Vier Berg- und Skiführer zum Winterchaos

"Die Toleranz bei solchen Verhältnissen ist bei null"

Was sagen Bergführer zum winterlichen Ausnahmezustand? Ist da an Tourengehen überhaupt zu denken?

"Die Toleranz bei solchen Verhältnissen ist bei null"
© Imago

Nahezu der gesamte bayerische Alpenraum versinkt derzeit im Schnee. Eine Besserung der angespannten Lage, die in mehreren Landkreisen des Freistaates bereits zum Katastrophenfall geführt hat, ist nicht in Sicht: Starke Neuschneefälle und Eisregen könnten in den nächsten Tagen die Situation sogar noch erheblich verschärfen.

Wir haben vier echte "Winter-Profis" zum Schneechaos in Bayern befragt. Georg Sojer (Bergführer und ALPIN-Cartoonist aus Ruhpolding), Thomas Hafenmair (stellvertretender Bereitschaftsleiter der Bergwacht Füssen), Patrick Jost (vom Hindelanger Bergführerbüro) und Andreas Tauser (von Alpinschule Oberstdorf) haben unsere Fragen beantwortet.

Schneeschaufeln oder Führen – womit warst Du in den vergangenen Tagen mehr beschäftigt?

Georg Sojer: Komme gerade von meinem Hausdach [11.01.], von wo ich ca. 150 Kubikmeter der weißen "Scheiße" nach unten befördert habe; davor war ich ca. drei Stunden für die Lawinenkommission unterwegs und nochmal davor, also am Morgen, hab ich meine Garage abgeschaufelt. Nochmals davor, also gleich nach dem Morgenkaffetscherl, hab ich eine dringende Zeichnung fertig gemacht...das war der heutige Tag. Die Tage davor (bis letzten Samstag) so in etwa das gleiche Spiel: Aufstehn, Schneeschaufeln, Lawinenkommission, Schneeschafeln, halb schlafend noch am Zeichentisch und dann ins Bett. 

Thomas Hafenmair: Als Bergführer, der auch für den bayrischen Lawinenwarndienst arbeitet, habe ich die letzten Tage im Gelände verbracht, so gut es noch möglich war. Damit die täglichen Infos für den LLB pünktlich in die Zentrale nach München kommen. Dabei werden Schneedeckenuntersuchungen durchgeführt und das Gelände beobachtet ... was tut sich wirklich? Passt das mit dem LLB zusammen? Eine angespannte Situation für das gesamte Team.

Patrick Jost: Beides! Bei den Schneemengen gibt es einiges zum Schneeräumen (Auto, Büroparkplätze...) bevor eine Tour beginnen kann. Dazu kommt, Kunden die Komplexität der Lawinenlage zu erklären. Was kann man machen, wo ist ein geringes Risiko.

Andreas Tauser: Erkältung, Schneeschaufeln, Büro und Lawinenkommission (derzeit fast ein Vollzeitjop).

Sind momentan überhaupt Touren möglich?

Georg Sojer: Hab heute [11.01.] ein Profil mit kleinem Blocktest gemacht. Ergebnis: eingeschneiter Graupel mit ca. 120cm locker gebundenem Neuschnee drüber, absolut schneebretttauglich und durch die große Einsinktiefe mit Sicherheit auch von einem einzelnen Skifahrer auslösbar...nix für mich, ich möchte den Rest meines Lebens auch noch geniessen. 

Thomas Hafenmair: Bis Mittwoch habe ich noch Gäste mit ins Gelände genommen. Aktuell ist es in den Ammergauern und den Lechtalern schwer, Touren zu finden, auf denen auch die Abfahrt noch attraktiv ist (Steilheit ... bei so viel Schnee noch Abfahrtsgenuss in dem passenden Gelände zu finden).

Patrick Jost: Touren sind mit bedacht und umsichtiges Handeln möglich. Derzeit wird zwar vieles in einen Topf geworfen, aber wer sich auskennt und Steilheit, Einzugsgebiete sowie eventuelle Schneebrüche in seine Planung einbezieht kann Touren gehen.

Andreas Tauser: Touren sind bei uns im Allgäu möglich aber sehr, sehr eingeschränkt - mit Vernunft und exakter Routenwahl. Und auch nur an den kleinen Vorbergen wie derm Sonnenkopf, der geht fast immer. Fazit von unseren Mädels im Büro: die breiten Ski waren immer noch zu schmal.

Deine Empfehlung für Wintersportler, die bei diesen Bedingungen „auf eigene Faust“ am Berg unterwegs sein wollen?

Georg Sojer: Wenn überhaupt irgendwo rauf, dann dort, wo jeden Tag alles durchgepflügt wird und selbst dann kanns sein, dass du selbst mit dem breitesten Schwartling "Schuss" fahren musst.

Thomas Hafenmair: Touren in Pistennähe, sofern geöffnet (Tegelberg war Freitag wegen Sprengmaßnahmen aus dem Helikopter großräumig gesperrt). Und wie wäre es mal mit Verzicht? Es ist Winter in den Bergen, keine Katastrophe. Aber ein paar Tage Zeit, Verzicht zu trainieren. Ich verzichte seit zwei Tagen schon und habe die Langlaufski ausgepackt ...Und dann gibt es für die Tiefschneeverrückten gerade all die kleinen Dorflifte, die genügend Tiefschneeplatz haben. Also trotzdem raus mit Euch !

Patrick Jost: Ganz klar: steigt die Lawinenwarnstufe, grenzt sich der mögliche Spielraum für Touren ein. Wer kein fundiertes Wissen besitzt, sollte sich lieber nicht in Gefahr bringen. Dazu sollte sich auch jeder nicht Erfahrene sich Gedanken machen. Es ist meist ein begrenzter Zeitraum, wo wir solche Verhältnisse haben. Danach gibt es wieder genügend Tage bei einer moderaten Lawinenlage um Touren zu gehen. Der Winter fängt ja erst an.

Andreas Tauser: Defensiv, Defensiv, ganz viel Kartenstudium und gar keine Fehler machen. Die Toleranz bei solchen Verhältnissen ist bei null.

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