Wildes Norwegen - Dovrefjell Nationalpark

Begegnung mit einem Riesen

2012 machten sich Nicole Lämmermann und Christoph Ruthrof auf nach Norwegen. Beim Wandern im Dovrefjell- Nationalpark kam es zu einer unheimlichen Begegnung mit einem zotteligen Urviech, das eigentlich seit der letzten Eiszeit als verschwunden galt. Wie die Begegnung ausging und was unser Autoren-Paar sonst noch erlebte, lesen Sie in Nicoles Reportage...

Begegnung mit einem Riesen
Wildnis: Der Nationalpark Dovfrefjell in Norwegen.
Wildnis: Der Nationalpark Dovfrefjell in Norwegen.

Endlich! Wir haben den richtigen Weg gefunden und folgen einem kleinen Pfad dem Fluss entlang. Er führt talaufwärts Richtung Snohetta, dem höchsten Berg des Nationalparks. Der Schnee versteckt die Markierungen und erschwert die Orientierung. Wir biegen um einen Hügel, achten dabei auf unsere Füße, die sich durch Schneematsch und Morast kämpfen. Ich gehe ein paar Schritte hinter Christoph, der Fotos von der schroffen, rauen Landschaft macht. Da sehe ich ihn. Er muss die ganze Zeit schon da gestanden haben. Aber ich entdecke ihn erst jetzt. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Mein Herz schlägt schneller.

Der Moschusochse steht ganz still und sieht in unsere Richtung. Er ist viel zu nah, vielleicht noch 30 Meter von Christoph entfernt. Und Christoph geht gerade, ohne es zu merken, weiter auf den 300 Kilo-Kollos zu. Ich wage es nicht, laut zu rufen. Also raune ich mit gedämpfter Stimme: "Christoph!"

Riese aus der Urzeit: Mosuschochse im Dovrefjell Nationalpark.
Riese aus der Urzeit: Mosuschochse im Dovrefjell Nationalpark.

Er hört mich nicht gleich, denn das Pfeifen des Windes und das Rauschen des Baches übertönen meine Warnung. Mit offenem Mund sehe ich, wie er sich dem Urviech noch weiter nähert. Immer noch hat er den Riesen nicht bemerkt. Erst beim zweiten Versuch, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, sieht Christoph auf. Ein Ruck fährt durch seinen Körper. Ich weiche ein paar Schritte zurück und hoffe, dass Christoph dasselbe tut. Stattdessen zückt er seine Kamera und richtet das Objektiv auf das langhaarige Tier...

Willkommen im Dovrefjell Nationalpark!

Einen Tag zuvor hatten wir Regenjacke und Wanderschuhe angezogen, unseren Rucksack aufgesattelt und uns auf den Weg gemacht. Ein norwegischer Wanderführer zeigt uns die Richtung, in die wir starten müssen. Er bereitet uns darauf vor, dass wir für die Strecke zur Schutzhütte wesentlich mehr Zeit einplanen müssen als gedacht. Der Weg sei durch die verspätete Schneeschmelze vielerorts unwegsam, sumpfig und überschwemmt.

Klicken Sie sich durch die Slideshow "Wildes Norwegen - Dovrefjell Nationalpark" von Christoph Ruthrof.

Außerdem gibt er uns noch eine Warnung mit auf den Weg. Erst vor einem Monat sei ein Tourist von einem Moschusochsen ein paar hundert Meter über Stock und Stein gejagt worden. Er sei nur knapp unbeschadet davongekommen. Wir sollten uns den Tieren auf keinen Fall nähern und sie nur aus sicherem Abstand beobachten. Die Faustregel sei 300 Meter Abstand.

Auch der Nationalpark selbst begrüßt uns an seinem Eingang zur Wildnis des Nordens mit einem Warnschild: "Beware of muskoxen!" Dabei sind die zotteligen Urtiere doch einer der Gründe, warum wir hier sind. Seit der letzten Eiszeit waren sie vom europäischen Festland ganz verschwunden. Ende der vierziger Jahre waren die Ziegenartigen wieder in Norwegen angesiedelt worden und vermehren sich seither stetig. Im Dovrefjell gibt es nun schätzungsweise 300 Tiere. Da das Dovrefjell 1700 Quadratkilometer groß ist, rechnen wir uns nicht allzu große Chancen aus, den archischen Paarhufern zu begegnen.

Widrige Bedingungen in unvergesslicher Landschaft

Mit nassen Füßen stapfen wir tapfer weiter. Der eisige Wind zerrt an uns. Nur ab und zu setzt der Regen aus. Obwohl es bereits Mitte Juli ist, liegt vielerorts noch Schnee in dem Plateaufjell oberhalb der Waldgrenze. Unsere Wanderung soll uns zum Fuße des Snohetta des höchsten Berges des Nationalparks führen. Bis dorthin haben wir noch einige Stunden vor uns.

In der Ferne: die Snohetta, höchster Berg des Parks.
In der Ferne: die Snohetta, höchster Berg des Parks.

Trotz der widrigen Umstände ist der Anblick der Natur überwältigend. Wir befinden uns inmitten einer sanft gewellten Berglandschaft, deren Kuppen glattgeschliffen sind von urzeitlichen Gletschern. Schroffe Felsen, überwachsen von grünen Flechten und Moosen, pflastern den Weg. Die ersten Hindernisse, die uns den Weg erschweren, sind keine Moschusochsen. Es sind der schlammige Boden und der drohende Himmel mit seinen dunklen Wolken. Bäche und Flüsse durchschneiden die Landschaft, treten über ihre Ufer und bilden scheinbar unpassierbare Hindernisse. Immer wieder suchen wir lange nach Stellen, an denen wir trockenen Fußes die Ströme durchqueren können. Mehrmals vergebens. An manchen Orten bleibt uns nichts anderes, als durch das eiskalte Wasser zu waten.

Der Hochgebirgspark Mittelnorwegens ist für seine botanische Artenvielfalt berühmt, auch wenn er auf den ersten Blick karg wirkt. Die Natur ist rau, ursprünglich und gewaltig hier. Einsam und unberührt. Auf der gesamten Wanderung begegnen wir keiner anderen Menschenseele. In der Ferne prunkt die majestätische Snohetta und gibt uns die Richtung vor.