Endlich habe ich es einmal geschafft, den Widderstein mit Ski zu machen. Schon Jahre führen wir gegenüber im Skigebiet mit Blick auf den Widderstein unseren Skitest durch – auf der harmlosen Seite des Hochtannbergpasses. Auch die andere Seite gibt sich erst einmal harmlos.
Auf den ersten 300 Höhenmetern liegen die weiten Flächen, durchzogen von ein paar Gräben, noch recht „friedlich“ da. Dann kommt der Klotz. Steil und unnahbar steht der Große Widderstein über dem Hochtannbergpass. Dass er mit Ski machbar sein soll, ist fast nicht zu glauben. Aber bei guten Verhältnissen kann man mit Ski fast bis auf den Gipfel steigen. So steht es im Führer.
Jedes Jahr haben wir uns die Rinne, die den Zustieg bildet, angesehen. Aus dem Skigebiet gegenüber. Und wie es immer so ist: Von gegenüber sehen die Hänge noch steiler aus. Wollen wir da wirklich rauf? Aber diese Frage stellte sich nie konkret. Denn die vorherrschenden Verhältnisse haben den Widderstein nie zugelassen.
Dieses Jahr aber sollte es klappen. Allerdings mit einem tragischen Vorspiel. Vier Tage, bevor wir zum Widderstein wollten, hat es dort ein Lawinenunglück gegeben. Ein Alleingeher ist in einer Lawine, die sich in den Gipfelbereichen gelöst hat, durch die Rinne gespült worden. Er hatte keine Chance, lag metertief verschüttet (mit ausgeschaltetem LVS-Gerät im Rucksack).
Stundenlang haben die Rettungskräfte gesucht, bis sie ihn gefunden haben. Das hieß für uns (wenngleich es etwas makaber klingt): freie Bahn. Denn in den vier Tagen seit der Lawine hatte es weder kräftigen Wind noch Neuschnee gegeben. Die weiten Hänge oberhalb der Straße sind ideal, um auf Betriebstemperatur zu kommen.
Am Ende der Hänge quert man unter den felsigen Bastionen des Widderstein entlang, um an den Beginn der Rinne zu gelangen, die steil aber direkt zum Gipfelgrat leitet. Am „Einstieg“ legen wir Harscheisen an. Die Lawine von vor vier Tagen hat allen losen Schnee rausgespült. Harte Schneeverhältnisse erwarten uns also.
Leider aber passen meine Harscheisen nicht auf die Ski. Die Ski sind zu breit. Evolution der Tourenski! Und jetzt sind die Sch … dinger auch noch so stabil, dass ich sie fast nicht aufgebogen bekomme. Mit einem erheblichen Anteil brutaler Gewalt und Teamwork gelingt es dann doch, die Harscheisen auf die Ski zu montieren.
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Dann der Einstieg in die Rinne. Es ist hart, aber griffig. Konzentriertes Gehen ist angesagt, gerade unten muss man viele Spitzkehren machen. Ein kleines Stück weiter oben darf man dann tunlichst nicht ausrutschen, denn man quert oberhalb eines Felsriegels, um etwas später wieder in den Grund der Rinne zu gelangen. Ein Rutscher hätte hier einen Freiflug zur Folge.
Im Mittelteil müssen wir kurz die Ski ausziehen und Steigeisen anlegen. Es würde auch mit Ski gehen, aber wir haben nicht den Ehrgeiz, auf Ski unsicher hoch zu eiern. Dann doch lieber sicher gehen.

Für den Gipfelhang kommen die Ski wieder unter die Füße. Wir sehen genau die Anrisskante des Schneebretts von vor vier Tagen. Massen von Schnee müssen da durch die Rinne geschossen sein. Wir traversieren den Hang und stehen fast unvermittelt am Grat, schauen hinunter ins Kleine Walsertal. Noch wenige Meter geht es mit Ski weiter, bevor wir sie zurücklassen.
Keine fünf Minuten später stehen wir zu Fuß auf dem Gipfel. Nebel umwabert uns. Es ist recht warm, die Sonne steht dicht hinter den Wolken. Das Gipfelkreuz liegt wie gefällt auf dem Boden. Ob der Tourengeher vor vier Tagen auf dem Gipfel war? Eher nicht. Ich denke, er hat das Schneebrett im Gipfelhang selbst ausgelöst. Spuren sind hier oben keine.
Wir hoffen für die Abfahrt auf bessere Sicht. Aber irgendwie will die Sonne nicht. Also doch im Nebel hinunter. Naja, zumindest verfahren kann man sich nicht. Allerdings wäre es in dem Gelände und bei der Steilheit auch nicht schlecht, wenn man etwas sehen würde. So fahren wir relativ vorsichtig so weit runter, bis wir halbwegs Sicht haben.
Die Abfahrt ist wirklich schön und kommt uns gar nicht so steil vor – sicherlich auch wegen der schlechten Sicht. Nebel hat also auch seine Vorteile. Auf der anderen Seite sind die harten Verhältnisse jetzt ideal. So erreichen wir ohne Zwischenfälle die weiten Hänge unterhalb desWidderstein.
Hier haben die Sonne und die Wärme ganze Arbeit geleistet. Der Harschdeckel trägt nicht mehr. Vorbei der Spass. Aber wir sind uns einig. Der Widderstein ist bei den richtigen Bedingungen eine geile Tour!
Text: Olaf Perwitzschky
Fotos: Birgit Gelder