Von der Rüsselsheimer zur Braunschweiger Hütte

Alpines Festmahl: Der Mainzer Höhenweg

Der Mainzer Höhenweg ist ein hochalpiner Steig, der stabiles Wetter, absolute Trittsicherheit, guten Orientierungssinn und einen Schuss Kletterkönnen verlangt: die besten Zutaten für ein alpines Festmahl.

Alpines Festmahl: Der Mainzer Höhenweg
© IMAGO / imagebroker

Der Mainzer Höhenweg: Erlebnisbericht

Vermutlich habe ich in dem Moment nicht nur entsetzt, sondern auch extrem dumm geschaut: Als einer meiner Handschuhe dabei war, sich aus 3000 Meter Höhe über ein steiles Firnfeld in die Tiefe zu verabschieden. Als mein Begleiter Rolf mit Siebenmeilenschritten hinterhersprintete und den abtrünnigen Fingerling schließlich stellte, wich mein unvorteilhafter Gesichtsausdruck schnell einem breiten Grinsen von Erleichterung und Zufriedenheit.

Was vorher geschah ...

18 Stunden vorher: Mittenwald, 22.30 Uhr. Rolf testet die Funktion eines fossilen Gaskochers auf dem Gehsteig. Und ich mühe mich ab, meine Utensilien für das geplante Wochenende in den Rucksack zu quetschen: dicker Schlafsack, warme Klamotten, Essen für zwei Tage und jede Menge nützlicher Kleinigkeiten wie Stirnlampe, Feuerzeug, Taschenmesser, Abfalltüten … beim Anheben der Last mache ich mir ernsthaft Sorgen um meinen Halteapparat.

Auf dem Plan steht der Mainzer Höhenweg. Freunde hatten mir von der Schönheit und Einsamkeit dieser Tour sowie von der Übernachtungsmöglichkeit in einer Biwakschachtel auf über 3000 Meter Höhe vorgeschwärmt. Die Internetrecherche ergab weitere Infos wie "hochalpiner Steig, nur bei absolut sicherem Wetter zu begehen, absolute Trittsicherheit im Schrofengelände Voraussetzung, Beherrschung des II. Grades im Fels, guter Orientierungssinn, Mitnahme von Pickel und Steigeisen ratsam …" Das klang interessant, ganz nach meinem und auch Rolfs Geschmack.

Impressionen vom Mainzer Höhenweg könnt ihr in dieser Bildergalerie genießen:

Der Mainzer Höhenweg: Verlauf

Der Mainzer Höhenweg verläuft über fünf Dreitausender und drei Gletscher auf dem Geigenkamm zwischen Pitztal und Ötztal. Seine Wurzeln reichen bis weit in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück – damals war der Verbindungsweg zwischen Chemnitzer und Braunschweiger Hütte unter dem Namen Hindenburgweg bekannt. Auf das Bemühen der DAV-Sektionen Mainz, Rüsselsheim und Braunschweig hin beschloss man nach einer „Testbegehung“ 1972, den Steig zu sanieren. 1974 erfolgte die offizielle Einweihung und Umbenennung in Mainzer Höhenweg.

Bei spärlichen Plusgraden erreichen Rolf und ich frühmorgens das Pitztal. Ausgangspunkt unserer Tour ist der auf 1612 Meter gelegene Ort Plangeross. Bis zur Rüsselsheimer Hütte sind es etwa 700 Höhenmeter. Ein steiler Pfad führt uns in gut anderthalb Stunden zur idyllisch gelegenen Rast. Rolf ist der Meinung, wir müssen unsere Kraft gut einteilen, und besteht auf einer ausgiebigen Pause. Seine Interpretation davon: die Aufnahme von Flüssignahrung in Form von zwei Radlerhalben.

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Der Mainzer Höhenweg: 1. Etappe zum Rheinland-Pfalz-Biwak

Wir genießen die wärmenden Sonnenstrahlen – wohl wissend, dass uns noch einiges bevorsteht. Zehn Stunden sind angegeben von hier bis zur Braunschweiger Hütte. Auf gut der Hälfte des Weges liegt das Rheinland-Pfalz-Biwak – unser Tagesziel. Schon bald nach der Hütte steilt der Weg auf in Richtung Weißmaurachkar. Steinig und schrofig geht es über Moränengeröll, bald stapfen wir durch Schnee. Das Fortkommen ist mühsam, jeder Schritt muss vorsichtig gesetzt werden, immer wieder brechen wir ein.

Gut 600 Meter über der Hütte erreichen wir das Weißmaurachjoch auf 2923 Meter. Die Aussicht ist gigantisch, doch wir müssen auf den Weg achten. Über schneedurchsetztes Blockwerk erreichen wir den ersten Gletscher, den Nördlichen Puitkogelferner. Einen richtigen Weg gibt es hier nicht mehr. Rote Markierungen weisen die Richtung, dicke Eisenketten sichern schwierige Passagen. Ich fange an, meinen Rucksack zu verfluchen. Durch eine steile Rinne geht es hinunter zum Südlichen Puitkogelferner. Zahlreiche Spalten durchziehen den Gletscher.

<p>Überschaubarer Schilderwald an der Rüsselsheimer Hütte.</p>

Überschaubarer Schilderwald an der Rüsselsheimer Hütte.

© Astrid Neudecker

Ich bin froh, dass eine Spur existiert – trotzdem ist mir unheimlich. Rolf stochert mit seinem Pickel in den Spuren – der Untergrund ist trügerisch. Lebhaft erinnere ich mich an meinen freiwilligen Sprung in eine Gletscherspalte während eines Kurses. Die Erfahrung war beklemmend und spannend zugleich – doch da hing ich am Sicherungsseil. Die Vorstellung, ungesichert in so ein Ding reinzufallen, ist gruselig. Doch ich vertraue Rolf. Er hat eine ausgeprägte alpine Erfahrung und weiß, was er tut.

Unser Ziel, die Biwakschachtel, befindet sich auf 3247 Meter Höhe, knapp unter dem Gipfel des Wassertalkogels. Nur, zu sehen ist von dem verdammten Ding weit und breit noch nichts. Wir sind heftig am Schnaufen – die Höhe fordert ihren Tribut. Und ich bin am Sinnieren: Neun Personen können im Biwak übernachten. Was, wenn für uns kein Platz mehr ist? Diese und andere Gedanken beschäftigen mich, während ich über nicht enden wollendes Blockwerk stolpere.

Dann ein Lichtblick: Wir erreichen den Grat des Geigenkamms, bislang waren wir an seiner Ostflanke unterwegs. Der Blick auf Kaunergrat, Wildspitze und Weißkamm ist fantastisch. Ich klemme meine Handschuhe zwischen die Knie, zerre den Fotoapparat aus der Hülle und dann passiert das Malheur mit meinem Handschuh. Nach einer gefühlten Ewigkeit erspähen wir endlich das orange leuchtende, futuristisch anmutende Rheinland-Pfalz-Biwak. Insgesamt haben wir mit Rast sechs Stunden von der Rüsselsheimer Hütte bis hierher gebraucht. Und wir haben Glück: Außer uns sind nur noch zwei Männer im „Berghotel“.

Der Mainzer Höhenweg: 2. Etappe zur Braunschweiger Hütte

Wer glaubt, eine Biwakschachtel sei eine verschmutzte, spartanisch ausgestattete Notunterkunft, der irrt – zumindest in diesem Fall. Das Biwak ist sauber und mit Decken, jeder Menge Kochutensilien und sogar einigen Lebensmitteln ausgestattet. Kaum angekommen, stürze ich mich aufs Fotografieren der umliegenden Bergriesen. Es ist erstaunlich gemütlich im Biwak.

Wir sitzen zu viert bei Kerzenschein, das einzige Geräusch im schwindenden Tageslicht ist das beruhigende Fauchen des Gaskochers. Die Nacht ist weniger kalt als erwartet. Trotzdem schlafe ich schlecht. Ein "Mitinsasse" sägt wie ein Rüsselschwein und ich habe leichtes Kopfweh – was kein Wunder ist: Die Differenz zur letzten Schlafhöhe in Mittenwald beträgt gut 2300 Höhenmeter.

<p>Wandern extrem: Auf dem Mainzer Höhenweg ist der Bizeps gefragt.</p>

Wandern extrem: Auf dem Mainzer Höhenweg ist der Bizeps gefragt.

© Outdooractive/Jörg Seibel

Unsere Biwakgenossen brechen früh auf – wir lassen uns Zeit. Die Schneedecke ist noch hart gefroren und wir wollen uns das Anlegen der Steigeisen ersparen. War der gestrige Tag ein Mix aus Steigen, Klettereinlagen, Gletscherquerungen und Schneehatscherei, so besteht das heutige Programm fast ausschließlich aus leichter Blockkletterei.

Der Mainzer Höhenweg hat auf diesem Abschnitt mit einem Weg nur wenig gemein. Dicke rote Farbkreise erleichtern die Wegfindung. Ohne diese Markierungen wäre die Orientierung mitunter schwierig – bei schlechter Sicht eine Katastrophe. Zwar bewegt man sich selten direkt am Abgrund, doch die riesigen Blöcke sind tückisch.

Der ursprüngliche Mainzer Höhenweg führt über das Pitztaler Jöchl. Die starke Gletscherausaperung und der damit verbundene Steinschlag führten jedoch zu einer Sperrung dieser Etappe. Die Alternativroute zweigt am Südlichen Pollesjoch ab – der Franz-Auer-Steig. Er ist nach dem 2005 verunglückten Wirt der Braunschweiger Hütte benannt. In einer knappen Stunde mit nochmals steilem Anstieg erreichen wir die auf knapp 2800 Meter gelegene Hütte.

Mit dieser Ausrüstung seid ihr perfekt fürs nächste Hüttentrekking gerüstet:

Der Mainzer Höhenweg: Abstieg ins Pitztal

Während des Abstiegs ins Tal bekommen wir den viel diskutierten "Pitztaler Alpenfrevel" zu Gesicht: den Notweg vom Gletscherskigebiet hinab ins Tal. Der Pitztaler Gletscher ist nur per Bahn zugänglich – im Falle eines Defektes sitzen die Skifahrer oben fest. Also hat man ohne Rücksicht auf die Natur eine breite Trasse in den Berg gefräst. Wie ein gefräßiger, garstiger Wurm windet sich das breite Schotterband hinab ins Tal.

<p>Die Rüsselsheimer Hütte am Fuße der Hohen Geige.</p>

Die Rüsselsheimer Hütte am Fuße der Hohen Geige.

© IMAGO / McPHOTO/Rolf Mueller

Wir boykottieren die hässliche Schneise und wählen einen schmalen Steig hinab nach Mittelberg, der letzten dauerhaft besiedelten Ortschaft des Pitztals. Von hier verkehrt ein Bus nach Plangeross – doch wir beschließen, unsere Tour "by fair means" zu beenden. 40 Minuten später sind wir am Auto. Schweigend verstauen wir die Rucksäcke, schweigend steigen wir ein.

Rolf und ich befinden uns noch im "endorphinösen" Stadium glücklicher Erschöpftheit. Richtung Inntal drehe ich dann euphorisch die Anlage auf. Rolf verdreht die Augen. "Reise, reise, Seemann, reise, jeder tut’s auf seine Weise …", röhrt Till Lindemann von Rammstein … und ich lasse mich inspirieren für meine nächste Reise.

Der Mainzer Höhenweg: Die Tour auf einen Blick

  • 1. Etappe: Plangeross – Rüsselsheimer Hütte – Rheinland-Pfalz-Biwak (6 ½ Std. I 2000 Hm I Mittel)

  • 2. Etappe: Rheinland-Pfalz-Biwak – Braunschweiger Hütte – Plangeross (7 Std. I 1700 Hm Abstieg I Schwer)

  • Route1. Tag: Man folgt bis zur Rüsselsheimer Hütte (1 ½ Std., 700 Hm) dem genussvollen, aber steilen Bergpfad – super Einkehrmöglichkeit, ehe man zur Biwakschachtel aufsteigt! Ab der Hütte bis zum Biwak (5 Std., 1300 Hm) anspruchsvolles Gelände über Blockwerk, Schnee, Gletscher mit leichter Kletterei in dünner Luft. 2. Tag: Vom Biwak muss man sich bis zur Braunschweiger Hütte auf mühsame Blockkletterei einstellen. Die „Entschädigung“: traumhafte Aussicht auf den Alpenhauptkamm. Absolute Trittsicherheit ist auf dieser Etappe unerlässlich. Ab der Braunschweiger Hütte führt ein sehr schöner, abwechslungsreicher Wanderpfad ins Tal zurück zum Ausgangspunkt.

  • ALPIN-Tipp: Unbedingt im Rheinland- Pfalz-Biwak übernachten. Die Abend- und Morgenstimmung auf dem Wassertalkogel ist überwältigend, zudem ist die Ausstattung des Biwaks vorbildlich.

  • 1. Plangeross – Rüsselsheimer Hütte – Rheinland-Pfalz-Biwak

<p>Übersichtskarte Mainzer Höhenweg.</p>

Übersichtskarte Mainzer Höhenweg.

© alpin.de

Der Mainzer Höhenweg: Infos zu Hütten, bester Jahreszeit & Literatur

  • Anreise: Mit Pkw von München über Garmisch und den Fernpass oder über Innsbruck nach Plangeross im Pitztal. Alternativ mit der Bahn nach Imst und weiter per Bus.

  • Info: Tourismusverband Imst, imst.at; Tourismusverband Pitztal, pitztal.com; Tourismusverband Ötztal, oetztal.com

  • Beste Zeit: Juni bis September

  • Hütten: Rüsselsheimer Hütte , 2.323 m, DAV-Sektion Rüsselsheim, bewirtschaftet von Mitte Juni bis Ende September, alpenverein.de; Braunschweiger Hütte, 2.759 m, DAV-Sektion Braunschweig, bewirtschaftet von Anfang Juni bis Ende September, braunschweiger-huette.at

  • Literatur: Walter Klier: AV-Führer Ötztaler Alpen für Wanderer, Bergsteiger und Kletterer, Bergverlag Rother, 2006.

  • Karte: AV-Karte, 1: 25 000, Blätter 30/5, Ötztaler Alpen – Geigenkamm, und 30/6, Ötztaler Alpen – Wildspitze.

In unserem aktuellen Test findet ihr die passenden Bergschuhe für eure Tour:

Text von Astrid Neudecker

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