"Habe ich nicht den schönsten Beruf der Welt?!"

Interview mit Südtirols erster Bergführeranwärterin

Michaela Egarter ist 39 Jahre alt und Südtirols erste Bergführeranwärterin: Als erste Frau hat sie die Ausbildung in Südtirol erfolgreich abgeschlossen. Im Frühjahr 2015 folgt die Abschlussprüfung zum internationalen Bergführerabzeichen.

Interview mit Südtirols erster Bergführeranwärterin
Michaela Egater: Südtirols erste Bergführeranwärterin. (Foto: Benedikt)
Michaela Egater: Südtirols erste Bergführeranwärterin. (Foto: Benedikt)

Michaela ist gelernte Krankenpflegerin. Als ihr Vater schwer erkrankte, änderte sich für ihr Leben drastisch: zunächst die Pflege zu Hause, dann die Übernahme der kleinen Fremdenpension, was in Italien nicht mit dem Job im öffentlichen Dienst vereinbar ist. Also kompletter Neustart: Michaela kündigte ihre sichere Stelle und zog in eineinhalb Jahren die Ausbildung zur Bergführerin durch.

Michaela, wurdest du als Frau bei der Ausbildung anders behandelt als die anderen Kursteilnehmer?

Egater: "Ich war die einzige Frau im Kurs und wurde weder bevorzugt noch benachteiligt. Es wurden an mich dieselben Anforderungen wie an meine männlichen Kollegen gestellt. Ich glaube, in den Augen meiner Kollegen und Ausbilder war ich weit mehr Bergkameradin als Frau. Natürlich wurde mir oft und viel auf die Finger geschaut. Aber man(n) sieht Frau einfach gerne zu.

Ist das nicht unangenehm, wenn man sich ständig beobachtet fühlt?

Egater: Das ist einfach so in Bergsteigerkreisen. Daran hab ich mich schon lange gewöhnt. Hast du dich erst einmal behauptet, wird dir als Frau sehr viel Respekt entgegengebracht. In den ganzen Jahren in denen ich jetzt bergsteige, hatte ich nie Probleme mit männlichen Kollegen. Dabei war ich bis jetzt fast ausschließlich mit Männern unterwegs.

Geschundene Finger: In den Bergen müssen die Finger oftmals einiges aushalten.
Geschundene Finger: In den Bergen müssen die Finger oftmals einiges aushalten.

Warum denn das?

Egater: Weil Frauen, obwohl ihre Zahl steigt, immer noch verhältnismäßig wenig unterwegs sind und es äußerst schwierig ist, für bestimmte Vorhaben auf dem Berg eine weibliche Begleitung zu finden. Das finde ich persönlich sehr schade. Ich wünsche mir, dass in Zukunft mehr Frauen den Berg für sich entdecken, so manch Eine bemerkt, dass weit mehr in ihr steckt, als sie bisher vermutet hat und dass Frauen auf dem Berg unabhängiger und selbstständiger werden. Sie sollten erkennen, dass sie auch ohne männliche Begleitung auf die Berge steigen können. Frauen sind meist zu weit größeren Leistungen fähig als sie sich persönlich einzugestehen wagen. Ich finde, dass bergsteigende und unabhängige Frauen in einer Zeit, in der Männer fähig sind, den Haushalt selbst zu schmeißen, keine so große Minderheit gegenüber dem männlichen Geschlecht darstellen sollten.

Fühlt es sich gut an, "die Erste" zu sein?

Egater: Diese Rolle hätte ich gerne einer Anderen überlassen, die es besser genießen kann und es vielleicht mehr für ihr Ego gebraucht hätte. Aber solange ich mir selbst, meinen Vorlieben, Interessen, meiner eigenen Meinung zu dies und jenem treu bleiben kann, passt das schon. Außerdem, und dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen, sind die Interviews und Artikel eine sehr gute Werbung für mich. Nach meiner ersten Wintersaison als Bergführerin sieht meine Bilanz durchaus positiv aus - und damit meine ich nicht nur die finanzielle Seite. Ich habe bei meiner Arbeit sehr viele interessante Menschen aus den verschiedensten Kreisen und Gesellschaftsschichten kennengelernt. Die Auseinandersetzung mit den verschiedensten Kunden öffnet deinen eigenen Horizont. Ich habe viel Neues an mir entdeckt, für mich bisher vollkommen unbekannte und verborgene Seiten.

"Das Bergsteigen hat mir oft in schwierigen Situationen aus der Misere geholfen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen."
"Das Bergsteigen hat mir oft in schwierigen Situationen aus der Misere geholfen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen."

Welche denn?

Egater: Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, das Verhältnis zwischen Bergführerin und ihren Kunden. Auf den Bergen gerät jeder irgendwann an seine persönlichen Grenzen - konditionell, technisch, wie auch immer - jeder wird irgendwann und meist vollkommen unerwartet mit seinem Ursprung konfrontiert. Die Natur ist mächtig, du als Mensch plötzlich ganz klein. Ein guter Bergsteiger begegnet ihr mit Demut und Respekt. Du als Bergführerin kennst die Gefahren, die Grenzen, hast gelernt, mit Ängsten und Unsicherheiten umzugehen. Das Bergsteigen ist zu einem Teil von dir geworden, so bedeutend, dass du ihn nicht mehr hergeben würdest. Plötzlich hat der tüchtige Geschäftsmann Angst, mit den Skiern auszurutschen und den Hang hinunterzustürzen, der Arzt gerät konditionell an seine Grenzen - er mag nicht mehr: "Wo zum Teufel bleibt diese verdammte Hütte?!" Ängste und Gefühle, die jeder Mensch hat, oft verborgen, weil uns unser gewohntes Leben Sicherheit und Rückgrat bietet. Aber beim Bergsteigen sind sie nicht selten.

Und wie reagierst du dann darauf?

Egater: Oft mit sehr viel Geduld, Geschick und Improvisation. Irgendwie bringst du die Leute doch noch ans Ziel. Nachmittags, spätestens aber abends bei einem Bier oder einem guten Glas Wein, sind Mühen und Strapazen vergessen. Jeder ist stolz auf sich, seine persönliche Leistung und darauf, seinen "inneren Schweinehund" überwunden zu haben. Das sind die schönsten Momente in meinem Beruf: Du hockst in der wohlig warmen Hütte, vor dir ein "Hefe-Limo", deine geliebten Berge schimmern im letzten Abendlicht, sind dir ganz nah, deine Kunden hocken neben dir, müde, aber zufrieden und stolz. Habe ich nicht den schönsten Beruf der Welt?!

War das denn dann schon immer dein Ziel, Bergführerin zu werden?

Egater: Mir ist das Bergsteigen nicht in die Wiege gelegt worden. Ein gewisses sportliches Talent habe ich wohl meinem Vater zu verdanken, die Liebe zur Natur beiden Eltern. Zum Bergsteigen selbst hat mich mein erster Freund gebracht. Im Sommer gingen wir Wandern, im Winter auf Skitour. Als ich mit dem Bergsteigen begann, war ich 18 Jahre alt und absolut nicht schwindelfrei! Beim Blick in die Tiefe drehte sich alles um mich herum und mir wurde übel. Ich war hartnäckig genug, um mir meine Schwindelfreiheit abzutrainieren. Das war aber ein harter Kampf! Mit dem Klettern habe ich mit 29 Jahren so richtig begonnen.

Das Bergsteigen hat dich also so richtig gepackt?

Egater: Es ist schön, immer wieder "Neuland" zu entdecken. Das Bergsteigen ist Abenteuer, der Weg auf dem Gipfel oft Ziel meiner Neugier. Draußen zu sein, das Zwitschern der Vögel und das Gurgeln des Bächleins zu hören, die frische Luft einzuatmen, die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren, … Das bedeutet für mich, Energie zu tanken. Wenn wir uns bewegen, bewegen sich auch unsere Gedanken.

Hast Du zum Schluss noch einen Rat für weiblichen Nachwuchs?

Egater: Nur Mut! Rein in die Natur, denn beim Führen entdeckst du viele Seiten von dir, eigene Touren, aber auch eigene Ideen. Das Bergsteigen hat mir oft in schwierigen Situationen aus der Misere geholfen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen.

Neben dem Kurzbericht über Michaela Egater finden Sie u.a. folgende Themen in ALPIN 08/2014:

  • Titelstory Bergsommer im Karwendel
  • ALPIN-Test: Steigeisenfeste Bergstiefel
  • ALPIN-Markt: Leichte Regenjacken
  • ALPIN-Technik: Robuste Handys
  • BIKE Reportage Cevennen
  • ALPIN-Portrait: Alex Honnold
  • Tour des Monats: Laurenzi-Klettersteig
  • Hütte des Monats: Berghotel Tschingelhorn
  • Schritt für Schritt: Dachstein-Südwand
  • Von oben: Bernina
  • ALPIN-Bergschule: Gewitter - Was tun, wenn's kracht

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