Servus Charly!

"Kultwirt" Charly Wehrle feiert seinen Abschied

Dreißig Jahre Hüttenwirt im Wetterstein. Mit Charly Wehrle geht ein Original, eine Institution, ein besonderer Hüttenwirt. In den wohlverdienten Ruhestand? Von wegen.

"Kultwirt" Charly Wehrle feiert seinen Abschied
Ein schönes Ziel für Bergreunde: Die Reintalangerhütte, seit vieln Jahren liebevoll bewirtet von Charly Wehrle.
Ein schönes Ziel für Bergreunde: Die Reintalangerhütte, seit vieln Jahren liebevoll bewirtet von Charly Wehrle.

Wenn man die berühmte Partnachklamm besucht, staunt man über die Wasserfontänen, es sprüht in der engen Felsspalte, durch die der Weg führt, der Eintritt kostet. Und mancher Feriengast ahnt gar nicht, dass es einige hundert Höhenmeter weiter oben noch viel mehr sprüht: An Gastfreundschaft, an Phantasie, an Ideen und Kameradschaft. Und fragt man dort oben, warum das so ist, so bekommt man eine knappe aber eindeutige Antwort: "Des liegt am Charly". Basta.

Eine Forststraße führt hinauf zur Reintalangerhütte, vorbei an der Blauen Gumpe und wird zum Weg, zum Pfad. Ab und zu ist der Weg mit Metallgittern verstärkt, immer wieder abgestützt. Er könnte viel erzählen dieser Weg. Denn einer benützt ihn am häufigsten, ein Motorradfahrer, nicht selten mit Bierfässern belastet, weil das Weißbier, das vom Hubschrauber heraufgebracht wurde "nicht glangt hat".

Der Anfang vom Ausstieg

Ein Zwölfjähriger wollte wissen: "Charly, wie wird man Hüttenwirt?" "Da kommst jetzt einfach amal vier Wochen rauf zu mir." So einfach hatte es Charly 1964 nicht, der Vater hat ihn in eine Metzgerlehre gesteckt, viel gefragt wurde der Bursch damals nicht. Mit 23 machte er die Meisterprüfung - aber danach zog es Charly nach Persien, fünf Wochen … "Das war der Anfang vom Ausstieg!" In Persien gab es Berge, 5000er, die zogen ihn an, die zogen ihn rauf. Der Münchner Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer nahm ihn dann mit zum Nanga-Parbat, zur Rupal-Südseite.

Schmecken muss es: Charly Wehrle lässt nichts anbrennen.
Schmecken muss es: Charly Wehrle lässt nichts anbrennen.

Im Wettersteingebirge wurde ein Hüttenwirt gesucht. Für die Stuiben/Oberreintalhütte, das Refugium für die Wettersteiner Kletterelite. Und Charly fragte einfach, wie es seine Art ist: "Was tät's ihr denn zu mir sagen?" Man kannte ihn damals im Alpenverein als einen, der Verantwortung übernahm, er konnte organisieren, er konnte kochen - er bekam den Zuschlag und Charly war Hüttenwirt. "Und ich hab gespürt, der Beruf war mir auf den Leib geschneidert."

Hüttenwirt ist Saisonarbeit. "Dass ich dazwischen meinem Reisefieber nachgehen konnte, das war für mich ein wahnsinniger Reichtum." Und freie Zeit hatte schon als Bub, als er mit Vater und Bruder unterwegs war, immer mit Bergen zu tun. Und besonders der Fels hatte es ihm schon früh angetan. Es war ja gerade die große Umbruchphase, das Sportklettern brachte große Figuren hervor, Kurt Albert stieß den Gedanken des Rotpunktkletterns an, Reinhard Karl und Helmut Kiene triumphierten in der Pumprisse, die Garmischer Jungenschaft formierte sich, unter ihnen der 15-jährige Stefan Glowacz. "Aber ich war nicht nur auf das Bergsteigen fixiert, unterwegs haben mich immer auch Land und Leute interessiert." Stuiben/Oberreintal: Sechs Winter und sechs Sommer. "Ich hatte das große Glück, dass in meiner Zeit kein tödlicher Unfall passiert ist."

Dann kamen seine beiden Großstadtjahre - München-Haidhausen, ein Alt-Stadtteil, in dem es damals "brummte": Kneipenkultur, Musikschuppen, Straßenfeste. Charly hat Fotos gesammelt, die Idee einer Ausstellung legt erste Keime. Apropos Keime - als Gärtner im Klinikum Großhadern verdiente er sich die Miete für die Wohnung in der Metzstraße. Doch da: Der DAV-Summit Club lud ein nach Berchtesgaden, zum großen Bergsteiger- und Trekkertreffen mit Filmen und Vorträgen. Und Charly fuhr dorthin und schaute sich die Welt wieder mal an - im Vortragssaal - und er beschloss: "Du brauchst einen Beruf, bei dem du dein Einkommen und Auskommen hast, der dir gefällt und dir genügend Zeit lässt, um zu reisen."

Reintalangerhütte: Manchmal wollte er den Laden hinschmeißen

Er bewarb sich um eine Stelle als Hüttenwirt - am Watzmannhaus. Er war unter den beiden "Auserwählten" es hat dennoch nicht geklappt. Als aber dann ein Wirt für die Reintalangerhütte gesucht wurde, gefiel ihnen der junge Charly mit der Meisterprüfung am besten. "Jeder aus Partenkirchen warnte: Lass die Finger davon, da is nix los da oben. Der ganze Hof lag danieder mit zweieinhalbtausend Übernachtungen im Jahr … da hat er sich übernommen, hieß es, die Hütte ist viel zu groß für ihn." Ein harten Beißen, manchmal wollte er den Laden hinschmeißen … "Nein, du macht weiter", sagte etwas in ihm, aber ein Verkehrsunfall kommt hinzu, "der Tiefpunkt in meinem Leben war erreicht."

Charly fuhr nach Ecuador, machte einen Spanischkurs und bestieg allein den Chimborazo. Zurück traf es sich, dass Bergführer Wolfgang Pohl Kinderkurse auf seine Hütte brachte. Das Unternehmen Reintalanger fing langsam an, sich zu rentieren, auch wenn man neben Idealismus und Arbeit auch manches Materielle in die Hütte stecken musste. Und er lernte einen weiteren Gegner kennen, die Unbillen der Natur. Ob dies Murenabgänge waren, die den Weg zur Hütte immer wieder zerstörten, ob die Wasserturbine kaputt war oder Schneelawinen den Weg auf viele Tage versperrten, der Überlebenswille eines Menschen wurde zum (Über)lebenswerk Reintalangerhütte.

Für eine kleine Fotogalerie zu Charly Wehrle klicken Sie auf diesen Link. Unter den Hüttenwirten gilt er als Paradiesvogel. "Ich habe immer das Publikum auf der Hütte miteinbezogen in das Hüttenleben. Wie bei einer Großfamilie hat sich daraus ein eigenes Stilleben entwickelt, auf der Oberreintalhütte war es die Kletterfamilie, auf der Reintalangerhütte die Gäste (er nennt sie Publikum) und daneben auch immer sein Team. "Das ging hat auch deshalb, weil ich Junggeselle war, ich hab auf niemand Rücksicht nehmen müssen und war in meinen Entscheidungen völlig frei."

Der Charly und die Kunst

Vorbilder? "Ich hab den Fischer Franz gekannt, bei ihm waren wir ganz oft oben. Der war ein berühmter Hüttenwirt, der jeden kannte und eine riesige Sportskanone war. Ich hab bei ihm auch gelernt, dass man auch aufpassen muss, damit man nicht belächelt wird von den Leuten. Als Hüttenwirt muss man das Kaufmännische, das Philosophische, den Ablauf, das Organisatorische unter einen Hut bringen." Mit einem liebevollen Buch hat Charly dem Fischer Franzä ein Denkmal gesetzt. Ach ja, der Charly und die Kunst. Die ist bei ihm nicht abgehoben sondern ergibt sich aus seiner Umgebung. Wie die Ausstellung über das Oberreintal. Wie seine Bücher, wie die Förderung junger heimischer Künstler und - das Musizieren.

Kultur und berge: Für Charly gehört das zusammen.
Kultur und berge: Für Charly gehört das zusammen.

Ein musikalischer Weckruf ist es, der die Gäste der Reintalangerhütte aus dem Schlaf holt, musikalisch geht es am Abend zu, draußen vor der Hütte oder drinnen, wenn es draußen Unwetter hat. Auf einer Weihnachtsfeier in den Siebzigern war es, da sah er eine Frau Hackbrett spielen und spontan beschloss er, sich ein solche Instrument zuzulegen und Stunden zu nehmen. Wie hat sich die Kultur da oben etabliert? "Nur Hüttenwirt zu sein, nur zu arbeiten und im Winter eine Reise, irgendwann wurde es mir zu fad."

Mit der großen Idee einer Ausstellung über das Oberreintal versuchte er, den damaligen Kulturbeauftragten des DAV, Dr. Helmut Zebhauser, zu begeistern. Sei erstes Buch entstand, "Wände, Grate, Dome", ein Buch über das Oberreintal. Und er sammelte, sammelte sammelte: Bilder, Geschichten, Erinnerungen. 1998 war es so weit - die Ausstellung stand.

"Durch die Kinderkurse, mit den Kindern wurde auch gemeinsam musiziert, hat sich das zu deren Eltern herumgesprochen, die kamen beim nächsten mal mit. Heute kommen die Kinder dieser damaligen Kinder zu uns herauf." Damit die Hütte so musikalisch bleibt, werden Bewerber für das Hüttenteam gefragt, ob sie ein Instrument spielen und mancher hat auch alte Kenntnisse dadurch wieder aufgefrischt.

Ein bisschen Nepal auf die bayerischen Teller

1993 war Charly auf großer Asien-Reise. In Namche Basar in Nepal erkundigte er sich bei einem Sherpa wo er gut übernachten könne. Man kam ins Gespräch und er zeigte dem Nepali eine Postkarte mit der Reintalangerhütte. Auf dessen spontane Frage, ob er bei ihm arbeiten könne, bleibt Charly nur zu sagen:"Ich bin schon voll." Aber die Idee lässt ihn nicht los. Ein Jahr später wurde Sherpa Ang Gyalzen - dessen Frau war inzwischen verstorben - eingeladen, für den Sommer über. Seitdem schmücken Gebetsfahnen die Hütte, seitdem steht alljährlich der Gast aus Nepal in der Küche, hilft dort mit und bringt etwas Nepal auf die bayerischen Teller. Besonders aber sorgt der heitere Buddhist für eine besondere Athmosphäre auf der Hütte.

Für eine kleine Fotogalerie zu Charly Wehrle klicken Sie auf diesen Link. Ach ja, die Atmosphäre - die ist nicht immer ganz ohne Störungen, der Erfolg hat auch immer Neider und so gab es auch manchmal Zwischentöne in Bezug auf das musikalische Haus. Dennoch, auch einige Zusammenstöße mit der Hüttenbesitzerin, der Sektion München des DAV, vermeidbar oder nicht, haben der kulturellen Originalität nicht geschadet. "Ich konnte mein Ding machen". Besonders ein neuer Pachtvertrag wurde seiner Meinung nach so bemessen, dass nicht berücksichtigt wurde, ob die Hütte gut oder schlecht belegt ist. Außerdem stellt der Hüttenwirt fest, dass ein Aufstieg von drei bis vier Stunden vielen Tagesausflüglern heutzutage zu weit ist … "Als die Partnachklamm mal wochenlang gesperrt gewesen ist, war im ganzen August nichts auf der Hütte los. Da würde man sich dann schon wünschen, dass das bemerkt und entsprechend verrechnet würde. Es ist doch Unsinn, als Maßstab für die Pacht den Supersommer 2003 zu nehmen!"

Doch auch etwas anderes verändert die Atmosphäre. Dieses "Andere" hat Charly eines Abends auf der Hütte gefragt: "Kann es sein, dass wir uns sympathisch sind". So war's. Aus dem Junggesellen ist ein Familienvater geworden, ein Vater der ständig wechselnden Großfamilie war er ohnehin seit eh und je.

Charly nimmt im Oktober seinen Hut, nicht weil er muss, weil er will. Er hat das Feld bestellt, mit Simon Neumann einen guten Nachfolger ausgebildet und - hat viel vor. Er wird den Wetterstein nicht vergessen aber sein Ziel ist das Allgäu, wo er sich auf ein neues Projekt stürzen will. Ein Begegnungsort für Gleichgesinnte, also kann damit zu rechnen sein, dass Kultur und Berg auch da ein Gespann sein werden. Und Charly, was wird er sein? Wirt natürlich, was denn sonst … man darf gespannt sein.

Text: Clemens Kratzer

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