Mit Markus Pucher auf seinen wilden Hausberg

ALPIN-Leser klettern mit Markus Pucher auf die Hochalmspitze

Manchmal passt am Berg einfach alles. Der 21. September 2014 war ein solcher Tag: Drei ALPIN-Leser kletterten zusammen mit Extrembergsteiger Markus Pucher auf seinen wilden Hausberg.

Mit Extrembergsteiger Markus Pucher auf die Hochalmspitze.
© Haspinger

Weit im wilden Osten der Hohen Tauern werfen sich die Alpen rund um das Oberkärntner Maltatal zu ihren allerletzten Dreitausendern auf. Hier lockt die Hochalmspitze mit ihrem – alpinistisch betrachtet – umwerfenden Charme. Nicht ohne Grund wird sie von den Einheimischen die Tauernkönigin genannt. Denn für Bergsteiger gibt es an der Hochalmspitze nichts, was es nicht gibt. Zusammen mit der Schneeigen Hochalmspitze, deren firniges Haupt allerdings mittlerweile ziemlich abgeschmolzen ist, und dem Großelendkopf bildet die Apere Hochalmspitze ein Massiv, das vielleicht nicht an Höhe, aber an Vielseitigkeit und Wildheit westalpinen Ansprüchen durchaus gewachsen ist.

Das dreigipfelige Massiv entsendet vier markante Grate: Vom Großelendkopf über die Lochspitzen nach Westen und über die Elendköpfe nach Nordosten, gemeinsam umschließen sie das Großelendkees. Im Osten liegt mit dem Hochalmkees der bei weitem größte Gletscher der Region zwischen der Preilscharte und dem Südostgrat eingebettet. Letzterer nimmt ebenso wie der Detmolder Grat nach Südwesten seinen Ursprung am Hauptgipfel, der Aperen Hochalmspitze.

<p>Abbruchreif? Die Steinernen Mannln am Abstiegsweg machen auf den ersten Blick nicht den stabilsten Eindruck.</p>

Abbruchreif? Die Steinernen Mannln am Abstiegsweg machen auf den ersten Blick nicht den stabilsten Eindruck.

© Demmel, Haspinger

Die verborgene Kammer im Palast der Königin aber ist die Westseite, hier stürzen bis zu 400 Meter hohe Mauern in ganzer Breite auf das zerborstene Winkelkees hinab. Dort glückte 1871 dem Obervellacher Arzt Dr. Carl Gussenbauer mit Johann Weichslederer und einem Mallnitzer Gämsenjäger namens Krapfl ein für die damalige Zeit wahrhaft kühnes Unternehmen: Auf 335 geschlagenen Stufen durchkletterten sie den 65 Grad steilen Eisschlauch der Gussenbauerrinne.

Heute wird dort kaum mehr gepickelt, und im Sommer schon gar nicht, denn die Rinne ist mittlerweile spätestens ab Juli nahezu komplett schnee- und eisfrei – und selbst im Winter und Frühling sehen die Verhältnisse meist nicht sehr verlockend aus. Dafür treffen alpin ambitionierte Kletterer am 400 Meter hohen Westpfeiler auf eine attraktive vertikale Spielwiese mit Schwierigkeiten bis VII–. Alpine Genusskletterer greifen am mit IV und einer Stelle V– bewerteten Südpfeiler zu. Alle anderen erleben in der wunderbaren Überschreitung Detmolder Grat – Rudolstädter weg ihr Tête-à-Tête mit der Tauernkönigin.

<p>Heimspiel: Markus Pucher kennt die Hochalmspitze wie seine Westentasche. </p>

Heimspiel: Markus Pucher kennt die Hochalmspitze wie seine Westentasche.

© Demmel, Haspinger

Eine solch verlockende Einladung zu einem alpinistischen Rendezvous kann man sich eigentlich nicht entgehen lassen. Erst Recht nicht, wenn man mit einem der besten Kenner dieses entlegenen Alpenwinkels unterwegs sein kann, dem Berghaus-Athleten und Patagonien-Experten Markus Pucher. Für ihn ist die Hochalmspitze Heimat, Hausberg und eine genialer Abenteuerspielplatz. Im letzten Bergsommer kamen drei ALPIN-Leser und der Autor dieser Zeilen in den Genuss, von Markus auf seine Hochalmspitze geführt zu werden.

Schon die Anfahrt durch den Gößgraben offenbart den Zauber dieser Region. Durch das absolut ursprünglich gebliebene Tal führt ein rumpeliges schmales Bergsträßchen bis zum Parkplatz unter dem kleinen Gößkarspeicher. Weite Teile des Tals sind von artenreichen Lauburwäldern mit überdurchschnittlichem Totholzanteil bestanden. Ein verwunschenes Paradies mit einzigartigen Bäumen, wie man sie sonst vergeblich sucht. Es ist der 20. September, einer der ersten richtig guten Bergtage in der ansonsten ziemlich verregneten Vorjahressaison. Unter bunt verfärbtem Herbstlaub holen die Bauern ihre Kühe und Schafe von den umliegenden Almen. Kein Touristenrummel, kein Ausflugstrubel, im Talschluss herrscht abgesehen vom Gebimmel des Viehs Stille.

<p>Thronsaal: herrliche Blockkletterei am Detmolder Grat.</p>

Thronsaal: herrliche Blockkletterei am Detmolder Grat.

© Demmel, Haspinger

Gemütlich spazieren wir längs des Fahr- und Wanderweges hinauf zur Gießener Hütte. Von außen ein traditionelles alpines Schutzhaus, drinnen empfängt einen Hüttenwirtin Julia mit einem Charme, wie ihn nur junge innovative Berggastronomen zustande bringen. Julia und ihr Team haben das Haus vor einigen Jahren von ihren Eltern übernommen und bewirten ihre Gäste mit einer wunderbaren Entspanntheit und Leichtigkeit.

Vor Tau und Tag – genau genommen in absoluter Finsternis – brechen wir am nächsten Morgen in Richtung Detmolder Grat auf. Stirnlampen irrlichtern über die Blockhänge. Doch der Zustiegsweg in Richtung Lassacher Winkelscharte ist als Bestandteil des Tauern-Höhenweges bestens markiert. Die Granitplatten sind stellenweise zu einem richtigen Treppenweg gelegt. Als es Tag wird, stehen wir bereits hoch oben am Berg. Im Süden und Südosten ein unbekanntes Gipfelmeer, vor uns die bescheidenen Reste des Trippkeeses.

<p>Siegerlächeln: Markus, Thomas und Fabian am Gipfel.</p>

Siegerlächeln: Markus, Thomas und Fabian am Gipfel.

© Demmel, Haspinger

Über eine kurze Gletscherpassage und die Randkluft ist der Einstieg zum Grat ziemlich schnell erreicht. Der erste frische Schnee erleichtert das Steigen in der steilen Flanke, so dass heute nicht einmal Steigeisen vonnöten sind, ehe wir die Klettersteigsets in die erste Versicherung klinken. Das Ambiente des mit kleinen Türmchen besetzten Granitgrates ist recht luftig. Nebelschleier umwehen geheimnisvoll die nächsten Meter, ehe die Sonne wieder Oberhand gewinnt. Ein stetes Wechselspiel, das dem Grat zusätzliche Spannung verleiht. Um die Sicherheit brauchen wir uns kaum zu sorgen. Zum einen hat Markus die Sache bestens im Griff, darüber hinaus verlaufen die Versicherungen nahezu durchgängig bis zum Gipfelkreuz.

Wir benutzen das Drahtseil ausschließlich zur Sicherung, viel zu schön ist der feinkörnige Granit zu greifen. Schritt um Schritt, Griff um Griff dem Ziel entgegen. Der Detmolder Grat ist trotz der vielen Stahlseilmeter aber nicht unbedingt als Klettersteig zu werten, dazu ist sein Charakter einfach zu hochalpin, auch bei schnee- und eisfreiem Fels muss im Zu- und Abstieg der Umgang mit Pickel und Steigeisen sicher beherrscht werden. Außerdem gibt es immer wieder kurze Stellen, an denen der II. Schwierigkeitsgrad souverän zu meistern ist.

<p>Schlossgarten: das erste Licht am Tauern-Höhenweg.</p>

Schlossgarten: das erste Licht am Tauern-Höhenweg.

© Demmel, Haspinger

Entspannt klettern wir weiter, ein kurzer Quergang, dann geht es zurück auf den Grat mit schaurig-schönen Tiefblicken in die Abgründe der Westflanke. Dort hat sich der erste Schnee bereits festgesetzt und wird wohl auch nicht mehr verschwinden. Über uns blinkt das Gipfelkreuz in der Sonne, eigentlich ist es gar nicht mehr so weit entfernt. Leider, denn die Kraxelei an diesem Traumgrat sollte eigentlich so schnell nicht aufhören.

Dann der Punkt, an dem alle Wege zusammentreffen. Auf handwarmen Granitplatten umlagern wir das Gipfelkreuz, Windstille, alle Nebel sind verflogen. So fühlt sich die große Freiheit an. Wir blinzeln in die Sonne, genießen den Ausblick. Dohlen umkreisen uns auf der Suche nach Wursthaut und Käserinde. Über den Südpfeiler kommt elegant und spielerisch eine Südtiroler Seilschaft heraufgeturnt. Das wäre auch noch einmal ein lockender Weg in den Palast der Tauernkönigin. Für nächsten Sommer vielleicht – an einem Tag wie diesem.

Text von Robert Demmel

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