Hat Stangl erneut getäuscht?

Neue Zweifel an Christian Stangls Everest-Rekord

Im Mai 2006 sorgte Christian Stangl für einen Paukenschlag in der alpinen Szene: Weniger als 24 Stunden wollte der "Skyrunner" für die Besteigung des Mount Everest (8848m) in Auf- und Abstieg gebraucht haben. Der höchste Berg der Erde zur Tagestour degradiert? Der Pfrontener Bergführer und Autor Toni Freudig hatte starke Zweifel an Stangls Fabelzeit und begann zu recherchieren. Lesen Sie hier seine Gegendarstellung zur Version Christian Stangls.

Neue Zweifel an Christian Stangls Everest-Rekord
Hat Zweifel an Stangls Rekord: Der Bergführer und Autor Toni Freudig (Foto: Freudig).
Hat Zweifel an Stangls Rekord: Der Bergführer und Autor Toni Freudig (Foto: Freudig).

Am 23.05.2006 stieg der vorarlbergische Bergführer Wilfried Studer zusammen mit seiner Frau vom Everest North Col (Lager auf 7050 m) über den Nordgrat auf. In 7500 m Höhe kehrten die beiden um und gingen zurück zum North Col. Dort trafen sie auf Christian Stangl.

Am Abend stiegen die Studers weiter ab ins ABC (vorgeschobenes Basislager auf 6450 m). Um 18 Uhr forderte Stangl bei Kusang Sherpa (Koch) Gas zum Kochen an; Stangl war also um diese Zeit noch im North-Col-Lager.

Auch am nächsten Tag, 24. Mai, war Stangl bis 14 Uhr nepalesischer Zeit noch nicht im ABC, denn solange hielten sich Studers dort auf, bevor sie zum Basislager auf 5200 m abstiegen. Dass die beiden Stangl übersehen haben, ist ausgeschlossen, da ihre Zelte nebeneinander standen und verschiedene Ausrüstungsgegenstände auf beide Zelte verteilt waren.

Wäre Stangl tatsächlich an diesem Tag um 17 Uhr vom ABC (6450 m) zu seinem Gipfellauf gestartet, hätte er vor dem Start (also vor 17 Uhr) dort eintreffen müssen; er wurde jedoch von niemandem gesehen. Nahezu alle Bergsteiger auf der tibetischen Everestseite orientieren sich an der nepalesischen Uhrzeit. Falls Stangl seine Uhr nach tibetischer Zeit eingestellt hätte, wären obige Zeitangaben verschoben, aber dennoch wäre es belegbar, dass er nicht im ABC war.

Zudem wäre es taktisch völlig unklug, kurz vor solch einem extremen Gipfellauf, den man in Rekordzeit bewältigen will, noch 600 Höhenmeter abzusteigen. Normalerweise ruht man sich davor möglichst lange aus (gewöhnlich sogar mehrere Tage).

Keine Zeugen

Zeugen, die Stangl in der entscheidenden Zeit am ABC gesehen haben, sind wie bereits erwähnt nicht bekannt. Jedoch gibt es zwei Brasilianer (Paulo Rogerio und Helena Guiro), die sich an einen Österreicher erinnern, der sehr schnell auf den Gipfel wollte.

Da zu dieser Zeit ohnehin nur ein Österreicher vor Ort war, kann dies nur Stangl gewesen sein. Sie sagen, er habe im North Col geschlafen und sei auch von dort gestartet! Ein bekannter deutscher Höhenbergsteiger glaubt sich zudem zu erinnern, dass ihm Stangl sogar selbst gesagt habe, er sei nicht vom ABC aus, sondern in der Nähe des North Col gestartet.

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Stangl berichtet über die Medien und in seinem Buch, dass er am 24.05.06 um 17 Uhr vom "Camp", zu seinem Gipfellauf gestartet sei. Schon in der Einleitung seines Berichts spricht er von einem Höhenunterschied von 2448 m, im Internet gibt er 2400 m an, was der Höhendifferenz ABC/Gipfel entspricht.

Wohl jeder Leser versteht Stangls Veröffentlichungen so, als ob dieser vom ABC aus gestartet sei. Stangl hat in seinem Buch nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, von wo er gestartet ist; er überlässt dies dem Leser und provoziert damit Missverständnisse.

Auf Stangls Website ist zu lesen, dass er vom Basislager gestartet und nach 22 Stunden wieder dort eingetroffen ist. In seinem Buch steht ebenfalls geschrieben, dass der Zielpunkt das Basislager gewesen sei. Dieses liegt jedoch noch 1200 m tiefer als das ABC und kann deshalb keinesfalls als Start oder Ziel in Betracht kommen.

Wenn es schon um bergsteigerische Weltrekorde geht, ist das Mindeste, dass man Begriffe wie Basislager und ABC unterscheidet. Was hier publiziert wurde, ist nicht mit einer oberflächlichen Berichterstattung zu entschuldigen, sondern mehr oder weniger Täuschung!

Wird eine Speedbegehung oberhalb des ABC gestartet, widerspricht dies den Grundsätzen eines Skyruns und ist deshalb nicht wertbar. Auch ist dadurch eine Vergleichbarkeit mit anderen Sportlern, die vom ABC aus starten, ausgeschlossen.

Tagestour Everest: Christian Stangl auf dem höchsten Berg der Erde (Foto: skyrunning.at).
Tagestour Everest: Christian Stangl auf dem höchsten Berg der Erde (Foto: skyrunning.at).

Widersprüche zur eigenen Philosophie

Stangl beansprucht für seine Skyruns folgende Prinzipien: keine Fremdhilfe, keine Lagertaktik, kein Sauerstoff; bzgl. Everest betont er sogar: im Alleingang, ohne Fremdhilfe. Folgende Tatsachen widersprechen jedoch Stangls eigenen Grundsätzen:

Er hatte bzw. nutzte ein eigenes Zelt am North Col sowie in Absprache mit anderen Bergsteigern weitere Zelte in noch größerer Höhe (bei seinem ersten Versuch am 15. Mai z.B. Studers Zelt auf 7880 m); d.h. Stangl arbeitete mit Lagertaktik.

Da er mit anderen Bergsteigern Absprachen traf bzgl. gemeinsamer Lagernutzungen und Aufstiege, kann sein Aufstieg zudem nicht als ein tatsächlicher Alleingang gewertet werden. Jeder Bergsteiger nutzt während des Aufstiegs die dort angebrachten Fixseile und die Eisenleiter, also Fremdhilfen.

Hätte Stangl darauf verzichtet, hätte er dies sicherlich zu Selbstvermarktungszwecken bekannt gegeben. Es ist also mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er sich dieser Hilfen bedient hat. Außerdem hat er sich eine Gaskartusche ins Camp 1 bringen lassen; auch das ist als Fremdhilfe zu werten.

Ein Skyrun wird auch von Stangl so definiert, dass er am Basislager beginnt; somit wäre das ABC nicht der korrekte Startpunkt. Stangl betont immer wieder, dass seine Aufstiege eindeutig "verifiziert" (nachprüfbar) seien. Dutzende von Bergsteigern waren vor Ort, sogar Landsleute, mit denen er Kontakt hatte; niemand wurde jedoch zur Zeitnahme bzw. Bezeugung beauftragt.

Stangl wurde um Zusendung der GPS-Daten gebeten, diese wurden jedoch nicht geliefert. Auch die Frage, von wem sich Stangl im "Camp" (?) verabschiedete (Buch "Skyrunner", S.162), bleibt unbeantwortet.

Rechenbeispiel bzgl. Rekordzeit

Der frühere Rekord (1996) von Kammerlander wurde in verschiedenen Medien mit 16 Stunden, 45 Minuten bzw. 17 Stunden. angegeben; vermutlich hat man einfach aufgerundet, da zur damaligen Zeit eine minutiöse Unterscheidung noch nicht nötig erschien. Kammerlanders korrekte Zeit war 16 Stunden 40 Minuten - und dies unmissverständlich ab dem vorgeschobenen Basislager ABC.

Aufgeflogen: Christian Stangl während der Pressekonferenz zu seinem K2-Schwindel 2010 (Foto: apa).
Aufgeflogen: Christian Stangl während der Pressekonferenz zu seinem K2-Schwindel 2010 (Foto: apa).

Diese wurde vom anwesenden Kamerateam bestätigt, nie in Zweifel gezogen und auf seiner Internetseite sowie in seinem Buch "Bergsüchtig" veröffentlicht. Christian Stangl benötigte für seine Speedbegehung am Everest 16 Stunden, 42 Minuten (gemäß eigener, unüberprüfter Aussage).

Das heißt also, dass Kammerlander zwei Minuten schneller war. Hinzu kommt, dass Kammerlander (im Gegensatz zu Stangl) über die gesamte Strecke seine Ski mitgetragen hat!

Fazit

Bevor man einen "Weltrekord" in die Menge brüllt, sollte man sich zumindest in zuverlässigen Quellen nach den Zeiten der "Konkurrenten" erkundigen und genau nachrechnen. Da es im Grunde nachweisbar ist, dass Stangl nicht vom ABC, sondern vom 600 Hm höher gelegenen Camp gestartet ist, erübrigt sich die Rechenaufgabe ohnehin.

Da Stangls Everest-Speedbegehung auch heute noch in zahlreichen Medien als die Rekordbegehung auf der tibetischen Seite bezeichnet wird, ist eine Klarstellung überfällig - schon alleine im Sinne der Fairness gegenüber anderen Bergsteigern und Sponsoren.

Text: Toni Freudig

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