"Tropfende Eleganz"

Leichtfried und Fiegl: Neue Mixedlinie (M10/WI5+) im Ötztal

Welcher Eiskletterprofi weiß besser um die Flüchtigkeit der geliebten Materie bescheid als der gelernte Meteorologe Albert Leichtfried? Kein Wunder, dass Schlagworte wie "südliche Exposition", "direkte Sonneneinstrahlung" oder "drohender Föhn" bei ihm keine Euphorie auslösen. Noch dazu wenn sie in Zusammenhang mit einem länger anvisierten Projekt zu sehen sind. Hier berichtet der Ausnahmekletterer wie es ihm und seinem Partner Gerry Fiegl in der "tropfenden Eleganz" ergangen ist.

Leichtfried und Fiegl: Neue Mixedlinie (M10/WI5+) im Ötztal
Foto: Hannes Mair
Foto: Hannes Mair

Es war schon höchste Zeit, das war uns bereits beim ersten Kontakt mit diesem Projekt klar geworden. Die südliche Exposition mit direkter Bestrahlung vom Sonnenaufgang bis zum frühen Nachmittag, sowie die dunklen Granitplatten als Wärmequelle hinter dem Eis tragen nicht gerade zur Langlebigkeit dieser Eisspur bei.

Doch wir hatten Glück, eine Kaltfront mit arktischen Temperaturen, die Sonnenfinsternis und ein für das Erreichen unseres Zieles zu Recht gebogener Terminkalender ermöglichten es, unser Projekt sorgenfrei abzuschließen.

Schon öfters fiel mir diese Linie oberhalb von Köfels beim vorbei Fahren auf, doch erst durch die Motivation des jungen Locals Gerry Fiegl wurde die Idee in die Tat umgesetzt. Bei perfektem Winterwetter starten wir am 26. Dezember in gewohntem Stil, von unten in das Abenteuer. Nach der dünnen Einstiegslänge versperrt ein Felsdach den Weiterweg im Eis.

Den Zugang ins Dach entscheidet die Geschmeidigkeit an einer dünnen Glasur bei mäßiger Absicherung. Erst im Dach platzieren wir Bohrhaken, um den äußerst athletischen Zügen die notwendige Sicherheit zu geben. Für den Übergang ins Eis sollte noch etwas an Power übrig sein, denn der stark tropfende Vorhang gibt nicht nur den Namen der Route, sondern verlangt noch einmal vollen Einsatz.

Um den roten Punkt einzuholen sind wir am 2. Jänner wieder vor Ort. Es schneit leicht, der Vorhang tropft dieses Mal nicht so stark, gerade so, als würde er uns zum Klettern einladen. Das Eis ist zwar nicht besser geworden, dafür läuft es beim Klettern perfekt, wir können beide alle Seillängen rotpunkt klettern.

Bei angekündigtem Wärmeeinbruch blieb nicht mehr viel Zeit um die tropfende Eleganz auch noch auf Bild zu bringen. Doch die partielle Sonnenfinsternis am 4. Jänner gab uns noch einmal genug Schatten für diese Aufgabe. Bei beruhigend wenig Tropfen, aber trotzdem mit gutem Licht beenden wir den Tag mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

Text: Albert Leichtfried

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