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Plaisir-Skibergsteigen: Tour auf Surettahorn & Pizzo Tambo

Zwei Freunde, zwei Tage und ein Ziel: der Pizzo Tambo mit Befahrung der steilen Nordostwand. Eine einsame Bergfahrt voller Genuss und voller Glück. Zur Nachahmung empfohlen.

 Plaisir-Skibergsteigen: Tour am Pizzo Tambo
© alpin.de

Plaisir-Skibergsteigen: Tour auf Surettahorn & Pizzo Tambo

Wir zählen uns ganz klar zu den Plaisir-Skibergsteigern! Der Plaisir-Begriff steht jedoch ambitionierten und rassigen Abfahrten durch steile Flanken keinesfalls im Wege – meinen wir. Ganz im Gegenteil. Die Abfahrt muss rocken.

Und damit in steiler Wand noch genügend Körner in den Beinen stecken und die Konzentration nicht nachlässt, darf der Aufstieg nicht zu fordernd sein. Zum Plaisir-Gedanken gehört natürlich auch entsprechende Verpflegung. Und wenn dann auch noch Wetter und Schnee passen, steht einer Genusstour nichts mehr im Wege.

Skibergsteigen by fair means am Pizzo Tambo

Aber wie und wo können diese kontroversen Ansprüche zusammengebracht werden? Die Pyramide des Pizzo Tambo (3279 Meter) und seine selten befahrene Nordostwand standen schon lange ganz oben auf unserer Tourenliste. Das Gute: Der Aufstieg über die Südflanke ist ein gemütlicher – wenn auch langer – Hatscher.

Die Herausforderung: passende Schneebedingungen und gutes Wetter zu erwischen. Wer es einfach haben möchte, legt mit Hilfe der Splügener Liftanlagen die ersten 700 Höhenmeter zurück. Das jedoch widerspricht unserer Vorstellung von Skibergsteigen by fair means, widerspricht unserem Bedürfnis nach Ruhe und Einsamkeit.

<p>Vier Monate unterm Schnee vergraben: Das Bivacco Suretta.</p>

Vier Monate unterm Schnee vergraben: Das Bivacco Suretta.

© alpin.de

Bei genauerem Studieren der Karte entdecken wir auf der italienischen Seite, östlich des Splügenpasses und fern vom Skitrubel, ein kleines, unscheinbares Biwak. Der Plan steht: am ersten Tag die Überschreitung des Surettahorns. Tag zwei dann der eigentliche Gipfel des Pizzo Tambo mit seiner Nordostwand.

Die beiden Abfahrten mit Passagen über 40 Grad Neigung sind der feurige Pfeffer in unserem Plaisir-Menü. Stürzen ist jedenfalls keine Option. Jeder Skibergsteiger weiß, wie schwer es ist, per Internet Ferndiagnosen über die aktuellen Verhältnisse vor Ort zu stellen.

Pizzo Tambo: 1600 Hm am ersten Tag

Das Wetter lässt sich noch recht gut einschätzen. Die Schneeverhältnisse hingegen, besonders für die unterschiedlichen Hangausrichtungen und für heikle Abfahrten … dazu gehört schon ein bisschen Glück. Schlau wird man immer erst vor Ort.

Das Hauptgewicht unserer Rucksäcke besteht aus Leckereien. Denn was wäre Bergsteigen ohne gutes Essen? Einen Großteil des ersten Tages queren wir am Westhang der Äußeren Schwarzhörner. Die Bergkulisse, durch die wir uns später schlängeln werden, lässt alle Strapazen des Aufstiegs vergessen.

<p>Der Pizzo Tambo ist ein lohnendes Ziel für Skibergsteiger.</p>

Der Pizzo Tambo ist ein lohnendes Ziel für Skibergsteiger.

© IMAGO / robertharding

Die 1600 Höhenmeter dieses ersten Tages sind mit traumhaften Aussichten verziert. Es ist warm, wir wandern auf der Sonnenseite des Plaisir-Skibergsteigens. Auf dem anspruchsvollen Nordgrat des Surettahorns sieht es dann ganz anders aus: Es ist saukalt und windig. Wir schnallen die Ski auf den Rucksack und zehren von den eben genossenen Sonnenstrahlen.

Am Gipfel (3027 Meter) angekommen, öffnet sich der Blick Richtung Italien. Völlig unerwartet entdecken wir eine Abfahrtsmöglichkeit durch die steile Südflanke, die in keinem Führer erwähnt ist. Sie wird uns den Weg zur Biwakschachtel deutlich verkürzen, jedoch können wir unsere Unterkunft noch nicht einmal sehen. Dort, wo sie sein sollte, ist alles weiß. Aber das ist uns erst einmal egal. Jetzt geht’s ab.

Diese Apps sind nützliche Begleiter auf eurer nächsten Skitour:

Abstecher zum Surettahorn

Wir hätten keine halbe Stunde später dran sein dürfen. Der Schnee ist perfekt aufgefirnt! Das Biwak sollte südlich vom Surettahorn auf 2753 Meter liegen. Als wir nach der Abfahrt dort ankommen, ist unser Nachtlager kaum auszumachen. Seit über vier Monaten war niemand hier, das wird uns aber erst später das Hüttenbuch verraten.

Vorerst heißt es: Schaufeln raus, wir müssen den Eingang freilegen. Danach erleichtern wir unsere Rucksäcke um ein 4-Gänge-Menü: ein leckeres Süppchen aus der Tüte, Pasta mit Pesto, ein Apfel, natürlich Schokolade und hinterher ein Schnaps aus dem Flachmann. Doch bevor wir unsere Kochkünste in der provisorischen Küche zum Besten geben, genießen wir die letzten Sonnenstunden mit schneekaltem Bier.

<p>Blick Richtung Italien und in die Südflanke des Surettahorns.</p>

Blick Richtung Italien und in die Südflanke des Surettahorns.

© alpin.de

Wer hätte gedacht, dass uns die Abfahrt durch die Südflanke so viel Zeit ersparen wird. So warm es tagsüber in der Sonne war, so eisig wird’s, nachdem sie sich verabschiedet hat. Eingemummelt in Schlafsäcke und weitere Klamotten versinken wir im Wahnsinns-Ausblick: Der Vollmond rückt die schneeweiße Stille mit seinem Schimmer ins Rampenlicht und wir lassen uns von der Weite der Landschaft betören.

Hütten-Check: Biwak-Suretta

  • Geöffnet: Ganzjährig.

  • Schlafen: 9 Pritschen auf engstem Raum.

  • Essen: Selbstversorger (Gas vorhanden).

  • Komfort: Kein fließend Wasser, keine Toilette, kein Strom. Dafür Ausblick, Ruhe, Einsamkeit und eine Aladin-Wunderlampe.

  • ALPIN-Fazit: Eine gemütliche Biwakschachtel inmitten atemberaubender Bergkulisse.

Unsere Nachtruhe allerdings währt nur kurz. Der Wecker schrillt zu einer Zeit, die nichts mit plaisir zu tun hat. Aber nach dem Aufstehen und einem spärlichen Frühstück fahren wir in den ersten Sonnenstrahlen durch verspielt kupiertes Gelände zum Splügenpass ab. So dürfte jeder Tag beginnen. Der Zustieg zum Sehnsuchtsziel, dem Pizzo Tambo, ist der zweite lange Hatscher der Tour, aber, abgesehen von den letzten hundert Höhenmetern, völlig harmlos.

Pizzo Tambo: Finaler Gipfelaufstieg und Abfahrt

Das Skidepot richten wir auf knapp 3200 Meter Höhe ein, während uns die ersten Skitourengeher aus dem Skigebiet begegnen. Nichts wie weg von der Autobahn. "Respekt" ist unser erster Gedanke beim Blick von oben in die mächtige Nordostwand. Schwindelig verlieren sich die Skispitzen über der Tiefe. Doch die Bedingungen könnten nicht besser sein.

Nordseitig hat sich der Schnee am Berg festgehalten. Wir sind absolut fokussiert, der Atem geht schnell. Die ersten Schwünge bestätigen die Richtigkeit unserer Entscheidung für die über 1000 Meter lange Wand. Bald ist der Rhythmus gefunden und viel zu schnell geht es über die riesige Wand hinab, hinab, hinab.

<p>Der Biwakplatz könnte schlechter sein!</p>

Der Biwakplatz könnte schlechter sein!

© Baschi Bender

Stolz fahren wir hinaus Richtung Splügen, müssen immer wieder stehen bleiben und uns umsehen. Wir klopfen uns fleißig auf die Schultern. Zum Abschluss genehmigen wir uns noch ein Bad im eiskalten Bergbach – zum Runterkühlen der heißen Gemüter. Was für zwei Tage!

Toureninfos zur Zweitagestour auf Surettahorn (3027 m) & Pizzo Tambo (3279 m)

Die Pyramide des Pizzo Tambo mit der rassigen Abfahrt durch seine anspruchsvolle und selten befahrene Nordostwand ist ein Leckerbissen für den ambitionierten Skialpinisten. Kombiniert mit der Überschreitung des Surettahorns und einer Übernachtung im Suretta-Biwak wird daraus eine Deluxe-Zweitagestour der Extraklasse.

  • Schwierigkeit: Skitour, schwer

  • Zweitagestour: Tag 1: 10 Std., 1600 Hm; Tag 2: 8 Std., 1200Hm

  • Beste Zeit: Dezember – Mai (sehr abhängig von den Schneebedingungen).

  • Talort: Splügen, 1475 m.

  • Ausgangspunkt: Die Splügen-Passstraße so weit wie möglich hochfahren.

  • Route Tag 1: Östlich der Passstraße Richtung Äußere Schwarzhörner. Diese auf dem Surettagletscher südlich umgehen. Beim Surettajoch die Ski auf den Rücken schnallen und über den Nordgrat auf das Surettahorn aufsteigen. Südlich des Gipfels zum Suretta-Biwak abfahren.

  • Route Tag 2: Abfahrt vom Biwak bis zum Splügenpass. Von dort an der Südflanke von Pizzo Tamborello und Lattenhorn vorbei bis zum Skidepot auf 3200 m. Abfahrt je nach Können durch die steile Nordostwand oder zurück bis zum Lattenhorn und dort die sanfteren Nordhänge hinunterwedeln.

  • ALPIN- Tipp: Der Pizzo Tambo lässt sich relativ einfach mit Lifthilfe über den Splügenpass besteigen. Die Strapazen des Umweges über das Surettahorn und die Übernachtung im Bivacco Suretta lohnen sich jedoch allein wegen der Weitblicke vom Biwak sowie wegen der ziemich rassigen Ab fahrten. Abwechslungsreicher kann ein Zweitagesprogramm kaum sein.

<p>Übersichtskarte der Zweitagestour.</p>

Übersichtskarte der Zweitagestour.

© alpin.de

Infos zu Unterkunft, Bahn, Bergführer und Ausrüstung

  • Info: Viamala Tourismus, viamala.ch

  • Anreise: Von norden kommend über Chur Richtung San-Bernardino- Pass und dann weiter bis Splügen.

  • Unterkunft: Ferienlager Auf dem Sand viamala.ch; Bivacco Suretta, 2753 m, CAi Sezione Vallespluga, nicht bewartet, aber ganzjährig geöffnet, Biwak-Suretta

  • Bergbahn: Bergbahnen Splügen-Tambo, tambo.ch

  • Bergführer: Bündner Bergführer Verband, bergfuehrer-gr.ch

  • Literatur: Vital eggenberger: Skitouren graubünden Süd, Verlag des SAC, 2010.

  • Karte: Schweizer Landeskarte, 1: 50 000, Blatt 267 S (mit markierten Skirouten), San Bernardino; 1: 25 000, Blätter 1254, Hinterrhein, und 1255, Splügenpass.

  • Ausrüstung: Das volle Programm: die übliche Skitourenausrüstung inklusive Harscheisen, Pickel und Steigeisen, eventuell auch Seil und gurt einpacken – je nach Sicherheitsbedürfnis für die letzten 100 Höhenmeter gipfelanstieg am Pizzo Tambo. Dazu einen Hüttenschlafsack und natürlich Verpflegung für die Übernachtung in der Suretta-Biwakschachtel.

Text von Baschi Bender

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