Paradetour unter verschärften Bedingungen

Nur für Alpinisten: Winterbegehung "Jubiläumsgrat"

Schon im Sommer zählt der Jubiläumsgrat zu den tollsten Überschreitungen der Ostalpen. Unser Autor wagte die Tour im Winter. Durch hüfthohen Neuschnee kämpfte er sich zum Ziel: Bier und Pizza in Garmisch.

Nur für Alpinisten: Winterbegehung "Jubiläumsgrat"
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Winterbegehung "Jubiläumsgrat"

Sechs Uhr morgens beginnt die Suche nach unserem dritten Mann, denn Helmut findet seine Bergschuhe nicht. Er hat sie wohl beim Umzug verloren. Doch ich will auf jeden Fall in einer Dreierseilschaft gehen. Damit habe ich bei Winterüberschreitungen bisher die besten Erfahrungen gemacht: Das Gewicht der Ausrüstung und die Spurarbeit lassen sich im Dreier-Team am besten aufteilen. Deshalb fange ich an zu telefonieren und finde bald einen Ersatzmann. Den Traumtag, der vor uns liegt, werden Stefan und Wolfgang mit mir teilen.

Auf die Gelegenheit zum Träumen hoffen wohl auch andere: An der Bergbahn wartet eine lange Schlange Skifahrer. Die Stimmung ist gut, wir hören die Prognosen "Powder Alarm" und "Sonne". Alle scheinen zu spüren, dass heute einer der schönsten Tage des Winters auf sie wartet. Um neun Uhr schweben wir endlich Richtung Zugspitze.

Vom linken Kabinenfenster aus haben wir den besten Blick auf den Jubiläumsgrat: Tief verschneit und überwechtet, zeigt er sich im schönsten Winterkleid. "Was, für die kurze Strecke sollen wir einen ganzen Tag brauchen?", fragt Stefan. Ich gebe ihm recht: Aus der Gondel wirkt die Entfernung zur Alpspitze geradezu lächerlich. Mit Spannung erwarten wir den Blick von der Gipfelterrasse auf den Grat.

Jubi im Winter: Start vom Gipfel der Zugspitze

"Oje, keine Spur. Das wird anstrengend!", seufzen wir. Wir hatten gehofft, dass an einem so schönen Tag schon eine Seilschaft Vorarbeit geleistet hätte. Wir passieren ein Schild mit der Aufschrift "Achtung Lebensgefahr!" und entfernen uns vom emsigen Treiben auf der Gipfelplattform: weg vom Duft nach Bratwurst und frischen Brezen, weg von wild fotografierenden, kichernden Japanern, weg vom Gepolter schwerer Skistiefel.

Fünf Minuten später stehen wir auf Deutschlands höchstem Punkt, der Zugspitze (2962 m). Unter dem stahlblauen Himmel strahlt das goldene Gipfelkreuz, die Sicht reicht weit, nur über dem Alpenvorland hängen Nebelschwaden. Es ist ein seltsames Gefühl, eine Bergtour am höchsten Punkt zu beginnen.

<p>Deutschlands höchster Gipfel im winterlichen Gewand. Dahinter: Der verschneite Jubiläumsgrat.</p>

Deutschlands höchster Gipfel im winterlichen Gewand. Dahinter: Der verschneite Jubiläumsgrat.

© IMAGO / imagebroker

Anfangs ist der Grat noch breit und gut begehbar, aber schon der erste kurze Gegenanstieg ist überwechtet und drängt uns in die steile Nordflanke. Hier kann jederzeit ein Schneebrett abgehen. Wir packen das Seil aus und sichern uns gegenseitig. Stefan quert so knapp wie möglich unter dem Grat, damit ihn beim Abgang eines Schneebretts das Seil halten kann.

Nur für Erfahrene: Der Jubiläumsgrat hat es im Winter in sich!

Wolfgang bildet auf der anderen Seite des Grates ein Gegengewicht. Was verwegen oder gar leichtsinnig klingen mag, hat mich die Erfahrung der vergangenen zwanzig Jahre gelehrt: Oft geht es nicht anders. Doch für diese Methode müssen die Schneebedingungen passen – in einen spannungsgeladenen Hang, der Schollen bildet, würden wir nicht freiwillig hineingehen. In diesem Fall bliebe uns nichts anderes übrig, als umzukehren.

Der Grat wird immer schmaler, die Spur enger. Wir haben lawinensicheres Gelände erreicht und klettern nahezu ohne Seil. Laut sage ich, was ich denke: "Ein falscher Schritt, und du liegst ein paar hundert Meter weiter unten!" Die Drahtseilversicherung ist entweder tief im Schnee vergraben oder es gibt gar keine. In den westseitigen Steilaufschwüngen sind die Drahtseilversicherungen zum Glück gut sichtbar, wir kommen dort schnell voran.

<p>Blick von Zugspitze über Jubiläumsgrat mit Höllentalspitzen und Hochblassen</p>

Blick von Zugspitze über Jubiläumsgrat mit Höllentalspitzen und Hochblassen

© IMAGO / imagebroker

Doch sobald wir ostseitig wieder absteigen, haben wir das gleiche Problem: keine Drahtseile. An einer steilen, schneefreien Platte sehen wir, dass es hier auch im Sommer keine Versicherung gibt. Die Stelle wird unangenehm, denn wir treten den lockeren Neuschnee ab, der die Platte rutschig werden lässt. Und wir wundern uns: Gelegentlich sind Stellen versichert, die gut zu gehen sind, dann aber gibt es haarsträubende Auf- und Abstiege, die völlig unversichert sind.

An einigen Stellen ist der Grat so überwechtet, dass er uns zu abenteuerlichen Ausweichmanövern in steile Südhänge zwingt. Anfangs ist das kein Problem, aber je wärmer es wird, desto mehr Rutsche lösen sich. Mit lautem Krachen scheppern sie über die steilen Südwände. An zwei Stellen verbreitern sich die Schneerutsche zu 40 bis 50 Meter breiten Lawinen, die weit unten in engen Trichtern zusammengepresst werden und laut ins Tal donnern.

Die schönsten Bilder von der Zugspitze findet ihr in unserer Bildergalerie:

Die Schlüsselstelle des Jubigrats im Winter

Für eine Rast bleibt uns keine Zeit. Der Weiterweg ist zwar einfacher, erfordert aber anstrengende Spurarbeit im sulzig werdenden Neuschnee. Gut, dass ich den Grat von früher kenne. Das ständige Auf und Ab kann einen leicht verunsichern. Eine willkommene Abwechslung bringt der spektakuläre Steilaufschwung durch die Westwand der Vollkarspitze, die schwierigste Klettersteigpassage der Tour.

Senkrecht führen die Eisenklammern nach oben. Wir erreichen einen hochalpinen Grat, von dem links und rechts steile Wände abbrechen. Langsam werden wir müde. Wie gut, dass wir uns beim Spuren abwechseln können. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.

Im Dunkeln ist der Abstieg in die nordseitigen Hänge vor dem Steilaufschwung des Hochblassen schwer zu finden. Deshalb wollen wir die Stelle unbedingt vor Sonnenuntergang erreichen. Also weiter. Endlich beginnen wir den Abstieg über die Flanke und die kurze Steilrinne hinauf in Richtung der Nordwand des Hochblassen. Plötzlich stecken wir bis zur Hüfte im Pulverschnee.

<p>Jubigrat-Panorama vom Wank.</p>

Jubigrat-Panorama vom Wank.

© IMAGO / CHROMORANGE

Weil die Hänge für eine Querung zu steil sind, entscheide ich mich für eine Spur in der Falllinie und wühle mich durch den Schnee nach unten. Ringsum herrscht eisige Stille. Erleichtert erreichen wir die Grieskarscharte und schauen zu, wie die Sonne untergeht. Unsere Schritte werden langsamer. Bei langen Touren wie dieser stellt sich meist ein schleppender Rhythmus ein, nach dem Motto "Lieber langsam und stetig, als gar nicht". Am liebsten wären wir jetzt schon auf dem Gipfel der Alpspitze – oder bei Bier und Pizza in Garmisch. Erst im Dunkeln erreichen wir die Alpspitze.

Es ist totenstill. Der vermeintlich einfache Abstieg über die Ferrata erweist sich als tückisch. Es liegt so viel Schnee, dass wir die Drahtseile nur ab und zu sehen können. Wortlos klettern wir in die Tiefe, hungrig und durstig. Endlich verlassen wir die Nordflanke und queren Richtung Osterfelderkopf. Der Hatscher nach Garmisch zieht sich. Um 23.30 Uhr, 14 Stunden nach Beginn unseres Abenteuers, erreichen wir das Tal. Mein Sohn Martin erwartet uns mit Saft und Brot. Bier und Pizza gibt es heute leider nicht mehr.

Alle Infos auf einen Blick: Der Jubigrat im Winter

  • Schwierigkeit: Bergsteigen, schwer

  • Gesamtzeit: 5 - 12 Std.

  • Höhenmeter: 800 Hm Aufstieg, 2000 Hm Abstieg

  • Route: Von der Bergstation der Eibseeseilbahn auf die Gipfelplattform des Gebäudes. An der Nordseite unter einer Absperrung hindurch und in die Scharte vor dem Zugspitze-Ostgipfel. Über Leitern und an einem Geländerseil unschwierig auf den Gipfel. Auf dem ersten Gratabschnitt 2,5 km hinunter Richtung Innere Höllentalspitze. Vor einer Scharte wird der Grat zunehmend schmaler und ausgesetzter, Drahtseilsicherungen sind hier so gut wie nicht vorhanden. Wesentlich leichter sind dann die westseitigen Steilaufschwünge zu bewältigen, da diese gut versichert und dank der Steilheit die Drahtseile meist zugänglich sind. Ab der Inneren Höllentalspitze (2737 m) beginnt ein ständiges Auf- und Abklettern am exponierten Grat, das wesentlich zeitaufwendiger ist als der Anfang des Grates. An der Inneren Höllentalspitze kann man das letzte Mal den Grat verlassen und über den versicherten Brunntalgrat südseitig Richtung Knorrhütte absteigen, aber Achtung: von der Knorrhütte sind es ca. 600 Hm zurück zu einer Auffahrtsmöglichkeit Richtung Zugspitze. Vor der Äußeren Höllentalspitze erreicht man die Biwakschachtel. Von der Zugspitze bis hierher hat man etwas mehr als die Hälfte des Weges geschafft – ein Blick auf die Uhr lohnt sich, um abzuschätzen, wie lange man dann noch brauchen wird. Ab der Vollkarspitze wird der Grat leichter (je nach Verhältnissen) und führt zum Gipfel der Alpspitze. Von hier über die Ferrata Richtung Osterfelderkopf und weiter über die Skipiste zur Talstation in Garmisch-Partenkirchen.

  • Winterinfo: Im Winter muss man damit rechnen, dass ein Teil der Drahtseilversicherungen am Jubiläumsgrat und an der Alpspitz-Ferrata unter dem Schnee liegen. Während im Sommer der Grat in beide Richtungen begangen wird, ist für den Winter der Start von der Zugspitze empfehlenswert : So können die steilen Nordhänge der Vollkarspitze und der Steilhang unterhalb des Hochblassen im Abstieg bewältigt werden, was lawinentechnisch sehr empfehlenswert ist. Vorsicht: Die Hänge sind über 40 Grad steil und nordseitig in Kammlage. Da der Jubiläumsgrat die erste Bergkette gegen die Wetterfronten aus Nordwesten bildet, bekommt er oft den meisten Schnee ab. Dann kann der letzte Teil des Weges zur Falle werden. Der Abstieg über die Ferrata kann zu gefährlich sein. Der Abstieg zu Fuß durch das Grieskar ist extrem (!) anstrengend – hier sammelt sich oft mehr Schnee an als erwartet. Der Schnee kann meterhoch eingeweht sein. Bei guten Bedingungen kommt man im Winter schneller voran als im Sommer; bei Neuschnee und ohne Spur wird der Grat zum hochalpinen Unternehmen. Völlig falsch ist, dass die Tour im Winter Training für Westalpenklassiker sei. Die Anforderungen am sommerlichen Rochefort-Grat sind dagegen geradezu lächerlich – der Jubiläumsgrat ist wesentlich schwieriger und erfordert mindestens das Doppelte an Kondition.

<p>Übersichtskarte Jubiläumsgrat</p>

Übersichtskarte Jubiläumsgrat

© ALPIN

Infos zu Hütten, Bergführer und beste Jahreszeit

  • Anreise: Von Garmisch nach Grainau und weiter zur Talstation der Eibsee-Seilbahn mit dem Eibsee-Bus, der Zahnradbahn der Bayerischen Zugspitzbahnen oder dem Pkw.

  • Beste Zeit: Normalerweise nicht zu früh im Winter, da der Schnee noch nicht verfestigt ist und keinen Halt bietet. Wer aber Glück hat, erwischt gerade zu Winterbeginn eine Schönwetterperiode Anfang Januar, in der bei wenig Schnee auch ausgezeichnete Verhältnisse sein können.

  • Hütten: Münchner Haus (2959 m), im Winter geschlossen; Biwakschachtel am Jubiläumsgrat (2684 m), 12 Plätze; Kreuzeckhaus (1652 m), beim Abstieg evtl. dort übernachten.

  • Bergbahnen: Eibsee-Seilbahn: Die Gipfelplattform der Zugspitze erreicht man am schnellsten mit der Eibseeseilbahn; Alpspitzbahn: Wer schnell ist, kann mit der Bahn bis 16.30 Uhr vom Osterfelderkopf hinuntergondeln. Info für beide Bahnen: zugspitze.de

  • Karte: AV-Karte, 1:25 000, Blatt 4/2, Wetterstein Mitte.

Text von Heinz Zak

2 Kommentare

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rennt0815

...sehr schöner Bericht, vielen Dank.

Ich war am 21.4.22 auf dem Jubi unterwegs und habe es genau so erlebt. Keine Menschenseele unterwegs, Stille, Kälte, kein Wind, fast durchgehend Sonne. Kampf im tiefen Schnee, Gejapse wegen fehlender Akklimatisierung, ...

Osterfelderbahn war in Revision, Kreuzeckbahn weg- also Abstieg über Jägersteig. Zeitbedarf: 8.40h ab Zugspitze, 20.40h an Hammersbach. Ohne die Halbe Edelstoff auf der Alpitze wär´s kaum möglich gewesen :-). Berg Heil!

Kati

Hey. Super. Kann ich Euch irgendwie kontaktieren?
VG