Mit spektakulären Fotos

Balanceakt über dem Abgrund

Als Thomas vor einigen Jahren aus seinem Kletterurlaub in Osp zurückkam, importierte er eine für mich bis dato unbekannte Bewegungsform in unsere Region: Man balancierte auf einem gespannten Schlauchband. Die Bezeichnung in Fach- bzw. Szenekreisen lautete „Slacklining” oder einfach „Slackline laufen”.

Balanceakt über dem Abgrund
Vorbereitung der Leine.
Vorbereitung der Leine.

Offen für neue Erfahrungen spannten wir unsere erste Line am örtlichen Kletterturm, zwischen dem eingemauerten Stützbalken des Trainingsboards und dem Rahmen von Thomas‘ Auto. Wir hatten ja keine Ahnung. Kurze Zeit später hatten wir und jeder in unserem Freundeskreis bei annähernd jeder Outdoor- Aktion eine lange Bandschlinge von der Rolle im Rucksack.

Am Fels, auf dem Campingplatz, im Park oder zuhause... Slackline laufen ging immer. Und motivierenderweise klappten mit der Zeit auch einige andere Tricksereien neben dem Vorwärtslaufen.

Mittlerweile wissen wir, dass der Ursprung dieser Art des Sich-Bewegens im – wie kann‘s anders sein – Land der unbegrenzten Möglichkeiten liegt. Die Kletterer im US-amerikanischen Yosemite Nationalpark vertrieben und vertreiben sich damit ihre Regenerationstage. Tatsächlich lassen sich zwischen Klettern und Slackline laufen einige Parallelen und Überschneidungen entdecken.

Zur Fotogalerie Slacklining Ohne Frage spielen Körperspannung, Koordination und ein Gefühl für die Körpermitte eine Rolle. Darüber hinaus könnte man behaupten, dass sowohl die Bewegung am Fels als auch auf der Leine eine Vielzahl an herausfordernden Möglichkeiten und Anreizen bietet: Zwischen Statik und Dynamik, zwischen Meditation und Action, zwischen spielerischem Herumprobieren und ernsthaftem Schaffen-Müssen geht es vielleicht auch um diesen kurzlebigen Zustand, der als „Flow” oder „Flusserleben” bezeichnet werden könnte.

Dieses Gefühl totaler Konzentriertheit und Kontrolle, völlig frei von irrelevanten Gedanken...dieses Gefühl, das einen immer wieder motiviert, der erfreuliche Aktivität erneut nachzugehen.

Ist Slackline heute eine Trendsportart? Es gibt Artikel in Zeitschriften, es gibt spezielle Slackline-Sets, es gibt Fotos und Filme von wirklich beeindruckende Aktionen. So bezwangen namhafte Kletterer wie etwa Dean Potter, Heinz Zak oder Alex Huber so genannte „Highlines”, eine Bezeichnung für in großer Höhe gespannte Slacklines.

Zur Fotogalerie von Christoph Jorda Seit unserem bescheidenen Erstkontakt mit der bis dato neuen Bewegungsform ist Slacklining offenbar bekannter, spektakulärer und größer geworden während unsere Aufbauten kaum die Absprunghöhe überschritten haben. Lustigerweise ist bis heute noch etwas gleich geblieben: Wir werden noch immer von Passanten gefragt, ob wir für eine Zirkus-Nummer trainieren.

Slacklining vor einem malerischen Himmel.
Slacklining vor einem malerischen Himmel.

Eines Tages im Jahre 2006 erreichte uns die Nachricht, dass Josef Schafnitzel alias Joe, der Vorstand unserer Alpenvereinssektion, nicht weit von der Mindelheimer Hütte eine taugliche Stelle für eine Highline ausgemacht hätte. Und er könne sich vorstellen, dass Thomas und ich eine Erstbegehung wagen würden.

Joe hat im näheren Umfeld der Hütte bereits viele Klettertouren eingerichtet. Ich war skeptisch, da ich bereits auf der Schwäbischen Alb einen erfolglosen Highline-Versuch am eigenen Leib erlebt hatte. Einige Wochen später standen Christoph, Eva, Thomas und ich auf der einen Seite der besagten Örtlichkeit.

Zur Fotogalerie Slacklining Die andere Seite, ein massiver ausgesetzter Felszapfen, befand sich ungefähr 13 Meter davon entfernt. Dazwischen klaffte ein schätzungsweise 20 Meter tiefes Loch, das aufgrund der Lage am Grat noch viel tiefer schien. Ein eindrucksvoller Ort. Um eine gewisse Echtheit in diesen Bericht zu legen, möchte ich ein Stück meiner Psyche preisgeben: Ich sehe mich generell als eher kritisch und vorsichtig.

Wenig Wind und gutes Wetter sind die idealen Voraussetzungen beim Slacklining.
Wenig Wind und gutes Wetter sind die idealen Voraussetzungen beim Slacklining.

Ich habe trotz Klettern, oder gerade deswegen, einen tierischen Respekt vor Höhe, Halt verlieren und Fallen. Und um ehrlich zu sein, hatte ich schon jetzt ein mulmiges Gefühl. Mir kam das Ganze einen Augenblick lang als eine Nummer zu groß für mich vor, die Distanz zwischen den Fixpunkten schien mir unglaublich weit, es war leicht windig... und ich war auch schon mal zuversichtlicher. Dennoch verschwendete keiner von uns einen Gedanken daran, es nicht zu versuchen.