Alex Honnold im Portrait (2014), Teil II

"Wenn ich meine Arme verlöre, würde ich eben mit dem Berglaufen beginnen."

Alex Honnold gilt als einer der derzeit besten Free Solo-Kletterer weltweit. Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir unter anderem über das Altern als Kletterer, Klimaschutz und seine Stiftung.

Alex Honnold (2014)
© www.facebook.com/AlexHonnold

Ob er am liebsten bei seinem Sport sterben würde? "Schwachsinn!", sagt Alex Honnold. Er möchte im hohen Alter von 95 Jahren im Kreise seiner Familie dahinscheiden - ohne lange zu leiden, vielleicht sogar im Schlaf. Mit einem Haufen Enkel und einem gemütlichen Zuhause, in dem er sich noch von allen verabschieden kann.

Diesen Gedanken findet Honnold beruhigend, denn Familie ist ihm sehr wichtig. "Ich darf mich glücklich schätzen, eine gute Familie zu haben, die auch noch in meiner Nähe lebt. Meine Oma, die kürzlich verstarb, lebte nur eine Meile entfernt, meine Tante und mein Onkel nur zwei. Das ist wirklich toll, so hätte ich das gerne in der Zukunft auch."

<p>"Man muss nicht nur hinunterschauen können – man muss es lieben" – Honnold am Half Dome im Yosemite-Nationalpark.</p>

"Man muss nicht nur hinunterschauen können – man muss es lieben" – Honnold am Half Dome im Yosemite-Nationalpark.

Aber auch seine Freunde sind für Honnold wichtig. Speziell ganz enge Kletterfreunde. "Wenn die das Gefühl haben, was ich mache, ist gefährlich oder eine schlechte Idee, höre ich mir das gerne an. Vor allem, wenn sie viel klettern und alles besser einschätzen können."

Was die Leute über ihn sagen, ist ihm nicht wichtig. Im Internet gibt es viele Kommentare wie "der Typ ist verrückt" oder "er hat Todessehnsucht". Honnold ist das egal. Die generelle Öffentlichkeit interessiert ihn nicht. Überhaupt ist ihm die "Szene" egal.

Honnold mag es beschaulich. Er freut sich darauf, "dass dieses ganze Berühmter-Kletterer-Sein in ein paar Jahren vorbei sein wird. Und ich einfach wieder zurückkehren kann zu normalem Klettern, das wäre unglaublich toll!" Ein schelmisches Lachen jagt durch sein Gesicht. Äußerlichkeiten sind ihm nicht sehr wichtig. Wichtiger ist es ihm, verantwortungsvoll und bewusst in der Natur zu leben und viel Zeit am Fels zu verbringen.

Auf die Frage, was ihn am meisten einschränke, antwortet er: "Zeit. Ich wünschte, jeder Tag hätte mehr Stunden, um all das machen zu können, was ich möchte." Er ist sich dessen bewusst, dass er sonst so ziemlich alle Freiheiten hat, zu reisen und seiner Kletterleidenschaft nachzugehen. Und selbst die könnte er aufgeben, wenn er müsste.

<p>Steht eigentlich nicht gerne im Mittelpunkt: Alex Honnold (Foto: c.</p>

Steht eigentlich nicht gerne im Mittelpunkt: Alex Honnold (Foto: c.

© Martin Miksch

Honnold ist sich sicher: "Wenn ich meine Arme verlöre, würde ich eben mit dem Berglaufen beginnen." Es gebe nichts, auf das er nicht verzichten könne, sagt er. Sogar auf seine heißgeliebte Schokolade oder Cookies. Freiheit bedeutet für Honnold, die Wahl zu haben, selbst über sein Leben zu bestimmen, eigene Entscheidungen treffen zu können. Und darin sei er momentan sicher freier als der Durchschnittsbürger.

Denn er habe nur Verantwortung für sich selbst, und nicht für Eltern, Kinder oder andere Menschen. Und Einladungen zu Filmfestivals oder Vortragsabenden müsse er auch nicht annehmen. "All diese Dinge muss ich nicht wirklich tun. Ich könnte sie einfach absagen und stattdessen immer noch klettern gehen. Ich habe mir diese Arbeit selbst ausgesucht." Und arbeiten müsse ja wohl jeder.

Alex Honnold bevorzugt "einen Job, bei dem er an einem Kletterfelsen sitzen, über das Klettern reden, die Natur genießen und gleich die nächste Route klettern kann". Das sei schließlich besser "als sechs Monate am Stück in einem Büro zu sitzen, um für die eine Kletterreise im Jahr zu sparen". Grundsätzlich glaubt Alex Honnold, die Menschen seien viel freier als sie tatsächlich glauben.

Honnold findet, die Menschen sollten sich stärker bewusst machen, dass die meisten Dinge, die sie machen, ihre eigene Wahl sind. Und dass es einen Grund dafür gibt, warum sie sie machen. Niemand müsse dieses oder jenes tun! "Es sind einfach nur gesellschaftliche Erwartungen, denen sich die Menschen unterwerfen. Fast jeder könnte doch seinen Job kündigen und irgendwo ein Abenteuer erleben."

Und wenn er gerade einmal nicht klettert? Dann liest er viel und gerne. Am liebsten Sachbücher. Ein Thema liegt ihm besonders am Herzen: die Umwelt. "Auf dem Flug nach Europa", erzählt er, "habe ich gerade das letzte Buch ausgelesen. Es trägt den Titel ‚The Energy of Nations‘ von Jeremy Leggett und handelt vom Übergang der Gesellschaft, wenn Öl nicht mehr der Hauptenergieträger sein kann oder wird."

Und dann legt er los. Was er ändern würde, wenn er eine Sache auf der Welt ändern könnte? "Wahrscheinlich würde ich auf der ganzen Welt eine Steuer auf Kohlenstoff erheben. Das würde alles ändern. Die Energieversorgung würde schneller wegkommen von fossilen Brennstoffen. Und Alternativen sind ja längst möglich mit Solar- und Windenergie. Aber wir wählen diesen Weg nicht.

Es enttäuscht mich, dass Amerika nicht das Kyoto-Protokoll unterzeichnet hat. Was für eine völlige Peinlichkeit. So viel Kraft und Macht zu haben, und sie einfach nicht zu nutzen, deprimiert mich. Ich könnte stundenlang über Umweltprobleme reden. Nicht ganz so wie beim Klettern.

<p>Grüner Punkt: Alex Honnold bei einem Free Solo am El Capitan</p>

Grüner Punkt: Alex Honnold bei einem Free Solo am El Capitan

© www.alexhonnold.com

Das ist mehr so: "Oh, ein weiterer Tag am Fels.‘ Bitte nicht falsch verstehen, ich liebe Klettern. Aber die Umweltpolitik? Das sind die wirklich wichtigen Themen, die uns alle betreffen!" Puh, ein ganz schöner Brocken. Bevor sich Honnold ausschließlich dem Klettern verschrieben hat, hat er Ingenieurswissenschaften in Berkeley studiert.

Und trotz seines "großen Respekts für diese Disziplin" abgebrochen. Heute würde er vermutlich einen umweltbezogenen Beruf wählen - "Umweltpolitik oder vielleicht sogar Betriebswirtschaft", sagt er. Diese Einstellung rührt wohl zum großen Teil auch vom Klettern her.

Denn es befreit von vielen gesellschaftlichen Normen und Verpflichtungen, findet Honnold. "Viele Dinge, die im Großstadtleben sehr wichtig sind, zählen beim Klettern überhaupt nichts. Die Qualität des Essens, ob es draußen sauber ist oder nicht und so weiter." Es ließe einen schätzen, wie der Großteil der Weltbevölkerung lebt.

"Man realisiert, dass die tägliche Dusche Luxus ist. Ebenso wie gutes Essen. Jemand, der voll und ganz in der Konsumgesellschaft aufgeht, hat vielleicht das Gefühl, er brauche unbedingt die neueste Handtasche oder die aktuellste Designer-Sonnenbrille. Er will es vielleicht. Und hat wegen dieser neuen coolen Sonnenbrille womöglich auch irgendwann Sex. Sie hilft ihm bei den Frauen, vielleicht ist sie also wirklich das viele Geld wert. Aber eigentlich braucht er nichts davon wirklich. Wir brauchen nur Nahrung und Unterkunft - das ist alles."

Honnold redet nicht nur über Ökologie, er praktiziert sie auch. Er spendet einen Teil seiner Einnahmen für seine Stiftung www.honnoldfoundation.org . Die kümmert sich um Projekte auf der ganzen Welt und unterstützt kleine Non-Profit-Organisationen. Kein Wunder, dass Honnold sich wenig Sorgen um sich selbst macht. Nur verkrüppelt zu sein sorgt ihn. Nicht, weil er selbst nicht mehr klettern könne oder seine Lebensqualität leide.

<p>Natürlich ohne Seil: Honnold in der legendären Route "Separate Reality"</p>

Natürlich ohne Seil: Honnold in der legendären Route "Separate Reality"

© www.alexhonnold.com

"Ich bin mir sicher, dass ich mich an so eine Situation anpassen könnte." Aber er möchte seiner Familie und seinen Freunden nicht zur Last fallen. Denn die sind ihm besonders wichtig. Weil er sich selbst nicht in den Mittelpunkt drängt. Es ist ihm eher unangenehm, so viel Aufmerksamkeit zu erhalten. Er findet das mitunter sogar unangebracht.

Bei seinem Vortag auf dem diesjährigen Trento Filmfestival war das deutlich zu spüren. Honnold erklärte, er fühle sich "eingeschüchtert von den vielen Kletter- und Alpingrößen im Raum". Er verstehe nicht, warum er über seine Projekte erzählen solle, wo Berühmtheiten wie Ermanno Salvaterra oder Kurt Diemberger im Publikum säßen, die so viel mehr zu berichten hätten als er.

Peinlich sei es ihm gewesen, von Salvaterra zum Essen eingeladen worden zu sein. "Wo ich ihn als Fan doch am liebsten eingeladen hätte." Und dann legt er los. Im Saal wird es still. Nach seinem fesselnden Vortrag ermuntert er das Publikum, ihm harte Frage zu stellen. Er brauche das.

Ein Trentiner will wissen, was Honnold von einem Buch über das Free-solo-Klettern halte, in dem die Eigenschaften dieser speziellen Kletterer in drei grundsätzlichen Gemeinsamkeiten zusammengefasst werden: Eine besondere Mentalität - Honnold lächelt milde. Und schüttelt den Kopf.

Eine besondere Leidenschaft - Honnold grinst zögerlich. Und wiegt den Kopf abwägend hin und her. Eine besondere Motivation - Honnold lacht. Und schüttelt zum letzten Mal den Kopf. Sein Fazit: "Dann bin ich wohl nur zu einem Drittel ein echter Free-solo-Kletterer."