Interview mit dem Paul-Preuss-Preisträger

Marko Prezelj: "Der Schmerz ist ein Teil von mir geworden ..."

Er ist einer der Eigenwilligsten der internationalen Szene: der Slowene mit dem Name, dessen "j" man nicht spricht. Wir haben mit Marko Prezelj gesprochen, lange bevor er den Paul-Preuss-Preis erhielt.

Marko Prezelj & Seilpartner Steve House
© Marko Prezelj

Über Marko Prezelj

Marko Prezelj, geboren am 13. Oktober 1965, studierte Chemische Verfahrenstechnik. Er zählt zu den stärksten slowenischen Bergsteigern überhaupt, gilt als strenger Verfechter des Alpinstils und ist bekannt für seine ästhetischen Routen. Marko Prezelj lebt in seinem Geburtsort Kamnik, ist verheiratet und hat zwei Söhne. 2023 erhielt er den Paul-Preuss-Preis für seine alpinistischen Leistungen. Er ist mehrfacher Preisträger des Piolet d'Or.

Marko Prezelj über schwierige Erstbegehungen & Expeditionen

ALPIN: Du hast viele schwierige Erstbegehungen gemacht. Wie fühlt du dich vor so einer Tour?

Marko Prezelj: Natürlich habe ich auch Angst, aber das ist keine Angst, die mich hemmt. Sie ist mehr eine Herausforderung. Dabei fürchte ich weniger problematische Situationen als Fehler, die ich machen könnte. Dass ich - wie beim Schach - einen falschen Zug machen könnte.

ALPIN: Du hast als erster Mensch auf Melungtse (7.181 m) und K7 West (6.858 m) gestanden.

Marko Prezelj: Das war natürlich toll. Aber mir geht es nicht so sehr darum, als Erster auf einem Gipfel zu stehen oder meine Fußstapfen zu hinterlassen an einem Ort, an dem vor mir nie jemand war. Mir ist bei den Erstbegehungen am wichtigsten, dass ich hier sicher sein kann, keine Spuren anderer Menschen zu finden.

ALPIN: Eine große russische Expedition hat 2007 eine neue Route durch die Westwand des K2 gelegt. Ist die Wand für dich damit tot?

Marko Prezelj: Ja, ich halte gar nichts davon, selbst so schwierige Wände mit Fixseilen zu versichern. Da hängt nun so viel Material rum, das kannst du - selbst wenn du wolltest - nicht mehr abbauen. Die Russen haben die Erfahrung zerstört, die man dort hätte machen können.

<p>Marko Prezelj fotografiert von Steve House.</p>

Marko Prezelj fotografiert von Steve House.

© Steve House

Und die Zahl der Gipfel auf diesem Planeten ist nun mal begrenzt. Aber ich fürchte, dass sie meine Haltung nicht verstehen. Sie wollten unter allen Umständen die Ersten sein, doch mit diesem Eroberungsstil zerstören sie den Spirit des Alpinismus.

ALPIN: Was meinst du damit?

Marko Prezelj: Die Suche nach reinen Erfahrungen, nach elementaren Gefühlen wie Durst, Hunger, Kälte. Zu spüren, ob du dich sicher fühlst, oder ob du Angst hast.

ALPIN: Genau das haben die Russen bestimmt auch gefühlt.

Marko Prezelj: Aber es ist ganz etwas anderes, wenn du ohne Fixseile und ohne eingerichtete Hochlager unterwegs bist. Die Expeditionsstil-"Eroberer" sollten an etwas kleineren Bergen den Alpinstil ausprobieren. So könnten sie diese elementaren Gefühle und Erfahrungen selbst erleben.

Und vielleicht wären sie dann bereit für größere Ideen. Vielleicht würden sie dann erkennen, dass man Berge auch ohne Fixseile besteigen kann.

Marko Prezelj über den Alpinistil, Unfälle & seine Philosophie am Berg

ALPIN: Beim Alpinstil fühlt man sich den Elementen und dem Berg viel mehr ausgesetzt?

Marko Prezelj: Genau, und ich rede ja nicht von einfachen, sondern von wirklich schwierigen Touren. Hängt an einer kritischen Stelle ein Fixseil herum, fühlst du dich gleich sicherer, aber gerade das will ich nicht.

Ich will selber meinen Weg machen, ich will meine elementaren Gefühle testen. Ich will mich an mein Limit herantasten, ohne die Kontrolle zu verlieren.

ALPIN: Klingt gefährlich.

Marko Prezelj: Natürlich, aber wie kannst du dein Limit verschieben, ohne an diese Grenze zu gehen? Im normalen Leben geht das nicht, dort ist alles ziemlich durchschnittlich, gleichförmig.

ALPIN: Stephen Koch, dein Partner auf einigen schwierigen Touren, hat über dich geschrieben: "Marko verhält sich bei Biwaks anders als die meisten Kletterer. Er sitzt einfach da und nimmt die Kälte ohne Klagen hin."

Marko Prezelj: Was soll ich sonst tun? Wenn ich mich bewege, verliere ich Energie. Ich versuche, gleichgültig zu sein. Ich kümmere mich nicht um Sachen, die ich nicht ändern kann.

ALPIN: Der Kopf entscheidet.

Marko Prezelj: Genau. 2005 habe ich zwei 8a-Routen geschafft. Eigentlich ist das nicht mein Level, aber ich hatte den festen Willen, das hinzukriegen. Ich habe drei Wochen gezielt trainiert, und es hat geklappt.

ALPIN: Hattest du Unfälle?

Marko Prezelj: Ja, ich habe mir 1996 den linken Knöchel beidseitig gebrochen. Zu dieser Zeit war ich noch ein wenig arrogant, ich fühlte mich zu sicher. Wir waren im Dunkeln über unbekanntes Terrain abgestiegen - das war der grundlegende Fehler.

<p>Im Lead in Eis und Fels: Marko Prezelj.</p>

Im Lead in Eis und Fels: Marko Prezelj.

© Marko Prezelj

Schließlich mussten wir biwakieren, und als wir gerade eingeschlafen waren, brach der Sérac über uns und ging auf unser Zelt nieder.

ALPIN: Konntest du noch laufen?

Marko Prezelj: Nein, aber mein Partner half mir, und irgendwie haben wir es bis zum Basislager geschafft. Dort hat es noch einmal sechs Tage gedauert, bis Träger kamen, um mich ganz runterzubringen. Erst drei Wochen nach dem Unfall war ich schließlich in Ljubljana.

Alles war schon zusammengewachsen, aber nicht gut, also mussten sie den Knöchel noch einmal brechen. Der Arzt gab mir keine Chancen, wieder klettern zu können.

ALPIN: Wie hast du regiert?

Marko Prezelj: Ich habe hart trainiert. Und ich bin vorsichtiger geworden: Früher habe ich mir über den Abstieg kaum Gedanken gemacht, heute plane ich den zu allererst.

ALPIN: Schmerzt der Knöchel heute noch?

Marko Prezelj: Klar, aber ich habe mich daran gewöhnt. Der Schmerz ist ein Teil von mir geworden. Und je weniger ich dran denke, desto weniger tut es weh.

So ist es doch auch sonst: Wenn du über deine Müdigkeit nachdenkst, wirst du nur noch müder. Oder wenn du dauernd über deinen Hunger klagst, wirst du nur noch hungriger.

Marko Prezeljs Erfolge

Marko Prezelj: "Dies ist eine Liste einiger Begehungen, bei denen ich mich lebendig gefühlt habe. Es bleiben viele nicht genannte, die für mich ebenso wichtig sind."

  • 1988 Neue Route durch die Nordwand des Cho Oyu (8188 m), Tibet

  • 1991 Kangchendzönga Süd (8476 m) auf einer neue Route über den 3000 -Meter-Südgrat, Nepal

  • 1992 Erstbesteigung Melungtse (7181 m) über die 2000 -Meter-Südost-Wand, Tibet

  • 1993 "Wyoming Sheep Ranch" am El Capitan, heute A4, damals noch mit A5 eingestuft ("Gefiel mir nicht, meistens hat man nur rumgehangen.")

  • 1995 Neue Route durch die Ostwand des Torre Norte del Paine (2260 m), Patagonien

  • 1999 "Slovenen Route" (2000 m) durch die Nordwand des Gyachung Kang (7952 m), Tibet

  • 2000 Zweite Begehung des Golden Pillar am Spantik (7028 m), Pakistan

  • 2001 Erstbegehung "Light Traveler" am Mt. McKinley (Erste freie Begehung von "Moonflower Buttress" am Mt. Hunter)

  • 2004 Dritte Begehung von North Twin (3733 m), Kanada

  • 2005 Neue Route auf den Cayesh (5719 m), Cordillera Blanca, Peru Zwei 8a-Sportkletter-Routen

  • 2006 Erstes Enchainment von El Mocho (1953 m) zu Cerro Torre (3102 m), Patagonien Cassin Ridge auf dem Mt. McKinley Onsight-Begehung des Cobra Pillar am Mt. Barrill, Alaska Neue Route auf dem Chomolhari (7326 m), Tibet

  • 2007 Erstbesteigung K7 West (6858 m), Pakistan

Liebster Berg in den Alpen

Ich habe keinen bestimmten. Der ideale Berg ist jener, an dem ich meine Limits bis zum Äußersten testen kann, starke elementare Gefühle habe und lebend zurückkehre.

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