Das Geburtstags-Interview

Alexander Huber wird 55!

Kaum jemand hat den Klettersport so stark geprägt wie Alexander Huber. Zum 50. Geburtstag sprachen wir mit ihm über einen der Dreh- und Angelpunkte seiner alpinistischen Kreativität: das kalifornische Yosemite Valley. Das Gespräch ist auch fünf Jahre später noch mehr als lesenswert!

Alexander Huber wird 55!
© Imago

Interview mit Alexander Huber

47:38 Minuten – was sagt dir das?

Das sagt mir tatsächlich gar nichts.

2007 benötigten dein Bruder Thomas und du 2:45:45 Stunden für die 1000 Meter lange „Nose“ am El Capitan. Tommy Caldwell und Alex Honnold verbesserten euren Speedkletterrekord 2018 auf 1:58:07 – eine gute Dreiviertelstunde schneller.

(lacht) Gut, gut, da hätte ich draufkommen können. Ich konnte mir schon vor zehn Jahren vorstellen, dass man die „Nose“ in zwei Stunden klettern kann. Thomas und mir war damals klar, dass wir nicht am Ende der Entwicklung stehen. Wir waren quasi Einzelkämpfer, konnten von Berchtesgaden aus niemandem in der „Nose“ zusehen. Da fehlten uns die Möglichkeiten zur Analyse. Die Route hat uns dann wirklich gefuchst. Wir waren schon froh, dass wir die Bestzeit zusammengebracht hatten. Und klar: Kein Rekord hält für die Ewigkeit.

<p>Eine von vielen Expeditionen und ein Meilenstein: Alexander 2009 bei der ersten freien Begehung der Route „Eternal Flame“ (IX+) am Nameless Tower im Karakorum.</p>

Eine von vielen Expeditionen und ein Meilenstein: Alexander 2009 bei der ersten freien Begehung der Route „Eternal Flame“ (IX+) am Nameless Tower im Karakorum.

© Archiv Huberbuam

Diese Entwicklung ist erstaunlich, oder?

Rein von der Physis her ist es auf jeden Fall machbar. An der „Nose“ musst du gut klettern können, klar. Aber vor allem müssen Herz und Kreislauf funktionieren. Speedklettern ist eher eine Ausdauersportart. Und wenn sich zwei Typen wie Tommy Caldwell und Alex Honnold zusammentun, kann es natürlich richtig rauschen! Das sind weltweit die Kletterer, die alle Talente am wirkungsvollsten in sich vereinen. So eine Leistung könnten Thomas und ich heute nicht mehr bringen. Erstens sind wir zu weit weg von dem Thema und zweitens lässt die Kraft natürlich auch nach.

Zwischen Risiko und Adrenalin

Vielleicht würdet ihr auch das enorm hohe Risiko nicht mehr eingehen wollen?

Mei, das Risiko haben wir damals auch schon gehabt. Wenn du gut eingeklettert bist und dein System funktioniert, kannst du fatale Stürze vermeiden, wahrscheinlich auch Verletzungsstürze. Ich glaube eher, dass wir den Willen nicht mehr hätten. Wenn die Jungen daherkommen und besser anreißen können, gibt es halt eine Wachablösung. Das ist völlig normal.

Der El Capitan rückte mit dem letzten Speedrekord an der „Nose“ und Honnolds Free-solo-Begehung des „Freerider“ 2017 wieder in den Mittelpunkt des Klettergeschehens. „The Center of the Universe“ – so heißt ein Film mit dir über das Klettern im kalifornischen Yosemite Valley.

Der El Capitan wird immer über eine große Anziehungskraft verfügen. Ich war überrascht, dass die amerikanische Kletterszene nach Lynn Hills Rotpunktbegehung der „Nose“ 1993 überhaupt nicht reagiert hat. Lynn hinterließ ein Meisterwerk, und der Rest schaute einfach nur zu. So konnten Thomas und ich über Jahre hinweg eine klassische Linie nach der anderen frei klettern. Bis Tommy Caldwell kam …

Caldwell prägte das Geschehen am El Capitan mit freien Begehungen von „West Buttress“, „Magic Mushroom“ und anderen. 2015 gelang ihm mit Kevin Jorgeson die Befreiung der „Dawn Wall“: 1000 Meter, 32 Seillängen, Schwierigkeiten bis zum XI. Grad …

Das war eine Riesenleistung von ihm! Sein Talent, sein starker Wille und sein Heimvorteil kamen da zusammen. Sieben Jahre hat er in die Tour investiert. Sieben Jahre! Hut ab.

<p>Einer von Alexanders wichtigsten Erfolgen: die Erstbegehung der weltweit ersten 9a+ (XI+) „Weiße Rose“.</p>

Einer von Alexanders wichtigsten Erfolgen: die Erstbegehung der weltweit ersten 9a+ (XI+) „Weiße Rose“.

© Heinz Zak

Wie ordnest du deine Leistungen am El Capitan – die freien Begehungen von „Salathé“ über „El Niño“, „Freerider“, „Golden Gate“, „El Corazón“ bis hin zu „Zodiac“ – im Rückblick ein?

Ich glaube, eine meiner wichtigsten Entscheidungen war, nach 1996 mit der Sportkletterei … na ja, nicht aufzuhören, aber sie nicht mehr in den Fokus zu stellen. Ich hatte das Gefühl, mit den Routen „Weiße Rose“ und „Open Air“ (beide XI+) mein Leistungsvermögen ausgeschöpft zu haben. Vom Hintergrund her war ich ja schon immer Alpinist. Deshalb dachte ich: Jetzt versuchst du, dein Können auf hohe Wände zu übertragen. Im Yosemite Valley waren Thomas und ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zwar habe ich mir im Granit erst mal ein paar Watschn abgeholt, auch in VIer- und VIIer-Rissen. Das Rissklettern mussten wir quasi neu lernen. Aber die Vision, den El Capitan frei zu klettern, hatten wir damals schon.

Pionierarbeit beim Bigwall-Klettern

Mit der Übertragung hoher Schwierigkeiten vom Sportklettern in große Wände habt ihr auch Pionierarbeit geleistet.

Ja, heute gibt es reihenweise junge Kletterer, die vom Wettkampf kommen und über das Sportklettern ins Gebirge finden. Mich selbst haben Wolfgang Güllich und Kurt Albert extrem inspiriert. Das waren meine Idole. Der Wolfgang hat schon Anfang der 1990er-Jahre daran geglaubt, dass ihre Route „Eternal Flame“ im Karakorum frei kletterbar ist! Knapp 20 Jahre später konnten Thomas und ich diese Idee in die Tat umsetzen.

Stichwort junge Kletterer: Während Caldwell und Jorgeson in sieben Jahren unzählige Male in der „Dawn Wall“ unterwegs waren, konnte Adam Ondra sie 2016 in nur acht Tagen frei klettern. Wie geht das?

Adam Ondra ist eine Klasse für sich. Punkt. Natürlich hatte er, wie alle Wiederholer schwieriger Routen, den Vorteil zu wissen, dass es möglich ist. Ohne dieses Vorwissen hätte er die Route nicht so schnell klettern können. Trotzdem, Stand heute ist Adam Ondra der beste und vielseitigste Kletterer, den es gibt.

<p>„Zur Vorbereitung für die geplante Latok-II-Expedition reiste ich 1995 ins Yosemite“, verrät Alexander seine Motivation für die erste Rotpunktbegehung der „Salathé“ (X–) im Jahr 1995 – sein erster Bigwall im Yosemite.</p>

„Zur Vorbereitung für die geplante Latok-II-Expedition reiste ich 1995 ins Yosemite“, verrät Alexander seine Motivation für die erste Rotpunktbegehung der „Salathé“ (X–) im Jahr 1995 – sein erster Bigwall im Yosemite.

© Heinz Zak

Bleiben wir beim El Capitan. 2017 kletterte Alex Honnold den von dir erstbegangenen „Freerider“ free solo. Der obere IX. Grad, allein und ungesichert in dieser gigantischen Wand. Was sagst du dazu?

Super, einfach super! Ich glaube, ich kann das gut einordnen. Nachdem ich 2002 die „Hasse-Brandler“ (VIII+) an der Großen Zinne free solo geklettert hatte, war ich ein Jahr später wieder im Yosemite Valley. Damals seilte ich mich ein paar Seillängen den „Freerider“ ab und kletterte selbstgesichert wieder hinauf. Im Tal fragten mich Dutzende Leute, ob ich den „Freerider“ solo klettern wolle. Ich gebe zu, dass ich daran gedacht hatte. Aber mit dem Druck umzugehen, der sofort auf dir lastet, ist unglaublich schwierig. Umso höher ist Alex’ Leistung einzuschätzen. Die Wand ist verdammt lang und es gibt viele trickreiche Kletterpassagen. Für mich ist das einer der Höhepunkte in der Geschichte des Alpinismus. Allein aufgrund der Tatsache, dass es momentan keinen anderen Menschen gibt, der diese Leistung nachahmen könnte. Man kann seiner Zeit ja eigentlich nicht voraus sein – aber hier trifft dieser Spruch trotzdem zu.

Klickt Euch durch die Slideshow mit Bildern zu den wichtigsten Stationen im Leben von Alex Huber:

Das Schwierigste am Free-solo-Klettern ist wohl, den richtigen Zeitpunkt dafür abzuwarten, oder?

Das stimmt. Ich hatte das Solo-Klettern schon lange im Kopf. Als ich in München studiert habe, bin ich immer wieder mal in den Wilden Kaiser gefahren, um Routen wie die „Wiessner-Rossi“ an der Fleischbank oder den „Lucke-Strobl-Riss“ am Bauernpredigtstuhl free solo zu klettern. Die ganzen Klassiker. Das war eine gute Schule. Free solo ist einfach ein längerer Prozess. Ich wusste immer, dass man da noch weiter gehen kann, und ich wollte eine neue Dimension schaffen. Die „Hasse-Brandler“ hat mir getaugt - auch, weil sie historisch bedeutend ist.

Du warst bei deinen schwierigen Free solos wirklich alleine. Honnold dagegen wurde währenddessen von einem Filmteam begleitet. Was bewirkt das?

In diese Welt habe ich ehrlich gesagt keinen Einblick. Kürzlich war ich zwei Wochen mit jüngeren Kletterstars unterwegs. Was für ein Zirkus! Alles wird gefilmt, ständig wird fotografiert, beim Schlafen, Aufstehen, Frühstücken – es gibt keinen Moment mehr ohne Fotografen oder Kameramann. Das ist Alltagsbetrieb. Jeden Tag ein Instagram-Foto, ein Kommentar auf Facebook, ein Filmchen für den Videoblog. Das Leben möchte ich ehrlich gesagt nicht haben. Aber wahrscheinlich bin ich halt schon zu alt.

Alexander Huber über Instagram, Vorträge und persönliche Ziele

Du bist aber auch auf Instagram aktiv?

Für mich ist das ein schwieriges Medium – wer von meinen Leuten ist schon auf Instagram? Und Facebook ist eh nicht mehr aktuell, da ist ja niemand mehr aktiv. Meins ist das nicht, aber wenn du es nicht gescheit machst, bringt es gar nichts. Sonnenklar ist aber auch: An so hohe Follower-Zahlen wie etwa Alex Honnold sie hat, kommen wir nie hin. Da spielen die US-Amerikaner in einer komplett anderen Liga. Den Zug haben wir in Europa völlig übersehen.

<p>Das ALPIN-Team gratuliert Alex Huber zum 50. Geburtstag!</p>

Das ALPIN-Team gratuliert Alex Huber zum 50. Geburtstag!

© Jan Vincent Kleine

Bedauerst du das?

Nein, ich habe meinen Kanal in die Öffentlichkeit ja längst gefunden. Das sind meine Vorträge – schön konservativ. Da kenne ich mich aus, das funktioniert, und deshalb brauche ich das Experiment soziale Medien nicht. Es hat einfach Vorteile, wenn man mit vertrauten Dingen arbeitet. Und mir machen die Vorträge nach wie vor wahnsinnig viel Spaß. Da sind die Leute da, die sind begeistert, du sitzt nach dem Vortrag noch zusammen.

Wie wichtig ist es dir, durch diese Vortragsarbeit Bestätigung zu bekommen?

Es geht mir nicht darum, dass jemand mir sagt, was für ein toller Hecht ich bin. Sondern dass die Zuschauer zufrieden sind. Wenn sie glücklich sind, bin ich glücklich. Und das Schöne ist, dass du unmittelbar - noch während des Vortrags – eine Reaktion bekommst. Und zwar nicht Herzchen auf Instagram, sondern direkt: von Auge zu Auge.


Hast du keine Angst, dass dir der Stoff für deine Vorträge ausgehen könnte?

Ich weiß inzwischen, dass ich nicht immer Höchstleistungen darbieten muss. Meine Zuschauer wollen gute Geschichten hören. Denen geht es nicht um Schwierigkeitsgrade. Du brauchst gute Bilder, eine gute Geschichte, und du musst gut erzählen können.

Und was hast du selbst noch für Ziele?

Ich habe effektiv überhaupt keine bergsteigerischen Ziele mehr. Ein paar Träume noch, das ja. Zum Beispiel den K2 – aber ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt noch versuchen werde. Wenn der Antrieb nicht groß genug ist, vielleicht nie, wer weiß? Das Wichtigste für mich derzeit ist, dass ich nach wie vor so viel Freude am Klettern habe. Ich weiß, dass ich meine besten Leistungen schon erbracht habe. Besser wird‘s nicht mehr, allenfalls noch gut.

Das klingt sehr gereift.

Wenn man sagt, dass zum Reifen Sonne dazugehört, dann stimmt das: Ich hatte sehr viel Sonne in meinem Leben bisher. Was jetzt noch dazukommt, sind Zuckerl.

Text von Tom Dauer

1 Kommentar

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DrachenElke

Alles Liebe zum Geburtstag und ein glückliches neues Jahr 2019:)