Arc'teryx-Special

Was steckt im Voltair?

Arc'teryx Senior Designer Gordon Rose gíbt Einblicke in die wichtigsten Elemente der Voltair-Technologie, die im neuen Lawinenairbag-Rucksack der Kanadier zum Einsatz kommen.

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© Arc'teryx

1. Mehrfachauslösung

Wir arbeiten schon seit zehn Jahren an einem neuem System für Lawinenairbags. Neben dem wirklich schlechten Rucksackdesign der meisten Lawinenpacks wollten wir vor allem von den Patronen-Systemen wegkommen, die nur eine einfache Auslösung erlauben. Weil diese Systeme das Training mit dem Rucksack so erschweren, gab es viele Menschen, die in der echten Lawinensituation nicht – oder zu spät – reagierten, obwohl die einen Lawinenrucksack dabei hatte. Der andere häufige Fall war, dass der Rucksack aus Versehen (oder in einer echten Gefahrensituation) ausgelöst wurde und dann für den Rest der Tour nicht mehr zu gebrauchen war, obwohl sich die Sportler in lawinengefährlichem Gebiet befanden. Vor sechs Jahren kam uns die Idee, ein elektrisch betriebenes Gebläse mit einem aufladbaren Akku zu nutzen. Wir wussten: das würde ein echter Paradigmenwechsel sein.

<p>Der "Tüftler" bei Arc'teryx: Senior Designer Gordon Rose.</p>

Der "Tüftler" bei Arc'teryx: Senior Designer Gordon Rose.

© Carryology

2. Gebläsesystem

Das zweite große Thema war das Gebläse. Der große Vorteil von Druckluftpatronen ist ja, dass sie sehr schnell extrem viel Druck erzeugen und den Ballon in jeder Situation sofort aufblasen. Der Nachteil: Wenn der Druck aus der Patrone weg ist, füllt sie den Ballon nicht nach. Man hat nur einen Schuss.

Als erstes versuchten wir es mit Ventilatoren und Modellflugzeugpropellern. Es zeigte sich aber schon nach wenigen Wochen, dass die weder ausreichend Druck erzeugen noch den Anforderungen an die Haltbarkeit des Systems auf Dauer standhalten konnten. Die meisten gingen sehr schnell kaputt und konnten den Ballon nicht so aufblasen, dass er einem Sturz oder den Bedingungen in einer Lawine hätte standhalten können.

Am Ende meiner Suche stand das Zentrifugalgebläse, ähnlich denen, die in Laubgebläsen oder Staubsaugern verwendet werden. Das System erlaubt eine feine Einstellung des Drucks bzw. der Ansaugstärke, die man erzeugen möchte. Denn die Luft, mit der der Ballon gefüllt wird, muss ja zuvor aus der Umgebung angesaugt werden. Mit dem Zentrifugalgebläse kann man die Ansaug- und Befüllungskurven nach Wunsch einstellen, um in der Lawinensituation eine zuverlässige Befüllung zu bekommen.

Bis der Ballon vollständig aufgeblasen ist, funktioniert das Gebläse zuverlässig und mit stetiger Kraft. Danach haben wir das System so eingestellt, dass es noch eine Minute lang in Intervallen Luft nachfüllt – für den Fall, dass der Airbag beschädigt wäre.

<p>Ein Akku-Prototyp.</p>

Ein Akku-Prototyp.

© Carryology

3. Die Batterie

Das dritte Kern-Element war die Batterie. Das System muss bis -30° C zuverlässig funktionieren. Wenn die Batterie temperatur- oder ladungsbedingt weniger Druck erzeugt, funktioniert der Airbag einfach nicht. Es war eine lange Entwicklungsarbeit, aber am Ende kam unsere "custom-made" Lithium Polymer-Batterie dabei heraus.

Neben der Batterie bilden die Steuerung und der Motor gemeinsam das Herzstück des Rucksacks. Das ist sozusagen das "Gehirn" des Systems. All diese Elemente haben wir entwickelt und sie werden für uns exklusiv hergestellt.

Die Software steuert die ganze Einheit. Das Ganze ist dabei ziemlich kompliziert : Wenn man zum Beispiel die Stromversorgung zum Motor plötzlich kappt, dreht der sich weiter und produziert Elektrizität, die zurück in die Steuereinheit schießt und dort Dinge kaputt macht. Jeder Fehler in der Software kann das System überhitzen und zerstören, deshalb musste die Hardware sehr fein auf die Software abgestimmt werden. Die Verlässlichkeit des Rucksacks steht über allem. Wir haben nicht umsonst fünf Jahre Entwicklungszeit gebraucht...

<p>Kreatives Chaos: Arbeitstisch von Gordon Rose.</p>

Kreatives Chaos: Arbeitstisch von Gordon Rose.

© Carryology

4. Der Auslösemechanismus

Das nächste Teil, das wir bei den bisher verfügbaren Lawinenairbags wirklich unbefriedigend fanden, war der Auslösegriff. Bei vielen Leuten ging er entweder versehentlich los, oder sie schafften es nicht, im richtigen Moment auszulösen. Schuld daran war einerseits mangelndes Training und andererseits, dass der Auslösegriff bei den meisten Modellen entweder in einem Reißverschluss-Fach oder unter Klettverschluss-Laschen versteckt war. Ich wollte einen Griff bauen, der immer zugänglich und in der Bedienung total intuitiv ist. Unser Griff ist deshalb immer "draußen". Mit einer simplen halben Drehung ist er entsichert, aber nicht so leicht, dass er versehentlich auslöst, wenn man mal an einem Busch vorbeifährt. Anders als andere Lösungen, die wir ausprobiert haben, vereist das Ganze nicht. Der Griff ist außerdem auch mit Handschuhen ganz leicht zu ertasten und zu greifen.


Wir hatten auch mit ausgeklügelten elektronischen Systemen experimentiert – wie einem Auslöseknopf im Skistock – aber am Ende haben all diese Spielereien ihre Schwachstellen. Elektronische Systeme sind immer anfälliger als mechanische. Deshalb ist bei uns die Elektronik vollständig (und wasserdicht) im Rucksack versteckt und der Auslösemechanismus ist rein mechanisch

Der Griff ist aus den genannten Gründen nicht zu verstauen. Wenn man also sicher gehen will, dass der Ballon nicht versehentlich im Lift oder Helikopter losgeht, schaltet man einfach die Batterie mit einem Handgriff ab.

5. Beinschlaufe

Die Beinschlaufe ist eines der unscheinbaren, aber extrem wichtigen Elemente beim Lawinenairbag. Wenn man keine Beinschlafe anlegt, kann man im Prinzip den Airbag auch zu Hause lassen. Vor drei Jahren gab es wieder einen Todesfall, weil die Lawine dem Skifahrer einfach den Rucksack heruntergezogen hat. Der Airbag lag obenauf, der Skifahrer starb in der Lawine. Viele Tourengeher legen die Beinschlaufe nicht an, weil sie unbequem zu bedienen ist. Hier wollten wir mit unserem KnowHowKnow-how aus dem Klettergurtbereich eine Lösung bieten, die zuverlässig die Kräfte aushält, die in der Verschüttungssituation auftreten können und trotzdem sehr einfach und angenehm in der Handhabung ist.

Unser Gurt ist vollständig in das System integriert, läuft ganz durch den Packsack und ist sogar mit dem Airbag selbst verbunden. Der Karabiner, mit dem man ihn einhängt, ist inspiriert von Eisclipper-Karabinern, die man sonst zum Einhängen von Eisschrauben verwendet: einhändig und sekundenschnell zu bedienen. Der Gurt ist außerdem so angebracht, dass man den Rucksack herunternehmen kann, ohne den Beingurt zu lösen – zum Beispiel, wenn man in den Lift einsteigt.

<p>"Bastler" Rose in seinem Element.</p>

"Bastler" Rose in seinem Element.

© Carryology

6. Der Ballon

An der Form des Ballons haben wir ziemlich lange getüftelt. Er sollte den Kopf einbetten und schützen, trotzdem aber die Sicht nicht so behindern, dass man nicht mehr Skifahren (und eventuell noch aus der Lawine herausfahren) kann. Das war vor allem den Ski-Profis und Bergführern sehr wichtig, da in der Testphase mit unserem Voltair unterwegs waren. Entsprechend haben wir den Ballon geformt – und halten es auch für wichtig, dass die Leute üben, damit zu fahren.

Die längere Originalfassung des Interviews gibt es auf Englisch bei Carryology