Interview mit dem Südtiroler Profi-Alpinisten

Simon Gietl: "Allein am Berg dreht sich die Welt langsamer"

Im Rahmen des Salewa "Six to Nine Speed Hiking"-Events traf unsere Volontärin den Südtiroler Ausnahmealpinisten Simon Gietl. Im Abstieg von der Talschlusshütte zurück nach Sexten blieb genug Zeit für ein Gespräch über Winter-Traversen in den Dolomiten, Erstbegehungen im Himalaja und lebensverlängernden Standplatzbau.

Interview mit dem Südtiroler Profi-Alpinisten Simon Gietl.
© Lubika Brechtel

Projekte in den Dolomiten: Die Villnösser-Geisler-Traverse

Simon, du schaffst es immer wieder, spannende Projekte vor der Haustür zu finden. Zuletzt gelang dir die Villnösser-Geisler-Traverse im Winter. Wie kamst du auf die Idee?

Ursprung des Projekts war meine Rosengarten-Überschreitung letzten Winter. Die hatte ich eigentlich gar nicht als Solo geplant. Meine beiden Tourenpartner sind ausgefallen, aber ich war nach wie vor Feuer und Flamme für das Projekt. Deshalb ich bin dann allein gestartet. Die Option zum Scheitern war da – die Wahrscheinlichkeit war sogar groß – aber ich wollte es wenigstens versucht haben.

Ab der Hälfte der Tour kannte ich das Gelände nicht, das hat das Ganze zu einem richtigen Abenteuer gemacht. Die Rosengarten-Traverse war so spannend, dass ich nach dem Abschluss Blut für Solotouren geleckt hatte und gleich die Karte für ein mögliches Ziel studiert habe.

In den Dolomiten sollte es sein, technisch wie sportlich anspruchsvoll und mir unbekanntes Gelände. Durch Zufall kam ich dann auf die Geislerspitzen – ein richtiges Heimspiel. Die gesamte Überschreitung war allerdings noch nicht mal im Sommer gemacht worden, das hat mich schon zum Zweifeln gebracht. Man will ja einschätzen können, auf was man sich einlässt.

<p>Die Villnösser-Geisler-Überschreitung wurde bislang nur im Winter begangen.</p>

Die Villnösser-Geisler-Überschreitung wurde bislang nur im Winter begangen.

© Simon Gietl

Das Risiko kam mir hoch vor. Andererseits hast du die Tour nur ein Mal "jungfräulich" vor dir. Das war dann auch das Ausschlaggebende für mich und ich bin es angegangen.

Du hast die 12 Gipfel in 72 Stunden überschritten. War das die Zeit, die du geplant hattest?

Ich hatte verschiedene Szenarien im Kopf, von einem bis vier Biwaks. Letztlich habe ich zwei Nächte am Berg geschlafen. Ich fand es echt schwer, im Vorfeld die tatsächliche Entfernung einzuschätzen. Auf Google Earth schaut die Distanz natürlich sehr kurz aus. (lacht)

Mein Ansatz war, die Tour zu genießen. Da hat auch der Faktor Zeit keine große Rolle gespielt. Am zweiten Tag hätte ich die Tour mit etwas Pushen schon abschließen können, aber drei Gründe haben für mich dagegen gesprochen: 1. Ich war schon etwas angezählt. 2. Das Risiko war deshalb zu groß und 3. wollte ich mir keinen Stress machen.

Welche Schwierigkeit hatte die Kletterei? Konntest du dich sichern?

Die schwierigsten Stellen waren so um den 6. Grad, schätze ich. Da war ich auch immer gesichert. Schwieriger hätte es nicht werden dürfen, weil ich aus Platz- und Gewichtsgründen keine Kletterschuhe dabei hatte. Das begrenzt natürlich. Wären die Schwierigkeiten mehr geworden, hätte ich eine andere Linie suchen müssen.

90 Prozent der Zeit war ich aber eh mit Steigeisen unterwegs, das erlaubt mehr Präzision und ist beim Treten angenehmer. Und: Wegen dem ständigen Auf und Ab siehst du nicht, was hinter dem nächsten Fels wartet. Da sind Steigeisen die sicherste Option.

Dein Fazit zur Tour?

Das Projekt war wie ein Geschenk an mich selbst: Diese Momente, allein und exponiert dort oben geben mir so viel. Für solche Erlebnisse gehe ich an den Berg, nicht um so schnell wie möglich wieder daheim zu sein. Bei einem Biwak in den Bergen fühle ich mich glücklich. Wenn ich dort oben ganz allein bin, dreht sich die Welt etwas langsamer.

Das genieße ich vollkommen. Nicht mit Stress über die Türme laufen und wieder in den Alltag hineinspringen. Im Winter ist es auch besonders, wenn die Tage so kurz und die Nächte so lang sind. Man wird nicht aus der Situation gerissen, erlebt alles intensiver, ist ganz präsent an dem Ort und in der Stille.

Klingt fast poetisch. Also kommt in die Richtung noch mehr?

Ja, das kann ich mir gut vorstellen. (lacht) Ich erzähle aber lieber die Geschichten, wenn sie erlebt sind. Es wird so viel über Projekte gesprochen und so wenig geklettert.

Erstbegehung am Meru Peak mit Roger Schäli und Mathieu Maynardier

Wie lief eigentlich die Erstbegehung am Meru Peak (6.660 m), die du mit Roger Schäli und Mathieu Maynardier gemacht hast?

Also Roger und Mathieu hatten die Tour schon mal probiert. Deshalb war alles super organisiert und die beiden kannten sich extrem gut aus. Als sie mich gefragt haben, ob ich mitkommen will, habe ich mich sehr gefreut. Das war eine große Ehre. Allerdings war das Wetter zu Beginn sehr wechselhaft und die Lawinensituation recht angespannt.

Vor allem der Weg zwischen Camp 1 und unserem Camp 2 ist anspruchsvoll: Steile Schneeflanken auf einem steilen Gleitscher. Allein zur Wand zur kommen, ist nicht ohne. Dann mussten wir lange auf ein Fenster warten, was zumindest für die Akklimatisation gar nicht schlecht war. Ich habe auch das Glück, dass ich die Höhe gut wegstecke. Dadurch fällt natürlich viel weg.

Die anderen hatten etwas mehr Schwierigkeiten, Mathieu mit Durchfall, Roger am Gipfeltag mit starken Kopfschmerzen. Ganz zuletzt kam endlich ein kleines Wetterfenster und wir sind zum Gipfel hoch. Am 13. Mai um 9 Uhr standen wir oben, der "Goldfish" (Anm. d. Red. 800 m, M6+, A1) war erstbegangen.

Wer ist vorgestiegen?

Wir haben uns fair abgewechselt. Eine der schönsten Seillängen hat mir der Mathieu abgetreten – eine sehr coole Geste. Natürlich will jeder eine schwierige, spektakuläre Länge vorsteigen. Er war da echt locker, dafür bin ich ihm super dankbar!

<p>Die Erstbesteigung von Goldfish war ein großer Erfolg für das Trio, zumal die Bedingungen bis zuletzt herausfordernd waren.</p>

Die Erstbesteigung von Goldfish war ein großer Erfolg für das Trio, zumal die Bedingungen bis zuletzt herausfordernd waren.

© Instagram/Simon Gietl

Jetzt sind wir gleich am Parkplatz, also letzte Frage: Wie gehst du für dich als Familienvater mit dem Risiko auf solchen Touren um? Beeinflusst das deine Entscheidungen am Berg?

Meine Kinder sind jetzt 7 und 10 Jahre alt, natürlich beeinflusst mich der Gedanke an sie. Normalerweise suche ich meine Projekte schon so aus, dass keine großen objektiven Gefahren drohen. Wenn ich aber am Berg mit schwierigen Bedingungen konfrontiert werde, bin ich so im Moment und so fokussiert, dass andere Gedanken keinen Platz einnehmen können.

Ich muss dazu sagen, dass Altwerden schon mein Ziel war, bevor ich Vater geworden bin. Beim Standplatzbauen habe ich immer schon einen Friend mehr gelegt oder einen Haken mehr geschlagen. (lacht) Es geht ja um mein Leben.

Text von Lubika Brechtel

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