Thomas Huber im Interview

"Beim Bergsteigen ist die Angst mein Beschützer"

Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) und für das aktuelle Themenheft "Lebensmut" der evangelischen Wochenzeitung für Bayern, "Sonntagsblatt", erzählt Thomas Huber über die positive Seiten von Angst, seinen schweren Sturz im vergangenen Jahr, den Wert eines Gebets oder eines Gipfelkreuzes sowie das Gefühl, dem Tod zu nahe gekommen zu sein.

"Beim Bergsteigen ist die Angst mein Beschützer"
© Picture Alliance

Welche Rolle spielt Angst bei Ihren Extremtouren? Bekommt man in der endlos hohen Eiskletterwand nicht so richtig Angst?

Angst ist ein Urgefühl des Menschen. Man hat Angst vor dem Unbekannten. Man hat Angst um sein Leben. Angst ist ein Gefühl, das einem sagt: Jetzt muss ich aufpassen, jetzt bin ich als Mensch dem nicht gewachsen. Dann kommt eben dieses Angstgefühl, das dir sagt, wenn ich jetzt weitergehe, muss ich 100-prozentig funktionieren. Beim Bergsteigen ist die Angst mein Beschützer, sie zeigt mir meine Grenzen.

Also ist Angst etwas Positives?

Ich sage immer: Angst ist ein Freund, aber Angst ist genauso ein Feind. Und eigentlich möchte ich ein angstbefreiter Mensch sein. Ich habe da einen Spruch kreiert: «Wenn die Angst vor dem Gipfel größer ist als der Mut, unten loszugehen.» Das ist eine Metapher aus dem Bergsteigen. Wenn Bergsteiger unten stehen und immer auf den Gipfel schauen, und der Gipfel wird dann so übermächtig, dass du nicht mehr losgehen kannst, dann bleibst du unten, du hast nicht mehr den Mut, den ersten Schritt zu tun. Das gilt genauso fürs Leben. Wenn diese Geschichten, die Lebensaufgaben zu unbewältigbar werden, dann erdrückt dich das derartig, dass du dann am liebsten nur noch auf der Couch bleibst und in den Fernseher schaust. Aber dann habe ich wirklich Lebensangst.

<p>Die zweite Seite des Thomas Huber: als Frontmann der Band Plastic Surgery Disaster.</p>

Die zweite Seite des Thomas Huber: als Frontmann der Band Plastic Surgery Disaster.

© facebook.com/Thomas.Huberbuam

Wie schafft man es dann, aufzustehen?

Das habe ich aus dem Bergsteigen mit ins Leben genommen: Du schaust den Berg an, du schaust den Gipfel an, da möchte ich hinkommen, und ich weiß ganz genau, diese Wand ist unbezwingbar für mich in diesem Moment. Und dann erlebe ich, dass dieses Gefühl der Unbezwingbarkeit eine Dynamik entfalten kann. Irgendwann sagst du dann: Okay, jetzt mache ich einfach den ersten Schritt. Und plötzlich bist du Teil dieser Welt. Und das initiiert den zweiten Schritt, und der zweite Schritt hat wieder die Dynamik, dann der dritte Schritt - und irgendwann ist man in diesem Bergsteigerflow, man ist in diesem Aufsteigen drinnen, und plötzlich machst du oben die Tür auf und sagst: Jetzt bin ich oben, wie ist das gegangen?

Das passt gut für das Leben insgesamt.

Ja, das ist eigentlich ein wunderbares Beispiel, nicht nur im Bergsteigen, sondern auch im Leben. Es gibt kein Aufgeben, sondern du kannst immer positiv nach vorne schauen. Es gibt immer Wege und Möglichkeiten. Nur musst du wirklich mutig sein. Menschen, die mutig sind, die immer diese Neugier und diese Sehnsucht in sich tragen, sind glücklicher. Sehnsucht - da sind wir wirklich bei einem ganz wichtigen Wort. Ich glaube, ein Mensch, der sehnsüchtig ist, der fällt nicht in ein Angstsyndrom. Wer Träume und Sehnsüchte hat und neugierig ist, der will immer marschieren, der will immer nach vorne gehen, der findet immer Lösungen.

Haben Sie sich einmal so richtig verstiegen, wo es nicht mehr rauf- oder runterging, wo Sie dachten, jetzt geht es gar nicht mehr weiter?

Das triviale Bild wurde schon oft in Hollywood verfilmt: Ein Kletterer steht einsam in der Wand, es geht nicht mehr zurück, nach vorne, ein Alptraum. So, und jetzt hängst du nur noch an einem Finger. Oder am Hochhaus, und die Finger werden länger, immer länger, und irgendwann stürzt du. Und da ist diese Angst, die dich lähmt. Da ist alles schon zu spät. Wenn diese Angst eintritt, hast du schon so viele Fehler zuvor gemacht. Diesen Moment hatte ich nie, weil ich ein, so glaube ich, intelligenter Bergsteiger bin. Selbst in lebensbedrohlichen Situationen gab es immer einen Ausweg.

Vor einem Jahr sind Sie am Brendlberg beim Klettern 16 Meter tief abgestürzt. Wie geht es Ihnen heute?

Ich habe schon einen ziemlich brutalen Schädelbruch gehabt, der war zertrümmert auf einer Seite. Und dass ich keine Einblutung ins Gehirn gehabt habe, das war mein Glück. Ich habe das sehr gut bewältigt, auch wenn ich im Moment vielleicht nicht ganz so mutig bin. Aber ich arbeite daran, konfrontiere mich laufend mit dieser Situation. Ich gehe genau dahin und stürze absichtlich ins Seil, damit ich wieder dieses Gefühl der Sicherheit habe. Um praktisch das wieder machen zu können, was ich leidenschaftlich gerne tue: klettern und bergsteigen.

Sie gehen also zurück zur Absturzstelle und lassen sich bewusst ins Seil fallen?

Gehe dahin, wo es gruselig ist, um zu checken, wie es ist, wenn du in der Sonne stehst. Wenn ich nie mehr dahin gegangen wäre, hätte ich vielleicht sogar Alpträume von diesem Fallen bekommen. Und so ist das Fallen eigentlich gar nicht mehr existent.

<p>Schnell wieder auf den Beinen: Thomas Huber nach seinem schweren Kletterunfall 2016.</p>

Schnell wieder auf den Beinen: Thomas Huber nach seinem schweren Kletterunfall 2016.

© facebook.com/Thomas.Huberbuam

Sie sind ja damals nach einem Monat wieder losgeklettert, trotz Schädelbruchs.

In dem Moment, wenn du im Krankenhaus liegst, egal mit was, dann brauchst du ein Ziel, was dich wieder zurückholt ins Leben. Sich wirklich krank zu fühlen ist der falsche Weg. Du musst nach vorne schauen. Ich hab mir damals gesagt: Ich habe das Flugticket, der Flieger nach Pakistan geht in fünf Wochen, und ich liege hier auf der Intensivstation. Das ist eigentlich eine Unmöglichkeit. Aber ich sage, ich fahre nach Pakistan zum Latok, auf diese Expedition. Jeder hat gesagt, da musst du wieder topfit sein, das geht nicht. Auch die Ärzte haben gesagt: Thomas, es ist fast unmöglich. Da habe ich gesagt, lasst mich diese Unmöglichkeit einfach nur angehen. Habt Vertrauen zu mir. Und dann war ich am Latok.

Wo sind dann die Grenzen?

Ich habe ein sehr intensives Gefühl, bevor ich in eine große Wand einsteige. Ich bete da vorher und gehe wirklich in mich.

Was sind das für Gebete?

Das sind Gebete zu mir selber und zu dem, der mich auch irgendwo beschützt und der mir letztendlich die Intuition gibt, dass ich das Richtige tue.

Wer ist das für Sie?

Ich bin gläubiger Christ und bin ganz normal katholisch aufgewachsen. Ich bin allen Religionen zugewandt. Also wenn in nach Pakistan gehe, dann heißt es allabah und inschallah, all is god und bismillah. In Pakistan heißt Gott Allah, bei uns heißt er Gott, und bei den Hindus ist es eben irgendwas anderes. Aber letztendlich glauben wir alle an dasselbe, nur haben wir eben verschiedene Sprachen der Religion. Wenn mir ein Christ sagt, nur der eine Weg ist der richtige, dann sage ich: Ja, das ist aber nicht der meine.

Wie denken Sie denn über diese Gipfelkreuz-Diskussion in den Alpen?

Das ist totaler Blödsinn. Ich empfinde ein Gipfelkreuz als was total Schönes, und das ist unsere Kultur. Wenn wir ein Gipfelkreuz in Pakistan errichten würden, würde ich das katastrophal finden. Man hat schon früher auf dem Gipfel einen Eispickel oben gelassen oder einen Stab, einen Stecken. Das Kreuz ist der höchste Punkt, und es kann was Ästhetisches sein. Aber es gibt natürlich auch Kreuze, wo man wirklich sagt, das ist nur noch ein Prestigeobjekt des Alpenvereins oder einer Sektion, die sich da profilieren muss. Oder wenn am Gipfel fünf Kreuze oben stehen, da sage ich, irgendwo hört es auf. Ich finde es schön, wenn ein Gipfelkreuz oben steht. Und wenn keines da ist, ist es auch cool. Also man soll sich einfach nicht so wichtig nehmen. Ich finde es viel wichtiger, dass man die Alpen auch Alpen sein lässt und dass man sie nicht so verbaut und stilisiert und kaputt touristisiert. Das ist glaube ich das, was der Reinhold (Messner, die Red.) sagen möchte, wenn er Kritik übt.

Sie haben viele Grenzerfahrungen erlebt, setzen Sie sich auch mit dem Tod auseinander?

Beim Absturz am Brendlberg, da war der Tod ganz nah bei mir. Ich hatte diesen Moment schon einmal, als ich einen Nierentumor hatte. Okay, du hast einen Tumor, du fährst ins Krankenhaus, du wirst operiert, du hast ein Karzinom, mit einer Lebenserwartung von zwei, drei Jahren. Diese aktive Auseinandersetzung mit dem Tod hat mich schwer beschäftigt. Dann hatte ich das Glück, dass es ein gutartiger Tumor war. Er wurde entfernt, und der Arzt hat gesagt: Thomas, du bist gesund, kerngesund, alles ist gut. Das hat mir viel Boost gegeben, viel Energie. Ich finde, das Leben ist sehr einzigartig, das Leben ist einfach unglaublich schön. Mir macht das Leben total viel Spaß, und ich möchte noch viele Jahre leben.

<p>Familienmensche: Thomas Huber mit seinem Sohn Elias bei der Durchsteigung der Watzmann-Ostwand.</p>

Familienmensche: Thomas Huber mit seinem Sohn Elias bei der Durchsteigung der Watzmann-Ostwand.

© facebook.com/Thomas.Huberbuam

Jeder muss irgendwann sterben.

Aber das Entscheidende ist, dass du das Leben jetzt lebst. Der Tod kommt von selbst. Zu sterben ist, glaube ich, nicht schwer, das müssen wir alle mal, das machen wir mit Bravour. Wenn du Angst hast vor dem Tod, hast du Angst vor dem Leben. Also, der Tod kommt von selbst, so lebe das Leben und lebe es einfach jetzt und intensiv. Lerne aus der Vergangenheit für das jetzige Leben und habe vielleicht einen Plan für die Zukunft, aber lebe nicht für die Zukunft. Habe nur einen Plan. Aber wer ständig für die Zukunft lebt, der lebt in keiner Sekunde. Das ist das, was ich mir über das Ganze zurechtgelegt habe. Der Tod ist nur deshalb hart, weil du was hinterlässt. Bei mir sind es eine tolle Frau, drei unglaubliche Kinder und gute Freunde. Weil ich noch viele von ihnen gestellte Fragen zu beantworten habe. Es lohnt sich, noch da zu sein.

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