Medizin

Wie Kletterer Schulterschmerzen vermeiden

Die Schwachstelle sieht meist gar nicht nach einer solchen aus. Kräftige Muskeln zieren die Schulter vieler Klettersportler und lassen vermuten, dass das Gelenk für die Belastungen in der Wand gut gerüstet ist.

Wie Kletterer Schulterschmerzen vermeiden
Die Muskeln der Rotatorenmanschette halten den Oberarm in Position.
Die Muskeln der Rotatorenmanschette halten den Oberarm in Position.

"Im Gegensatz zu anderen Gelenken wird die Schulter kaum durch Knochen stabilisiert", erklärt der Schulterspezialist Dr. Matthias Hoppert aus Wolfratshausen. "Die Gelenkpfanne ist verhältnismäßig klein und flach, weshalb die Schulter über einen starken Muskelgürtel, die Rotatorenmanschette, verfügt." Eine Funktion der Muskeln: Sie halten den Oberarmkopf in Position.

Bei vielen Sportarten werden jedoch nicht alle Schultermuskeln gleichermaßen belastet. "Im Prinzip gilt das für alle Sportarten, bei denen der Arm über den Kopf gehoben wird, sei es nun Klettern, Tennis oder Volleyball", sagt Hoppert. Durch die unterschiedliche Belastung entwickelt sich nicht selten ein muskuläres Ungleichgewicht.

Die Problematik, die Orthopäden Impingement nennen, nimmt ihren Ausgangspunkt in einem kleinen Zwischenraum zwischen Oberarmkopf und dem darüber liegenden knöchernen Ausläufer des Schulterblattes, dem Acromion.

Dort liegt ein Schleimbeutel, der normalerweise dafür sorgt, dass die Sehne des Supraspinatus- Muskels reibungslos gleiten kann. Das muskuläre Ungleichgewicht verschiebt den Oberarmkopf und drückt dabei Sehne sowie Schleimbeutel immer wieder oben gegen das knöcherne Acromion.

Schulterschmerzen von Anfang an ernst zu nehmen

"Auf Dauer entzünden sich die Strukturen. Das bereitet die Schmerzen", sagt Hoppert. Setzt die Behandlung rechtzeitig ein, heilt die Entzündung folgenlos ab. Werden die Schmerzen ignoriert, setzen Umbauprozesse ein, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Im Endstadium kann es sogar zu einem Sehnenriss kommen. Skizzen und Übungen zur Kräftigung der Schultermuskulatur finden Sie hier! "Deshalb ist es wichtig, Schulterschmerzen von Anfang an ernst zu nehmen", warnt Hoppert. Das erhöht die Chancen auf Heilung. "Allein mit konsequent konservativer Therapie heilt ein Impingement- Syndrom der Schulter bei mehr als Dreiviertel der Patienten folgenlos aus", sagt Hoppert.

Dazu wird das Gelenk in der akuten Schmerzphase gekühlt. Die Einnahme leichter Schmerz- und Entzündungshemmer ist ebenfalls hilfreich. Zeitgleich beginnt der Krankengymnast damit, die Gelenkkapsel aktiv zu dehnen.

Unter Umständen empfiehlt der Arzt einzelne Kortisoninjektionen. "Solche Infiltrationen sind nur eine Zusatzmaßnahme. Sie können zu Beginn hilfreich sein, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen", erklärt Hoppert.

Beim Klettern ist die Schultermuskulatur teilweise extremen Belastungen ausgesetzt.
Beim Klettern ist die Schultermuskulatur teilweise extremen Belastungen ausgesetzt.

Mehr als drei Spritzen - und diese, wenn überhaupt, im Abstand mehrerer Monate - sollten es nicht sein. Spritzen beheben in keinem Fall das Grundproblem: das muskuläre Ungleichgewicht.

Das gelingt nur mit Hilfe eines konsequent betriebenen Kräftigungsprogramms. "Im Verlauf der mehrwöchigen Therapie ändern sich die Zielsetzungen", erklärt Hoppert. "Anfangs steht die Kräftigung der schwächelnden Schultermuskeln im Vordergrund. Später werden auch jene Muskeln trainiert, die Wirbelsäule und Schulterblatt stabilisieren."

Nicht immer ist die Behandlung erfolgreich. Das gilt besonders für Menschen, bei denen der Zwischenraum zwischen Oberarmkopf und dem knöchernen Dach, dem Acromion, von Haus aus zu gering ist. Um Platz zu schaffen, muss ein Teil des Acromions entfernt werden.

Im Anschluss an einen solchen "Dekompressions-Eingriff" ist eine konsequente Nachbehandlung nötig. Eine Operation erwartet auch jene Sportler, die ihre Beschwerden ertragen, bis die entzündete Sehne reißt. Soweit sollte es nicht kommen. Es reicht, Schulterbeschwerden frühzeitig ernst zu nehmen.

Text: Dr. Ralph Müller-Gesser