alpin.de: Alexander, Du hast ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Angst - Dein bester Freund". Das klingt ja erst mal widersprüchlich, weil die meisten mit Angst etwas Negatives assoziieren. Kannst Du uns erklären, was es mit dem Titel auf sich hat und wie Deine These zu verstehen ist?
Mein Buch kann man durchaus als kleine Mission betrachten, der Angst das Stigma des Negativen zu nehmen. Denn die Angst hat definitiv positive Aspekte. Für mich persönlich ist die Angst ein guter Freund wenn ich am Berg unterwegs bin. Sie hilft mir, konzentriert und fokussiert zu sein. Manchmal zeigt sie mir auch, dass es besser ist, an diesem Tag auf die Begehung einer Route oder einen Gipfelversuch zu verzichten und umzukehren. Die Angst hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich heute noch lebe. Wenn ich keine Angst haben würde, wäre ich schon längst runtergefallen. Von all den Hasardeuren, die beim Bergsteigen angstbefreit sind, hat keiner lange überlebt.
alpin.de: Du beschreibst in dem Buch sehr offen und ehrlich, dass Dich vor gut zehn Jahren eine Angsterkrankung erwischt hat, die Dich lange beschäftigt hat. Wie kam es dazu? Wie hat sich das geäußert?
Bei mir lief es damals richtig schlecht. Eine Expedition war gescheitert, ich war verletzt, es kamen keine Vortragsanfragen mehr, dafür Kritik von anderen. Ich verlor die Freude am Bergsteigen und Klettern, ging wenig vor die Tür, hatte Existenzangst und entwickelte mich mehr und mehr zum Hypochonder. Kopfschmerzen? Das muss ein Hirntumor sein? Schmerzen im Brustraum? Da stimmt etwas mit dem Herz nicht. Ich bin von Arzt zu Arzt gerannt, habe alles abklären lassen. Doch körperlich hat mir nichts gefehlt. Das Problem war mein Geist. Ich entwickelte das, was man in der Fachsprache "generalisierte Angsterkrankung" nennt. Da habe ich dann tatsächlich professionelle Hilfe gebraucht und zum Glück schnell einen richtig guten Therapeuten gefunden.
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alpin.de: Und jetzt ist alles wieder gut?
Ich bin mit Hilfe des Therapeuten recht schnell wieder aus der Krise herausgekommen; aus der ersten jedenfalls. Aber es gab immer wieder auch Rückschläge. Wenn man eine generalisierte Angsterkrankung erst mal entwickelt hat, ist die in der Regel nicht von heute auf morgen komplett vorbei. Mir hat mein Therapeut damals erklärt, dass ich damit rechnen solle, dass es mich noch öfters "erwischen" werde, bis ich mein altes Selbstbewusstsein wiederentwickelt hätte. In der Regel dauert der Prozess zwischen fünf und zehn Jahren. Da muss man dranbleiben, darf nicht locker lassen. Was ich gelernt habe, ist, viel früher zu intervenieren, es gar nicht erst zum Ausbruch einer Krise kommen zu lassen. Und selbst wenn es nochmal dazu kommen sollte, weiß ich heute, dass ich diese defintiv meistern werde.
alpin.de: Hast Du Dich in dieser Zeit mal in ein anderes Leben geträumt, Dir zum Beispiel gedacht: "Verdammt, warum bin ich nicht doch Physiker geworden?"
Wenn Du die Berufung zum Beruf gemacht hast, kann das schnell zum Eigentor werden. Das, was früher reiner Spaß an der Freude war, wird plötzlich zum Zwang. Es ist nicht gut, das Gefühl zu haben, aus existentiellen Gründen einen Berg raufkommen zu MÜSSEN. Aber ganz ehrlich: Wenn ich Wissenschaftler geblieben wäre, wäre ich auch unter Druck gestanden, hätte auch Erfolge vorweisen müssen. Wenn Du am Lehrstuhl nie was auf die Reihe bringst, dann kommst Du auch dort nicht weiter.
alpin.de: Hast Du Tipps für Menschen, die mit ähnlichen Problemen kämpfen?
Schnell reagieren! Nicht lange warten, zum Experten gehen, sich einen Therapeuten suchen und sich den Problemen stellen. Ich habe zunächst sicher zu lange gewartet, mir professionelle Hilfe zu holen. Je schneller man interveniert, desto besser sind die Aussichten, einigermaßen rasch aus der Krise zu kommen.
alpin.de: Warum hast Du dieses Buch geschrieben?
Weil ich meine Erfahrung mit der Angst weitergeben möchte. Ich bin davon überzeugt, dass das Buch vielen Menschen als positive Inspiration helfen kann. Auch mir hat es geholfen, alles nochmal aufzuschreiben.
alpin.de: Nervt es Dich, gerade nicht mehr als der "Free-Solo-Huber", sondern gewissermaßen als der "Angst-Huber" in den Medien präsent zu sein.
Ich bin ja nicht naiv. Wenn ich so ein Buch schreibe, mit so einem Thema an die Öffentlichkeit gehe, ist mir natürlich klar, dass ich darauf angesprochen werde. Und das ist ja auch gut so. Zum einen kann ich somit viele Menschen auf dieses wichtige Thema aufmerksam machen. Und zum anderen, das verschweige ich als Profi nicht, hilft es mir, das Buch zu verkaufen. Es stecken immerhin zwei Jahre Arbeit drin.
alpin.de: Wie geht es bergsteigerisch weiter bei Dir, was hast Du für Pläne?
Ich merke schon, dass ich langsam älter werde und die Maximalkraft ein wenig nachlässt. Noch kann ich gut mithalten, was die Rotpunkt-Erstbegehung von "Nirwana" (XI-) an der Sonnwendwand 2012 gezeigt hat. Gut möglich, dass das die derzeit schwerste Felskletterroute in den Alpen ist. Klar ist aber dennoch, dass die jungen Wilden mittelfristig an mir vorbeiziehen werden und es manche auch schon sind. Möglich, dass der Adam Ondra hergeht und "Nirwana" im zweiten Versucht klettert. Das Niveau ist gerade im Sportklettern unglaublich gestiegen. Wenn ich die Route vor fünfzehn Jahren gemacht hätte, wäre das ein weitaus mehr beachteter Erfolg gewesen. Heute geht sowas schon fast unter. Das heißt für mich, dass es verstärkt zu den großen Berge dieser Welt gehen wird, wo der ganze Alpinist gefragt und Erfahrung ein wichtiger Faktor ist. Ruhiger angehen lassen werde ich es nicht. Ich bin immer noch hungrig.
Mehr zu Alexander Huber: www.huberbuam.de Interview: Holger Rupprecht / alpin.de
Alexander Huber "Die Angst - dein bester Freund"
Gebunden, 184 Seiten
UVP: 19,95 Euro
Das Buch ist kein übliches Bergsteigerbuch. Es ist weit mehr als ein Sammelsurium alpiner Glanztaten aus der an solchen Taten nicht eben armen Vita von Alexander Huber. Es ist vielmehr ein sehr persönliches Buch, das dem Leser einen tiefen Blick in die Seele des Menschen und Leistungssportlers Alexander Huber gestattet. Er erzählt, wie die Angst es beinahe geschafft hätte, ihm das Klettern und die Berge zu nehmen, er es aber schließlich schaffte, sie von einem schlimmen Feind zu einem guten Freund werden zu lassen. Einen konstruktiven Umgang mit der Angst zu finden, geht nicht nur Bergsteiger und Kletterer, sondern uns alle etwas an. Alexander Hubers Buch kann helfen, diesen Umgang zu finden. Die Bilder (viele von Heinz Zak) machen das spannende, gut geschriebene und mit wissenschaftlichen Beiträgen ausgestattete Buch auch optisch zu einem Vergnügen.