Tourenbuch

Klettertour: Rote Flüh

Ungläubig schaue ich dem ausgestreckten Zeigefinger des Wirts nach. "Da vorne ist euer Tisch", schreit er gegen den Lärm an. Wie schön! Es hat doch einfach einen Vorteil, auf Hütten zu reservieren. Wir sitzen direkt gegenüber einer Blaskapelle, die den gesamten Wirtsraum mit ohrenbetäubendem Lärm erfüllt. Ich habe ja nichts gegen Brauchtum, aber bitte nicht direkt an meinem Tisch. Wir essen lieber draußen.

Klettertour: Rote Flüh
Nicht immer ist die Routenführung logisch.
Nicht immer ist die Routenführung logisch.

Das Gimpelhaus ist trotzdem ein idealer Ausgangspunkt für alle Klettereien an den Südwänden von Roter Flüh und Hochwiesler. Und das sind einige. Zudem findet sich ein breites Spektrum an Schwierigkeiten hier oben. Vom Genuss-Vierer (Alte Südwand) bis zu modernen, alpinen Sportkletterrouten wie "Spiderman" (UIAA IX).

Wir haben uns für morgen die Südwestkante an der Roten Flüh ausgeguckt. Die bewegt sich im siebten Grad (eine Stelle) und ist über zehn Seillängen recht homogen. Klingt nach einer echten Herbsttour.

Wir lassen es am nächsten Morgen gemütlich angehen. Doch als wir unter der Südwand in Richtung Einstieg queren, verfluche ich schon wieder unsere morgendliche Trägheit. Zig Seilschaften stehen unter der Südwand, wahrscheinlich wollen eh alle in die Südwestkante.

Wollen sie nicht! Die Seilschaften verteilen sich schön gleichmäßig auf die verschiedensten Touren. Wir sind alleine am Einstieg. Also noch ein bisschen dehnen, warm machen und los geht es. Sind wir doch zu früh dran? Die Sonne bescheint den Südteil der Südwestkante. Zur Fotogalerie Tourenbuch Rote Flüh Dummerweise hat so eine Kante aber zwei Seiten. Und an einer Südwestkante bedeutet das, dass die andere Seite morgens im Schatten liegt. Und im Schatten ist es im Oktober ganz schön kalt. Das fühle ich vor allem an den Fingern. Nach wenigen Metern kann ich mir die Griffe zwar anschauen, nur spüren kann ich sie nicht mehr. Und immerhin ist das hier gleich mal Sechser-Gelände.

Um so schöner ist es dann am sonnigen Stand. Die Finger tauen schmerzvoll wieder auf, die Zehen ebenso. Und jeder, der beim Klettern schon mal kalte Finger hatte, weiß: Ab jetzt bleiben sie warm. Außerdem steigt die Sonne immer höher, und so dauert es nicht lange, bis die Softshells im Rucksack verschwinden.

Auf der warmen Südseite zu klettern ist die pure Wonne.
Auf der warmen Südseite zu klettern ist die pure Wonne.

Aus den benachbarten Routen hört man laute Seilkommandos. Richtig große Gruppen scheinen hier unterwegs zu sein. Besonders bei Genusskletterern ist die Südwand beliebt. Der Zustieg ist nicht lang, wer will, braucht auch nicht zu übernachten, sondern kann vom Tal aus zusteigen.

Und seit der Bergführer Toni Freudig und seine Freunde fast alle Routen im Gebiet saniert haben, erfreuen sich die Touren wieder großer Beliebtheit. Leider mussten zuvor erst ein paar Menschen zu Tode stürzen...

Wir genießen es richtig, mal wieder alleine klettern zu können. Denn weil Oma und Opa fast um die Ecke wohnen, geben uns die kleinen Kinder Ausgang. Meist sind gemeinsame Touren eher die Ausnahme. Nach vier Seillängen im sechsten Grad sind wir jetzt zumindest warm. Das ist gut so, denn in der fünften Seillänge wartet die Schlüsselstelle.

Mehrseillängenrouten klettert man am besten mit einem Zwillingsseil.
Mehrseillängenrouten klettert man am besten mit einem Zwillingsseil.

In einer seichten Verschneidung muss man sich gefühlvoll über das Standbein schieben, das nur in einer vagen Delle auf Reibung steht. Jetzt gaaaanz langsam den Körperschwerpunkt verlagern. Der Fuß hält. Nun noch vorsichtig zu dem rettenden Bierhenkel greifen. Geschafft! Ein Hoch auf die Reibungssohlen.

Nach sieben Seillängen in der Südwestkante erreicht man einen markanten Felskopf (Südwestkopf). Hier kann man die Tour ohne Probleme abbrechen. Der Stand der siebten Seillänge befindet sich sozusagen am Wanderweg. Wer noch genügend Motivation und Schmalz hat, gibt sich aber noch den Gipfeldurchstieg und nimmt nicht den von den Aussteigern bevorzugten "Chicken Way".

Allerdings sieht der Gipfeldurchstieg nicht leicht aus. Ein plattiger Quergang, nach wenigen Metern äußerst ausgesetzt. Schaun wir mal … Konzentriert nehme ich den Fels unter die Finger. Und der so kompakt und griffarm aussehende Quergang löst sich fantastisch auf. Genusskletterei pur. Birgit tänzelt leichtfüßig über die plattige Stelle, bei mir sah das sicherlich weniger elegant aus. Zur Fotogalerie Tourenbuch Rote Flüh Zwei weitere ausgesetzte Seillängen bringen uns bis zum Ausstieg kurz unterm Gipfel. Noch wenige Schritte und wir stehen am höchsten Punkt - zusammen mit vielen anderen, die meisten wandern hier herauf.

Ein wenig abseits setzen wir uns in die Sonne und genießen die Aussicht. Und wir sind uns einig: Aktive Wochenenden mit Kindern sind schön, aber hin und wieder muss auch ein kinderfreies Wochenende drin sein.

Text: Olaf Perwitzschky

Fotos: Birgit Gelder

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