Tourenbuch

Hochtour: Bietschhorn

Das Bietschhorn – viele Alpinisten haben eine Liebeserklärung an diese formschöne Pyramide abgegeben. Die Ausstrahlungskraft des einsamen Berges, der knapp die 4000er-Marke verfehlt, und die alpinistische Herausforderung lassen manchen Viertausender erblassen.

Hochtour: Bietschhorn
Langer Aufstieg: durch das Baltschiedertal zur gleichnamigen Hütte.
Langer Aufstieg: durch das Baltschiedertal zur gleichnamigen Hütte.

Für viele Walliser ist das Bietschhorn der schönste Berg ihres Kantons und auch für mich kommt gleich nach dem Matterhorn das Bietschhorn. Der Berg zeigt dem Rhonetal seine attraktivste Seite: eine aus Rinnen und Rippen unglaublich reizvoll modellierte Pyramide.

So schön und doch nicht überlaufen? Wie kann das sein? Wahrscheinlich deshalb: Auch die einfachsten Anstiege, die Normalwege über den Nord- und den Westgrat, sind im SAC-Führer als ziemlich schwierig und lang angegeben.

Und dann trennen den Gipfel ja auch noch 66 Meter von der magischen Viertausenderzahl, so dass die Quotensammler wegbleiben.

Warum der große Ansturm am Bietschhorn ausbleibt, habe ich dann aber erst im Abstieg so richtig kapiert - in Anbetracht meiner Gummibeine, die nicht mehr so recht wollten.

Doch zum Anfang: Ich treffe meinen Bergführer, Egon Feller in Ausserberg. Wir folgen der Straße zur Niwärch hinauf, dem attraktiven Auftakt ins Baltschiedertal. Die historische Wasserführe Niwärch ist in steile Felsflanken gelegt und der Wanderweg daneben mitunter ein Balanceakt. Bald wird das Tal breiter mit idyllischen Alpböden, die im Frühsommer für ihre Blumenfülle bekannt sind.

Egi deutet auf den markanten Spitz im Talschluss: „Unter den Flanken des Jägihorns kannst du schon die Hütte sehen.“ Doch der Weg zieht sich. Kurzweil am lustig vor sich hin mäandernden Bach, aber dann endlose Serpentinen zur Baltschiederklause hinauf.

Keine Einsiedelei, wie der Name vermuten ließe, sondern das Resultat einer Spende des Industriellen Julius Klaus unter der Bedingung, ihn in die Namensgebung der Hütte einzubeziehen. Hüttenwirt Peter Planzer kann sich aber durchaus mitunter als Einsiedler fühlen, wenn an Schlechtwettertagen niemand den langen Weg zu ihm hinauf wagt.

Nur noch seine Hüttenkatzen leisten ihm dann Gesellschaft. Bilder an den Wänden zeigen, wie umtriebig die Katzen an Schönwettertagen sein können, wenn sie die Gipfelaspiranten bis ganz nach oben begleiten.

An Schlaf ist nicht zu denken, meine Gedanken kreisen um die bevorstehende Tour. Zu viert brechen wir im Stockdunkeln auf. Der Mond hat sich leider verzogen. Die Lichtpegel unserer Stirnlampen huschen über den Fels und lassen die Reflektoren erglimmen, die der Hüttenwirt zur besseren Wegfindung angebracht hat.

Fordernd: hier braucht es den ganzen Alpinisten.
Fordernd: hier braucht es den ganzen Alpinisten.

Auf dem Gletscher braucht es dann gutes Gespür für die richtige Route. Gerade ein Stück Gratkletterei hinter uns, passieren wir eine steile Schneeflanke. Erst bei zunehmendem Licht sieht man, wie steil sie wirklich ist. Mir gefriert das Herz, obwohl wir durch eine gute Schneelage optimale Bedingungen haben.

Endlich rückt der Grat wieder näher, wo ein Innehalten möglich ist, um die Morgenstimmung einzusaugen. Im Rhonetal wabert der Nebel, darüber glühen die Bergspitzen von rot bis violett und im Nordosten türmt sich das eisige Herz der Berner Alpen.

Egi drängt. Der Weg ist noch weit. Eine schmale Schneeschneide, dann wieder Fels, in den die Steigeisen kratzen. Am glatten Turm, der Schlüsselstelle, bekomme ich Gänsehaut, aber dann bin ich schon oben, um mir Gedanken zu machen, warum. Am Gipfelkreuz ist noch nicht Endstation, erst die nächste Graterhebung ist der höchste Punkt, von dem sich uneingeschränkte Schau bietet.

Aufgeputscht von der Pracht der Berge, machen wir uns an den Abstieg auf Fellenbergs Spuren über den Westgrat, den er als äußerst brüchig beschrieb. Also immer dicht an der messerscharfen Gratschneide entlang, wo das Gestein noch am stabilsten ist.

Eindrücke von der Tour - klicken Sie sich durch unsere Slideshow!

Aber weiter unten müssen wir in die Südwand ausweichen, wo rutschender Schutt das Vorwärtskommen sehr heikel gestaltet. Immer wieder poltern Brocken in die bodenlose Tiefe. Jetzt erst verstehe ich Egi, der dem Nordgrat an Schönheit eindeutig den Vorrang gibt. Der Schutthaufen hat am Bietschgletscher endlich sein Ende.

Eigentlich kommt der zehrendste Part erst jetzt. Die Muskeln sind müde und der Abstieg ins Lötschental ist lang, wenn man die Bietschhornhütte nicht als Zwischenstation nimmt. Wir treffen sie im Winterschlaf an, schade. Seit ihrem Bau 1881 ist die Hütte in ihrem Urzustand geblieben. Und durch die engagierte Bewirtung von Anni Imstepf wurde sie 2004 mit dem Mountain- Wilderness-Preis „Wildnishütte des Jahres“ ausgezeichnet.

Im Licht: Sonnenaufgang am Nordgrat.
Im Licht: Sonnenaufgang am Nordgrat.

2500 Höhenmeter Abstieg stecken in den Knochen, unten in Ried, wo neben der Bushaltestelle das Hotel Nest- und Bietschhorn die Wartezeit auf das Postauto versüßt. Im Gästebuch haben sich die Pioniere verewigt, auch Meta Brevoort, die mit ihrem Neffen W. A. B. Coolidge im September 1871 als erste Frau auf dem Bietschhorn stand.

Ihren Bericht über diese dritte Bietschhorn- Besteigung durfte sie nur unter dem Namen ihres Neffen in der Zeitschrift des britischen Alpenclubs, einem damals reinen Männerverein, veröffentlichen. Das fanden die Autoren der im ASVerlag erschienenen Bietschhorn-Monographie heraus.

Hündin Tschingel hingegen, die Meta auf zahlreichen Gipfeltouren begleitet hatte, war zum Ehrenmitglied ernannt worden.

Text und Fotos: Iris Kürschner