Tourenbuch

Skitour: Haute Route

Ein Alpinist geht 7 Tage von Chamonix nach Alagna. Doch die Powerfrauen des "Ladies Team" von Dynafit haben sich eine wirkliche Herausforderung gestellt: die Tour in drei Tagen schaffen und so einen neuen Rekord aufstellen. Wie's lief lesen sie hier.

Skitour: Haute Route
Das Dynafit Ladies Team.
Das Dynafit Ladies Team.

Monique könnte es so gut haben. Die drahtige Blonde lebt in Colorado und sie hat ausgesorgt: Der Naturkostladen, das Restaurant und die Pension laufen gut; rundrum liegen traumhafte Gipfel und Trails - warum tut sich die Erfolgs-Lady den Stress an, um die Wette auf Berge zu rennen, im Wildwasser nach Luft zu schnappen oder sich im Sattel zu quälen?

Vielleicht gerade deswegen? Weil der Kommerz alleine nicht genügt? Oder ist's doch eine merkwürdige Form vom Genuss-Sucht? Denn genießen tut sie die Extrem- Tour, die ihr Sponsor sich ausgedacht hat: "Warum auch nicht", lacht sie, "hier bekomme ich alles bezahlt - bin in den schönsten Bergen unterwegs und muss mich nur ein bisschen beeilen dabei."

Leonie könnte es so gut haben. Das Abitur steht vor der Tür; ein bisschen lernen, ein bisschen chillen, und sich auf die Bergtour freuen, die ihr die Brüder - beide Bergführer - zum Examen schenken werden.

Stattdessen hat sie sich von ihnen anstecken lassen - bloß weil sie mal erwähnt haben, dass bei Skitourenrennen so wenig Frauen antreten. Wo es da doch gute Preise gebe. So wurde aus dem beiläufigen Training ein Leistungssport, und plötzlich war Leonie im Ladies Team von Dynafit, wo sie auf Monique traf.

Barbara könnte es so gut haben. Keine Bürozeiten, kein nerviger Chef. Die Kühe sind geduldig und ihr geliebter Mann ist immer an ihrer Seite. Ab und zu der Fußmarsch rauf zur Alm - gut, der kostet Zeit, die im Alltag fehlt. Müssten doch schneller zu bewerkstelligen sein, die paar hundert Höhenmeter, sinnierte Barbara.

Kostet Zeit: flache Etappe über den Otemma-Gletscher.
Kostet Zeit: flache Etappe über den Otemma-Gletscher.

Ein Mountainbike musste her - "guter Ausgleich nach der Geburt meines Sohnes Johannes" - und weil die Trainingsrunden immer mehr Spaß machten, fing sie an, auch im Winter auf Zeit zu laufen. Mittlerweile ist die "Aufstiegsrakete aus dem Bayerischen" (YouNews.at) schon ein ziemlicher Profi.

Haben es Profis gut? Viel Ruhm und viel Geld für viel Trainieren und viele Medaillen? Nein, so einfach ist es nicht. Wettkampf- Siege sind eine Sache - aber medienwirksam? Es muss nicht immer der Everest sein, ein Alpen-Klassiker neu interpretiert bringt auch Aufmerksamkeit. Und junge Frauen sowieso ...

"Haute Route? Gut! In der halben Zeit?" - "Das wird nicht reichen ..." - "Na dann: 2 Tage statt der üblichen 5. Oder wir laufen gleich nach Alagna durch: 3 statt 7. DAS klingt doch gut!" - "Und wie nennen wir die Tour?" - (alle) "Haute Route Plus!"

So oder ähnlich werden die Vorgespräche wohl abgelaufen sein. Und wenn einer der männlichen Team-Kollegen die Strecke aus dem Effeff kennt, als Bergführer und Renn-Wunder, was kann da noch schiefgehen?

Ohne Posing kein PR: Barbara gönnt sich eine Verschnaufpause.
Ohne Posing kein PR: Barbara gönnt sich eine Verschnaufpause.

Na ja, Zweifel werden sie schon gehabt haben, angesichts der Zahlen: Gesamtstrecke: 48 + 41 + 29 = 118 Kilometer. Aufstieg: 4790 + 3070 + 2632 = 10 492 Höhenmeter. Das ergibt Tagesschnitte von fast 40 Kilometern und über 3400 Höhenmeter. Oder drei bis vier Skitouren für Normalverbraucher ... aber drei Tage lang! Also zwölf Skitouren in Folge mit zweimal schlafen!

Und alles ohne Bus-Transfers: Fünf Uhr morgens ist Start in Chamonix. Es geht per Rad nach Argentière, Ski auf dem Rücken. Dort die Piste hoch - statt die 2000 Höhenmeter gemütlich mit der Bahn zu fahren ...

Normalos wären nach dieser Etappe fix und alle, aber jetzt geht's erst richtig los: Gletscher hinab, Gletscher hinauf, 30 Grad steil hinauf, 45 Grad steil hinab ... noch mehr Gletscher und noch ein Couloir - alles mit den schmalen und superleichten Wettkampf-Ski, die eher Schlittschuhen ähneln als ihren aktuellen Big-Mountain-Brüdern.

Schließlich über Traumhänge hinunter ins Val d'Arpette. Zufällige Skitourengeher wundern sich über die Mädels im Partnerlook, die so schlecht auf den Ski stehen. "Nein, abfahren ist wirklich nicht meine Stärke!", lacht Barbara, und auch Monique zieht das Rennen dem Schwingen vor.

Pause? Ja, am Parkplatz bei den beiden Begleitfahrzeugen der Crew. Monteure? Masseure? Fehlanzeige! Zwei Team-Kollegen sind als Guides dabei, 8000er-Leichtathlet Beni Böhm und Nicolas Bennet, ein kleiner 23-jähriger Power- und Ausdauer- Sportler, der als Bergführer und Jäger eigentlich das ganze Jahr nur draußen lebt.

Zur Bildergalerie Tourenbuch Haute Route klicken Sie auf das Bild oder folgen Sie diesem Link. Auch Barbaras Mann Herbert läuft die Tour mit, während drei PR-Ladies aus zwei Ländern, Kameramann und Fotograf sowie einige wenige Journalisten das Bodenpersonal bilden, das versucht, dem Rennteam im Auto zu folgen.

Vom Val d'Arpette hinab zur Nordrampe des Großen Sankt Bernhard ist das schon schwierig, als es die drei Mädels auf den Bikes so richtig krachen lassen. Im Wald über Bourg-St-Pierre erneuter Wechsel vom Rad auf die Ski. Unglaublich, wie fit sie vor dem 1300-Meter- Anstieg zu ihrem Nachtlager auf der Cabane de Valsorey noch wirken, obwohl sie schon neun Stunden auf den Beinen sind.

Die Begleitmannschaft rennt nicht mit hoch, sondern kutschiert hinüber nach Zermatt. Ankunft bei Dämmerung. Tags drauf ein paar Modeaufnahmen mit den PR-Damen, Warten auf das Rennteam. Es rennt vorbei und ist viel früher im Hotel als erwartet.

Die Strecken, die man normalerweise mit dem Taxi fährt, machen die Mädels mit dem Rad.
Die Strecken, die man normalerweise mit dem Taxi fährt, machen die Mädels mit dem Rad.

Schlafen, duschen, Sauna? Keine Eile - erst einmal im Garten chillen, trinken, erzählen! Barbara und Herbert verabschieden sich. Sie haben keine Vertretung für den Kuhstall gefunden. Bleiben Leonie und Monique. Sie freuen sich: Die Älteste und die Jüngste kommen durch!

Am Morgen intensives Blasen-Verpflastern vor einer langen schneelosen Tragestrecke, dann geht es endlich auf Ski weiter und über das hoch gelegene Lisjoch hinab ins Skigebiet von Alagna, wo der Bodentrupp mit Rädern und Sträußchen wartet.

Downhill- Etappe per Bike und jubelnder Empfang im Dorf. Geschafft! Prosecco, Fotos, Interviews. Die Welt hat einen Rekord mehr. Nutzlos? Nicht mehr und weniger als jede andere Bergtour auch, als jede olmypische Medaille.

Für den Sponsor natürlich der Beweis, was mit gutem Material möglich ist ... Also doch: Leonie und Monique haben es schon gut!

Text: Bene Benedikt