Teuflisch gute Klettertour in der Montblanc-Gruppe

Mont Blanc du Tacul: Gottes Werk und Teufels Beitrag

Am Mont Blanc du Tacul führt eine Granitklettertour zum Himmel, so höllisch schön, als wäre sie nicht von dieser Erde. Die Aiguilles du Diable, die fünf Türme des Teufelsgrats, sind ein Wunderwerk der Natur und ein Meisterstück für Alpinisten.

Sonnenaufgang am Corne du Diable, im Hintergrund Grandes Jorasses und Glacier du Géant.
© Andreas Lattner

Die Aiguilles du Diable: Zwischen Himmel und Hölle

Es gibt Bauwerke, deren Anblick uns eigenartig fasziniert. Die vom Menschen selbst gemachten, die sieben Weltwunder zum Beispiel, oder jene – von unserer Spezies weitgehend unberührte – Architektur der Natur. Die Aiguilles du Diable, die fünf "Nadeln des Teufels", wirken auf mich, als hätten Gott und Teufel Mikado gespielt – und kurz bevor die Stäbchen auseinandergefallen sind, habe sie die Zeit eingefroren.

Ein Wunderwerk, aufgefädelt auf einem abgelegenen und steil zu Gletschern abfallenden Grat. Hinauf zum Mont Blanc du Tacul. Jede der fünf Teufelsnadeln ist über 4000 Meter hoch und zählt als einer der 82 eigenständigen Viertausender in den Alpen. Abgeschirmter von einer breiten Öffentlichkeit könnte diese groteske Granit-Architektur nicht sein.

<p>Links der Midi-Plan-Grat, rechts Grandes Jorasses und Dent du Géant.</p>

Links der Midi-Plan-Grat, rechts Grandes Jorasses und Dent du Géant.

© Andreas Lattner

Der Teufelsgrat: Nur für geübte Alpinisten

Das Glück der Arête du Diable: Ihre diabolische Erscheinung wird niemals einem Ansturm von Selfie-Touristen ausgesetzt sein, ihre göttliche Natur ist nur alpinen Kennern und Könnern vorbehalten. Angesagt ist Klettern und Selbstabsichern bis zum Schwierigkeitsgrad V mit allen möglichen hochalpinen Gefahren.

Selten passt hier alles zusammen, dass man den Teufelsgrat sicher und selig begehen kann. "Was habt ihr denn morgen vor?" "Das gibt’s doch nicht! Wir auch!" Im Rifugio Torino, dem Stützpunkt auf der italienischen Seite des Monte Bianco, an einem traumhaft schönen Tag im August. Hier gleich mehrere bekannte Gesichter zu treffen und alle mit demselben Ziel? Ein göttlicher Zufall!

<p>Turiner Hütte mit Dent du Géant.</p>

Turiner Hütte mit Dent du Géant.

© Andreas Lattner

In weiser Voraussicht waren Hans und Franz aus Oberösterreich bereits über den Gletscher in den Cirque Maudit spaziert, um die Eintrittshürde und den besten Weg über den Bergschrund auszukundschaften. Dicht gedrängt schießen im Cirque Maudit rötlichbraune Granitpfeiler wie die Säulen einer gigantischen Kathedrale in den Himmel – ein wahrer Tempel der Berge. 

Beim Zustieg in der Nacht mit der Stirnlampe wäre man hier ohne Vorkenntnisse so verloren, als wollte man eine große Kirche mit einem Zündholz ausleuchten. "Beim Anblick der Linie und der Hörner hat sich in mir aber erst einmal ein Gedanke eingeschlichen: Ob ich mir da zu viel vorgenommen habe?", gestand Hans. 

Der versteinerte Dinosaurier

"Diese Zacken erinnerten mich an einen riesigen, versteinerten Dinosaurier, von dem nur die gewaltigen Rückenzacken übriggeblieben sind. Man steht einfach nur ungläubig da und staunt da­rüber, was die Natur an Schönheit und gleichzeitig respekteinflößenden Formen geschaffen hat."

<p>Die Ostwand des Mont Maudit, im Hintergrund der Montblanc.</p>

Die Ostwand des Mont Maudit, im Hintergrund der Montblanc.

© Andreas Lattner

Den Grat sollte man tunlichst erreicht haben, bevor die Sonne aufgeht – eine erste Herausforderung. Wir frühstückten um kurz vor 2 Uhr. Die Allgäuerin Johanna stapfte mit ihrem Seilpartner Adrian in aller Finsternis mit einem gemischten Gefühl aus Vorfreude und Anspannung von der Turiner Hütte los.

Teuflische Verhältnisse auf dem Col du Diable

 "Nachdem man den Teufelsgrat eigentlich selten zu Gesicht bekommt und man nur Bilder aus Führern oder von anderen Bergsteigern kennt, ist die Neugierde umso größer: Wie schaut er wirklich aus, wie mächtig sind diese Zacken?" Den Kopf zu weit vorne zu haben, wäre keine gute Taktik. Sie konzentriert sich stattdessen auf jeden Schritt, kontrolliert jeden Griff.

 "Ich habe immer wieder gehört, dass die Flanke brüchig sei und in keinem besonders guten Zustand mehr", sagt die 31-jährige Vollblut-Bergsteigerin. "Dass es allerdings doch so unübersichtlich und trocken war, hätte ich nicht erwartet." Je später im Jahr, umso teuflischer wird das Gemisch hinauf in den Col du Diable. Von Trittfirn weit und breit keine Spur.

<p>Tiefblick von der Pointe Chambert zurück auf den Corne du Diable.</p>

Tiefblick von der Pointe Chambert zurück auf den Corne du Diable.

© Andreas Lattner

Aiguille Verte und Grandes Jorasses

Wie auf rohen Eiern balancierten wir durch die steile Schuttrinne hinauf. Dass wir gleich drei Seilschaften in der Rinne waren, erforderte umso mehr Vorsicht. Noch ein letztes steiles Firnfeld und im Col du Diable atmeten wir erstmals ein wenig auf. Eine sagenhaft schöne Stimmung erwartete uns. Unter dem schwarzen Nachthimmel und über den Gipfeln der Aiguille Verte und Grandes Jorasses wurde es langsam orange und blau.

<p>Unterhalb des Mont Blanc du Tacul, der Montblanc im Hintergrund.</p>

Unterhalb des Mont Blanc du Tacul, der Montblanc im Hintergrund.

© Andreas Lattner

Noch ein Firngrat, und schon bald war der erste Felsturm zum Greifen nah. Kein Wunder, dass die Felsnadeln des Teufelsgrats die letzten Alpen-Viertausender in der UIAA-Liste waren, die bestiegen wurden. 1923 wurde der erste Zacken des Grates erreicht – allerdings mit Zustieg von oben.

Neben der Grandes Jorasses gelten diese fünf als die großen Nordwände der Alpen:

Komplett-Überschreitung des Teufelsgrat: immer noch eine besondere Leistung

Fünf Jahre später führte der Franzose Armand Charlet zwei junge Amerikaner, Miss Miriam O’Brien und Robert Underhill, zum Teufelsgrat: Es gelang ihnen die erste komplette Überschreitung. Alle fünf Zacken einzusammeln ist auch heute noch ein respekteinflößendes Unternehmen. Nicht wenige begnügen sich auch gerne mit den drei "verpflichtenden" Türmen, an denen es keinen Weg vorbei gibt.

<p>Absturzsicherer Standplatz an der Pointe Médiane.</p>

Absturzsicherer Standplatz an der Pointe Médiane.

© Andreas Lattner

"Wenn man mittendrin ist, wird einem erst klar, wie unglaublich faszinierend es ist, in solch einer hochalpinen Umgebung klettern zu dürfen", beschreibt Johanna. "Dass genau dort eine Tour durchgeht, die für einen selbst auch machbar ist - das ist ziemlich unbeschreiblich!" Klobige Bergschuhe, klamme Finger, schwerer Rucksack – das erwies sich zu Beginn noch als teuflische Kombination.

Dem Himmel so nah am Corne du Diable

Am Corne du Diable, dem ersten in der Reihe, empfingen meinen Partner Andi und mich die ersten Sonnenstrahlen. So fühlten wir uns dem Kletterhimmel schon ein Stück näher. Am Beginn des zweiten Turms wartete eine der schwierigsten Kletterstellen: Eine steile Platte mit einem Riss, der natürlich auch selbst abzusichern ist. Ordentlich zupacken: und rauf!

Von der Pointe Chaubert wirkt der nächste Zacken, die Pointe Médiane, auf den ersten Blick spiegelglatt, fast unmöglich. Hans und Franz spielten kurz mit dem Gedanken, umzukehren – wie gut, dass sie doch drangeblieben sind: "Als ich drin war, verklemmte ich die Bergschuhe im Riss. Plötzlich war die Sicherheit wieder da und es war einfach genial und ein aufregender Genuss, diese Seillänge zu klettern. Mein persönlicher Höhepunkt bei dieser Tour", erzählte Hans.

<p>Extra-ausgesetzte Kletterei an der Pointe Médiane.</p>

Extra-ausgesetzte Kletterei an der Pointe Médiane.

© Andreas Lattner

Es folgte der Durchschlupf durch ein Felsenfenster und nach dem Spitzengipfelfoto wieder eine luftige Abseilfahrt. Wir fühlten uns mittendrin in dem Wirrwarr aus rotbraunen Mikado-Stäben, unter unseren Sohlen der höllische Abgrund. Das spitzeste Türmchen folgte auf der Pointe Carmen – und hier kam sogar Heimatgefühl auf, als plötzlich aus einer aufschließenden vierten Seilschaft jemand herüberrief: "Griaß eich, hier ist der Robert aus Bad Goisern!"

Grande Finale an der l’Isolée

Erfreut winkten wir zurück und richteten den Blick schon auch wieder nach vorne: Grande Finale, die L’Isolée! Die könnte man links liegen lassen, aber eben auch mit einpacken: Von den reinen Kletterschwierigkeiten ist dieser Turm am höchsten bewertet (V). Wir schlüpften in die Kletterschuhe, ließen den Rucksack am Einstieg – und so erfüllte sich auch Andi durch die senkrechte Wand den Traum: Teufelsgrat, bis auf den letzten Zacken!

<p>Blick auf Pointe Carmen und L‘Isolée.</p>

Blick auf Pointe Carmen und L‘Isolée.

© Andreas Lattner

Abstieg über den Normalweg

Wer den Teufelsgrat hinter sich gebracht hat, hat noch immer viel vor sich. Wir navigierten wie Seeleute durch die Felsblöcke auf den Mont Blanc du Tacul. Alle Seilschaften kamen hier wieder gesund zusammen – ein Höhepunkt für sich. Das schöne Wetter und der Panoramablick luden zu einer Plauder-Pause ein, ehe wir eintauchten in die gewaltige Gletscherwelt.

Den Abstieg über den Normalweg des Mont Blanc du Tacul brachten wir zwischen den haushohen Séracs so schnell wie möglich hinter uns. Zu viert gemeinsam am Seil konnten wir auch die Spaltenbrücken etwas entspannter nehmen. Die Sonne brannte auf unsere Köpfe im Col du Midi, der Gegenanstieg wurde zur letzten Kraftprobe – aber die Seilbahn auf der Aiguille du Midi zu erreichen und nach Chamonix zu Bier und Burger zu schweben, das war Motivation genug.

<p>Alle heil zurück: der schönste Moment einer Tour!</p>

Alle heil zurück: der schönste Moment einer Tour!

© Andreas Lattner

"Une descente, s’il vous plaît!" Eine Talfahrt, bitte. Johanna schlüpfte aus ihren Berg­stiefeln und spazierte barfuß mit einer erstaunlichen Leichtigkeit über den rauen Asphalt von Chamonix. Im "La Maison des Les Burgers" haben wir bald Durst und Hunger gestillt. Eine Pizza "Diavolo" wäre heute aber auch eine gute Wahl gewesen.

Ein teuflisches Eck am Montblanc: Infos und Touren Mont Blanc du Tacul

In der Montblanc-Gruppe werden insgesamt 28 Gipfel als eigenständige Viertausender gezählt. Fünf davon fädeln sich alleine am Teufelsgrat auf (Corne du Diable, Pointe Chaubert, Pointe Médiane, Pointe Carmen und L’Isolée) und der Abstieg führt über einen weiteren Gletscher­riesen, den Mont Blanc du Tacul.

Einen Eindruck vom höchsten Berg der Alpen, dem Mont Blanc, findet ihr hier: 

Text von Marlies Czerny

0 Kommentare

Kommentar schreiben