der Berge, die sie besteigen wissen oder keine Ahnung haben, über welche Route sie aufgestiegen sind. Die bereits im Basislager Flaschensauerstoff nutzen und bergsteigerisch wenig bis sehr wenig Erfahrung haben - da ist Kristins Besteigungsstil doch eigentlich nichts außergewöhnliches, oder?

Ich verstehe nicht, warum wir alles darum geben, sie zu kritisieren oder niederzumachen. Ich habe Kristin ein paar Mal getroffen und ich schätze sie als Menschen. Sie ist reflektiert und macht keinen Hehl daraus, dass sie müde ist und dass sie eigentlich am liebsten mit ihrem Partner Jens nach Norwegen gehen und ein ’normales’ Leben führen würde. Aber sie ist auch entschlossen, ihren Rekord aufzustellen. Ohne solch eine Entschlossenheit würde sie ihr Ziel nie erreichen können.

Nims hat diesen Trend begonnen, er hat neue Dimensionen und Parameter gesetzt und wird heute noch als Held gefeiert. Es gibt Stimmen, die sagen, dass er ja den Rekord eigentlich nicht gebrochen hat, da er weder am Manaslu noch am Dhaulagiri 1 am höchsten Punkt stand, aber im Großen und Ganzen ist das nicht relevant - er hat diesen ersten Rekord aufgestellt und dafür wird er gelobt und verehrt und verdient mit seinem Ruhm viel Geld. 

Im Vergleich dazu wird Kristin kritisiert und heruntergemacht. Warum ist das so? Weil sie eine Frau ist? Weil sie nichts Neues macht? Sie hat sehr viel Unterstützung, aber das hatte ich bei meiner Everest Besteigung im Jahr 2009 auch. 

Ich hatte - wie die meisten Besteiger:innen - Flaschensauerstoff, einen persönlichen Sherpa, der mir sogar half meine Sauerstoffflaschen zu wechseln und mich zum Gipfel begleitete, jemand, der mir die Zelte in den Hochlagern aufgestellt hat, usw.. Trotzdem kommen die Menschen heute noch zu mir und sagen “Toll Billi, du warst auf dem Mount Everest. Das ist schon sehr beeindruckend.” - da muss ich mich schon fragen, wieso Kristin, die eigentlich nichts verbirgt, dafür so kritisiert wird."

Ralf Dujmovits: Kristin könnte alle Achttausender ohne Sauerstoff erreichen

"Die Regeln beim Speed-Bergsteigen waren bisher relativ klar: von einem definierten Startpunkt in schnellstmöglicher Zeit zum Gipfel eines Berges aufzusteigen. Bei der umweltverachtenden Speed-Variante‚ '14x8000er-Peak-Bagging' sind die Vorgaben, die Kristin Harila von ihrem Vorreiter Nirmal Purja (aka Nimsdai) übernommen hat, völlig offen:

  • Wie viele unterstützende Sherpas und Sauerstoffflaschen dürfen zum Einsatz kommen?

  • Ab welcher Höhe darf Sauerstoff eingesetzt werden?

  • Wie viele Liter Sauerstoff können pro Minute genutzt werden?

  • Wie viele Helikopter-Flüge zum Transport des Protagonisten, der Support-Sherpas und des Materials dürfen genutzt werden?

  • Bis in welche Höhe können Sherpas und Material abgesetzt werden?

  • Dürfen die Routen – nach Heli-Transport der Sherpas in die Hochlager  – von oben nach unten gespurt werden?

<p>Ralf Dujmovits, der 16. Mensch und bisher einzige Deutsche, der alle 14 8000er bestiegen hat.</p>

Ralf Dujmovits, der 16. Mensch und bisher einzige Deutsche, der alle 14 8000er bestiegen hat.

Zusammen genommen eine völlig schwachsinnige Aneinanderreihung von unsportlichen "Regeln", die alle mit Bergsteigen nur am Rande zu tun haben. Regeln, die die Geschwindigkeit des Sportlers massiv beeinflussen, ohne dass er/sie deshalb der bessere Athlet wäre.

Schade, dass Kristin Harila dieses 8000er-Peak-Bagging betreibt. Sie hätte die Ausdauer und das Durchhaltevermögen, die Leidensfähigkeit und inzwischen sicher auch das technische Können die 8000er ohne Zusatzsauerstoff und ohne Sherpa-Hilfe zu besteigen. Wozu sie (und jeder andere) aber mehrere Jahre benötigen würde. Leider versucht Kristin unter dem für mich fadenscheinigen Deckmantel "Frauen zu inspirieren und zu demonstrieren, diese seien genauso stark wie Männer" eine Leistung zu erbringen, die absurd ist und die die wenigsten – mangels Kenntnissen um höhenrelevante Zusammenhänge – korrekt einordnen können.

Mit der massiven Unterstützung von Sherpas (alles Männer) und Flaschensauerstoff korrumpiert die sympathische Norwegerin jedoch genau die erhoffte Inspiration für andere, insbesondere für Insider. Die meisten ihrer Follower haben – so interpretiere ich zumindest die Kommentare ihrer Follower auf Instagram – kaum Ahnung vom Höhenbergsteigen, vom Einsatz von Zusatzsauerstoff oder was es wegen des eklatanten Muskelabbaus für einen Unterschied bedeutet ohne Zusatzsauerstoff mehrere 8000er in Folge zu besteigen.

Was dieses aberwitzige Auf- und Ab aber erst richtig zum Trauerspiel macht, ist die Tatsache, dass Kristin Harila trotzdem Alpin-Historie schreiben wird. Sie wird mit ihrem CO2-Fußabdruck als größter bergsteigender Umweltschmutzfink in die Geschichte des Höhenbergsteigens eingehen und zusätzlich jegliche Gedanken an naturliebende und umweltschützende Bergsteiger ad absurdum führen."

Gerlinde Kaltenbrunner: Das ist eine andere Disziplin des Bergsteigens

<p>Gerlinde Kaltenbrunner, erste Frau, die alle 14 Achttausender ohne Zuhilfenahme von zusätzlichem Sauerstoff und ohne Unterstützung  von Hochträgern erreicht hat.</p>

Gerlinde Kaltenbrunner, erste Frau, die alle 14 Achttausender ohne Zuhilfenahme von zusätzlichem Sauerstoff und ohne Unterstützung von Hochträgern erreicht hat.

"Es hat für mich mit dem Höhenbergsteigen, wie wir es praktiziert haben und es auch von Einzelnen immer noch praktiziert wird, so gar nichts mehr zu tun und auch die Herangehensweise zu Expeditionen, das befassen und sich verbinden mit dem Berg unterscheidet sich. Es ist einfach eine ganz andere Disziplin und daher möchte ich von meiner Seite auf das Unterwegssein von Kristin Harila nicht weiter eingehen, es bewerten und schon gar nicht vergleichen – dafür bitte ich um Verständnis."

Lukas Furtenbach: Kristin besteigt jeden Berg vom Basecamp bis zum Gipfel

"Ich bin ein großer Befürworter von Toleranz im Bergsport (und nicht nur da). Deshalb akzeptiere ich den von ihr gewählten (und offen kommunizierten) Stil für ihren Rekordversuch. Ich würde mir wünschen, dass sie mit ihrem Team alle 14 Achttausender in drei Monaten schafft. Und danach wünsche ich mir, dass Reinhold Messner dieselben lobenden und anerkennenden Worte ohne auch nur einen Hauch von Kritik für sie findet, wie er sie für Nirmal Purja gefunden hat, als dieser zwölf Hauptgipfel und zwei Vorgipfel der 14 Achttausender im selben Stil aber mit einem noch größeren Supportteam in knapp sieben Monaten bestiegen hat.

<p>Lukas Furtenbach, Veranstalter und Leiter von zahlreichen Expeditionen und Gründer von Furtenbach Adventures.</p>

Lukas Furtenbach, Veranstalter und Leiter von zahlreichen Expeditionen und Gründer von Furtenbach Adventures.

Sowohl Nims als auch Kristin, haben gezeigt, welche Leistungen beim Höhenbergsteigen mit heutigen Mitteln und moderner Expeditionslogistik möglich sind. Ob man das gut oder schlecht findet, sei jedem selbst überlassen. Offensichtlich gibt es ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung, um solch kostspielige Projekte mit Sponsorengeldern zu finanzieren.

Ein historischer Vergleich - Reinhold Messner hat 18 Achttausendergipfel (davon bei zweien nur den Vorgipfel) in 16 Jahren bestiegen. Kristin macht gerade 28 Achttausendergipfel in 26 Monaten. Und bei aller Kritik, die ihr und ihrem Stil entgegenweht – sie geht bei jedem einzelnen der 28 Achttausender selbst vom Basecamp zum Gipfel und wieder hinunter. Jeder der schon einmal auf einem Achttausender war, weiß, wie man sich danach fühlt - auch mit zusätzlichen Sauerstoff. Das ganze 28-mal ohne wirkliche Pause zu wiederholen, braucht eine enorm hohe Motivation."

Tamara Lunger: Ich bin für Freiheit in den Bergen

"Ich bin ja immer für die Freiheit in den Bergen. Grundsätzlich kann jeder das machen, was er will. Mein Stil ist das nicht. Aber das muss er auch nicht sein. Ich versuche immer alles zu respektieren.

Natürlich macht Harila gerade etwas sehr Großes, das steht außer Frage. Und sicherlich hat das auch bei den Frauen einen sehr hohen Anklang, aber wie das immer so ist: Was interessiert ist immer nur der Gipfel, aber all der Rest ist für Nichtbergsteiger:innen nicht nachvollziehbar, was ich immer schade finde.

<p>Tamara Lunger, Extrembergsteigerin, die mit Simone Moro einige Acht­tausender bestiegen hat.</p>

Tamara Lunger, Extrembergsteigerin, die mit Simone Moro einige Acht­tausender bestiegen hat.

Und natürlich würde ich mir wünschen, dass die Menschen allgemein in den Bergen ein bisschen mehr naturverbunden sind, weil ich meine, wir gehen an (aus meiner Sicht) heilige Plätze. Was dann leider oft im Vordergrund steht, ist das Ego, die Community, die Selbstdarstellung, aber nicht das Erlebnis in der Natur, die Verbundenheit dazu und zu sich selbst."

Stefan Nestler: Ich respektiere Kristin Harilas Leistung

"Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: "Kristin Harila pulverisiert Achttausender-Weltrekord" oder "Norwegische Powerfrau ist die neue Achttausender-Queen". Und die meisten werden schwer beeindruckt sein: "Alle 14 Achttausender in nur drei Monaten? Wow, was für eine unvorstellbare Leistung!" 

Die Schlagzeile bleibt eben im Gedächtnis, die Details im zweiten und dritten Absatz interessieren die breite Masse nicht mehr, wenn sie denn überhaupt erwähnt werden: Dass die Norwegerin teilweise mit sechs Sherpas unterwegs war, dass alle Flaschen­sauerstoff nutzten, dass sie auf den Normalrouten aufstiegen, dass Hubschrauber im Einsatz waren, um Material in die Hochlager zu bringen.?

<p>Stefan Nestler, Bergsteiger aus Leidenschaft und Sportredakteur bei der Deutschen Welle.</p>

Stefan Nestler, Bergsteiger aus Leidenschaft und Sportredakteur bei der Deutschen Welle.

Nach unbestätigten Informationen wohl auch, um Sherpas dort abzusetzen, die die Spur nach oben und unten (!) traten – all das wird von den reißerischen Schlagzeilen überlagert, verdrängt, verschluckt werden. Und trotz Klimakrise wird kaum jemand die Frage stellen, welchen ökologischen Fußabdruck eine solche Aktion erzeugt. Oder auch, ob das Achttausender-Bergsteigen dadurch nicht bagatellisiert wird: dass der Eindruck erweckt wird, dass es für jede oder jeden möglich ist, die höchsten Berge der Welt zu besteigen, wenn man nur für die richtigen Rahmenbedingungen sorgt.

Ich respektiere Kristin Harilas Leistung. Wenn sie nicht körperlich stark wäre und neben Ausdauer auch sehr viel Entschlossenheit besäße, könnte sie die Strapazen nicht bewältigen. Auch in ihrem Stil ist das Achttausender-Bergsteigen alles andere als ein Sonntagsspaziergang. 

Ich werde mich nur nicht von dem grassierenden Rekordfieber anstecken lassen. Rekorde in den Bergen sind für mich schlichtweg Unsinn, weil es dort so gut wie nie identische Bedingungen gibt. Diese können sich von Minute zu Minute zu ändern. Außerdem sind Leute in völlig unterschiedlichen Stilen unterwegs. So lässt sich eine Achttausender-Besteigung auf der Normalroute, mit Flaschensauerstoff und sechs Sherpas als Unterstützung nicht vergleichen mit einer Solobegehung ohne Atemmaske auf selten oder nie begangener Route.

Von mir aus kann Kristin Harilas schnellste Zeit im Abhaken der 14 höchsten Berge der Welt – sollte es dazu kommen – im Guinness-Buch der Rekorde landen, aber bitte nicht in Auflistungen alpinistischer Pioniertaten. Dorthin gehört auch nicht die Achttausender-Jagd 2019 des Nepalesen Nirmal Purja, der mit sechs Monaten und sechs Tagen wohl nicht mehr lange die "Bestzeit" halten wird. 

Purja und jetzt Harila demonstrieren lediglich, was möglich ist, wenn man die Mittel des kommerziellen Expeditionsbergsteigens auf die Spitze treibt: Man schart ein Team extrem leistungsfähiger Sherpas um sich, optimiert Zeitmanagement, Material und – nicht zu vergessen – die Infrastruktur, und schon kann die Jagd beginnen. Mich erinnert das ein wenig an die Formel 1, wo das beste Auto, der beste Ingenieur und das beste Technikerteam bei der Titelvergabe eine beinahe wichtigere Rolle als der beste Fahrer spielen.

Das Bergsteigen als Sport macht damit eher einen Rückschritt. An die Stelle des Abenteuers, zu dem ganz wesentlich der ungewisse Ausgang gehört, tritt das durchkalkulierte Projekt. Das wiederum macht es für Sponsoren interessant, denn vermarkten lassen sich Erfolge nun einmal besser als Fehlschläge.

Im echten Alpinismus dagegen ist das Scheitern mehr Regel als Ausnahme, weil es darum geht, phantasievoll Grenzen zu verschieben, bisher Ungewagtes zu wagen, neue Routen zu eröffnen, sportlich und stilistisch neue Maßstäbe zu setzen. Und Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Bei Kristin Harilas Achttausenderjagd geht es nur darum, eine Zeit zu unterbieten."

Wie ist eure Meinung zu Kristin Harilas 8.000er-Rekordversuch?

Ein respektabler Rekordversuch oder ein alpinistisch und/oder ökologisch fragwürdiges Unterfangen? Wir wollen's von euch wissen: Stimmt hier mit ab und hinterlasst einen Kommentar!



Infos, Daten, Fakten zu den höchsten Bergen dieser Erde in unserer Fotogalerie der 14 Achttausender:

93 Kommentare

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Eisbubi

Wo bleibt der Respekt vor der Natur. Nicht besteigen ist doch viel grösser.

Yeti

Stein und Eis hat mehr Anstand und Würde als der Mensch dieser Tage. Diese sinnlose Dummheit dient alleine dem Profit Einzelner und zeugt von einer verrohten Gesellschaft vor dem Absturz.

abraxas60

M.E. TRAURIG!

S. Nestler und G. Kaltebrunner beschreiben die Situation m.E. treffend.

Bergprofi Michi Wohlleben beschreibt (2022 in ALPIN) bezeichnend den heutigen, gesponserten, Influencer:innen-Zeitgeist innerhalb des Hochleistungskommerz im Verhältnis zur diametralen Gegenseite des alpinistischen Athletentum:


.... "Natürlich gibt es den ein oder anderen Sponsor, dem das nicht so gefällt, der gerne hätte, dass mindestens ein Post pro Monat kommt. Aber das bin nicht ich, ich bin kein Influencer. Ich finde unglaublich, wie stark die Grenzen in letzter Zeit verschwimmen zwischen dem Influencertum und dem Athletentum. Letztendlich bestimmt nicht mehr die Leistung der Profis, sondern die Klickzahlen und Likes, was interessiert und was wichtig ist." ...


M.E. Wunderbar auf den Punkt gebracht. - Das gilt nun leider wohl auch für das Höhenbergsteigen a la Hariba, deren andersartige Leistung dennoch zu repektieren ist, aber bitte dann in einer anderen Kategorie .

P.S. Bei E. Jurgalski (8000ers . com) ist K. Harila nun sogar die erste Frau mit allen 8000er Ersteigungen; Anmerkung: mit Hubschraubern, planierten Wegen, Sherpatruppe und Flaschensauerstoff ....

M.E. muss sich die UIAA dringend mit dieser neuen Ethik im (weltweiten) Bergsteigen beschäftigen, denn ansonsten gibt es keine echte Zukunft für das Leistungs(höhen)bergsteigen; das sind zwei Sparten: Leistungs(höhen)bergsteigen und medienorientiertes Influencer:innentum ...

Seifeld

Ich verstehe diesen Drang nach Rekordleistung nicht! WARUM? Solche Menschen sehen nur den Ruhm; sie sehen keine Pflanze, keinen Menschen, keine Schönheit um sich herum. Sie denken nur an sich!
Die Leistung ist enorm. Das steht außer Frage!
Aber sie führt zu nichts. Was bringt sie der Menschheit?
So viel Energie verschwendet! Diese Energie hätte gut an anderer Stelle genutzt werden können.
Schade drum ...

HENDRIK

Letzter Nachtrag

Es war, im wahrsten Sinne des Wortes, eine von Frau Harila perfekt inszenierte „Rocky-Horror-Picture-Show“ mit einem Toten als Zusatzhorror. Dass sie noch weiterhin als Werbeikone gehandelt wird, ist geradezu grotesk. Eine Uhr von Bremont käme mir selbst geschenkt nicht mehr um‘s Handgelenk…

Rick

Bergsteigen wird zur Geldmaschine. Es wird viel von Natur und Heiligkeit gesprochen. Scheinheiligkeit würde besser passen.

Der Sagarmatha ist eine Müllhalde- wie kann man das zulassen als Local? Es wird zugelassen, weil alle fett Geld damit verdienen. Auf die Natur wird im warten Sinne des Wortes geschissen oder es wird mit Helis drüber geflogen.

Massentourismus und Bergsteigen in diesen Regionen passt einfach nicht!

Weniger is mehr. Long term thinking!

Sam Hawkins


Ich persönlich halte überhaupt nichts davon, sich respektlos gegenüber dem Leben in solche Gefahr zu bringen. Jeder der das macht und dabei um's Leben kommt, hat das selber zu verantworten was mit ihm passiert. Er muss auch damit rechen, Schwerverletzt zurückgelassen zu werden und keine Hilfe zu bekommen.
Die Gründe mögen verschiedener Natur sein, sei es Egoismus, Selbsterhaltungstrieb etc.
Jeder weiß bei solchen Touren, dass es das Letzte sein kann was er erlebt.
Es sind Extreme die nur jemand kennt, der sich mit der Materie auskennt und sehr erfahren ist. So tragisch das sein mag.
Mein Mitleid haben diese Leute nicht. Wo andere sich an's Leben klammern und gegen Krankheiten kämpfen um zu übeleben, sind diese respektlos dem Leben gegenüber, das dieser Planet in seiner Evolution über Jahrmillionen hervorgebracht hat.

Keiner tut mir leid der sich wissentlich, in Lebensgefahr begibt ... keiner!

Antonia

Ich glaube,das persönliche EGO steht über allem.
Auch,dass ein Mensch sterben muss.
Das Ziel???sich feiern lassen.WOFÜR???

andi

Kristin Harila sollte sich schämen, ein Pakistanischer Träger musste sterben damit Sie Ihre Ziele erreichen konnte. 4 Personen hätten gereicht um diesen armen Menschen helfen zu können aber nei diese Dame hatt diesen Menschen verrecken lassen für Ihre Ziele. Diese Frau ist Menschenverachtend mehr kann ich dazu nicht schreiben. K2 ist ausgelutscht und ausgepresst. Früher mussten die Bersteiger viel mehr leisten , ohne Sauerstoff nicht preparierten Pisten usw, niemals mals würde ich so eine Klettertour starten. Ich will an Orten wo ich selber hirnen muss den richtigen Weg zu finden, auch Träger ist so eine Geschichte, würde ich niemals machen. Da hat sich in den letzten 40 Jahren eine scheiss Kultur entwickelt bezüglich den K2.

Hendrik

Nachtrag:

Nun, Frau Harila wäscht ihre Hände in Unschuld mit bizarren Aussagen wie z.B., dass man in dieser „bemerkenswerten Mission“ (Zitat) … „auf über 8000 Metern die Überlebensinstinkte die eigenen Entscheidungen beeinflussen würden“ (Zitat).
Dann ist es wohl auch legitim, um ihren Zynismus weiter zu komplettieren bzw. zu interpretieren, über einen sterbenden Träger zu steigen, um, nicht von den Überlebens-, sondern von den Rekordinstinkten getrieben, schnellstmöglich den Gipfel zu erreichen.

Mit der nachgereichten läppischen 1.000,- Euro-Spende für die Hinterbliebenen des gestorbenen Trägers, siehe „gofundme.com/f/3-kinder-brauchen-dringend-hilfe“, scheint ja dann für sie alles wieder im Lot zu sein…

Es ist nicht nur äußerst peinlich, sondern auch hochgradig entwürdigend!

Allemal kein Vorbild für sozial verantwortliches Leben, genau das Gegenteil!

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