Was denkt ihr über das Zeigen von Videos zu anspruchsvollen Touren?

ALPIN-Video geht auf Sozialen Medien viral

ALPIN-Volontärin Lubika war mit Freunden auf Tour am Südgrat der Vorderen Brandjochspitze (2.559 m) – eine anspruchsvolle und ausgesetzte Bergtour für Erfahrene. Das Video zur Schlüsselstelle, das sie in Absprache mit den Kollegen auf unseren Social-Media-Accounts veröffentlicht hat, ging mit mehr als 700.000 erreichten Konten auf Facebook und knapp 23.000 Konten bei Instagram viral. Neben viel Zustimmung gab es auch einige Kritik. Daher interessiert uns eure Meinung zur Veröffentlichung solcher Tourenausschnitte.

Die Schlüsselstelle des Südgrats auf die Vordere Brandjochspitze erfordert einen Spreizschritt oder Sprung.
© Benjamin Schmidbauer

Aber first things first: Mein Name ist Lubika und ich bin seit Dezember 2021 als Volontärin bei ALPIN (Print & Online) tätig. Während ich beim Klettern eher im Plaisirbereich vor mich hinkraxle, gehe ich bei Berg- und Hochtouren gerne auch in mental und körperlich anspruchsvolleres Gelände. Den Südgrat der Vorderen Brandjochspitze beging ich vor einigen Wochen mit zwei Freunden, mit denen ich regelmäßig unterwegs bin. Wir sind eine gut eingespielte Gruppe, die Herausforderungen am Berg sucht und die eigenen Grenzen (vor allem im Kopf) verschiebt.

Südgrat Vordere Brandjochspitze

Bei der Tour auf die Vordere Brandjochspitze in der Nordkette im Karwendel folgt man in logischer Linie dem mal mehr mal weniger luftigen Gratverlauf. Es gibt kaum eingerichtete Sicherungsmöglichkeiten, die Tour muss bei Bedarf selbständig gesichert werden. Auch deshalb wird sie vorrangig von Personen begangen, die ihr seilfrei gewachsen sind. Die Schlüsselstelle ist ein zu beiden Seiten ausgesetzter, kurzer "Spreizschritt" von etwa einem Meter. Wir sind allerdings alle drei gesprungen (der Größte in meiner Gruppe ist etwa 1,85 Meter, ich bin kleine 1,60 Meter).

Der Erste von uns filmte mich von einem sicheren Platz aus, das Video seht ihr hier bei Instagram:

Kritische Kommentare und unsere Antworten

Als wir uns bei der morgendlichen Online-Redaktionskonferenz zur Veröffentlichung des Videos mit einer aktualisierten Tourenbeschreibung aus dem Archiv entschlossen, hatte ich keine Ahnung, dass es so oft geklickt werden würde. Neben vielen positiven Reaktionen erreichten uns auch kritische Kommentare. Das finden wir gut, schließlich ist das ein Thema, über das wir mit euch diskutieren wollen.

Eine Followerin schrieb bei Instagram: "So ein Video auf den sozialen Medien zu posten sehe ich kritisch…könnte leichtsinnige/wahnsinnige Nachahmer finden…es sieht auf dem Film so einfach aus…."

Unsere Antwort: "Wir haben in der Online-Redaktion länger darüber gesprochen, ob wir das Video posten wollen und haben uns dieses Mal dafür entschieden. Schließlich sind wir ein Magazin für Bergsteiger:innen und es ist doch gerade die Schlüsselstelle einer Tour, die interessiert. Richtig, der Grat ist eine Tour für Ambitionierte/Erfahrene. Deshalb schreiben wir es hier genau so unter dem Post und mehrfach in der Tourenbeschreibung."

Ein zweiter Kommentar lautete: "Auf der einen Seite dieses Video posten und damit Leichtsinn im alpinen Gelände verherrlichen und auf der anderen Seite in den Storys Nachrichten über einen tödlich verunglückten Bergsteiger verbreiten. Irgendwie kann ich das nicht gut finden."

Wir antworteten: "Wir sind sowohl Informationsmedium als auch Ansprechpartner für Tourentipps – das beinhaltet auch mal etwas Anspruchsvolleres. Das Zeigen einer Schlüsselstelle hat unserer Meinung nach nur dann mit Leichtsinn oder Verherrlichung zu tun, wenn es unkommentiert und ohne valide Infos passiert, was hier nicht der Fall ist"

Beleidigungen gegen uns

Als das Video so richtig "Fahrt aufnahm", trudelten auch die ersten Beleidigungen ein – entweder gegen mich persönlich oder gegen uns als Team. Auf unserer Facebook-Seite erzielte das Video bis dato (Stand 23.06., 11:30 Uhr) eine Reichweite von über 700.000 Personen, über 630 Menschen haben den "gefällt-mir"-Button geklickt. Die meisten äußerten sich positiv, einige jedoch bezeichneten das Video und/oder mich als "krank", "deppert", "hirnlos", "geistesgestört" oder wünschten gar "guten Flug"... 

Man liest so oft von Hass in den Sozialen Medien, aber ich fand es krass und verletzend, diesen selbst zu spüren zu bekommen. Ich fühlte mich in die Defensive gedrängt, obwohl ich zu dem Video und unseren Infos dazu stehe und die Tour jederzeit wieder so gehen würde.

<p>Volontärin Lubika mit ihren Bergfreunden am Gipfel der Vorderen Brandjochspitze.</p>

Volontärin Lubika mit ihren Bergfreunden am Gipfel der Vorderen Brandjochspitze.

© Florian Marschall

Wir sind im Team häufig mit solchen Hass-Kommentaren konfrontiert. Zeigen wir leichte, häufig begangene Touren, "locken" wir noch mehr Leute in die eh schon volle Bergwelt. Entscheiden wir uns hingegen für etwas Schwieriges, "locken" wir Nachahmer in gefährliches Gelände. 

Wir bei ALPIN sind eine Plattform für alle Bergsportler:innen und dazu gehört – finden wir – authentische Eindrücke aus unserem Bergleben mit euch zu teilen. Das darf auch mal eine anspruchsvollere Route sein. Besser eine gut recherchierte und mit Warnhinweisen versehene Tourenbeschreibung von uns, als ein irreführender Laienbeitrag auf einschlägigen Portalen, so unsere Idee.

Abstimmung: Eure Meinung ist gefragt

Jetzt seid ihr dran! Was haltet Ihr von unserem Video und wie steht Ihr prinzipiell zu der Frage, ob man derlei Videos posten sollte?

Schreibt uns in das Textfeld oder in die Kommentare, wir sind gespannt auf eure Meinungen!

 

Text von Lubika Brechtel

73 Kommentare

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Mayaseeberger

Tolles Video und wunderschöne Tour! Natürlich animieren schöne Bilder und Videos in den sozialen Medien zum Nachahmen. Schließlich sind es die schönen Erlebnisse, insbesondere in der Natur, die das Leben reich machen.
Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich mich über eine geplante Tour genauestens informiere und meine Kraft und mein Können mit dem Geplanten abgleiche. Diese Eigenverantwortung scheint vielen Menschen aber abhanden gekommen zu sein. Das beobachten wir ja auch in anderen Bereichen wie z.B. in der Gesundheit.
Richtig eingeordnet bieten Bilder und Videos dieser Art jedoch einen äußerst wertvollen Schatz an Ideen und machen einfach Freude!! Also: bitte nicht beirren lassen!

Stéphane

Je suis tombé sur cette vidéo, dans son format "Reel", sur Facebook. Je parle français et anglais, mais malheureusement pas allemand. Mon premier ressentit a été en effet celui d'une action dangereuse, partagée de manière inconsciente sur les réseaux sociaux (j'ai pratiqué l'alpinisme). À ce titre, votre justification sur le fait que vous avez publié cette vidéo parce que vous être un magasine spécialisé sur l'alpinisme et la montagne n'est pas cohérent. Cette vidéo est publiée parmi d'autres vidéos traitent de tous types de sujet, et non dans le contexte cadré d'un magasine spécialisé. Dès lors, de nombreuses personnes qui vont la voir, ne vont pas être au courant du contexte défini par cet article de fond. Sans parler des personnes qui comme moi, ne parlent pas allemand et ne vont donc avoir que "l'image" pour ce faire une idée de la situation. Pour ma part, étant actif professionnellement dans le domaine des réseaux sociaux, j'ai voulu comprendre comment une telle vidéo avait pu être publiée par une source sérieuse telle que votre magazine, sans que cette publication fasse l'objet de plus de précautions et de contextualisation. Alors, j'ai traduit le commentaire sur Reel, et j'ai fait des recherches en allemand sur Google, pour finalement tomber sur votre article... mais combien de personnes vont faire cette démarche ?

Il me semble que vous vos "longues discussions en rédaction" n'aient pas été suffisamment approfondies. Vous êtes en effet un magasine spécialisé sur la montage et l'alpinisme, de ce fait vous ne publiez pas n'importe quel article. Vous vérifiez et contextualisez généralement l'information. Vous auriez dû appliquer ce principe à cette vidéo, et respectivement prendre en compte qu'il s'agit d'un élément qui "échappe" à votre publication en tant que telle. C'est un élément extérieur à votre magasine et publier cette vidéo sur votre compte instagram/Reel celui-ci n'est pas suffisant d'après moi. Pour rappel, j'ai accéder à cette vidéo sur Facebook.

À mon avis, et ça n'engage que moi

Andreas

Ja, dieser Spring ist riskant, aber in 99 von 100 Fällen wird er an dieser Stelle gutgehen. Das Publizieren ist ok, wenn man deutlich warnt. Was riskant aussieht und was wirklich riskant ist, das sind zwei andere Dinge. Wirklich riskant sind Rauchen und erhöhter Alkoholkonsum, aber kaum jemand weiss es. An beidem sterben in Deutschland pro Jahr zusammen ca. 200.000 Menschen. Die Todesfälle pro Jahr an der Vorderen Brandjochspitze wird man dagegen an den Fingern einer Hand abzählen können und meistens werden dafür Null Finger benötigt.

Anonymer Benutzer

Ich sehe so eine Veröffentlichung im gegebenen Kontext unkritisch. Wenn man danach geht das Bildmaterial Leute zu leicht motiviert, haetten wir auch Filme wie free solo oder zahlreiche Reel Rock Filme nie zu Gesicht bekommen.

Es sollte jedem klar sein, welche Risiken der Sport mit sich bringt, und wenn die Schlüsselstelle für kleine Menschen als Sprung sicherer ist als spreizen...

Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, da sehe ich wenig bis keine Verantwortung bei euch, solange ihr auf die Schwierigkeiten der Route und des Geländes hinweist.

Anonymer Benutzer

Für mich unverantwortlich !!! Bin selbst ein erfahrener Bergsteiger und bei der Bergrettung. Würde nie solche Videos die Risiko verherrlichen hochladen. Habe schon zuviele Wanderer geholt die in den Tot gestürzt sind wegen solch "cooler"Sprünge usw. Bitte behaltet diese Bilder und Videos bei euch und hoffentlich kommt ihr immer wieder gesund von euren Touren zu euren Familien zurück. Der Karwendler !!

Anonymer Benutzer

Ohne Seil auf anspruchsvolle Berge steigen, ist genauso sinnvoll wie ohne Kondom auf anspruchslosen Menschen geigen: Lebensgefährlich und absolut überflüssig. Wenigstens an einer solchen Stelle sollte man die Grenzen im Kopf mal wieder an die richtige Stelle schieben. Der menschliche Kopf hat Grenzen der Angst nicht ohne Sinn. Wäre Angst nicht sinnvoll, wären wir nicht überlebensfähig. Die Evolution hat Angst geschaffen, damit man sie zu Überleben nutzt, nicht um sie grenzenlos zu überwinden, um den Unfalltod zu finden. Leute, werdets vernünftig, bittschön!

Andreas, Berlin

Danke für die Veröffentlichung. Viele Kommentare auf Social Media sind leider toxisch. Wenn man das erst nimmt, kommt man schnell in Selbstzweifel. Wenn ihr die Veröffentlichung intern diskutiert habt und zu dem Schluss kamt, dass es Sinn macht, würde ich mich von anonymen Kommentaren nicht beirren lassen. Bei über 40k Followern werden immer Leute dabei sein, die es mögen und Leute, die es schlecht finden. Da ist es fast egal, was man postet.

Anonymer Benutzer

Ich finde das Video gut und würde es selber auch posten. Meiner Meinung ist die Eigenverantwortung jedes einzelnen total abhanden gekommen, denn beim ansehen verstehe ich ja wohl bereits ob das etwas für mich ist oder eben nicht. Und falls nicht dann muss ich die Tour ja nicht wiederholen. Wenn das Video nicht geht, dann dürfte nichts veröffentlicht werden, denn egal ob schwierig oder leicht , ist immer subjektiv. Dann dürfte auch kein Extremkletterer oder sonst wer etwas veröffentlichen, da es immer jemand „nachahmen“ könnte. Wie gesagt meiner Meinung fehlt die Eigenverantwortung, die Menschen lesen einen Post oder schauen ein Video und wenn dann etwas passiert oder etwas anders ist als im Video dann wäre auf einmal der Protagonist Schuld, anstatt dass ich mir selber mal Gedanken mache.

Philei

Ganz ehrlich:
Hört nicht auf diese Menschen, die Inhalte für unangebracht empfinden oder sie gar verbieten wollen, nur weil etwas herausforderndes oder riskantes gezeigt wird.

Wo soll das denn hinführen? Zensierung aller Medieninhalte in den irgendwas riskantes gezeigt wird?
Ja dann gibt es nicht mal mehr Handwerker-Videos/Bilder oder Action-Filme o.ä., weil bekannterweise passieren im Haushalt die meisten Unfälle.

Aber nun ernst:
Nicht nur die Logik, sondern auch die Emotion sagt es einem und sogar unsere Judikatur (in DE & AT) sagt es so: Eigenverantwortung und Selbständigkeit ist nicht auf andere übertragbar. (Ausnahmen mal aussen vorgelassen, zB Sachwalterschaft oder bezahlter Bergführer).
Sogar wenn es solche Tourenbeschreibungen wie von Andy84 gibt, ist nicht er schuld, sondern derjenige der es ohne nachzudenken nach geht und alle in Gefahr bringt.

Und die, die es nachahmen und dabei zu schaden kommen, sind komplett SELBSTverantwortlich für ihre Entscheidung, Freiheit und Fehler. Das nennt sich eben Freiheit.
Niemand kann einem das Denken und Entscheiden abnehmen, auch wenn sich das viele Menschen wünschen würden, zB Touren so zu beschreiben, dass ich gar nicht mehr nachdenken muss... Das geht eben nicht.

Also: Gut das ihr das so schön zeigt, dann weiß ich das ich diese Tour lange Zeit noch nicht probieren brauche.
Somit bin ich: Dankbar dafür!

Heidi

Liebe Lubika, ich verstehe deine Begeisterung voll und ganz. Nur: Veröffentlichen würde ich die Bewältigung dieses "Spreizschritts", die ganz offenkundig viel Freude gebracht hat, nicht, zumindest nicht im Rahmen einer Tourenbeschreibung. Es ist eben so, dass viele das Risiko eines solchen Sprungs nicht einschätzen können. (Wie gelingt es, einen solchen Sprung sicher zu stehen, ist dabei ja nur ein Problem.) Deine Redaktion hat die Entscheidung zur Veröffentlichung gefällt, nach meiner Meinung kann so etwas in die Irre führen, sogar in den Tod. Es wäre gut, wenn wir alle gemeinsam die Grenzen von Tourenbeschreibungen offen und ohne Schuldzuweisungen diskutieren. Ich gehöre zur Generation Walter Pause, dessen Tourenbeschreibungen nur allzu gerne z.B. Die Überschreitung eines Grates mit IIer-Stellen so beschrieben hat, dass sie oft pfeifend und mit den Händen in der Hosentasche bewältigt werden können. Damals aber gab es nicht so viele Menschen auf der Suche nach dem ultimativen Kick, der dann über Social Media verbreitet wird. Das ist aber nur meine persönliche Erklärung. Ich bin sicher, dass du deine Freude einfach nur teilen wolltest, deine Redaktion aber hätte das nicht veröffentlichen sollen. Ein Magazin hat auch eine Verantwortung, und das ist zugegebenermaßen für ein Magazin, das auch verkauft werden muss, eine große Herausforderung. VG Heidi .

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