"Komm, ich zeig dir ein Feld aus blau blühenden Taginasten", schlägt Sergio vor und biegt in einen kleinen Pfad abseits der Hauptroute ein. Plötzlich ein gellender Pfiff aus der Höhe. Ein Parkranger steht wild fuchtelnd auf dem nächsten Hügel und wacht darüber, dass wir nicht vom "rechten Weg" abweichen.
"Am besten in einem Rutsch bis zur Hütte", rät der Bergführer vor dem Einstieg in den steilen Pfad, der am Fuß des Teide beginnt. Aber natürlich halten wir uns nicht daran - der Blick ist einfach zu grandios, um durchzumarschieren: Unter uns die Caldera de las Cañadas, der bis zu 17 Kilometer durchmessende Kessel rund um den Teide. Seine Ränder sind teilweise 700 Meter hoch, beeindruckende Überreste des mächtigen Urvulkans, der die Inselmitte vor Jahrtausenden beherrschte. Rund 6000 Meter Höhe soll er einmal erreicht haben.
Eine Vielzahl endemischer Pflanzen@(zwischenHeadlineTag)>
Auf den ersten Blick scheint die Einöde völlig leblos. Doch bei genauerem Hinsehen stechen überall Farbtupfer aus der Landschaft: Die kugeligen Büsche der gelb blühenden Besenrauke, das lila leuchtende Teide-Veilchen und der Teide-Lack mit roten, weißen und rosa Blüten an einem einzigen Zweig. Am prächtigsten sind die bis zu drei Meter hohen Blütenstände der Taginaste oder des Natternkopfs.
"Alles endemische Pflanzen", erklärt Sergio. "Die gibt es nur hier. Sie entwickelten sich durch die extremen klimatischen Bedingungen." Wasserknappheit, Temperaturschwankungen von bis zu 20 Grad am Tag, starke UV-Strahlung und rund 100 Frostnächte im Jahr haben die Pflanzen dazu gebracht, sich zu ducken und zusammenzukugeln, kleine Härchen oder schützendes Wachs zu entwickeln.
Erst kurz vor dem Refugio de Altavista beginnt die kalte, steinerne Mondlandschaft der Gipfelregion.
Die allabendliche Vorführung endet mit dem "Teideglühen"@(zwischenHeadlineTag)>
Die rustikale Berghütte in 3264 Meter Höhe ist voll - wie immer. Es ist die einzige auf den Kanaren, und mithin der ideale Stützpunkt, um pünktlich zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel des Teide zu stehen. Die Begrüßung durch den Hüttenwirt ist wortkarg: Nach einem knappen "Hola" zieht sich der Regierungsangestellte schüchtern in sein privates Refugium zurück. Nur seinen Namen verrät er noch: Antonio.
"Um acht Uhr geht das Licht an", verkündet er später. "Und um neun verteile ich die Schlafplätze." Stöhnen unter den erschöpften Bergsteigern.
Doch dann beginnt das Naturschauspiel, von dem Sergio so schwärmte. Dick eingemummelt, beobachten alle staunend das Schattenspiel.
Die allabendliche Vorführung endet mit dem "Teideglühen": Die umliegenden Krater und Gipfel erstrahlen in leuchtendem Rot. Sogar die Schwefelfahne aus dem Teideschlund zeichnet sich zeitweise über dem Meer ab. Langsam verschwimmt der Schatten des Berges mit der Dunkelheit der Nacht.
Punkt vier Uhr klingeln die Wecker@(zwischenHeadlineTag)>
Neun Uhr abends. Endlich! Antonio schließt die Schlafräume auf und gibt Tipps für den Morgen: "Wenn ihr das Spektakel mit allem Brimborium erleben wollt, müsst ihr um halb sechs los."
Punkt vier Uhr klingeln die Wecker. Während alle noch Schlange vor der einzigen Toilette stehen, genießen Sergio und ich schon die Stille beim Aufstieg. Nur das Geröll aus Bims und Basalt klirrt unter unseren Füßen wie zerbrochenes Porzellan. Das Licht unserer Stirnlampen erhellt gespenstische Felsformationen: gereckte Fäuste, blinkende Speerspitzen, in der Bewegung erstarrte Wellen aus Stein.
Nahe bei der Bergstation der Seilbahn steigen wir über die Absperrung zum Gipfelweg "Telesforo Bravo", der nach einem spanischen Geologen benannt wurde. Tagsüber stehen hier zwei Wächter, die nur Wanderer mit Genehmigung der Parkverwaltung passieren lassen. Eine Maßnahme zum Schutz der sensiblen Gipfelregion. Früher trampelten täglich Hunderte von Acht-Minuten-Bahnfahrern in Sandalen und Badeschuhen über den schmalen Kraterrand.
Lindwürmer aus flackernden Stirnlampen@(zwischenHeadlineTag)>
Aus der Tiefe hören wir inzwischen die Stimmen der beiden Wandergruppen und sehen zwei Lindwürmer aus flackernden Stirnlampen, die sich durch die Schwärze der Nacht schlängeln.
Die dünne Luft macht sich auf den letzten Metern bemerkbar. Jeder Schritt eine kleine Anstrengung. "Aber nach der Peitsche kommt das Zuckerbrot", sagt Sergio.
"Pan de Azúcar", Zuckerbrot, wird der Gipfel von den Insulanern genannt. "Nicht nur wegen seiner hellen Farbe", erklärt er, "sondern wegen der süßen Freude, wenn man es geschafft hat." Auf dem letzten Abschnitt schlagen uns heiße Luft- Schwaden ins Gesicht, der Schwefel beißt in der Kehle.
Das Schauspiel beginnt@(zwischenHeadlineTag)>
Um kurz vor sieben ist das Publikum versammelt. Der Vorhang geht auf. Auftritt: die Sonne. Erst ein roter Schimmer, dann der glühende Ball, der sein Licht über die Passatwolken verteilt. Meter für Meter erobern die Strahlen Wälder und Vulkane - und den Krater des Teide: Der erwartete Höllenschlund entpuppt sich als Kraterchen, kaum dreißig Meter tief und weiß vom Bimsstein.
Während im Norden der Insel die Passatwolken über die Hänge des Anagagebirges hinabstürzen, fängt der Vulkan im Westen schon wieder an, mit seinem Doppelgänger zu protzen.
Diesmal taucht sein Schatten die Insel Gomera ins Dunkel, bevor er sich schließlich in Luft verflüchtigt. Ein neuer Tag hat begonnen.
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