Interview: Mit dem Bike zum Berg

Stefan Glowacz: "Du kannst nicht Selters predigen und Sekt trinken"

Mit Projekt-Partner Philipp Hans radelte Stefan Glowacz über den Alpenhauptkamm bis in die französischen Seealpen. Drei Kletterwände bildeten dabei den Rahmen für die Route. ALPIN sprach mit dem Profi-Kletterer für die Grüne Ausgabe (ALPIN 4 | 2022) über das Thema nachhaltiges Reisen im Bergsport.

Stefan Glowacz radelte drei Monate über den Alpenhauptkamm.
© Stefan Glowacz

ALPIN: Stefan, du warst 2020 mit Philipp Hans per Bike auf Expedition in den Alpen. Kannst du nochmal kurz die Fakten zusammenfassen?

Ich wollte immer schon, den Abenteuer- mit dem Hochleistungs-Aspekt des Kletterns verbinden und dabei auf künstliche Fortbewegungsmittel weitestgehend verzichten. Das Rad ist für so ein Abenteuer vor der Haustür tatsächlich das naheliegendste Hilfsmittel. Gibt es eine bessere Möglichkeit, als sich die Alpen über das Mountainbike zu erschließen? Gerade, wenn man den "by fair means"-Gedanken integrieren will?

Vor unserem Projekt habe ich über Jahre beobachtet, dass ich die Alpen nur sehr punktuell kenne. Als Kletterer fährst du halt zu deinem Ziel, hakst die Routen ab und fährst unmittelbar danach wieder zurück. Bis auf die eine oder die andere Wand habe ich nicht viel gesehen. Und das wollte ich ändern.

<p>"The Wallride": Mehr als 50 kg wogen Bike und Anhänger.</p>

"The Wallride": Mehr als 50 kg wogen Bike und Anhänger.

© Stefan Glowacz

Wir hatten für die drei Monate insgesamt 2.500 Kilometer und 50.000 Höhenmeter geplant – ohne Kletterei. Auch Ruhetage gab es quasi keine. Gestartet sind wir mit ganz vielen Fragezeichen: Klappt es tatsächlich auf die Dauer bei dieser permanenten Wahnsinnsbelastung?

"Die Wände waren unsere Korridore"

Ich konnte Philipp Hans als Partner gewinnen, mit dem ich schon 2018 Grönland durchquert hatte. Der Plan war, den gesamten Alpenhauptkamm von Ost nach West mit dem Bike zu bewältigen. Aber nicht im Tal oder auf Geschwindigkeit, sondern auf Trails und Versorgungsstraßen aus den Weltkriegen. Die Wände waren unsere Korridore, zwischen denen wir uns bewegen wollten. Deshalb nannten wir das Projekt "The Wallride“ – erstmal unwissentlich – wie die Steilkurven in den Bikeparks.

<p>Dream-Team auf acht Rädern: Stefan und Philipp unterwegs.</p>

Dream-Team auf acht Rädern: Stefan und Philipp unterwegs.

© Stefan Glowacz

ALPIN: Wie hast du dich vorbereitet?

Der Grundgedanke war eine Analogie zwischen Klettern und Biken. Für uns hatte es eine unglaubliche Attraktivität, Erstbegehungen im Fels mit dem Rad zu verbinden. Dadurch wurde das Ganze wesentlich komplexer, zumal wir unsere gesamte Ausrüstung selbst transportierten.

Gleichzeitig wollten wir so schwer wie möglich klettern. Unser Credo war: So wenig Straße wie nötig, so viel Trails wie möglich. Am ersten Tag sind wir deshalb gerade mal bis vor Bad Tölz gekommen – ein einziges Drama. 20 Auto-Minuten von zu Hause entfernt. Da haben wir gemerkt, wo die Reise hingeht.

Das Equipment haben wir in Nachläufern hinter uns hergezogen, mit denen wir im Vorfeld im Bike-Park trainierten. Das hat super funktioniert. Wir mussten auf Tour aber doch jeden Tag kämpfen, dass wir die geplante Strecke und die Höhenmeter schaffen. Beide Disziplinen zu verbinden, ist ziemlich schwierig.

Drei Erstbegehungen waren bei "The Wallride" geplant

<p>Immer wieder tragen und schieben: auch das war Teil  von "The Wallride".</p>

Immer wieder tragen und schieben: auch das war Teil  von "The Wallride".

© Stefan Glowacz

ALPIN: Also gab es eine Diskrepanz zwischen eurer Erwartungshaltung und dem Erlebnis?

Wir planten, den Alpenhauptkamm zu überqueren und währenddessen drei Erstbegehungen zu klettern: Die erste in den Dolomiten, die zweite am Eiger oder am Wetterhorn in der Schweiz, und die dritte am Pic de Bure in den französischen Seealpen. Da wir enorme Distanzen mit einem Zusatzgewicht von 55-60 Kilo bewältigen mussten, hatten wir natürlich Limits – auch bei der Abfahrt. Unsere Trails waren teilweise nah am Handgelenksbruch. (lacht)

In der Abfahrt zum Achensee hatten wir gleich mal einen Deichselbruch, weil wir einen Wurzeltrail runtergebrettert sind. Absolut heillos. (lacht) Danach war klar: Runter vom Gas, im wahrsten Sinne des Wortes. Teilweise haben wir 12 Stunden nur geschoben. Da stellten wir uns natürlich die Frage, wie lange wir das überhaupt durchhalten. Zumal erschwerend meine schwere Herz-OP hinzukam.

Die Outdoor- und Bergsport-Branche lebt davon, dass "Natur" verkauft wird. Daher sollten auch wir Bergsportler:innen mit gutem Beispiel vorangehen und nachhaltige Produkte nutzen. Hier eine Auswahl an "sauberen" Ausrüstungsgegenständen aus der Outdoor-Industrie:

ALPIN: Wie viel Zeit hattest du zwischen der OP und eurem Projekt?

Zwei Monate. (lacht) Ich war – wenn überhaupt – bei 70 Prozent meiner Leistungsfähigkeit, als wir losgeradelt sind. Dementsprechend hatte ich starke Einschränkungen – vor allem, was die Ausdauer anging. Bis zu den Dolomiten habe ich mich geschunden wie ein Hund. Dort hat sich aber zum Glück alles gelöst, ist immer runder gelaufen und ich wusste, dass ich weitermachen kann.

ALPIN: Wie schwer seid ihr letztlich geklettert? Lief alles so, wie ihr es euch vorgestellt hattet?

Für die Erstbegehungen, die wir im Sinn hatten, kam eigentlich nur der Alpinstil in Frage. Das heißt, einsteigen und so lange in der Wand bleiben, bis du oben rauskommst. Ziemlich kompromisslos. Das gefällt mir einerseits extrem gut. Andererseits wollten wir ja das Klettern in den Vordergrund stellen und so schwer wie möglich klettern. Wir mussten also Kompromisse machen.

<p>Wallride: Erstbegehungen im Alpinstil</p>

Wallride: Erstbegehungen im Alpinstil

© Stefan Glowacz

Erfolgreiche Erstbegehung mit Wermutstropfen

In den Dolomiten haben wir eine Erstbegehung im oberen achten Schwierigkeitsgrad geklettert. Durch den Einsatz von "Removable Balls" haben wir nullkommanull Spuren hinterlassen. Einerseits echt cool, wenn du eine Wand hochkletterst, und danach nichts mehr siehst.

Die Acht-Millimeter-Löcher unserer Bohrmaschine erkennt man noch nicht mal, wenn man davorsteht. Andererseits ist es schade, weil die Linie dadurch unwiederholbar ist. Das war schon ein kleiner Wermutstropfen.

Die anschließend geplante Erstbegehung am Wetterhorn hat wettertechnisch leider weder bei der Hin- noch bei der Rückfahrt geklappt. Sowas kann natürlich passieren, wenn man nur gewisse Zeitfenster zur Verfügung hat. Am Pic de Bure schafften wir nur eine Erstbegehungsvariante, weil die Felsqualität schlechter war als gedacht.

ALPIN: Hast du dein Reiseverhalten seit Beginn der Pandemie verändert? Wie nachhaltig bist du unterwegs?

Wir Outdoor-Sportler sind extrem mobile Menschen und nehmen uns einfach das Recht heraus, jedes Wochenende ins Auto zu steigen, um in die Berge zu fahren. Zusätzlich fliegen wir für Expeditionen um die halbe Welt.

Ich glaube ehrlich, Fernreisen werden immer Bestandteil des Profi-Bergsteigertums und des Bergsteigens generell sein. Ich persönlich verzichte mittlerweile häufiger, z. B. fliege ich nicht mehr mal eben nach Spanien zum Klettern, auch wenn das Wetter da gerade am besten ist.

<p>Harte Aufstiege: 1200 Höhenmeter mit dem Rad und Anhänger</p>

Harte Aufstiege: 1200 Höhenmeter mit dem Rad und Anhänger

© Stefan Glowacz

Nachhaltigkeit: "Du kannst nicht Selters predigen und Sekt trinken."

Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, gemacht habe ich es trotzdem. Ich will nicht ausschließen, dass ich mich wieder ins Flugzeug setze. Aber ich werde wesentlich selektiver sein und in meinen Footprint entsprechend einbezahlen. Darum bin ich schon für meine Grönland-Expedition vor drei Jahren via Zug, E-Auto und Schiff gereist.

ALPIN: Wird sich das Reise- und Freizeitverhalten der Menschen durch die Corona-Einschränkungen langfristig verändern?

Schwer zu sagen. Ich glaube, wenn man wieder uneingeschränkt reisen kann, werden die Menschen das auch tun. Bei einigen hat aber ein gewisses Nachdenken eingesetzt. In der Corona-Pandemie mussten wir alle innehalten und unser Tun überdenken. Solange du den Menschen die Möglichkeit gibst, werden sich aber die wenigsten freiwillig einschränken. Du kannst nicht Selters predigen und Sekt trinken.

ALPIN: Was sagst du zusammenfassend über "The Wallride"?

<p>Stefan und Philipp: Planen schon ihr nächstes gemeinsames Abenteuer.</p>

Stefan und Philipp: Planen schon ihr nächstes gemeinsames Abenteuer.

© Stefan Glowacz

Philipp und ich uns waren die absolute Harmonie. Das hat mir viel gegeben und mich mit Stolz erfüllt. Wir haben uns jeden Tag gefreut, wieder gemeinsam loslegen zu können. Beide sagten wir nach drei Monaten intesivstem Zusammenleben beim Heimkommen "Schade, dass es vorbei ist." Ja, wir mussten viele Kompromisse machen und konnten nicht alles umsetzen, aber wir waren wir uns immer einig. Bei jeder einzelnen Entscheidung. Das war eigentlich das Schönste der ganzen Reise, neben diesen vielen kleinen Eindrücken.

Die siebenseitige Tourenreportage "Zeitreisende" findet ihr in ALPIN 4 | 2022. Weitere Interviews zu ihren Projekten führte ALPIN mit Ines Papert und Simon Gietl.

Ebenfalls mit dem Rad unterwegs war Stefan Hartmann: Zu den höchsten Bergen der bayerischen Regierungsbezirke:

Die ALPIN 4 | 2022 ist ab dem 08.03. im Zeitschriftenhandel und in unserem Heft-Shop erhältlich.

2 Kommentare

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Thomas vom ALPIN Team

Hallo Mathias, Danke für das Lob und den Hinweis, der Zahlendreher ist bereingt.

Mathias

Tolles Interview!
"50.000 Kilometer und 2500 Höhenmeter" heißt es eingangs. Ich vermute dass es anders herum richtig ist...