Tourenbuch

Klettertour: Lampsenspitze

Früher war alles besser? Von wegen! Spätestens beim Thema "Sanierung" kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Gralshüter geschlagener Rostgurken zeitgemäßen Kletterbedürfnissen verschließen. Frühere Sicherungsstandards an der Lamsenspitze im Karwendel sind manchem recht unangenehm in Erinnerung.

Klettertour: Lampsenspitze
Gleich am Anfang heißt es sich gehörig strecken.
Gleich am Anfang heißt es sich gehörig strecken.

Das allerdings ist heute anders: Zwischen den "sicheren Häfen" an massiven Standplatzringen glitzern mittlerweile genug gebohrte Zwischenhaken, um ein genussreiches Höhersteigen für alle Kletterfreunde zu gewährleisten. Seit ihrer Sanierung spielt die Nordostkante in der Premier League genussreicher Plaisirrouten.

Von Genuss konnte am Parkplatz vor der Gramaialm freilich noch keine Rede sein! Biwakfreunde kennen das: Erst führen einzelne Tropfen zu mehr oder weniger feuchten Träumen. Dann treibt der unausweichliche Regenguss den Freiluftschläfer aus dem Schlafsack und so schnell wie möglich ins rettende Auto.

Im Halbschlaf diskutierten wir darüber, ob die Tour am nächsten Morgen überhaupt möglich sei, bis uns Morpheus endlich wieder in seine Arme nahm.

Sechs Uhr - endlich klingelt der Wecker. Ich sortiere meine eingerosteten Gelenke von der engen Rückbank und traue meinen Augen nicht. Wie eine vom Rampenlicht verwöhnte Diva räkelt sich die Lamsenspitze in der Morgensonne. In zartem Rosa hebt sich die Nordostkante über dem Falzthurntal vom blitzblauen Tiroler Himmel ab.

Ein Espresso aus der Thermoskanne, konzentrierte Aufteilung des Kletterequipments - und schon wandern wir zwischen Frühtau und Nebelschwaden auf den steilen Talschluss zu.

Nach dem Zustieg von der Lamsenjochhhütte ist der Einstieg schnell erreicht.
Nach dem Zustieg von der Lamsenjochhhütte ist der Einstieg schnell erreicht.

Dass wir am Einstieg trotz des hektischen Aufbruchs nicht die Ersten sind und aus der Tour Karabiner-Geklimper zu hören ist, liegt nicht an unserem gemütlichen Gehtempo. Denn direkt am Zustieg liegt die Lamsenjochhütte. Wer dort übernachtet, startet ausgeschlafen und nicht zuletzt vollkommen trocken aus der Pole Position.

Wir machen es uns an dem großartig, weil direkt an einem Steilabbruch gelegenen Rucksackdepot erst einmal gemütlich und betrachten, wie sich ein Vorsteiger am "Zwergentod" erfolgreich reckt. So wird das berüchtigte Einstiegswandl auch gerne genannt.

Damit kein Missverständnis aufkommt: "Berüchtigt" bezieht sich nicht auf die Schwierigkeit - die liegt im vierten Grad -, sondern auf den Umstand, dass gleich der allererste Kletterzug die Schlüsselstelle der gesamten Tour darstellt.

Dass man sich auch mit 175 Zentimeter Körpergröße ordentlich strecken muss, um die kleine Kalkmauer zu überlisten, wird mir kurze Zeit später ebenso bewusst wie die erfreuliche Gewissheit, dass uns heute bestimmt kein Verhauer droht. Die blitzenden Laschenbohrhaken sind kaum zu verfehlen.

In schöner, leichter Kletterei steigen wir zügig bergan. Mit jedem Höhenmeter wächst die Begeisterung. Immer schwindelerregender werden die Tiefblicke ins weit unter uns liegende Falzthurntal.

Kompakte Platten mit herrlichen Tiefblicken verleiten zu spannenden Variationen.
Kompakte Platten mit herrlichen Tiefblicken verleiten zu spannenden Variationen.

Über einen kleinen Schönheitsfehler wundere ich mich allerdings: Davon, dass die Tour in der alpinen Literatur entweder als Nordostkante oder als Nordostgrat gehandelt wird, merkt man im überwiegenden Teil der Route nicht viel.

Die präsentiert sich vielmehr als eine breite, steile Flanke und ist für Karwendel-Verhältnisse erstaunlich fest. Felsrinnen und -platten wechseln sich in munterer Folge ab, wobei Letztgenannte zu kurzen, anspruchsvolleren Varianten verleiten.

Silke bouldert als Nachsteigerin bestens gesichert jedes ihr nur unter die Finger kommende kompakte Kalkwändchen aus. Erst auf den letzten, zum Ausstieg am Vorgipfel führenden Seillängen kommt echtes Grat-, aber auch Karwendelfeeling auf.

Hier oben wird das Gebirge seinem Ruf als alpiner Bruchhaufen dann doch noch ein wenig gerecht. Jemand schreit "Achtung, Stein!", es folgt ein schneidendes Pfeifen und schon saust in der drittletzten Seillänge ein kleiner Felsbrocken direkt an mir vorbei.

Das Finale zeigt uns einmal mehr, dass eine alpine Tour selten mit der letzten Seillänge zu Ende ist. Auf dem brüchigen Übergang vom Vorgipfel zum Hauptgipfel dürfen wir uns keinen Fehltritt erlauben.

Denn den letzten auf und nieder führenden Übergang würden nur Liebhaber anstrengender Seilreibung sichern. Ein nordseitig zu umgehender Turm im Gratverlauf erfordert ein letztes Mal volle Konzentration.

Dann haben wir drei die heikle Passage geschafft. Über sonnenerwärmte Kalkplatten klettere ich den letzten, wieder vollkommen festen Aufschwung zum Gipfelkreuz hinauf und bin überglücklich. Die Lamsenspitze- Nordostkante ist ein Bergerlebnis, das man nicht nur einmal in seinem Kletterleben genießen sollte.

Text und Fotos: Michael Pröttel

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