Editor's Tour aus ALPIN 08/11

Vulkantrekking in Nicaragua: Heiße Angelegenheit

Nicaragua? Sandinisten, Contras, Bürgerkrieg? Lange her. Heute gilt das Land als das sicherste Mittelamerikas. Und wird unter Touristen immer beliebter. Auch Trekkern und Bergliebhabern bieten die Vulkane Nicaraguas einiges. Unser Online-Redakteur Holger Rupprecht hat sich den höchsten Feuerberg des Landes vorgenommen.

Vulkantrekking in Nicaragua: Heiße Angelegenheit
Angebracht: Sonnencreme mit Schutzfaktor 80.
Angebracht: Sonnencreme mit Schutzfaktor 80.

Heiß ist es schon dieses Nicaragua. Bei 37 Grad im Schatten und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit dauert es von frisch geduscht zu Schweiß gebadet gefühlte fünf Minuten. Nur dass es am San Christobal keinen Schatten gibt. Und Duschen sucht man auf dem höchsten Vulkan Nicaraguas sowieso vergebens. Während des schattenlosen Aufstiegs wird uns klar, warum Immanuel Zerger, Guide und Nicaragua-Experte, die Sonnencreme richtig dick aufträgt. Mit Lichtschutzfaktor 80.

Gegen 12:00 Uhr mittags dringen kaum noch heiße Strahlen durch die dichten Schwefelschwaden. Wir stehen am Rand des Gipfelkraters. Der liegt auf über 1.700 Metern und ist ein sehr aktiver Zeitgenosse. "Zieht Euch ein Tuch vor das Gesicht, schützt Eure Atemwege." Die Ansage Immanuels, eines gebürtigen Bayern, ist deutlich.

Umfangreiche Bildergalerie zu Nicaragua und seinen Vulkanen

Unaufhörlich wabern schwefel-faulige, dunkelgraue Wolken aus dem mehrere hundert Meter tiefen Krater. Heiße Gase strömen aus kleinen Babyvulkankratern zu unseren Füßen, wenige Zentimeter unter der schwarzen Oberfläche herrschen Temperaturen von 400 Grad. Heißer als im Pizza-Ofen. Lebensfreundlich ist hier nichts mehr. Selbst die wenigen stacheligen Kakteen, die unseren Aufstieg auf den letzten Metern noch begleitet hatten, können in dieser schwarzen Mondlandschaft nicht mehr überleben.

Schönes Bild: Nicaraguas Nationalpflanze, im Hintergrund der Prachtvulkan Momotombo.
Schönes Bild: Nicaraguas Nationalpflanze, im Hintergrund der Prachtvulkan Momotombo.

Zu Beginn unseres 1300 Höhenmeter langen und früh begonnenen Aufstieges hatten wir eine solch lebensfeindliche Umgebung wirklich nicht erwartet. In unserem Basecamp auf dem Grundstück einer Bauernfamilie sind wir am Vorabend spät in unsere Zelte gekrochen.

Die Quecksilbersäule unseres Thermometers sinkt auch in dieser sternenklaren Tropen-Nacht nicht unter die 25-Grad-Marke. Zahllose Zikaden zirpen ohne Unterlass und um halb fünf Uhr morgens kräht uns der potenteste Hahn Nicaraguas von der harten Isomatte. Die Kuh, die unsere Milch zum Frühstück gespendet hat, hört auf den schönen Namen Miramar.

Biodiversität: Tausenden Arten bietet der Urwaldriese Lebensraum. Unser Online-Redakteu würd' auch gern bleiben.
Biodiversität: Tausenden Arten bietet der Urwaldriese Lebensraum. Unser Online-Redakteu würd' auch gern bleiben.

Zunächst geht es durch dichten, tropischen Wald, untertassengroße Schmetterlinge umflattern uns, wir queren kilometerlange Ameisenhighways und lauschen dem Gekreische und Gezwitscher von Papageien und Tukanen. Die Biodiversität ist hörbar, sichtbar, riechbar: "Ein einziger Baumriese im vielerorts noch unberührten Regenwald Nicaraguas bietet mehr Arten Lebensraum als die gesamte Fläche des Riesenstaates Kanada", informiert Immanuel.

Der studierte Sozialpädagoge ist als Entwicklungshelfer in den bewegten 80er Jahren ins Land gekommen, hat sich heute ganz dem nachhaltigen, naturnahen Tourismus verschrieben und bietet mit seiner Agentur "Solentiname Tours - Discover Nicaragua" und Hauser exkursionen seit 2008 eine insgesamt knapp zweiwöchige Trekkingreise in dem mittelamerikanischen Land an.

Vulkane bilden das Herzstück der Reise, vier werden bestiegen, drei weitere besucht. Mit Führern, lokaler Begleitmannschaft, Packpferden, mobiler Küche und Zelten trekken die Teilnehmer sieben Tage lang durch eine grandiose Landschaft. Start ist der Bilderbuchvulkan Momotombo, der oben im Gipfelbereich beherztes Zupacken erfordert und mit seiner idealtypischen Kegelform der wohl bekannteste Vulkan des kleinen Landes ist. Als letztes Bergereignis steht der höchste Vulkan des Landes, der San Cristobal, auf dem Programm, den wir uns an diesem Tag vorgenommen haben.

Die Daltons? Nein, unser Guide, der sich vor Dämpfen schützt.
Die Daltons? Nein, unser Guide, der sich vor Dämpfen schützt.

Immanuel hatte anfangs noch irgendwas von"Aussicht bei gutem Wetter bis zum Pazifischen Ozean, nach El Salvador und Honduras" erzählt. Mit einem derart aktiven Geschehen im Inneren des Kraters hat wohl auch er nicht unbedingt gerechnet. Im dichten Schwefelnebel reicht unsere Sicht nur ein paar Meter. Wie Banditen aus dem Wilden Westen haben wir nun alle bunte Tücher über Mund und Nase gezogen, um uns vor den beißenden Dämpfen zu schützen.

Wir umkreisen den Vulkan am Rand des Kraters. Unter das schwarze Gestein erkalteter Lava mischt sich rötliches Eisen, gelblicher Schwefel und weißer Bimsstein. Ein wenig Trittsicherheit ist nötig, um bei diesem Tänzchen auf dem Vulkangrat nicht unversehens in den Höllenschlund zu gleiten. Auf dem höchsten Punkt umarmen wir uns und freuen uns auf die Talfahrt auf Schuhsohlen in der feinen Vulkanasche.

Berühmt-berüchtigt für Vulkanabfahrten ist der Cerro Negro, 50 Kilometer südöstlich des San Christobal gelegen und ebenfalls fester Bestandteil der Hauser-Trekkingreise. Der Berg ist ein atemberaubend steiler, pechschwarzer Sandhügel. Von weitem. Von nahem ist er einer der jüngsten aktiven Vulkane unserer Erde, der aber bestiegen werden kann, weil seine Eruptionen vorhersehbar sind. So wie 1999 als der 728 Meter hohe Berg die nahe gelegene Stadt Leon zwar nicht in Schutt so doch in Asche legte. Kinder und Senioren wurden evakuiert. Die Verbliebenen schützten durch genässte Tücher ihre Atemwege und befreiten ihre Dächer von Sand und Asche, die unter dem Gewicht der schwarzen Masse einzustürzen drohten. Massive Ernteausfälle waren die schlimme Folge des vulkanischen Hustens.

Speedbergsteigen andersrum: Abfahrt vom Cerro Negro.
Speedbergsteigen andersrum: Abfahrt vom Cerro Negro.

Vom Gipfel des Cerro Negro rutschen an manchen Tagen amerikanische Backpacker unter lautem Gekreische auf hölzernen Boards abwärts. "Vulcano surfing" heißt der schnelle Trend-Sport.

Für Eric Barone war das viel zu langsam. Der Franzose - Spitzname „Le Baron Rouge“ - knallte hier 2001 mit einem Spezial-Fahrrad und einem aerodynamischen Helm mit 163 Sachen nach unten. Weltrekord für eine Mountainbikefahrt auf Naturboden! Das geht noch schneller befand Barone. Bei einem zweiten Versuch erreichte er 172 Stundenkilometer. Dann brachen erst Gabel und Rahmen des Carbon-Bikes, dann über 30 Knochen in Barones Körper. Das Video der halsbrecherischen Fahrt kann man sich auf YouTube ansehen. Barone wurde inzwischen zusammengeflickt, er verdient sein Geld als Guide für Vulkantrekking in Nicaragua. Mit dem Rad fährt er nicht mehr ab, heute ist er zu Fuß unterwegs.

So wie wir an diesem Nachmittag. Wir rennen, lange Staubwolken hinter uns herziehend, im Vollspurt über 800 Höhenmeter die Westseite des San Cristobal hinunter. Barones Geschwindigkeiten erreichen wir nicht, aber 70 Abstiegs-Höhenmeter in der Minute sind es dann doch. Die Szenerie scheint einem Endzeit-Film entnommen und hätte z. B. als Vorlage für J. R. R. Tolkiens "Mordor" in der Herr-der-Ringe-Trilogie dienen können. Bis vor wenigen Jahren standen hier noch Bäume. Doch die sind durch die Schwefeldämpfe abgestorben und stehen nun als bizarre Baumkrüppel im schwärzlichgrauen Dunst. Uns dienen sie als Slalomstangen, bis uns am Fuß des Berges die tropische, üppig-farbenfrohe Vegetation einfängt. Nun ist die Sonne wieder da und brennt uns in die staubigen Gesichter. Ich muss mich erstmal setzen, schnaufe durch, leere hundert Gramm schwarzen Sandes aus meinen Schuhen und bitte Immanuel um seine Sonnencreme. Lichtschutzfaktor 80.

Das mittelamerikanische Land ist das ganze Jahr über gut zu bereisen, Trekkingtouren empfehlen sich von November bis April, in denen die wenigsten Regentage zu erwarten sind.

Trekker sollten über gute Kondition und Hitzebeständigkeit verfügen. Technisch warten keine allzu großen Anforderungen, gefragt sind aber auch Pioniergeist und Flexibilität.

Wanderkarten sind nicht zu bekommen. Markierungen fehlen nahezu völlig. Einen brauchbaren Überblick über Nicaragua liefert die Karte "Nicaragua, Honduras, El Salvador" im Maßstab 1 : 650 000, die im Reise Know-How Verlag erschienen ist. Es empfiehlt sich nicht, auf eigene Faust loszugehen.

Ein "must see" ist der Nicaraguasee mit dem Solentiname Archipel. Der Tropen-See ist 15,5-mal größer als der Bodensee, in seinen Tiefen leben Süßwasserhaie - bis zu drei Meter lange Bullenhaie, die aus dem karibischen Meer über den 200 Kilometer langen Rio San Juan in den See gelangen.

Text: Holger Rupprecht

Fotos: Holger Rupprecht und Xenia Kuhn