Wie sich der Körper selbst heilt

Placebos: Wer's glaubt … wird gesund?

Eine Knie-OP ohne Eingriff. Und die soll helfen? Placebos haben speziell in Deutschland Hochkonjunktur. Die Hälfte der Allgemeinmediziner nutzen diesen psychologischen Effekt. Bis hin zu OPs, bei denen nicht operiert wird.

Placebos: Wer's glaubt … wird gesund?
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Wie viele Pillen sind sinnvoll? Placebos haben keine Nebenwirkungen und sind in manchen Fällen sehr effektiv.
Wie viele Pillen sind sinnvoll? Placebos haben keine Nebenwirkungen und sind in manchen Fällen sehr effektiv.

Was macht die Wirkung von Placebos, also Medikamenten ohne besondere Wirkstoffe, aus? Ist es nun Glaube oder fundiertes Wissen? "Beides", sagt Dr. Karin Meißner vom Institut für Medizinische Psychologie der LMU in München.

"Wichtig ist aber vor allem, dass das gar nicht gegeneinander konkurriert, sondern sehr gut miteinander zusammenspielen kann." Denn sowohl das Vertrauen des Patienten aber auch das Wissen des Arztes um die therapeutische Nutzung des Placeboeffekts sind entscheidend für den Erfolg.

Placebo im engeren Sinne (reines Placebo) ist ein Medikament ohne Wirkstoff, also zum Beispiel eine Zuckerpille. Der Placeboeffekt dagegen ist etwas weiter gefasst. "Er kann bei jeder Behandlung, also auch bei der Standardtherapie eine Rolle spielen und hängt von der Arzt-Patienten-Beziehung ab", erklärt die Münchner Placebo- Forscherin.

Der Erfolg des Placebo-Effekts hängt eng mit dem tiefgreifenden Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zusammen. Das Wirkprinzip von Placebo beruht, grob umschrieben, auf der Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Körpers.

Die Fakten

  • Der Placeboeffekt beruht auf der Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Körpers ohne Einsatz von Wirkstoffen.
  • Unter reinem Placebo versteht man die Gabe einer Tablette, zum Beispiel aus Zucker, ohne jeglichen Wirkstoff. Unreine Placebos sind Therapien, die im konkreten Fall nicht indiziert sind, sie können auch pflanzliche Arzneien sein.
  • Einen großen Einfluss auf die Therapie im Sinne der Nutzung von Placebo hat das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.
  • Placebo wird zum Beispiel zur Schmerztherapie eingesetzt und im Bereich der Leistungssteigerung im Sport erforscht.
  • In den USA und Großbritannien ist der Einsatz von Placebo stark umstritten.

Ohne jeglichen nachweisbaren Wirkstoff kann eine Placebo-Pille über psychologische Vorgänge helfen, die körpereigenen Ressourcen zur Heilung zu mobilisieren. Auch hilft der Placeboeffekt zum Beispiel, den Therapieerfolg einer echten Arzneimittelanwendung zu maximieren und andersherum unerwünschte Wirkungen im Rahmen des sogenannten Nocebo-Effekts zu minimieren.

Schmerztherapie bis Doping

Eine Studie der Forschungsgruppe um Dr. Meißner zeigt, dass etwa 88 Prozent aller Hausärzte in Bayern ab und zu Placebotherapien anwenden, also Therapien, deren Inhaltsstoffe im konkreten Fall gar nicht helfen können. Ein typischer Anwendungsbereich ist die Therapie chronischer Schmerzzustände, wie zum Beispiel Rücken- oder Kopfschmerzen.

Expertin für Placebos: PD Dr. med. habil. Karin Meißner.
Expertin für Placebos: PD Dr. med. habil. Karin Meißner.

Ist das komplette Arzneimittelrepertoire erschöpft, aber immer noch keine zufriedenstellende Besserung eingetreten, kann sich der Mediziner eine Placebotherapie zu Nutze machen. Das ist eine klassische Möglichkeit zur Placebogabe.

"Hier wird dann gerne ein pflanzliches Mittel als sogenanntes Pseudo- Placebo eingesetzt", sagt die Medizinerin. Dieser Stoff wird eigentlich nicht zur Therapie des spezifischen Leidens des Patienten, wie z. B. chronischer Rückenschmerz, verwendet. "Es kann auf psychologischer Ebene zur Symptomlinderung beitragen", beschreibt Meißner den Einsatz des "unreinen" Placebos.

Doch nicht nur in der Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände werden Placebos angewandt. Sogar im Sport wird aktuell dazu geforscht. Zum Beispiel untersuchte eine italienische Forschergruppe, inwieweit man durch Kombination von klassischem Konditionieren und Doping eine Leistungssteigerung erreichen kann, die im weiteren Verlauf dann ohne Doping im eigentlichen Sinne möglich ist.

Dabei wird das Prinzip des klassischen Konditionierens so angewandt, dass anfangs ein wirkliches Dopingmittel in den Muskel gespritzt wird. Nach ein paar Gaben, durch die eine Assoziation zwischen der Spritze und der darauf folgenden Leistungssteigerung hergestellt wird, spritzt man dann nur noch ein wirkstoffloses "Mittel", das beim Patienten dieselbe leistungsfördernde Wirkung erzielt wie das wahre Dopingmittel.

Ob das trotzdem noch Doping ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben, illustriert aber sehr gut den Einfluss des Placeboeffekts. Andere Forschergruppen sind noch weiter gegangen und haben Knie-Operationen ohne echten Eingriff durchgeführt.

Lediglich die üblichen kleinen Schnitte wurden gesetzt, aber kein Instrument benutzt. Eine Patientengruppe wurde tatsächlich operiert, die andere nur scheinbar, natürlich mit Einwilligung der Patienten. Nach zwei Jahren hatten beide Gruppen gleichermaßen von dem "Eingriff" profitiert.

Täuschung des Patienten?

Eine Stellungnahme der Bundesärztekammer im Jahr 2010 zum Einsatz von "Placebo in der Medizin" entfachte eine internationale Debatte. "Großbritannien lehnt die Verwendung von Placebos komplett ab", kommentiert Meißner die britische Position.

Die Begründung ist, dass die Arzneien keinen Wirkstoff enthielten und die Verwendung nicht nach wissenschaftlichem Maßstab erfolge. Weiter erklärt die Expertin: "In den USA dagegen herrscht zwar keine komplette Ablehnung des Prinzips, jedoch wird das Nicht-Informieren des Patienten von Seiten des Arztes als Lüge interpretiert und sei so im amerikanischen Rechtssystem nicht zu vertreten."

In Deutschland schränkt die Bundesärztekammer die Verwendungsmodalitäten von Placebos ein und empfiehlt es nur für ausgewählte Therapiesituationen. Neuere Erkenntnisse legen nahe, dass eine bewusste Nutzung des Placeboeffekts manchmal sinnvoller sein kann als die blinde Gabe von Wirkstoffen.

"Das Potenzial dieses psychischen Einflussfaktors sollte nicht unterschätzt werden", betont Karin Meißner. "Placebos wirken sogar, wenn sie angekündigt eingesetzt werden."

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