ALPIN-Tourenbuch

Wandertour: Klagenfurter Jubiläumsweg

Einmal musste es sein. Dann, wenn ich Lust hätte, richtig weit zu gehen. Denn immer wenn ich aus dem Küchenfenster unserer Hütte im Rauriser Tal schaue, steht mir der Talschlusskessel von Kolm Saigurn im Weg.

Wandertour: Klagenfurter Jubiläumsweg

Berühmt und berüchtigt: der Tauern-Höhenweg

Wegweiser statt Steinmänner.
Wegweiser statt Steinmänner.

Nicht dass es kein schöner Anblick wäre. Im Gegenteil: Dort reihen sich ein ganzer Schwung eleganter Dreitausender aneinander, die über einen langen Gratkamm mit dem Hochtor an der Großglockner Hochalpenstraße verbunden sind. Just über diesen Kamm führt der Klagenfurter Jubiläumsweg – und der wiederum ist ein Teilstück des ebenso berühmten wie berüchtigten Tauern-Höhenweges. Berühmt deshalb, weil seine Nah- und Fernblicke zum Attraktivsten gehören, was die Ostalpen zu bieten haben. Berüchtigt, weil nicht wenige Etappen richtig harte Nüsse von acht, zehn und mehr Gehstunden sind.

Sieben - eine biblische Zahl an Gipfeln zum Sammeln

Jedesmal, wenn ich im Winter oder Frühling auf einem der Gipfel meiner neuen Hausberge stehe, keimt in mir der Wunsch auf, diesen Kamm im Sommer zu überschreiten und in die grünen Kärntner Täler hinunterzuschauen. Der Tag müsste ein ganz besonderer sein. Einer an dem alles stimmt: das Wetter und vor allem meine Motivation. Denn für diese opulente Geröllstapferei würde ich wohl kaum jemanden begeistern können. In meiner Fantasie allerdings wuchs sich der Klagenfurter Jubelweg zu einem wirklichen Wunschziel, bis er (fast) ganz oben auf der Liste stand. Weil – ich gebe es offen zu – auch ich gerne Gipfel sammle. Und von denen heimst der hochalpine Wanderer hier nicht weniger als sieben an einem Tag ein. Allesamt überragen sie die Dreitausender-Grenze, nicht um Haupteslänge zwar, aber immerhin. Sieben – eine biblische Zahl: Sieben Plagen stellt die Offenbarung des Johannes der Menschheit in Aussicht. In den siebten Bergsteigerhimmel gelangt, wer die Dreitausender zwischen Glockner- und Goldberggruppe überschreitet.

Mit Bergkäse und Rotwein endet der erste Tag

Soweit der Plan. Im August 2008 ist es soweit: Ö3-Wetterexperte Christian Hundorf verspricht Österreich-weit sonnige Tage.

Selbst in der dicksten Suppe gibt es dank der monumentalen Markierungen keine Orientierungsprobleme.
Selbst in der dicksten Suppe gibt es dank der monumentalen Markierungen keine Orientierungsprobleme.

Also nichts wie los! Ich entschließe mich zu einem Biwak am Ausgangspunkt beim Hochtor, um anderntags ohne lange Anfahrt den ganzen Tag für die Tour zur Verfügung zu haben. Zudem liebe ich geplante Freinächte im Gebirge – sofern das Equipment stimmt: Dazu gehören neben einem warmen Schlafsack vor allem Speck, Bergkäse, Schwarzbrot, Rotwein, Schokolade und vielleicht noch ein paar Oliven. (Nein, sonst habe ich keine Wünsche – und ich brauche dafür auch am nächsten Tag nichts.) Mit Stirnlampe, Biwaksack und einer warmen Jacke verschwinde ich am Hochtor nach Sonnenuntergang um die Ecke. Noch schnell auf den unspektakulären Tauernkogel und den Blick nach Süden einsaugen. Erste Sterne blitzen, ich suche nach einem windstillen Schlafplatz irgendwo zwischen den Steinen. Es ist Zeit zum Atmen, die Gedanken können auf Reisen gehen.

Mit dem Mond kommt der Wind

Um halb elf geht der Mond als schmale Sichel drüben hinter dem Sonnblick auf. Dort liegt mein Ziel für morgen – nicht auf dem Mond, sondern auf jenem nahen und doch so fernen Zacken im Osten. Auf dem Sonnblick stehen das Zittelhaus und ein mächtiges Observatorium, das während des ganzen Jahres von Meteorologen besetzt ist. Vermutlich haben sie dem Ö3-Wetterfrosch die Grundlageninfo für seinen optimistischen Wetterbericht gegeben. Mit dem Mond kommt der Wind, ganz sachte zuerst, ein laues Lüftchen. Dann etwas stärker, Staub wird aufgewirbelt, es beginnt ungemütlich zu werden. Ich verstaue meine sieben Sachen im Biwaksack, Mütze auf, Schuhe runter und ab in den Schlafsack. Stunden später rüttelt der Sturm an meinem Biwaksack – wie war das noch mit dem Wetterbericht? Die Meteorologen und ihre Prognosen!

Eindrücke von der Tour - klicken Sie sich durch unsere Slideshow!

Der fliegende Robert am Gipfelkreuz

Als es draußen hell wird (drinnen im Biwaksack wird die Luft allmählich dick), jagen die Nebelschwaden über den Kamm. Meine Stimmung sinkt auf den Nullpunkt. Zurück zur Straße und per Autostopp nach Hause? Das Handy habe ich in Rauris gelassen, denn so etwas braucht man auf einer Wanderung bei bestens vorausgesagtem Wetter schließlich nicht – Hochmut kommt vor dem Fall! Oder trotzdem losgehen? Ich entscheide mich für die Trotzreaktion. Ohne Frühstück. Wolkenfetzen fingern gierig zwischen den Grathöckern hindurch, zwischen den Felsen heult der Sturm. Wo kommt nur diese Waschküche her? Am Hinteren Modereck (nomen est omen) muss ich mich am Gipfelkreuz festhalten, damit es mich nicht davon bläst. Sie kennen sicher die Kindergeschichte vom fliegenden Robert. Nun einen Schirm hatte ich nicht, dafür allerlei zu tun mit dem Gleichgewicht.

Den dritten Gipfel in der Tasche

Trotz des unwirtlichen Wetters ist der Pfad (manchmal sind es auch nur Steigspuren) nirgends zu verfehlen: Monumentale Steinmänner wechseln mit aufgestellten und an der Spitze farbmarkierten Felsplatten. An der Noespitze dringt plötzlich die Sonne wie durch ein Milchglas, der Wind lässt nach. Unter mir ächzt ein Gletscherrest, Steinschlag kullert über das sommergraue Eis. Ein unwirtliches Stück Land, eine faszinierende Ödnis, Mordor für Anfänger. Der Sturm flaut langsam ab – ich traue ihm nicht. Mit einem letzten Aufbäumen reißt der Wind erste Lücken ins Grau. Am Krummelkeeskopf setzt sich der Optimismus durch: erstmals den Großglockner im Blick und schon den dritten Gipfel in der Tasche.

Sicherungsketten und Bügel erleichtern das Weiterkommen

Steil und ein wenig ausgesetzt schlängeln sich die Pfadspuren hinab gegen die nächste Scharte. Allerdings erleichtern wirklich überall, wo man Hand an den teils recht bröseligen Fels legen müsste, zuverlässige, neu installierte Sicherungsketten und Bügel das Weiterkommen.

Leichte Kraxelstellen beim Anstieg zum Hocharn.
Leichte Kraxelstellen beim Anstieg zum Hocharn.

Im Schartengrund duckt sich die kleine Otto-Umlauft-Biwakschachtel. Zeit für eine ausgedehnte Rast. Wohlige Wärme kriecht im Windschatten vor der Blechverkleidung in alle Glieder. Ich döse vor mich hin, viel zu lange. Erst eine Steinsalve aus den angrenzenden Flanken weckt mich aus dem süßen Schlummer.

Zwei weitere Gipfelchen und schaurige Spalten

Der Weiterweg führt über zwei weitere Gipfelchen, Arlthöhe und Schneehorn, die aber eigentlich der Bezeichnung kaum würdig sind, so wenig erheben sie sich aus dem Gratverlauf. Danach allerdings windet sich die Spur dem Hocharn zu. Mit 3254 Meter Höhe ist er der höchste Punkt dieses Grates. Am Gipfel liegt noch Schnee. Drei Jungs lagern um das Gipfelkreuz und lassen sich die Sonne auf den Pelz brennen, als gäbe es kein Morgen. Sie sind von Süden über das Hocharnkees aufgestiegen und erzählen von schaurigen Spalten. Kaum zu glauben, wenn man den Berg makellos verschneit vom Winter her kennt. Da käme wohl niemand auf die Idee, Seil und Gletscherausrüstung einzupacken. So kann’s einem gehen …

Erste Zweifel vor der Pilatusscharte

Für mich jedenfalls steht der Weiterweg fest: Am sicheren Gratkamm werde ich über den Goldzechkopf und die Pilatusscharte zum Sonnblick hinübergehen, da kann nichts schiefgehen. Als ich dann den sausteilen Abstieg in die Pilatusscharte vor mir sehe, kommen mir erste Zweifel: steile, aalglatte Platten, kaum Struktur, wenig zum Antreten. Da wenn’s dich schmeißt, geht’s rasant bergab. Das hatte ich auch in ganz anderer Erinnerung. Aber es ist halt schon ein Unterschied, ob man eine Stelle beiläufig bei einer Gipfelrast anschaut – oder oben steht und runter muss. Kurz und gut: Ich komme runter, heil und unbeschadet, die stilistischen Feinheiten bleiben mein Geheimnis.

"Ein bisserl Wind und ein paar Wolken"

Noch heute hoffe ich, dass die Meteorologen im Observatorium am Sonnblick meinem Gestopsel nicht zugesehen haben.

500 Höhenmeter unter dem Goldzechkopf liegt der Zirnsee, dahinter die Glocknergruppe.
500 Höhenmeter unter dem Goldzechkopf liegt der Zirnsee, dahinter die Glocknergruppe.

Als ich mich dort bei den Experten nach den Ursachen für die absolut nicht prognostizierte Wetterstörung erkundige, erhalte ich eine wohl nur für einen Wetterfrosch plausible Erklärung: „Lokale Störung, außer ein bisserl Wind und ein paar Wolken ist ja nix gewesen.“ Ja, wenn das so ist. Es kommt wieder einmal nur auf den Blickwinkel an – alleine in den Berge fühlen sich so ein bisserl Wind und ein paar Wolken ganz plötzlich ziemlich unangenehm an.

Mich zieht es hinab ins Tal

Den Abstieg vom Sonnblick nach Kolm Saigurn vertagt jeder halbwegs vernünftige Mensch auf den folgenden Tag, zumal die Sonnenauf- und -untergänge hier oben legendär sind. Mich allerdings zieht es ins Tal, denn eigentlich würde ich morgen früh den Sonnenaufgang am Sonnblick ganz gerne vor meiner Hütte genießen – mit heißem Kaffee und einem frischen Hörnchen, und vor allem hochgelegten Beinen.

Es kommt auf das Unterwegssein an

Bleibt einzig die Frage zu klären: Braucht man einen Wanderweg fürs Tourenbuch? Manche Bergsteiger zweifeln da vielleicht – und solche, die sich für richtige Helden der Berge halten, mit Sicherheit. Genauer betrachtet kommt es manchmal auch auf das Unterwegssein an, nicht nur auf das Ankommen an einem Punkt X. Und vor allem auf das Erleben einer Landschaft, die weder hoch noch spitz und schon gar nicht berühmt sein muss. Schauen Sie sich den Klagenfurter Jubiläumsweg ruhig einmal an, Sie werden es auch als echter Bergsteiger nicht bereuen.

Text: Robert Demmel