1963 bis 2013: Ein halbes Jahrhundert ALPIN

Alles über Ausrüstung

Was wäre der heutige Alpinismus ohne moderne Ausrüstung? Meilensteine der Produktentwicklung markierten auch immer einen Leistungssprung im Bergsport. ALPIN begleitete diesen Fortschritt von Anfang an konstruktiv.

Alles über Ausrüstung
Pit Shubert hat hier die Bremskräfte am neuen Schuster-Perlon-Seil gemessen und detailgetreu aufgezeichnet.
Pit Shubert hat hier die Bremskräfte am neuen Schuster-Perlon-Seil gemessen und detailgetreu aufgezeichnet.

"Der dynamischen Sicherung gehört die Zukunft. Kein Zweifel!" So orakelte Pit Schubert vor über 40 Jahren in ALPIN und untermauerte seine Ausführungen mit einem selbst gezeichneten technischen Diagramm auf Millimeterpapier.

Damals gab es noch keine Computer, die ihm dies hätten abnehmen können. Also hielt mit dem gelernten Werkzeugmechaniker und Maschinenbauingenieur Schubert flächendeckend Millimeterpapier Einzug ins Heft und in dessen Folge mehr Sicherheit im Alpinismus.

Heute bräuchte man mindestens eine Sicherheitskreis-App für Dummies, um aus dem Diagramm die praktische Relevanz der Korrelation zwischen Munter-Seilbremse Stufe 1 im Bereich der Stichtbremse als Vielfachem des Bremsweges der ausgegebenen Seillänge abzuleiten.

Geschmeidig stürzen

Das Schuster-Kernmantelseil aus Perlon aus dem Jahr 1972.
Das Schuster-Kernmantelseil aus Perlon aus dem Jahr 1972.

Wie auch immer - die Antwort auf den Ruf der Bergsteiger und Belastungsanalysten lieferte die Industrie prompt: Das Sporthaus Schuster brachte ein "Sicherheits-Perlon-Bergseil" mit 46 Metern Länge auf den Markt, bei dem als Sicherheitsreserve an beiden Enden je sechs Meter mit einem gelben Faden markiert wurden.

Inzwischen wurde aus dem Bergseil das Kletterseil, Perlon findet sich nur noch in Erinnerung feiner Damenstrumpfhosen und ein Seil mit 46 Metern Länge fristet normalerweise nach mehreren Kürzungen sein Dasein als Toperope-Notfallstrick am Grunde des Kletterrucksacks. Die restlichen vier, vierzehn oder vierundzwanzig Meter wurden derweil zur Gartenarbeit verdammt und zu Knoten oder Köpfelschlingen weiterverarbeitet.

Heute verzichten Hersteller völlig auf Materialangaben: Nylon, Perlon, Dederon - wen interessiert’s? Dass die Seile halten, setzen wir voraus - das CE-Zeichen bürgt dafür.

Stattdessen wetteifern Pro Shield, Unicore, COATINGfinish und Thermo Shield darum, wer die kreativsten Marketingbegriffe ins Seil knüpfen kann.

Was viele Alpinisten am Wein schätzen, kann für Seile ebenfalls nicht verkehrt sein - je trockener, desto besser: Dry Shield, superDRY, DryCore und Everdry ringen um Aufmerksam- und Glaubwürdigkeit.

Besonders schön: Golden Dry.

Ansonsten hält sich der Fortschritt seit der Einführung des Kernmantelseils durch die Allgäuer Seilerei Edelrid 1953 in Grenzen. Nur die Durchmesser schrumpften bis auf 8,7 Millimeter (beim Serenity von Mammut), was beim Sichern mit althergebrachten Geräten in der Tat eine schier bremsenlose Flug- Dynamik ermöglicht.

Neuerdings ist auch die Sicherheitsreserve wieder da, wenn auch in etwas anderem Kontext. 60 Jahre nach Einführung des Kernmantelseils brachte Edelrid mit dem Snipe ein Modell auf den Markt, bei dem die Enden dicker und anders gefertigt sind als der Rest. Dies dient weniger der Bremswegverlängerung, sondern soll beim Ablassen eine optische und taktile Warnung für den Sichernden sein, damit der das Bremsseil nicht komplett durchrauschen lässt.

Klicken Sie sich durch die Slideshow und sehen Sie, wie sich das Material in den Jahren verändert hat.

Besser steigen

Aber nicht nur Klettern, auch Skifahren war und ist eine Kerndisziplin des Alpinismus, der ALPIN sich ständig widmet. Das Geburtsjahr von Alpinismus fällt zusammen mit einem regelrechten Skifahr-Boom - sowohl auf als auch abseits der Piste.

Die Lederriemenbindung war gerade so passé. Jetzt strebte man "durch den festen Sitz im perfektionierten Skischuh" danach, "mit dem Ski eine echte Einheit zu bilden". Nach den Sicherheitsbacken vorne entstanden in den Sechzigern die Fersenautomaten, die sofort auch bei den neu aufkommenden Tourenbindungen verwendet wurden.

Die Carrera Unimatic getestet vom Chefredakteur Toni Hiebeler 1965.
Die Carrera Unimatic getestet vom Chefredakteur Toni Hiebeler 1965.

Davor gab es durch die freie Ferse bei Skibindungen mit Kabelstrammer und Seitenfixierung (für die Abfahrt) keine Notwendigkeit, spezielle Bindungen für den Aufstieg zu konzipieren. Toni Hiebeler berichtete in Alpinismus 12/65 von seinen praktischen Erfahrung mit der Carrera Unimatic.

Andere Modelle wurden zwar vorgestellt, aber nicht ausprobiert, "weil Alpinismus kein Test- Institut ist" und die Redakteure ja am Schreibtisch sitzen müssten. Denn "sonst würde ja die Zeitschrift nicht erscheinen". Immerhin: Der gute Toni zwang sich mit der Unimatic auf den Montblanc. Die Hubhöhe der Ferse im Aufstieg betrug ganze fünf Zentimeter. Zuerst skeptisch, kam Toni doch "zu einer recht interessanten Feststellung: die Carrera Unimatic zwingt einem ein völlig neues Steiggefühl auf".

Kurze Schritte, wohltuender Rhythmus, gleichmäßiges Tempo, und bei der Abfahrt sei der Sitz auf dem Brett wie angenagelt, was eine vollkommene Skiführung zur Folge habe - so sein begeistertes Urteil für die Unimatic. Der herbe Beigeschmack der neuen Technologie: die Anschaffungskosten.

Früher habe man beim Skikauf nur ganz nebenbei an die Kosten für die Bindung gedacht, für die man etwa zehn Prozent des Skipreises einplanen musste. Nun sei bereits ein "runder Hundertmarkschein" fällig.

Technik hat ihren Preis

Fast vier Hundertmarkscheine blätterte man 30 Jahre später, Mitte der 90er, für die nagelneue Diamir, die auch damals schon uralte 404, die unbekannte (und unbrauchbare) Silvretta SL oder die Tourlite Tech auf die Ladentheke.

Der Skitouren-Boom der letzten Dekade hat Neues auf den Markt gespült und Altes wie Unbrauchbares gnadenlos aussortiert. Die Vielfalt nahm zu und der Z-Wert wurde zusammen mit dem Gewicht wieder größer. Zugenommen hat selbstverständlich auch der Preis und so können Bindungen immer noch locker mit dem Preis der Ski mithalten.

Aus D-Mark wurde Euro und bis zu 800 davon geben Rennläufer, Materialfetischisten oder Status-Jäger für eine ultraleichte Titan- Race-Wahnsinns-Bindung heutzutage aus. Und da weniger manchmal mehr ist, wie ja auch die Tourlite 3 Tech schon vor 17 Jahren in unserem Test reüssierte, wollen wir darüber auch nicht klagen. Sondern halten es lieber mit Toni Hiebeler, der schon 1965 nicht zu behaupten wagte, dass das Geld "für das, was man an Bindung geboten bekommt, nicht gerechtfertigt wäre".

Klicken Sie sich durch die Slideshow mit Titelbildern aus 50 Jahren ALPIN.