Tourenbuch

Wandertour: Kebnekaise

Mit Gipfelhöhen großer Alpenberge können die Berge im Hohen Norden Skandinaviens nicht konkurrieren, doch dank ihrer Lage nördlich des Polarkreises bieten sie ein großartig wildes und hochalpines Ambiente. Mit seinen 2111 Metern Meereshöhe ist der Kebnekaise sozusagen ein „klimatischer Viertausender“ und ein Traumziel am Ende des Kontinents.

Wandertour: Kebnekaise
Großartiger Blick auf Schwedens höchsten Berg.
Großartiger Blick auf Schwedens höchsten Berg.

Der Finger wandert auf der Landkarte nordwärts am Rückgrat Skandinaviens entlang. Hinter dem Polarkreis kommen einige Zweitausender: Sarek, Akka, Kebnekaise. Das klingt nach Nils Holgersson, nach Wildnis und nach Abenteuer. Wir setzen den Zirkel an, stellen den Radius Würzburg – Kebnekaise ein und ziehen einen Kreis um die Heimat. Moskau, Ankara, Tripolis und Gibraltar liegen innerhalb der Kreislinie, wir streifen die Sahara und Island. Die Reise nach Sàpmi, ins Land der Samen, ist also sehr lang. Mehr zu Marco Klüber und eine tolle Fotogalerie finden Sie hier . In Stockholm haben wir etwas mehr als die Hälfte geschafft, danach durchmessen wir die Weiten Schwedens. Anfangs passieren wir noch Wiesen, Seen und Kirchdörfer, doch dann folgt die Fahrt durch die schier endlosen, einsamen Fichtenwälder Norrlands. Am Polarkreis ändert sich die Landschaft. Flüsse durchziehen das Land, gewaltige Ströme, die manchmal so breit sind wie Seen. Und dann – endlich! – tauchen am Horizont in atemberaubender Klarheit die eisigen Gipfel von Sarek und Kebnekaise auf.

Schon kurz hinter der Bergwerksstadt Kiruna können wir die Bergsilhouetten des Kebnekaise-Gebirges identifizieren: der markante Zapfen des Tuolpagorni und der hohe, flache Rücken des Kebnekaise. Von Kiruna führt die Straße noch etwa 100 Kilometer ins kleine Samendorf Nikkaluokta, noch immer 20 Kilometer vom Fuß des Berges entfernt. Zur Fotogalerie Tourenbuch Kebnekaise Hier schultern wir die Rucksäcke und machen uns auf die Wegstrecke durch das Tal Laddjuvaggi hin zur Fjällstation am Kebnekaise-Südostfuß. Auf der Wanderung durch schüttere Birkenwälder, Moore und über Geröllfelder ändert sich die Landschaft langsam, aber grundlegend. Auch das gehört zum Maß der Dinge hier oben im Norden: Man muss sich erstmal annähern. Die Berge wirken mit dem Näherkommen immer schroffer und unnahbarer; die markante Firnpyramide auf dem Südgipfel des Kebnekaise entzieht sich bald den Blicken, stattdessen stellt sich der Tuolpagorni herausfordernd in den Weg.

Der Talkessel von Tarfala.
Der Talkessel von Tarfala.

Bevor wir aber zum Gipfel aufbrechen, machen wir einen Abstecher ins wilde Hochtal von Tarfala am Ostfuß des Kebnekaise. Am vorderen See, nahe der glaziologischen Forschungsstation, sind zahlreiche Zelte aufgebaut, wie Farbtupfer leuchten sie in dieser weiten, kargen Hochgebirgslandschaft. Wir wandern weiter in den Talschluss und suchen uns einen Zeltplatzam Ufer des hinteren Sees.

Hier sind wir allein. Nur die Möwen patroullieren über den See, und eine Herde Rentiere zieht vorüber. Gegenüber kalbt der Kebnepakteglaciär in den See, und vom Gletscher weht ein eisiger Wind herüber. In den Abendstunden fällt Schnee. Dabei ist es doch Mitte August und wir befinden uns auf gerade einmal 1100 Meter Seehöhe! Am nächsten Tag wandern wir am Seeufer entlang und nähern uns der bedrohlichen Kaskasapakte-Südwand. Zur Fotogalerie Tourenbuch Kebnekaise Unter allen schwedischen Zweitausendern ist er der schwierigste, nur auf Kletterrouten erreichbar. Gleich neben dem Gletscher führt eine grobblockige Moräne aufwärts, und weiter oben in den Felsplatten ist etwas Kletterei erforderlich, um den Passübergang zum Tal Guobirvagge zu erreichen. Jenseits des Passes steht der Drakryggen, auch er lockt mit seiner feinen, formvollendeten Gestalt, doch wir müssen zurück zu unserer Gruppe und steigen hinab bis zur Kebnekaise- Fjällstation.

Auf der langen Reise nach Norden ist das Leben als Selbstversorger in der Freiheit der Natur ein umfassendes Abenteuer.
Auf der langen Reise nach Norden ist das Leben als Selbstversorger in der Freiheit der Natur ein umfassendes Abenteuer.

Von hier aus führen auf den Kebnekaise zwei Normalwege, der Vestra Leden (Westweg) und Östra Leden (Ostweg). Beide warten mit langen Wegstrecken, aber nur mäßigen Schwierigkeiten auf, denn der höchste Berg der Gruppe ist gleichzeitig auch einer der leichtesten. Entsprechend häufig wird der Kebnekaise bei gutem Wetter besucht.

Übrigens ist der höchste Berg Schwedens auch im Winter ein beliebtes Ziel für Skitourengeher. Da wir ohne Gletscherausrüstung unterwegs sind (unser Selbstversorger-Rucksack ist auch so schon schwer genug), bleibt uns nur der Westweg – aber der bietet die Möglichkeit, auch den Tuolpagorni gleich „mitzunehmen“. Zur Fotogalerie Tourenbuch Kebnekaise Früh morgens brechen wir auf, denn ein langer Tourentag steht bevor. Durch das Tal des Kittelbäcken gelangen wir teils auf Pfaden, teils auf großen Felsblöcken in den Sattel zwischen Tuolpagorni und Vierranvarri. Wir entscheiden uns, gleich die Extratour hinauf zum Tuolpagorni zu steigen, denn abends würden wir bestimmt keine Lust mehr für diesen Abstecherhaben. Vom Gipfel blicken wir die jähe Südostwand hinab ins Tal, wo 1000 Meter tiefer Wanderer auf der dünnen Linie des Kungsleden zu erkennen sind.

Gipfelrast am höchsten Punkt Schwedens mit grandiosem Weitblick über die Welt der Seen und Birkenwälder.
Gipfelrast am höchsten Punkt Schwedens mit grandiosem Weitblick über die Welt der Seen und Birkenwälder.

Ein weiterer Vorgipfel, der Vierranvarri, steht im Weg und muss auf grobem Blockwerk überstiegen werden. Erst dann folgt der lange Gipfelanstieg, vorbei an der bewarteten Toppstugan zum Sydtoppen. Mühsam – ohne Steigeisen – tasten wir uns hinauf zu „Sveriges högsta Topp“, Schwedens höchster Spitze. Hier ist zwar die Luft nicht dünn, dafür nimmt uns aber das Panorama den Atem: Ein Achtel der Landesfläche soll von hier zu überblicken sein, und unter dem weichen Mittagslicht und dem hohen nordischen Himmel reihen sich am Horizont Gipfel an Gipfel. Mehr zu Marco Klüber und eine tolle Fotogalerie finden Sie hier . Der Abstieg kostet fast genauso viel Kraft wie der Aufstieg, denn nur selten hat man so etwas wie einen Pfad unter den Füßen. Stattdessen immer wieder die runden, wackligen Blöcke dieses uralten kambrischen Hochgebirges, das in vielfältigen Hebungs- und Erosionsprozessen geformt und wieder eingerumpft wurde.

Erst spät abends sind wir wieder am Zelt, doch die Sonne steht noch am Himmel. Wer weiß, vielleicht haben wir den schönsten Tag des ganzen Jahres erwischt, um unseren Traum einer Gipfelbesteigung nördlich des Polarkreises zu verwirklichen.

Text und Fotos: Marco Klüber

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