Von Bergen, Bären und Blutsaugern

Das vergessene Paradies: Auf Skitour in den Karpaten

Skitouren gegen Vorurteile: In Transsilvanien findet man weder Vampire noch Graf Dracula. Dafür freundliche Menschen und spannende Skitouren in einem fast menschenleeren Gebirge.

Das vergessene Paradies: Auf Skitour in den Karpaten
© IMAGO / Westend61

Auf Skitour in den Karpaten: Bärenbegegnung nicht ausgeschlossen

Plötzlich bleibt Reinhard stehen. "Da läuft ein Bär", ruft er. "Ja, und hinter dir sonnt sich ein Tiger", bekommt er zu hören. Schließlich weiß doch jeder, dass Bären Winterschlaf halten. Erst als er in seinem Rucksack hektisch nach der Kamera sucht, schärfen die anderen ihren Blick.

Und tatsächlich: Ein ausgewachsener Braunbär bewegt sich in einer Geschwindigkeit, mit der er innerorts Gefahr liefe, geblitzt zu werden, die steile Bergflanke hinauf. Oben auf dem Kamm bleibt er für einige Sekunden stehen, dann verschwindet er in Richtung des nächsten Tals. Robert, der einheimische Führer, kommt nach vorne und inspiziert die Tatzenabdrücke, groß wie Suppenteller.

Er freut sich wie ein Schneekönig, dass seine Gäste so viel Glück haben. Denn auch in Rumänien, wo noch mehr als fünfeinhalbtausend Bären durch Berge und Wälder streifen, sieht man Meister Petz nicht jeden Tag – schon gar nicht am Ende des Winters, wenn viele der Tiere noch in Höhlen vor sich hindämmern. "Das machen hauptsächlich Weibchen, die jetzt schon Junge bekommen", erklärt er. "Die männlichen Bären können ihre Verstecke verlassen, um Nahrung zu suchen."

<p>Ausflügler: Schon früh im Jahr, im März oder April, sind die Braunbärenmännchen der Winterschlafhöhle entstiegen.</p>

Ausflügler: Schon früh im Jahr, im März oder April, sind die Braunbärenmännchen der Winterschlafhöhle entstiegen.

Siebenbürgen: Region mit einer reichen Geschichte

Es sind solche Erlebnisse, die Robert an seine Heimat glauben lassen. Der 23-Jährige ist Siebenbürger Sachse, ein Nachkomme jener deutschen Kolonisten, die sich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert in Transsilvanien am Rand der Südkarpaten niederließen. Im Land "jenseits des Waldes", so die wörtliche Übersetzung von Transsilvanien, gründeten sie pulsierende Städte mit den noch heute berühmten Kirchenburgen.

Bereits zu Ceausescus Zeiten, vor allem aber nach dem Ende des Kommunismus, verließen viele Siebenbürgen ihre Heimat gen Westeuropa. Inzwischen verfällt das sächsische Erbe an vielen Stellen und die deutschsprachige Bevölkerung ist nur noch eine verschwindende Minderheit. Roberts Vater jedoch wollte auch nach der Wende bleiben.

<p>Der Gipfel des Moldoveanu in den Karpaten.</p>

Der Gipfel des Moldoveanu in den Karpaten.

© IMAGO / Panthermedia

"Wir versuchen es hier", sagte er zu seiner Familie. Inzwischen lebt er nicht mehr. Doch Robert bleibt trotzdem. Obwohl er ein Diplom in Informatik und Physik in der Tasche hat und sich für Erasmus-Stipendien innerhalb der EU bewerben kann. Obwohl seine Skitourenschuhe den Monatslohn eines Durchschnittsrumänen verschlingen. Obwohl der Sprit hier umgerechnet 1,50 Euro kostet und er sich selbst dann kein eigenes Auto leisten könnte, wenn ihm jemand eines schenken würde.

Doch wer seine Spuren einmal durch die wilden und schroffen Berge des Fagaras-Massivs gezogen hat oder den butterweichen Firn an den sanfteren Hängen der Bucegi-Kette genossen hat, versteht Robert. Beide Gebirge gehören zum 1300 Kilometer langen Bogen der Südkarpaten mit Gipfelhöhen bis 2500 Meter. Nach den Alpen ist das die zweitgrößte Gebirgskette Europas und eine der ursprünglichsten Naturlandschaften des Kontinents.

<p>Andacht statt Trubel: Die Besichtigung des berühmten Felsenklosters von Pestera ist für Skitourengeher ein Muss.</p>

Andacht statt Trubel: Die Besichtigung des berühmten Felsenklosters von Pestera ist für Skitourengeher ein Muss.

© ALPIN

Robert schätzt, dass es im ganzen Land maximal 2000 Skitourengeher gibt. Die meisten sind mit uralter Ausrüstung unterwegs, die Silvretta 400 kommt hier zu neuen Ehren, brauchbare Karten und Führerliteratur gibt es fast nicht. In den einsamen Tälern leben nur wenige Schäfer. Bewacht werden die Gehöfte und Schafe von Bergamasker Hirtenhunden, die dazu erzogen sind, gegen Wölfe und Bären zu kämpfen.

Auf Skitour sollte man einen großen Bogen um die zotteligen Wächter machen, oder zumindest keine Angst zeigen. Als Roberts Kollege Koko zum Pinkeln hinter einem Baum verschwindet, muss er sich allerhand Sprüche anhören à la: "Darauf haben die Hunde nur gewartet. So machen es auch die Wölfe. Sie separieren ihr Opfer von der Herde."

Ganz so schlimm wird es dann doch nicht. Die beiden wuscheligen Hirtenhunde, die uns bis zum Gipfel des Strungile Mari eskortieren, sehen ein bisschen aus wie Tina Turner und interessieren sich mehr für die Jagd auf Schneehasen als für uns.

Skibesuch beim Felsenkloster von Pestera

Als der Schnee am frühen Nachmittag zu weich wird, schlägt Robert vor, das in den 1990er-Jahren renovierte Felsenkloster von Pestera zu besuchen. Die große Anlage wird inzwischen wieder von orthodoxen Mönchen bewohnt. Einer der Padres führt uns über eine vereiste Treppe hinab in einen Tobel. Er zeigt uns eine Felsengrotte, wo sich noch bis 1923 eine aus Holz erbaute kleine Kirche befand.

Heute findet man hier neu angebrachte Wandmalereien, die etwas kitschig anmuten. Doch beim Altar gibt es noch eine alte, gut erhaltene und stilvolle Ikone zu bewundern. Koko grinst und meint, er werde gleich seiner Mutter erzählen, dass er ein Kloster besucht habe. Der strenggläubigen Mama missfällt es außerordentlich, dass er mit seiner Freundin schon seit fünf Jahren ohne Segen des Patriarchen zusammenlebt.

<p>Undurchschaubar: Die Karpaten sind bekannt für ihre dichten Wälder.</p>

Undurchschaubar: Die Karpaten sind bekannt für ihre dichten Wälder.

© IMAGO / Panthermedia

Nach dem Ausflug zum Kloster geht es zurück zum Hotel Pestera, das für einige Tage unser Basislager wird. Das Haus ist ein "Meisterwerk" der sozialistischen Beton-Architektur aus den 1970er-Jahren, das innen jedoch überraschend heimelig wirkt und sogar mit Sauna und Whirlpool aufwartet. Ceausescu soll hier mit seinen Getreuen Ferien gemacht haben. Auf der Terrasse schenkt Koko aus Pflaumen gebrannten Tuica zum Aufwärmen ein. In Rumänien sagt man übrigens "Noroc", denn "Prost" heißt so viel wie Dummkopf.

Nach dem dritten Tuica kommt das Gespräch auf ein für Rumänien- Reisende scheinbar unvermeidliches Thema. Robert, Koko und ihr Kumpel Rica verdrehen die Augen, beantworten die Fragen aber mit einer Engelsgeduld: Nein, ohne Graf Dracula wäre Transsilvanien nicht in aller Welt bekannt. Nein, die Pläne für einen Dracula- Themenpark deutsch-amerikanischer Investoren wurden wieder eingestampft. Nein, es gibt hier auch im Sommer keine Vampire, die unschuldigen Trekkern das Blut aussaugen.

Mythos Dracula in Sighisoara

Ja, wer als Spielzeug- oder Textilhersteller die Patentrechte auf den Namen Dracula besitzt, hat für alle Zeiten ausgesorgt. Ja, zu Halloween werden Hunderttausende Flaschen Dracula-Wein in die USA exportiert. Ja, der historische Dracula stammt aus Schässburg, dem heutigen Sighisoara.

In der einstigen Hauptstadt Siebenbürgens soll das historische Vorbild Draculas, der Walachenfürst Vlad Tepes, im Jahr 1431 geboren worden sein. Während seiner Herrschaft wurde der Fürst für die Region zum Inbegriff von Grausamkeit, Schrecken und Willkür. Blut getrunken hat er aber wohl zu keiner Zeit.

<p>Ratsch statt Internet: Zwei Frauen in Kronstadt tauschen Neuigkeiten aus.</p>

Ratsch statt Internet: Zwei Frauen in Kronstadt tauschen Neuigkeiten aus.

© ALPIN

Die Firn-Parade im Bucegi-Massiv findet ihren würdigen Abschluss in einer Tour zum gut 2500 Meter hohen Varful Omu. Am Gipfel steht eine Hütte des Siebenbürgischen Karpaten-Vereins, in der man sogar übernachten kann. Danach heißt es Beine lockern beim Sightseeing in Brasov (Kronstadt). Die wenigen noch hier lebenden deutschsprachigen Protestanten sind stolz auf ihre Schwarze Kirche, die deshalb so heißt, weil ein verheerender Brand im 17. Jahrhundert alles einschwärzte.

Auf dem Hauptplatz in der Frühlingssonne herrscht fast mediterranes Flair. Junge, schicke Rumäninnen mit großen Sonnenbrillen genießen die wärmenden Strahlen und gönnen sich einen Espresso in einem der vielen Cafés. Mit unseren Funktionsklamotten wirken wir reichlich deplatziert. Es wird Zeit, wieder in die Berge aufzubrechen!

Skitouren rund um die Balea-Lac-Hütte im Fagaras-Massiv

Mit einer in die Jahre gekommenen Seilbahn geht es hinauf zur gemütlichen Balea-Lac-Hütte im Fagaras-Massiv. Der Zeiger des Lawinenlageberichts in der Bergstation steht auf Stufe "Drei". Hat das etwas zu bedeuten? "Nein", lacht Robert, "der wurde schon seit dem Herbst nicht mehr bewegt."

Die Hütte ist ein idealer Stützpunkt für Skitouren. Hüttenwirte sind der Siebenbürger Sachse Günter Klingeis und seine Frau Regine. Die Hand, die einem der Zwei-Meter-Mann Günter zur Begrüßung reicht, könnte auch einem Bären gehören, so fest ist sein Händedruck.

"Habt ihr schon die Gämsen und die Steinadler gesehen?", fragt er. Sein Herz gehört der Jagd, weniger dem Wintersport. Aber er weiß, dass man damit Geld verdienen kann, sogar Heli-Ski ist möglich. Aber keine Sorge: Die Nachfrage nach Flügen ist so gering, dass sich Skitourengeher sicher nicht mit dem Jet-Set aus der Hauptstadt um jungfräuliches Gelände raufen müssen.

<p>Steil bis sanft geht es zu in den winterlichen Karpaten.</p>

Steil bis sanft geht es zu in den winterlichen Karpaten.

© IMAGO / Panthermedia

Zumal es hier viele Optionen für anspruchsvolle Touren gibt, bei denen man sich auch noch im 40 bis 45 Grad steilen Gelände wohl fühlen sollte. Grund für Koko, sich etwas zurückzuhalten. Sein Kamikaze- Fahrstil, der in unregelmäßigen Abständen tiefe Krater im Schnee hinterlässt, wäre zu halsbrecherisch für das schroffe Fagaras. Robert hingegen zeigt, dass er nicht nur mit Ski, sondern auch mit Steigeisen und Pickel umgehen kann.

Vermutlich würde er die Prüfung zum staatlich geprüften UIAGM-Bergführer im ersten Anlauf bestehen. In den Alpen könnte er viel mehr Geld verdienen. Doch das ist nicht sein Ding. Er ist gekommen, um zu bleiben. Und überhaupt: Wo in den Alpen trifft man auf Skitouren noch Bären an? Jeder weiß doch, was mit Bären in Bayern passiert.

Alle Infos zu Skitouren in Rumäniens Karpaten

Die Touren im Bucegi-Gebirge sind moderat und für Anfänger geeignet. Im Fagaras-Massiv sind die Gipfel wesentlich schroffer.

Tour auf den Varful Omu (2505 m)

  • Die Tour zum höchsten Gipfel der Bucegi-Berge ist ein echter Klassiker und bietet viele Varianten.

  • Schwierigkeit: Skitour leicht; Höhenmeter: 1400 Hm; Gesamtzeit: 6 Std.

  • Beste Zeit: Februar und März.

  • Talort: Sinaia, 850 m;  Ausgangspunkt: Pestera, 1600 m.

  • Route: Vom Parkplatz nach rechts (N) die Stufen hinab und über die kleine Brücke. Dann folgt man dem Sugarilor-Tal zum Sattel (2250 m). Hier links abzweigen (nach Westen) und oberhalb der Felsabbrüche queren ("La Cerdac"), bis man in einer Rinne auf den Sattel nach Norden absteigen kann. Über den Varful Bucura (2503 m) geht es am Kamm entlang (NO) zum Gipfel des Varful Omu. Abfahrt wie Aufstieg.

So geht ihr sicher mit Harscheisen:

2. Skitour auf den Paltinului (2399 m)

  • Der Paltinului ist einer der "Hausberge" der Balea-Lac-Hütte.

  • Gesamtzeit: 6 - 7 Std.; Höhenmeter: 1200 Hm; Schwierigkeit: mittel

  • Beste Zeit: Januar bis März.

  • Talort: Talstation der Seilbahn bei Cascada Balea, 1200 m.;  Ausgangspunkt: Balea-Lac-Hütte, 2034 m.

  • Route: Von der Hütte zum Doamnei- Sattel (2200 m). Von hier auf den Gipfel des Paltinului (S). Zurück zum Sattel und endlose Abfahrt in das nach Nordwesten führende Tal bis zu einer Schäferhütte auf ca. 1200 m. Hier entweder auffellen und über den Sattel zur Hütte oder über einen niedrigeren Sattel ins östliche Nachbartal Valea Doamnei und mit der Gondel zur Hütte.

<p>Karte der Karpaten.                                </p>

Karte der Karpaten.

© ALPIN

3. Rundtouren um den Caprei-See

  • Gesamtzeit: 3 - 7 Std.; Höhenmeter: 400 - 800 Hm; Schwierigkeit: mittel

  • Beste Zeit: Januar bis März.

  • Talort: Talstation der Seilbahn bei Cascada Balea, 1200 m.; Ausgangspunkt: Balea-Lac-Hütte, 2034 m.

  • Route: Von der Hütte nach Osten zum Sattel Saua Caprei (2315 m). Von hier nach rechts (S) zum Gipfel des Iezerului (2417 m). Ost-Abfahrt zum See Lacul Caprei (2249 m). Von hier zum Varful Vanatoarea (2507 m) aufsteigen (O) und wieder zum See abfahren. Der dritte Gipfel ist der Vaiuga (ca. 2400 m), den man erreicht, indem man zuerst zum Sattel Saua Caprei zurückgeht und dann nach rechts (N) abzweigt.

Diese Notfallausrüstung muss mit auf Skitour:

Infos zu Anreise, bester Jahreszeit und Lawineninfos

  • Anreise: Ausgangspunkt für Touren in den Südkarpaten ist Sibiu (Hermannstadt). Auch Bukarest kommt in Frage, wenn man ins Bucegi- Massiv möchte.

  • Info: Rumänisches Touristenamt Berlin, rumaenien-tourismus.de

  • Unterkunft: In den Städten gibt es gute Hotels zu günstigen Preisen. Im Bucegi-Massiv ist das Hotel Pestera, 1600 m, pestera.ro ein guter Stützpunkt. In den Fagaras-Bergen sind es die Cabana Balea Lac, 2034 m, balealac.ro und die Cabana Negoiu, 1550 m, negoiu.ro

  • Beste Jahreszeit: Die Südkarpaten sind für ihre kurzen und schneereichen Kontinentalwinter bekannt. Wer Pulver und viel Schnee sucht, sollte zwischen letzter Januarwoche und erster Märzwoche fahren.

  • Wetter- und Lawinenlagebericht: meteoblue.com; Einen Lawinenlagebericht gibt es nicht. Info beim Club der Bergfreunde Sibiu: amiciimuntilor.ro

  • Literatur / Karten: Die Broschüre "Bucegi Mountains - Ski Touring" kann man für 7 Euro plus Porto unter montania.ro bestellen, die Karte Muntii Bucegi, 1: 50 000, über Bel Alpin Tour. Vom gleichen Verlag: Fogarascher Gebirge - Wanderführer mit Karte, 1: 75 000 (englisch), mapfox.de

  • Veranstalter: Hauser exkursionen, hauser-exkursionen.de.

  • ALPIN-Tipp: Ausreichend Zeit für Hermannstadt (Sibiu) einplanen. Die Altstadt ist sehr interessant und vermittelt einen guten Eindruck über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Es gibt zahlreiche Cafés und Bars mit fast italienischem Flair. Zu Recht: Rumänien ist eine romanische Sprach-insel und die Rumänen sind stolz auf ihre "römischen" Wurzeln.

0 Kommentare

Kommentar schreiben